Im Ortsmuseum Weiach habe ich vor ein paar Tagen ein Schreiben des Katholischen Pfarramts im aargauischen Nachbarstädtchen Kaiserstuhl gefunden. Datiert ist es mit: «8434 Kaiserstuhl, den 17. September 1989», also kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. Der Inhalt dünkt mich bemerkenswert.
«Liebe Schwestern und Brüder
Unser Jahrhundert hat viel an Befreiung, aber auch viel an Angst ausgelöst. Ist es gründliche Lebens-Angst, die Menschen wieder und wieder zum "Festungsbau" ruft und antreibt? – Bollwerke und Festungsbau im Politischen, Wirtschaftlichen, Kulturellen, Religiösen: hier wir, dort die andern. Dazwischen die unüberbrückbare Kluft. "Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein."
Der Reformierte Zürcher Kirchentag will Brücken schlagen. Eine davon zu den Mitchristen. Wir – die reformierte und katholische Bevölkerung aus ökumenischem Holz – fühlen uns bestärkt auf den gemeinsamen Weiacher, Kaiserstuhler und Fisibacher Wegen. Verdichtet nicht das folgende Gleichnis, in welche Dimensionen konfessionstrennende und konfessionsverbindende Wege reichen?
"Ein Rabbi kommt zu Gott: 'Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.' – 'Nimm Elia als Führer', spricht der Schöpfer, 'er wird dir beides zeigen.'
Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand. Er führt ihn in einen grossen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen. Das herrliche Essen ist nicht zu geniessen. Die beiden gehen hinaus. 'Welch seltsamer Raum war das?' fragt der Rabbi den Propheten. 'Die Hölle', lautet die Antwort.
Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt und glücklich. 'Wie kommt das?' – Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen. Da weiss der Rabbi, wo er ist.["]
Auf dass der Brückenschlag gelinge»
Der Aufruf passt samt Briefkopf auf eine A4-Seite. Bemerkenswert kurz und deutlich.
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