Sonntag, 22. August 2021

Siben tussent Sacrament! Vor dem Wirtshaus geflucht

Soldaten der deutschen Bundeswehr bezeichnen ihre Organisation manchmal scherzhaft als «Y-Reisen» (wahlweise auch «Y Tours») mit dem Firmenmotto «Wir buchen, Sie fluchen». Y ist der Buchstabe im Autokennzeichen von Bundeswehrfahrzeugen.


Dass die Bundeswehr in den letzten zwanzig Jahren immer mehr auf weltweite NATO-Einsätze getrimmt wurde, ist kein Geheimnis. Und so wird wohl mancher Zeit- oder Berufssoldat still und leise (oder auch etwas lauter) fluchen, wenn er schon wieder für mehrere Monate in den Kosovo, ins afghanische Hochland, nach Djibouti oder in die malische Wüste abkommandiert wird (bzw. wurde, denn Deutschland wird ja jetzt nicht mehr «am Hindukusch verteidigt», wie Verteidigungsminister Struck noch im Jahre 2001 die Marschrichtung vorgab).

Fluchen als Demonstrationsform

Die Funktion des Fluchens ist klar. Es dient als Ventil angesichts einer übermächtigen Autorität, die keine Widerrede duldet. Es sei denn, man sei bereit, seinen gesamten bisherigen Lebensentwurf in Frage zu stellen.

Das Fluchen hat aber noch eine andere Funktion: es provoziert auch. Und zwar umso stärker, als damit die Basis des Machtgefüges angegriffen wird. In einem Staat mit theokratischen Fundamenten (wie es Zürich seit der Reformation war) ist daher Gotteslästerung eine sehr starke Auflehnung. Die maximale Herausforderung sozusagen, die mit Worten möglich ist, ohne gleich mit Aufstand, Revolution, Mord und Totschlag zu drohen.

Eine Tonne voll Herrgott

So war das auch im Jahre 1604, in der Amtszeit von Hans Felix Schörli, des ersten in Weiach wohnhaften Pfarrers. In den Zürcher Ratsmanualen (heute wären das die Regierungsratsprotokolle) ist ein solcher Provokationsfall erhalten. Da heisst es:

«,Sodanne uff ein Zyt zue Wyach vor dem Wirtshuß er zum offtern Mal siben thußent Sacrament, siben thußent Herrgot und ein Tonnen voll Herrgot geschworen.'» (Id. XIII 235)

Ein Wiederholungstäter also, der wohl schon vor den Stillstand zitiert und dort gemassregelt worden war, was aber nichts gefruchtet hatte! 

Die Idiotikon-Redaktoren haben dieses Beispiel des fluchenden Wirtshausbesuchers hier zur Illustration des Wortes «Donen» od. «Tonen» angeführt. Das kann nicht nur ein Transportfass sein (wie es der Fluchende hier nach Ansicht des Ratsschreibers gemeint hat), oder tausend Kilogramm.

Vielleicht ist das Ratsprotokoll aber nicht so genau und der fluchende Weiacher hat eigentlich nur mächtig auftrumpfen wollen. Denn «eine Tonne Gold (in der ä. Spr. auch 'Golds')» kann auch «eine Geldsumme von 100 000 Gulden, Kronen usw.» bezeichnen, schreibt das Idiotikon weiter unten im selben Artikel (Id. XIII 235).

In WeiachBlog Nr. 1692 haben wir gesehen, dass ein Handwerker damals rund 1/4 Gulden pro Tag verdient hat. Bei einem Jahreseinkommen von (sehr gut gerechnet) 250 Gulden verdiente ein Normalsterblicher eine Tonne in 400 Arbeitsjahren. Eine Tonne ist also einfach unvorstellbar viel. Etwa so, wie wenn die Micky-Maus-Übersetzerin Erika Fuchs dem Dagobert Duck ihre Wortschöpfung «Fantastilliarde» in den Mund legt und dieser sich darüber entsetzt, dass das ja ein Tausendstel seines Gesamtvermögens sei.

Interessanterweise redet man heute noch mundartlich von einer «Tonne», wenn man eine Million Franken meint. Aus der Luft gegriffen ist das nicht: 1000x1000 Gramm, d.h. eine Million, sind 1 Tonne. 

Die Sache mit den Sakramenten

Eine ähnliche Übertreibung dürfte bei den siebentausend Sakramenten vorliegen, denn eigentlich gibt es (nach katholischer Lehre) nur sieben Sakramente. Nachdem noch im Hochmittelalter über die Anzahl gestritten wurde, legte sich erst das Konzil von Trient (1545-1563) verbindlich auf die Siebenzahl fest (Taufe, Firmung, Ehe, Eucharistie (=Abendmahl), Busse, Krankensalbung und Weihe der Geistlichen). 

Wer als Reformierter diese Siebenzahl aussprach, der betätigte sich quasi als Ketzer, indem er katholische Glaubensinhalte aufs Tapet brachte. Denn die evangelisch-reformierte Kirche zürcherischer Prägung kennt nur zwei Sakramente (Taufe und Abendmahl), die überdies lediglich Symbolcharakter haben.

Wie an anderer Stelle im Idiotikon referenziert, wurden die sieben Sakramente in einem Prozess vor dem Zürcher Rat 1567 auch ohne Vertausendfachung schon als Fluchen gewertet: «'[Die beiden angeklagten Frauen haben] volgente schwüer durcheinanderen getan, als namlich Gotz himel, tussent Hergot, siben sacrament, touff, krütz, lyden, element.' Z RB. 1567» (Id. VII, 47)

Z RB. Die Rat- und Richtebücher der Stadt Zürich seit dem 14. Jhdt. (Mskr. im Zürcher Staatsarchiv).

Fluchen und Schwören musste aber von den damaligen Regierungen nur schon deshalb geahndet werden, weil sich ihre Untertanen fürchteten, dass solches Verhalten den Zorn Gottes über sie bringen könnte, vgl. das Verbot, das der Kaiserstuhler Rat am 21. Januar 1681 erlassen hatte (vgl. WeiachBlog Nr. 411, s. Literatur).

Quellen und Literatur

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