Dienstag, 2. August 2022

In eichene Eisenbahnschwellen investiert

Was macht man als mittelständischer Unternehmer, um die erwirtschafteten Erträge einigermassen sicher anzulegen? Das ist gerade in Zeiten der Unsicherheit, galoppierender Inflation und anderer wirtschaftlicher Katastrophen eine existentielle Frage.

Für den Weiacher Tierarzt Heinrich Willi war die Antwort um die Mitte des 19. Jahrhunderts klar. Er investierte in Sachwerte mit Werterhaltungs- und einem gewissen Wertsteigerungspotential: Eisenbahnschwellen!

Sachwerte mit hoher Wertkonzentration

Das war damals ein gefragtes Gut, man denke nur an die erste Bahn auf Zürcher Boden (Zürich-Baden, die sogenannte Spanischbrötlibahn), die ab 1847 in Betrieb war. Von da weg war das Eisenbahnfieber für Jahrzehnte nämlich nicht mehr aus den Schweizern herauszubekommen. Jede Region wollte jetzt einen Bahnanschluss.

Und so kaufte Heinrich Willi eben Eisenbahnschwellen als Anlageobjekte. Weshalb er danach verauffallt wurde (wie man das in den Konkurs gehen damals nannte) ist WeiachBlog zurzeit nicht bekannt. Jedenfalls erschien in der Züricher Freitags-Zeitung vom 18. Februar 1853 das nachstehende amtliche Inserat:

«Unter Ratifikationsvorbehalt des löbl. Bezirksgerichtes Regensberg werden Montags den 21. dieß, Nachmittags 2 Uhr, aus dem Auffalle des Thierarzt Heinrich Willi in Weiach zirka 370 Stück Eisenbahnschwellen gegen Baarzahlung öffentlich verkauft. Das Gantlokal ist bei Schmiede in Weiach.

Niederglatt, den 12. Februar 1853.  Notariatskanzlei Neuamt: Landschreiber Bänninger.»

Wo war das Gantlokal?

Wie man sieht, war also das Notariat in Niederglatt (zu dem Weiach noch heute gehört) damals auch das Betreibungs- und Konkursamt.

Wo sich das Gantlokal, die Schmiede, damals befand, ist nicht gesichert, es darf aber angenommen werden, dass damit eine Werkstätte im Bereich der unteren Chälen gemeint war. Das wäre jedenfalls nahe genug am Gasthof zum Sternen, in den man sich bei Kälte und schlechtem Wetter notfalls zurückziehen konnte.

Es liegen viele Schwellen auf Gemeindegebiet

Leider steht im Inserat nicht, ob es sich um Eichenschwellen gehandelt hat. Das darf man aber annehmen. Gerade in Weiach, wo aus dem Hardwald immer wieder stattliche Eichenstämme entnommen werden konnten, denn nach den Verheerungen in der Franzosenzeit (im Hardwald lagerten 1799 helvetische und französische Truppenteile und brauchten Bau- und Feuerholz) war dann doch wieder einiges nachgewachsen. 

370 Schwellen. Ein ziemlicher Berg an Holz. Bei einer Länge von 240 cm, 26 cm Breite und 16 cm Höhe (wie bei heutigen Holzschwellen üblich) ergibt sich ein Holzbedarf von rund 0.1 m3 pro Schwelle, also eine Kubatur von mehr als 37 Ster (bei diesem Raummetermass ist ja noch Luft zwischen den Schwellen). Bei einem Gewicht von durchschnittlich 650 kg pro Kubikmeter sind das rund 60 kg pro Schwelle, also ca. 22 Tonnen Eisenbahnschwellen.

Wenn damals, wie heute im Eisenbahnbau üblich (vgl. Lüthard, J.: Gleisbau, Entwurf März 2012), alle 60 cm eine solche Schwelle verlegt wurde, dann reichte dieses Quantum aber nicht weit: für eine Streckenlänge von gerade einmal 222 Streckenmetern. Das ist die Distanz von der Kantonsgrenze bis zur ersten Weiche bei der alten Station Weiach-Kaiserstuhl.

Was dann ab 1872 für die Linie Winterthur-Koblenz an Bahngleisen gebaut wurde, hat auf Weiacher Gemeindegebiet eine Streckenlänge von rund 3.4 km (einfache Strecke, ohne Ausweichstellen und Abstellgleise). Mit den Rangiergleisen der Station Weiach-Kaiserstuhl und insbesondere den Bahnanlagen der Weiacher Kies AG und Fixit AG, die über hunderte von Metern zwei Rangiergleise benötigt, kommt man auf zusätzliche 4.6 km; Weichen und dergleichen noch nicht eingerechnet. Auf Gemeindegebiet sind somit – nach Strübis Rächnigsbüechli – über 13000 Eisenbahnschwellen verbaut!

Wie ägyptische Mumien den Bahnbau beeinflussten

Dass solche Mengen an Holz bei einem Eisenbahn-Bauboom, wie er in der Mitte des 19. Jahrhunderts in unserem Land einsetzte, die Holzreserven in den Wäldern strapaziert haben, ist klar. Zumal man ja nicht einfach irgendein Holz verwenden kann. Es sollte schon eines sein, das ein hohes Gewicht und eine natürliche Widerstandskraft gegen Fäulnis und Insektenbefall hat, wie Eichenholz. Das ist aber rar und entsprechend teuer.

In Frankreich hatte man 1846 Pappelholzschwellen verbaut, die zuvor «in Steinkohlentheer eingetaucht» worden waren, wie das Schweizerische Forst-Journal 1852 berichtete, davon seien rund 90 Prozent (nach höchstens sechs Jahren im Einsatz!) noch brauchbar gewesen. Im selben Artikel wird auf die Stockton- und Darlington-Bahn verwiesen, eine der ersten Bahnlinien modernen Typs überhaupt, der wir unser Normalspurmass von 1435 mm verdanken. Dort (und anderwärts in England) habe man, angeregt durch einen Wissenschaftler, der ägyptische Mumien untersucht hatte (!), eine Mischung aus «Kreosot mit destillirtem Mineraltheer» angewandt, um weniger geeignete Hölzer für die Verwendung als Schwellen brauchbar zu machen. Kommt uns bekannt vor.

Solche Schwellen müssen heute als Sonderabfall verbrannt werden. Da macht man sich natürlich Gedanken über andere Materialien wie Beton, Stahl oder gar Kunststoff und Verbundmaterialien. 

Bei all dem Gesagten kann auch nicht verwundern, dass heutigentags (Stand 2012 nach Lüthard) ein Streckenkilometer Oberbauerneuerung rund 2 Millionen Franken kostet. Nur die Erneuerung von Gleis, Schotter und Schwellen wohlgemerkt. 

Anders formuliert: Tierarzt Heinrich Willis Investment in Eisenbahnschwellen wäre wohl auch heute keine schlechte Idee, wenn's um die Werterhaltung geht. Nur den Lagerplatz für 37 Ster muss man halt schon haben.

Quellen

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