Sonntag, 1. März 2020

Stand Weiach dem Bachser Wappen Pate?

Die Lektüre eines von Kurt Derrer, Winterthur, verfassten bunten Strausses von Notizen über Bachs und das Bachsertal hat mir vor einigen Monaten neue Denkansätze für die Entstehungsgeschichte des Weiacher Gemeindewappens beschert.

Derrer, als Jugendlicher in Bachs ansässig, ist der Region als Mitglied des Zürcher Unterländer Museumsvereins (ZUMV) und als Verfasser von regionalgeschichtlichen Miszellen wie den eingangs erwähnten noch immer verbunden. Es lohnt sich daher, die auf der Website des ZUMV versammelten Texte u.a. der Reihe «Schriften, Texte, Schnipsel, Plaudereien» zu lesen (insbesondere den Band 9 über Bachs, aus dem in diesem Beitrag zitiert wird).

Das Gemeindewappen an der Kirchendecke

Unsere Nachbargemeinde Bachs wurde erst im 18. Jahrhundert zu einer selbstständigen Kirchgemeinde mit eigener Kirche (1714) und eigenem Pfarrer (1730). Vorher waren die Bewohner des Dorfes Bachs nach Steinmaur, diejenigen der Höfe im Thal (nordwestlich Richtung Fisibach AG gelegen) hingegen nach Niederweningen kirchgenössig.

Im Gegensatz zu Weiach, wo über dem Haupteingangsportal der evangelisch-reformierten Kirche ein in Stein gehauener Zürcherschild prangt, war in Bachs im Innern der Kirche ein mit einem achtzackigen Stern ergänztes Zürcherwappen angebracht. Dieses Gemeindezeichen führten die Bachser, folgt man Derrer, bereits vor über 300 Jahren:

«Bachs führt seit dem Kirchenbau von 1714 als Gemeindeemblem das Zürichschild mit einem blauen Stern auf silbernem Grund.» [Derrer, S. 8]

«Das anlässlich des Kirchenbaus erstmals angebrachte Bachser Wappen ("Zürischild" mit einem blauen, achtstrahligen Stern auf silbernem Grund) konnte bei der Renovation nicht gerettet werden. Der Holzwurm hatte seine Arbeit bereits nachhaltig verrichtet.» [Derrer, S. 9] 

Das erwähnte Wappen ist Teil einer Komposition  (vgl. das Bild unten):

Auf der linken Seite das Zürcher Staatswappen mit der Überschrift «SPQT» (Senatus populusque turicensis, Rat und Volk von Zürich, was ein italienischer Tourist mit Blick auf die republikanisch-egalitäre Gesinnung der Zürcher mit «siamo principi quasi tutti» übersetzte, d.h. die Zürcher seien sozusagen alle Fürsten, vgl. Arnet 2016). Unter dem Wappen findet sich die Jahrzahl der Einweihung der Bachser Kirche (MDCCXIIII = 1714).

Auf der rechten Seite das Bachser Wappen mit dem hebräischen Schriftzug für Jahwe über und «Renovirt 1912» unter dem Wappen. Der Bachser Stern ist eindeutig achtstrahlig.

Bild: Denkmalpflege des Kantons Zürich, 1963

Die von Derrer erwähnte Renovation fand 1963/64 statt. Das Bild der Denkmalpflege ist das letzte erhaltene der Wappenkassette an der Felderdecke.

Gemäss Auskunft der Kunstdenkmäler-Inventarisation (Neubearbeitung des Bezirks Dielsdorf; KdS ZH VII, Frau A. Kerstan) waren die Wappen in die gefelderte Decke (Kassettendecke) aus der Bauzeit eingelassen. Das deckt sich mit der oben zitierten Aussage Derrers.

Das Bachser Wappen im Dekanatsbuch

Dass es sich bei diesem Bachser Wappen mit dem blauen Stern in der rechten oberen Ecke nicht um die vor der Bauzeit der Kirche offenbar übliche Blasonierung handeln kann, zeigt sich an den folgenden Auszügen aus dem Dekanatsbuch (zu dessen Entstehungsgeschichte vgl. WeiachBlog Nr. 1477 von gestern):

Bild oben: Wiachiana-Verlag; Bild unten: Staatsarchiv des Kantons Zürich

Auffallend ist, dass zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Buchmalerei (mutmasslich nach 1706 aber vor 1711) sowohl Weiach als auch Bachs über ein und dasselbe Dorfzeichen verfügt haben: einen sechsstrahligen goldenen facettierten Stern. Auch bei unterschiedlicher künstlerischer Darstellung (wie oben) ist dieser Teil der Blasonierung (Wappenbeschreibung) nämlich identisch.

Ebenfalls auffällig: bei beiden Gemeinden ist dieselbe heraldische Todsünde «Metall auf Metall» festzustellen. Aber vor allem: Bachs hatte vor dem Bau der Kirche 1713/14 (nach Ausweis des Dekanatsbuches) noch keinen Zürcherschild im Wappen!

Die Vermutung, dass dies früher auch in Weiach so war, liegt nahe, wenn man sich die erhaltenen Darstellungen des Weiacher Sterns aus dem 19. Jahrhundert vergegenwärtigt. Alle kommen ohne den Zürcherschild aus!

Hat allenfalls die (seit 1714?) achtstrahlige Bachser Version den Lithographen Krauer dazu gebracht, den Weiacher Stern auf seiner Wappentafel zwei Zacken zulegen zu lassen – obwohl am Wirtshaus Sternen (irgendwann nach 1830), auf den Glocken (1843), auf der Fahne des «Gesangverein Weiach» (1860) sowie auf der Kirchturmspitze (Zeitpunkt unbekannt, dokumentiert durch den Technischen Arbeitsdienst Zürich im Jahre 1934) konsequent ein sechsstrahliger Stern verwendet wurde?

Das Wirtshauszeichen des Sternen zu Weiach: ein sechsstrahliger, facettierter, gelber Stern! 
Das ist der alte Weiacherstern. (vgl. WeiachTweet Nr. 1672, 13. August 2018, 00:01)

Neue Blasonierung als obrigkeitliches Herrschaftszeichen

«In der unmittelbaren Nachbarschaft der katholischen Grafschaft Baden wie auch der Markgrafschaft Baden (damals Teil des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation) gelegen und den Einflüssen durch das fürstbischöfliche Konstanz ausgesetzt, konnte es eigentlich kein Zufall sein, dass Zürich in Bachs und Weiach mit seinen Farben Flagge zeigte, indem es mit ihren Wappen auf ihre Oberhoheit hinwies [...].» [Derrer, S. 9]

Einmal abgesehen davon, dass die Markgrafschaft Baden erst ab der napoleonischen Zeit um ca. 1802 ihren Einfluss im Raum Hohentengen gelten machen konnte, ist dieses Auftreten des Zürcherschilds in Grenznähe tatsächlich bemerkenswert. Was zur Frage führt:

War das von der Obrigkeit zum Neubau von 1706 in die Weiacher Kirche gestiftete Ehren- oder Herrenwappen (vgl. StAZH B II 694 – Pag. 55 – 28. September 1706) eines, das (wie im Falle von Bachs, vgl. erstes Bild oben) auch das Weiacher Wappen so darstellte, wie es gemäss Dekanatsbuch aussah, nämlich mit gelbem sechsstrahligen Stern auf dem Zürcherschild?

Wenn das Bachser Wappen in Holz tatsächlich aus dem Jahr 1714 stammt, dann erscheint die Darstellung des Weiacher Wappens im Dekanatsbuch insofern in einem ganz besonderen Licht, als die Sichtweise der Pfarrherren, die dieses Werk erschaffen haben, tatsächlich mit grosser Wahrscheinlichkeit die obrigkeitliche ist. Denn: wes Brot ich ess', des Lied ich sing'.

Und wenn dem so ist, dann waren sowohl das Weiacher Wappen (allenfalls auf einer Wappenscheibe von 1706) als auch das Bachser Wappen (Kassettendecke von 1714) obrigkeitlich beeinflusste Neuschöpfungen unter Verwendung alter Dorfzeichen.

Bachs wäre dann – mit wenigen Jahren Verzögerung – dem obrigkeitlich eingefärbten Weiacher Vorbild gefolgt.

Die obrigkeitlich bevorzugte Blasonierungsvariante (Unterlegung mit dem Zürcherschild) scheint sich nach aktuellem Stand der Erkenntnisse erst mit der Wappentafel von Krauer in die Köpfe der Weiacher eingeschlichen zu haben. Vorher war ihr Stern lediglich sechsstrahlig – und ohne Zürcherschild.

Der Sternen zu Bachs

Wie wir gesehen haben hat der Stern als Dorfzeichen von Bachs eine Tradition, die gleich weit zurück dokumentiert ist wie die des Weiachersterns. Derrer ergänzt dazu den Umstand, dass es heute in Bachs eine Sternenstrasse gibt:

«In der Strassenbiegung der Glattfelder- resp. Kaiserstuhlerstrasse steht in Weiach noch heute der ehemalige Gasthof "Sternen" mit einem ansehnlichen Vorplatz. Über der Eingangstüre hängt ein prächtiger Stern und erinnert an Tage gastlicher Einkehr. In Bachs hingegen gibt es die Sternenstrasse. Sie führt von Neubachs nach Altbachs, quert rechtwinklig die Dorfstrasse und verläuft anschliessend parallel zur Bachsertalstrasse in südöstlicher Richtung bis zum Gehöft Tiergarten und weiter zum Waldrand der Egg. Möglicherweise existierte einst in Bachs ein Sternen-Hof. Ob diese Benennungen in einem Zusammenhang mit dem Stern im Weiacher resp. Bachser Ortswappen stehen, könnte nur Gegenstand kühner Vermutungen sein und vermutlich zur Ergötzung der Erdmannli am entgegengesetzten Ende des Bachsertales. Man lasse letzten Fragezeichen deshalb ihre Würde und bescheide sich mit den Fakten!» [Derrer, S. 9]

Bei den Fakten bleibend hat der Verfasser dieser Zeilen von einem Sternen-Hof bislang nichts gefunden. Dokumentiert ist hingegen die Erneuerung für ein Tavernenrecht eines Bachser Gasthofes mit diesem Namen, die der Zürcher Regierungsrat erlassen hat.

Dem «Ferdinand Pfister, Speisewirth, zum Stern, in Bachs» wurde am 17. Dezember 1883 auf sein Gesuch hin für die Dauer von 20 Jahren das Recht verliehen, in seinem Haus einen Gasthof zu betreiben und dort Fremde zu beherbergen (vgl. StAZH MM 2.242 RRB 1883/2325).

In Bachs hiess also offenbar das ehafte Wirtshaus gleich wie in Weiach. Die Frage, ob es sich dabei um den heutigen Neuhof an der Sternenstrasse 30 handelt, müssten der Bachser Ortsgeschichte Kundigere beantworten.

Quelle
Literatur
  • Acten- und Decanats-Buch Eines Ehrwürd. Regensberger Capituls. In dißere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaei der Reformiert-Eidgnössischen Kirchen. MDCCXIX per Joh. Philibert Tobler t. temp. Cam. C. Signatur: StAZH E IV 5.16
  • Brandenberger, U.: Dorfzeichen, Wappen und Logo. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) Nr. 84. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2006 – S. 11-15 (Revidierte Gesamtausgabe S. 303-307).
  • Brandenberger, U.: Weiacherstern auf altem Dachziegel? WeiachBlog Nr. 319 v. 19. November 2006.
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006 – S. 14-21 (Revidierte Gesamtausgabe S. 308-315).
  • Brandenberger, U.: Alter der Fahne oder Jahr der Vereinsgründung? WeiachBlog Nr. 792 v. 13. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Stern im Weiacher Wappen? WeiachBlog Nr. 800 v. 21. März 2010.
  • Arnet, H.: Das Alte Zürich war besser als sein Ruf. In: Tages-Anzeiger, 24. Oktober 2016.
  • Brandenberger, U.: Im Wappen zwei Zacken zugelegt. WeiachBlog Nr. 1383 v. 26. Dezember 2018.
  • Anhang 5: Dorfwappen und Gemeindelogo, sowie Abb. 35. In: Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Sechste, erweiterte Auflage von Walter Zollingers «Weiach. 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Ausgabe V6.20, Dezember 2019. (pdf, 2.88 MB) – S. 103.
  • Brandenberger, U.: Wann entstand das Regensberger Dekanatsbuch? WeiachBlog Nr. 1477 v. 29. Februar 2020.

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