Sonntag, 6. Mai 2007

Sabbat- und Sitten-Mandat ab offener Kanzel

In früheren Jahrhunderten war der Pfarrherr ein wichtiges Element der staatlichen Aufsicht und Kontrolltätigkeit in einer Zürcher Landgemeinde. Er hatte zusätzlich zu seinem Seelsorger-Amt nicht nur den Vorsitz über den Stillstand, d.h. die Kirchenpflege, sondern diente auch als Sprachrohr der Obrigkeit.

Der Gottesdienstbesuch war Christen- und Bürger-Pflicht und deshalb konnte man davon ausgehen, dass auch wirklich die meisten anwesend waren - ob sie dann zuhörten oder schliefen ist eine andere Frage.

Jedenfalls gehörte es zu den Aufgaben des Pfarrers, von der Kanzel aus obrigkeitliche Anordnungen zu verlesen, wozu ganz besonders die sogenannten Sittenmandate gehörten.

Jeden ersten Sonntag im Mai

Bei dem vor etwas mehr als zweihundert Jahren erlassenen «Sabbat- und Sitten-Mandat für den Canton Zürich» vom 17. Mai 1805 war das nicht anders. Der Auftrag an den Pfarrer stand da sogar explizit drin:

«Gegenwärtiges Mandat soll zu jedermanns Kenntniß durch den Druck bekannt gemacht, und in allen Pfarrgemeinden unsers Kantons dieß Jahr Sonntags den 9. Junii, in Zukonft aber je am ersten Sonntag des Monats May ab offener Kanzel verlesen werden.»

Heute ist der 1. Sonntag im Mai. Ebenfalls an diesem Tag vor genau 200 Jahren musste also auch der Pfarrer zu Weiach, Johann Heinrich Burkhard (1772-1837), dieses Mandat verlesen. Und das hat er ganz gewiss getan, schon weil er seit 1802 auch Schulinspektor war und ihm Zucht und Ordnung daher besonders am Herzen liegen mussten.

Wäre die Zeit bei der napoleonischen Mediation (1803-1813) stehengeblieben, dann müsste man sich heute unter anderem folgendes wieder einmal anhören:

Fluchen und Schimpfen ist verboten

«§16. In Betreff des so sehr überhand genohmenen Fluchens und Schwerens, Schimpfens und Scheltens, als welche an sich selbst ärgerlich und sündlich sind, und woraus mancherley Unfugen und Unglück entstehen, verwarnen Wir jedermann aufs Ernstlichste, und fordern jedermann, besonders aber die Gemeindsvorsteher und Stillständer, die dazu kommen und solches anhören, auf, die Fehlbaren theils zur Ordnung zu weisen, theils der Stillstandsbehörde anzuzeigen, damit dieselbe die pflichtmäßigen Maßregeln gegen sie ergreiffen könne.»

Das erinnert dann doch sehr an den Kaiserstuhler Ratsbeschluss vom Januar 1681 (WeiachBlog vom 30. März 2007). Dieselben menschlichen Probleme wie damals. Nur dass der Zürcher Rat nicht eigens einen Kometen zum Anlass nahm, sondern das Sittenmandat auch so für höchst notwendig hielt.

Schmähschriften sind auch verboten

Das war aber noch nicht alles: Auch die Zensur hob den Zeigefinger:

«§17. Besonders wird alles Verfertigen, Anschlagen und Ausstreuen von Schimpf- und Schmäh-Schriften ernstlich verboten, und solle solches von den competierlichen Gerichten verhältnißmäßig an Leib, Ehr und Gut bestraft werden. Auch wird jedermann, der eine solche Schimpf- und Schmäh-Schrift finden würde, bey seinen bürgerlichen Pflichten aufgeforderet, selbige unverweilt und im Stillen unnütz zu machen, oder aber unmittelbare dem Vollziehungs-Beamten zu Handen zu stellen.»

Der Bürger als Hilfspolizist und Hüter seiner Nachbarn. Wie müssen die Obrigkeiten Angst vor (berechtigten?) Vorwürfen gehabt haben, die im polemischen Gewand daherkommen. Pamphlete wie das von Advokat Locher gegen das «System Escher», die etwa 60 Jahre später erschienen, wären da wohl nicht toleriert und der Autor sogleich verhaftet worden.

Quellen

  • Officielle Sammlung der von dem Grossen Rathe des Cantons Zürich gegebenen Gesetze und gemachten Verordnungen, und der von dem Kleinen Rath emanierten allgemeinen Landes- und Polizey-Verordnungen. Dritter Band. Zürich, 1808 – S. 15-22 [gedruckt und zu haben bey Johann Kaspar Näf]. Signatur: StAZH ZH 16:3
  • Emanuel Dejung und Willy Wuhrmann: Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952. Zürich, 1953
  • «Saufgelage!» – Statthalter verklagt Gemeinderatsschreiber. Öffentliche Schlammschlacht anlässlich der Wahlen 1866. Weiacher Geschichte(n) 55. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juni 2004 – S. 12-17. (hier: S. 12; Gesamtausgabe Weiacher Geschichte(n): S. 143)

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