Montag, 22. August 2011

Kein zweites Weiach werden

Es passiert bekanntlich nicht allzu häufig, dass Weiach als Dorf mit nicht einmal 1000 Einwohnern in Zeitschriften erwähnt wird (auch in Zeitungen nur, wenn es sich um regionale Blätter wie den «Zürcher Unterländer» oder das «Neue Bülacher Tagblatt» handelt).

Wenn es dann doch vorkommt, hat es entweder etwas mit Kiesabbau, NAGRA-Sondierlöchern oder Erdgasbohrungen zu tun. Oder wie in anderen kleinen Gemeinden mit Sportlern oder aufsehenerregenden Verbrechen.

Atomkraftwerke sind geräuschloser als Kieswerke

Interessant dieser Tage ist die ziemlich unerwartete Erwähnung im Beobachter vom 18. August 2011, welche den Bogen von den für die Atomabfallentsorgung auf Weiacher Boden abgeteuften Prospektionsbohrungen zur Produktion dieses Abfalls einige Kilometer rheinabwärts spannt:

«Anfang der sechziger Jahre tauchte der erste Vorbote der neuen Zeit im Dorf auf. «Grüezi, Odi esch min Name», sagte er. «Elektrowatt.» Nicht zu verwechseln mit Otti, dem Gemeindeschreiber. Herr Odi war scharf auf Land vor dem Dorf, sicherte sich 200 Blätz bestes Ackerland durch Kaufrechtsverträge. Erst dachte man, der habe es auf die Kiesvorkommen da draussen abgesehen. Nein, ein zweites Weiach wollte man nicht werden! Es kam anders: Kernspaltung statt Kiesabbau. 1965 sagte der Leibstädter Gemeindeammann Ernst Kramer zu einer Zeitung: «Das Atomkraftwerk ist sauber, macht keinen Lärm und ist krisenfest.» Das war Mainstream damals. Sonst hätte das Atomkraftwerk im nahen Beznau nicht ohne jeglichen Widerstand von 1965 bis 1972 gebaut werden können. Atomkraft war hip, es war die Zukunft. Und wer hätte es ihnen verargen wollen, voll darauf zu setzen, den Bewohnern dieser Region, die schon immer im toten Winkel der Eidgenossenschaft gelebt hatten?»

Ein Image hat man schnell

Leibstadt südwestlich Waldshut ist eines der Aargauer Atomdörfer. Und die KKL, die Kernkraftwerk Leibstadt AG, ist für diese Gemeinde, was die Weiacher Kies AG für unser Kiesdorf. Sie bringt Geld - aber auch ein Image. Und nicht immer das beste. Es ist entweder verbunden mit einem gähnenden Loch oder mit einem dampfenden Turm. Beides Auswirkungen einer «Zuvielisation», die von deren Profiteuren gerne in die Peripherie abgeschoben werden. Ganz nach dem Motto «Not in my backyard»: die negativen Folgen meines Strom- bzw. Kieshungers sollen andere ausbaden.

Vor 50 Jahren war es für die Aargauer Gemeinden nahe des Zurzibiets offensichtlich erstrebenswerter, das Land für Nuklearreaktor und Kühlturm zu verkaufen, als es wie die Weiacher für ein Kiesloch lediglich langfristig zu verpachten.

Quelle
  • Schilling, Christoph: Leibstadt. Das Dorf und das Atom. In: Der Schweizerische Beobachter, Ausgabe: 17, 18. August 2011 - S. 40.

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