Dienstag, 17. August 2010

Halteprämie für den kommunalen Wucherstier

«Unordnung und gespan von wegen deß wuocher stiers» wird als Missstand Nr. 10 im «verzeichnuß ettlicher mißbrüchen und unordnungen, so sich zuo Wyach haltend» vom Februar 1596 aufgeführt (vgl. WeiachBlog vom 18. Juli).

Was wuchert denn da?

Das Wort Wucher hat heutzutage einen denkbar schlechten Ruf. In der Wikipedia wird es als «Angebot einer Leistung zu einer deutlich überhöhten Gegenleistung unter Ausnutzung einer Schwächesituation des Vertragspartners» definiert, geradezu klassisch verkörpert im Wort «Wucherzins». Das Schweizer Konsumkreditrecht legt beispielsweise den Maximalzins auf 15% pro Jahr fest. Was darüber liegt ist Wucher.

Je nach Standpunkt und Kontext konnte das Wort aber auch positiv besetzt sein, im Sinne von reichem Ertrag. Das klingt noch an, wenn man z.B. von wucherndem Grünzeug redet. Wenn vom Wucherstier die Rede war, dann in diesem Sinne.

Das Wörterbuch «Versuch einer allgemeinen teutschen Idiotikensammlung» von Friedrich Carl Fulda aus dem Jahre 1788 gibt Wucherstier als badisches Wort mit der Bedeutung Zuchtstier an. Im «Schwäbischen Wörterbuch mit etymologischen und historischen Anmerkungen» von Johann Christoph von Schmid aus dem Jahre 1831 wird das Wort wie folgt erklärt: «wucherstier, m. Zuchtstier, Bd. Wucher drückt Fruchtbarkeit aus, uber, ubertas.» uber ist das lateinische Wort für die weibliche Brust. Der Wucherstier ist also anscheinend eine süddeutsch-schweizerische, um nicht zu sagen: alemannische Besonderheit. Er wird auch als Faselstier (von faslen = sich fortpflanzen), Gemeindestier oder Hagen bezeichnet.

Ohne Stier keine Milch

Wenn es bei einem so wichtigen Thema wie der Fortpflanzung des Rindviehs zu Gespan (also heftigen Streitereien) kam, dann hatte die Obrigkeit allen Anlass einzugreifen. Schliesslich geben Kühe nur dann Milch, wenn sie regelmässig kalben. Auch wenn zur damaligen Zeit sehr wahrscheinlich nur gerade so viele Milchkühe gehalten wurden, dass es knapp über den Eigenbedarf ging (denn gewerbsmässige Käsereien kannte man im Gebiet des Unterlandes um Weiach erst ab dem 19. Jahrhundert), ist klar, dass ohne den Zuchtstier mittel- und langfristig gar nichts ging.

Eine Frage der Zahlungsbereitschaft

Unter dem Titel «Wucher Stier» nahmen die Gnädigen Herren zu Zürich daher folgende Bestimmungen als Artikel 18 in die Weiacher Gemeindeordnung vom November 1596 auf:

«Alsdann die Jar har von wegen des Wucher Stiers sich allerlei Span und Mangel zugetragen, ist deßhalb umb Richtigkeit willen disere Ordnung gemacht worden, namblich, das nun hinfüro ein Gmeind sich mit einanderen jerlich vereinen, wie vill Geltes man zu erhaltung eines Stieres von einer jeden Kuh zu bezalen uslegen wolle, und man dann umb sollich Gelt einem in der Gmeind den Wucherstier uf dasselbig Jar verdingen, der söllichen Stier wol halten möge, das man darmit versehen sige.»

Eine ausführliche Beschreibung der Wucherstier-Angelegenheit ist im Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 117: «Zucht und Ordnung! Vom Wucherstier zur Viehzuchtgenossenschaft Weiach, 1596 bis 1999» zu finden (vgl. Link unten).

Man kann das Problem auch anders lösen

Interessant ist, dass die Weiacher die Haltung des Zuchtstieres nicht einer ganz bestimmten Person (wie z.B. dem Pfarrer) oder dem jeweiligen Besitzer eines Grundstückes überbanden (vgl. die Regelung im bernischen Herrschaftsgebiet), sondern die Gemeindekasse dafür einzustehen hatte. Diese Regelung hatte immerhin den Vorteil, dass die Gemeindeversammlung sich jedes Jahr sehr genau überlegen musste, was ihnen die Fortpflanzungsdienstleistung denn nun wert sei.

Spätestens 1623 war man von der Lösung abgekommen, jemanden für die Haltung des Stiers zu bezahlen. Nun mussten die Besitzer von jeweils 3 Kühen im Turnus für den Wucherstier sorgen (vgl. dazu Weiacher Geschichte(n) Nr. 117). Ob das besser funktioniert hat ist nicht bekannt.

Quellen

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