Donnerstag, 19. August 2021

Hauptstrasse durchs Städtchen Kaiserstuhl? Planung von 1851/52

Wo die Hauptstrasse Nr. 7 (Basel-Winterthur) heute durch unsere Gegend führt, das ist allgemein bekannt. Südlich der Bahnlinie und ziemlich gradlinig im Verlauf. Und südlich des Städtchens Kaiserstuhl.

Aber haben Sie gewusst, dass die Zürcher sich nach dem 1845/46 vollendeten Ausbau der Strassen zwischen Weiach und Glattfelden bzw. zwischen Weiach und Raat (heutige RVS 566) sehr intensiv mit dem weiteren Streckenverlauf auf Aargauer Gebiet befasst und eine Rheinuferstrasse favorisiert haben?

Welche Überlegungen man in den ersten Jahren des Bundesstaates in dieser Frage angestellt hat, das zeigt sich in den Erwägungen zum «Beschluß betr. Fortführung resp. Korrektion d. Straße von Weiach nach Kaiserstuhl», den der Zürcher Regierungsrat am 26. Juli 1856 fasste:

An den Rhein hinunter mit der Strasse!

«Betreffend die Vollendung der Straße 2ter Klasse von Seebach nach Weiach hat sich ergeben:

A. Die Straßen zweiter Klasse von Seebach bis Weiach u. von Winterthur bis Weiach sind nur bis außerhalb des letztgenannten Ortes korrigirt, von dort bis Kaiserstuhl besteht noch die alte Straße. In den Jahren 1851 u. 1852. fanden zwischen den zürcherischen & aargauischen Behörden Verhandlungen wegen der Fortführung dieses Straßenzuges über Kaiserstuhl bis Rümikon Statt u. die Baukommission übernahm die Ausarbeitung eines bezüglichen Projektes, wobei man zürcherischerseits diejenige Richtung bevorwortete, welche unten durch die Ortschaft Kaiserstuhl führen würde.
»

Zur Illustration des unter Punkt A der Erwägungen genannten Streckenverlaufs (auf der Basis der aus diesen Jahren stammenden Topographischen Karte des Kantons Zürich, der sog. Wild-Karte).


Den Aargauern fehlt das Geld - und der Mut, den Zürchern das zu sagen

«B. Auf eine Einfrage der Direktion der öffentlichen Arbeiten über den Stand dieser Angelegenheit berichtet der Baudirektor des Kantons Aargau unter Uebersendung von Plänen mit Schreiben vom 1t Heumonat [1. Juli]:

Die Straßenrichtung unten dem Rheine nach möge einige Zeit lang der vorherrschenden Begünstigung sich zu erfreuen gehabt haben, allein schon im Jahr 1852 sei dem Kantonsstraßenbaumeister die Weisung ertheilt worden, ein anderes & weniger kostspieliges Projekt bearbeiten zu lassen, welches nur die Verbesserung der bestehenden alten Straße bezwecke. Diese Vorarbeiten seien nun bewerkstelligt worden u. es gehe aus den angestellten Berechnungen hervor:

1o) dass das Projekt unten dem Rheine nach durch die Ortschaft Kaiserstuhl gekostet hätte:
a) im Kanton Zürich auf 4660' Länge Frk. 18000.
b) im Kanton Aargau “ 15000' “ “ 189,471.
zusammen für 19,660' “ “ 207,471.

2o) dass dagegen das Projekt längs der alten Straße, unter Verminderung aller Steigungen
auf ein Maximum von höchstens 3 bis 4 Prozent kosten würde:
a) für Zürich auf 4260' Länge Frk. 17,670.
b) für Aargau “ 16250' “ “ 126,788.
zusammen auf 20,510' “ “ 144,458.

Nach dieser Zusammenstellung wäre das Projekt der alten Straße nach nur um etwa 850' länger als dasjenige einer neuen Straße dem Rheine nach, der Ingenieur gebe jedoch in seinem Berichte die Differenz zum Nachtheil der alten Richtung auf 1250' Mehrlänge an bei einem Minderkosten
[sic!] von Frk. 67,000.»

Die badische Eisenbahn wird unseren Verkehr übernehmen!

Die Aargauer glaubten aber nicht nur das Kostenargument auf ihrer Seite zu haben. Sie hatten auch die Strasse über Fisibach und Siglistorf Richtung Baden im Blick. Und rechneten offenbar fest damit, das grossherzoglich-badische Eisenbahnprojekt werde den Verkehr unweigerlich aufs andere Ufer des Rheins ziehen:

«Bei diesen nur zu Gunsten einer Verbesserung der alten Straße sprechenden Berechnungen, bei dem nicht erheblichen Umwege u. bei noch überdiess durch die badische Eisenbahn vermindertem Verkehre auf dieser Strasse, bei der für die benachbarten aargauischen Ortschaften ungünstigen Einmündung auf eine unten in Kaiserstuhl durchziehende neue Straße als Hauptverkehrsader, sowie auch bei den vielerlei im ganzen Kanton theils schon aufgetauchten, theils immer noch auftauchenden Begehren um neue Strassenanlagen u. bei den hiefür beschränkten finanziellen Kräften, sei nicht wohl anzunehmen, dass ein rationeller Neubau dieses Strassenzuges in nächster Zukunft genehmigt würde, vielmehr werde man sich darauf beschränken & froh sein müssen, im Sinne der planirten Verbesserung der alten Straße nach & nach vorschreiten zu dürfen, zumal noch viel wichtigere Korrektionen u. Straßenneubauten bevorstehen.

Wenn daher von Seite Zürichs mit der Korrektion der Straße von Weiach gegen Kaiserstuhl vorgeschritten werden wollte, so könnte dieses nur im Sinne des Projektes über Verbesserung der alten Straße derart geschehen, dass die korrigirte Straße in die alte bei einem Punkte u. zwar so ausmünde, dass dadurch aargauischerseits keine neue Anlage bedungen würde.
»

Die «dachgähe» Hauptgasse ist ein Problem

Damit waren die Zürcher Pläne zur Makulatur geworden, dabei hatten sie doch vor allem einen  verbesserten grenzüberschreitenden Warenverkehr zum Ziel: 

«C. Die Direktion der öffentlichen Arbeiten berichtet, das Straßenprojekt unten durch Kaiserstuhl sei zürcherischerseits namentlich desshalb in Anregung gebracht worden, um den diesseitigen Gemeinden eine zuläßige Verbindung mit dem rechtseitigen Rheinufer über die Rheinbrücke bei Kaiserstuhl zu verschaffen, da die Brückenzufahrt über die dachgähe Gasse durch Kaiserstuhl hinab in der That fast nicht mehr als zuläßig erklärt werden dürfe.»

Wer die steile Kaiserstuhler Hauptgasse kennt (so steil wie ein Dach, jedenfalls deutlich steiler als 3-4%!) und sich überlegt, wie man diese Steigung mit schwerbeladenen Fuhrwerken hat überwinden müssen, der kann das Zürcher Argument problemlos nachvollziehen. Das Argument mit der badischen Eisenbahn fanden die Zürcher wenig stichhaltig:

«Wenn sich der Verkehr mit dem Großherzogthum Baden in dieser Gegend bedeutend vermehren u. dadurch eine bessere Verbindung mit dem rechtseitigen Rheinufer dringender werden würde, so könnte, da die zürcherische Kantonsgrenze bis an die äußersten Häuser in Kaiserstuhl sich erstrecke, hierseits die Anlage der Straße nach der untern Gasse zu Kaiserstuhl beschlossen werden, wobei dann Aargau nur die ganz kurze Strecke in dieser Gasse bis zur Ablenkung gegen die Brücke auszuführen hätte.»

Die Kantonsgrenze verlief noch bis 1860 direkt entlang der östlichen Stadtmauer, wie man der Wild-Karte entnehmen kann (Grenzlinie mit Kreuzen). Ein ansehnlicher Teil des Kaiserstuhler Flurgerichtsbezirk lag also zum Zeitpunkt dieses Regierungsratsbeschlusses noch auf Zürcher Staatsgebiet - ein Relikt aus der Zeit der Stadtgründung Mitte des 13. Jahrhunderts.

Kommt Bahnlinie, kommt Rat

«Da indessen seit längerer Zeit von keiner Seite her die Ausführung einer solchen Verbindung verlangt werde, so dürfte der gegenwärtige Augenblick sich um so weniger hiefür eignen, als einerseits Aargau nicht geneigt sei, für diese Route irgend welche Kosten zu verwenden, u. anderseits der Einfluß, den die Fortführung der badischen Bahn bis in diese Gegend auf den Verkehr äußern werde, erst nach Vollendung der Bahn gehörig bemessen werden könne.»

Die Zürcher übten sich also in Realpolitik, denn es war klar, dass die Regierung in Aarau Schwierigkeiten haben würde, von ihrem Parlament nur schon grünes Licht für die billigere Variante zu erhalten.

Wie wir heute wissen, war dieser Entscheid so falsch nicht, denn anders als die Bahnstrecke auf Schweizer Seite (erst 1876 eröffnet, aber immerhin) wartet man in Hohentengen bis heute auf die badische Eisenbahn. 

Die heute Hochrheinbahn genannte Strecke hatte von Basel-Bad.Bhf. aus am 30. Oktober 1856 Waldshut erreicht. Danach verzögerte sich der Bau wegen Verhandlungen mit der Schweiz. Ab 1860 wurde weitergebaut, jedoch hinter dem Kalten Wangen durch und nördlich Griessen nach Erzingen, wo die Strecke dann über Schaffhauser Gebiet in die Munot-Stadt einmündet. Da haben die Schaffhauser offensichtlich besser verhandelt als die Aargauer und die Zürcher. Zur Diskussion stand einzig die Frage, ob man für die damals Badische Obere Rheinthalbahn genannte Strecke eine Linienführung durch das Wangental (Osterfingen-Baltersweil-Jestetten) in Betracht ziehen solle.

Wenn die sparen, dann sparen wir auch

Und so kam es, dass von all den grossen Plänen rein gar nichts übrigblieb. Nicht einmal eine Begradigung des Zürcher Abschnitts:

«Was dagegen die bestehende alte Straße von Weiach bis an die Kantonsgrenze oberhalb Kaiserstuhl betreffe, so sei dieselbe in ganz fahrbarem Zustande, habe ein durchaus günstiges Gefäll u. besitze auch genügende Breite, einzig sei die Richtung etwas gebogen; allein bei dem geringen Verkehr, der auf dieser Straße Statt finde u. der sich noch vermindern werde, wenn die Zurzacher Messe eingehen sollte u. die badische Eisenbahn einen Theil des Transportes abnehme, würde es nicht wohl zu rechtfertigen sein, eine Summe von ca 18,000 Frk. auf die Geradeleitung dieser ebenen Straße zu verwenden, um ein Paar Minuten an der Fahrzeit zu gewinnen.»

Nun, das hätte sich der damalige Regierungsrat nicht träumen lassen, was das Automobilzeitalter noch an Verkehrszunahme bringen würde. Trotz eingegangener Zurzacher Messe. Und so beschloss die Regierung:

«Die Direktion der öffentlichen Arbeiten wird beauftragt, die Frage der Fortführung, beziehungsweise der Korrektion der Straße von Weiach gegen Kaiserstuhl für einstweilen auf sich beruhen zu lassen.»

Mit dem Bau der Bahnlinie Winterthur-Koblenz kam diese auf Eis gelegte Begradigung dann sozusagen automatisch wieder auf den Tisch.

Quelle
  • Regierungsrat des Kantons Zürich: Beschluß betr. Fortführung resp. Korrektion d. Straße von Weiach nach Kaiserstuhl vom 26. Heumonat 1856. Signatur StAZH MM 2.133 RRB 1856/1041.

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