Mittwoch, 11. März 2020

Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück?

Die im letzten Beitrag vom Montag (WeiachBlog Nr. 1481) aufgezeigte Verbindung des Weiacher Sterns mit der politischen Vergangenheit der Gemeinde betrifft die Heggenzer von Wasserstelz, ein Geschlecht von Ministerialadligen des Fürstbischofs von Konstanz.

Heute geht es nun um die zweite jahrhundertealte Verbindung: die mit der Familie Escher. Die Escher kauften sich in den Jahren 1384 und 1385 ins Bürgerrecht der Stadt Zürich ein, zumindest Teile der Familie hatten ihren Lebensmittelpunkt aber weiterhin im Städtchen Kaiserstuhl.

Vom Start weg ganz oben eingeheiratet

Nach einem missglückten Versuch im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, ein Stadtrecht nach dem Vorbild desjenigen von Baden im Aargau einzuführen und damit die Autonomie Kaiserstuhls vom Fürstbischof zu stärken, richteten sich wesentliche Anteile der Familie Escher wirtschaftlich auf ihren neuen Bürgerort Zürich aus. Sie behielten die in den Jahrzehnten davor in der Umgebung des Städtchens (u.a. in Weiach) angekauften Rechte an Land, Zehnten und Gerichtsherrschaften zwar bei. Vor allem aber standen sie in der Stadt Zürich praktisch von Beginn weg in enormem Ansehen.

Besonders augenfällig wird dies am Beispiel von Götz (Gottfried) Escher, dessen Bruder Johannes 1438 urkundlich als Besitzer väterlicher Güter in Weiach erscheint. Der Vater von Götz und Johannes (gest. um 1410) war zwischen 1363 und 1398 noch Schultheiss von Kaiserstuhl gewesen, dessen zweite Ehefrau eine Tochter des Zürcher Bürgermeisters Johannes Fink (vgl. Nr. 4 auf der Stammtafel 1 des II. Theils Genealogie; s. Quellen unten).

Götz war seit 1421 verheiratet mit Elisabetha, einer Tochter des reichen Apothekers Ital Schwarzmurer und der Elisabetha von Griessen (aus der adeligen Familie derer von Griessheim aus dem Klettgau). Diese Verbindung machte Götz zum mit Abstand reichsten Zürcher seiner Zeit (jedenfalls wenn man die Steuerlisten dieser Zeit zum Massstab nimmt). 1433 weilte er als Teil der Zürcher Delegation bei der Kaiserkrönung Sigismunds in Rom. Dort erhielt er vom Kaiser den Ritterschlag und den Luchs als Wappentier, wodurch er zum Stammvater der «Escher zum Luchs» wurde. 1434 unternahm er eine Wallfahrt ins Heilige Land, nach Jerusalem. (vgl. Nr. 10 auf der Stammtafel 1 des II. Theils Genealogie).

Das Noppenglas im Wappen

Der Eschersche Familienclan führte jedoch schon lange vor dem Ritterschlag Sigismunds für Götz ein Wappen. Eins mit einem speziellen Trinkglas, einem sogenannten Noppenbecher. Wie das aussah, sieht man an der Wappenscheibe des Conrad Escher zum Glas aus dem Jahre 1570:


Das Gesimse, auf dem Wappen samt Helmzier stehen, trägt die Inschrift: «Conratt Escher deß Rats Zů Zürich und Diser Zÿtt Lanndtvogt Zů Baden Jnn Ergow. 1570». Zum Landvogt der Grafschaft Baden wurde nicht gerade jeder, zumal seit in dieser Gemeinen Herrschaft der Acht alten Orte der Eidgenossenschaft im Turnus auch alle anderen Orte Landvögte stellen durften.

Carl Keller-Escher, der Verfasser eines für die Geschichte der Escher wichtigen Grundlagenwerks, erschienen anlässlich der 500 Jahre zuvor erfolgten Einbürgerung in der Stadt Zürich, hat sich im Kapitel V (Die ältesten Siegel und Wappen der Familie Escher. Beziehungen zu Küssenberg) ausführlich mit diesem Wappen befasst:

«Nach den ältesten Wappenbüchern, welche uns zu Gebote standen (Brennwald, Tschudi, Stumpf und vor allem [..] ein anonymes aus Waldmannischer Zeit (bei Leu's Wappenbüchern Bd. IV) ist die Blasonnirung folgende: Im blauen Schilde ein weisser (silberner) oder grünlicher Becher, darüber ein sechseckiger goldener Stern, auf dem Helme ein eben solcher Becher mit goldenem Stern als Helmkleinod, die Helmdecken blau und silbern.»  (Keller-Escher, I. Theil, S. 12)

Und weiter: «Von jeher wurde das Glas oder der Becher im Schilde für ein Trinkgefäss angesehen, erst in späterer Zeit wollten Einige darin ein "Lampenglas" und in dem Sterne ein Flämmchen erkennen. Das alte Escher'sche Familienwappen ist also ein ganz originelles, wie es nicht häufig vorkommt. Der Becher erinnert an das Amtszeichen der Mundschenke, wie es von mehreren, dem Ministerialenadel angehörenden Geschlechtern im Wappen geführt wurde, welche das Erbschenkenamt mächtiger Dynasten bekleideten.» (Keller-Escher, I. Theil, S. 12)

Das ist nun sehr aufschlussreich, denn auch die Siegel, welche von den Eschern (u.a. in ihrer Funktion als Kaiserstuhler Bürgermeister) verwendet wurden, zeigen alle einen solchen Noppenbecher (die Siegel vor 1510 noch ohne den Stern). Dieses Becherglases wegen nannte man den Zweig der Familie, von dem sich die Luchs-Escher abgespalten hatten: Escher vom oder zum Glas.

Wenn man in Betracht zieht, dass man sich diese Wappensymbole in der damaligen Zeit nicht einfach so aneignen konnte, dann gibt dieser Umstand einen deutlichen Hinweis auf die Herkunft derjenigen, die sie verwendeten.

Ein Wappen als Herkunftsausweis

Folgen wir den Ausführungen von Carl Keller-Escher aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert weiter:

«Wie kam nun die Familie Escher in den Besitz dieses Wappens? Lange herrschte über diese Frage völlige Unklarheit und auch heute können wir nur eine Hypothese aufstellen, welche jedoch durch die Forschungen der neuern Zeit viele Wahrscheinlichkeit für sich gewonnen hat. - Als Dr. Ferdinand Keller sich mit der Herausgabe der Wappenrolle von Zürich, dieses einzigartigen heraldischen Denkmales aus dem Beginne des XIV. Jahrhunderts, beschäftigte, wurde er darauf aufmerksam, dass das Wappen oder vielmehr die Helmzierde derer "von Küssenberg" einen goldenen Becher auf rothem Kissen aufweist, welcher in seiner Form genau mit dem Becher der alten Eschersiegel übereinstimmt. Sollten die Escher zu den Ministerialen der Dynasten von Küssenberg gehört haben?» (Keller-Escher, I. Theil, S. 13)

Hatte die Familie der Escher also bereits vor ihrer Kaiserstuhler Zeit eine einflussreiche Position als Ministerialadelige inne? Es scheint so zu sein. Und es gibt offenbar eine weitere Parallele zu den Heggenzern. Keller-Escher weiter:

«Das Geschlecht der Freiherrn blühte im XII. und XIII. Jahrhundert; seit sie in den Besitz der Landgrafschaft Stüelingen gelangt waren, führten sie den Grafentitel. Ihre zwischen Kaiserstuhl und Zurzach im Klettgau gelegene Stammburg "Cussaperc" [Küssaburg] stellt nunmehr eine der grossartigsten mittelalterlichen Burgruinen dar und bildet einen von Zürich aus vielbesuchten, höchst sehenswerthen Ausflugspunkt. Graf Heinrich III., vermählt mit einer Schwester König Rudolfs von Habsburg, starb um 1250 kinderlos als der Letzte seines Geschlechts. Im Jahre 1241 hatte er Küssenberg mit aller Zubehör an das Hochstift Constanz verkauft.

Nach dem Erlöschen der Dynasten blühte aber ein anderes Geschlecht, das sich ebenfalls "von Küssenberg" nannte, noch lange (bis ins XV. Jahrhundert) fort. Es waren Ministeriale, Edelknechte der alten Grafen, welche mit der Herrschaft an das Stift Constanz übergingen. Einige Glieder des Geschlechtes waren zu Zürich verburgert und wohnten hinter Zäunen (um 1360) in der Gegend des Hauses "zum grünen Glas", welches vielleicht von ihrem Wappen seinen Namen erhielt. Während nämlich die Grafen von Küssenberg im Schilde drei Schwanenhälse (drei Halbmonde?) und als Helmzierde einen goldenen Löwenrumpf führten, so zeigt das Wappen ihrer Ministerialen, der Edeln von Küssenberg, einen goldenen Becher in Blau und auf dem Helme den goldenen Becher auf rothem Kissen, was darauf hindeutet, dass sie die Schenken der Grafen waren, wie denn in der Wappenrolle ihr Wappen unmittelbar unter demjenigen der Schenke von Liebenberg eingetragen ist.

Wappen der Ministerialen von Küssenberg aus der Zürcher Wappenrolle, zw. ca. 1335 und 1345 (Runge 1860)

In den Sammlungen der Antiquarischen Gesellschaft finden sich zwei Siegel von Küssenbergern aus den Jahren 1406 und 1407, welche mit den gleichzeitigen Eschersiegeln sozusagen vollständig übereinstimmen.

Waren nun die Escher ursprünglich ebenfalls Ministeriale der Grafen von Küssenberg, stammverwandt mit den Edlen dieses Namens? Sind sie vielleicht nach Erwerbung der Herrschaft Küssenberg durch die Bischöfe von Constanz nach Kaiserstuhl versetzt worden, das ja bald hernach ebenfalls constanzisch wurde? Diese Fragen bleiben vorläufig noch offen, jedoch spricht ausser der auffallenden Uebereinstimmung der Wappen auch noch der Umstand dafür, dass die Escher zu Kaiserstuhl so mit einem Male, man kann sagen plötzlich, als Leute von Gewicht, Ansehen und bedeutendem Wohlstande auftreten und sofort vornehme Familienverbindungen eingehen.» (Keller-Escher, I. Theil, S. 13)

Diese Thesen von Carl Keller-Escher erklären einleuchtend, warum die Escher a) in oder bei Kaiserstuhl Fuss fassen und dort innert kurzer Zeit eine wichtige Stellung einnehmen konnten und b) warum sie problemlos in die höhere Zürcher Gesellschaft einheiraten konnten. Für beides ist eine Stellung als Ministerialadliger ein grosser Vorteil. 

Erfolgreicher Wechsel des Dienstherrn?

Die Fürstbischöfe von Konstanz waren also 1241 in den Besitz der Küssaburg gelangt. 1294 gelang ihnen ein weiterer Coup: sie konnten einem von den Freiherren von Regensberg angeführten Konsortium von Adeligen ihre um 1254 am alten Rheinübergang beim Schloss Rötteln neu gegründete Stadt Kaiserstuhl abkaufen. 1295 verkaufte ein weiteres Mitglied des Kaiserstuhl-Konsortium an den Fürstbischof: Jakob von Wart übertrug seine Rechte an Weiach. 

Wenn die nachmaligen Escher von Kaiserstuhl, allenfalls früher unter einem anderen Namen (z.B. Schenk von Küssenberg) nach erfolgreichem Wechsel des Dienstherrn zu den Managern von Kaiserstuhl wurden, dann wäre dies nicht verwunderlich.

Wenn dazu noch wirtschaftlicher Erfolg tritt, was bei den Eschern (im Gegensatz zu den oben erwähnten Herren von Griessheim) angesichts der für ihre ab 1320 dokumentierten umfangreichen Käufe an Land und Rechten nötigen frei verfügbaren Finanzmittel offensichtlich der Fall war, dann braucht man sich auch über den eingangs beispielhaft erläuterten Blitzstart in der Stadt Zürich nicht zu wundern. Denn Geld hat sich immer schon gerne mit anderem Geld verbunden.

Auch eine Verbindung zwischen den Heggenzern und den Eschern ist nachweisbar: gemäss Stammtafel I, Nr. 12 gab es eine Ehe zwischen einem Erhard Escher (vor 1412 gestorben) und einer «N. Heggenzer von Wasserstelz» (Keller-Escher, II. Theil). Bei der räumlichen Nähe zwischen Kaiserstuhl und Schwarzwasserstelz kann so etwas kaum verwundern.

Der Stern über dem Noppenglas

Schauen wir uns nun die oben gezeigte Wappenscheibe noch etwas genauer an:


Über dem Noppenglas findet sich: ein sechsstrahliger goldener facettierter Stern! Noch dazu auf blauem Grund. Genau solch ein Stern, ebenfalls auf blauem Grund, ist auf der Weiacher Gesangvereinfahne mit der Jahrzahl 1860 zu finden. Haben wir da einen Zusammenhang mit dem alten Weiacher Dorfzeichen?

So ganz abwegig ist die Vermutung nicht. Denn die Escher haben – noch wesentlich stärker als die Heggenzer – vielfältige Verbindungen nach Weiach. Zu erwähnen ist dabei insbesondere die während Jahrhunderten wichtigste Weiacher Einkommenssteuer, der nach dieser Familie benannte «Escher Gross Zehenden» (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 104). Dieser Zehnten wurde auch Jahrzehnte nach dem Verkauf an die Kapläne zum Grossmünster (vgl. Schuldentilgungsvereinbarung von 1521) und der kurz darauf erfolgten Säkularisierung im Rahmen der Reformation noch so genannt.

Weiacher Stern: von den Eschern oder den Heggenzern?

Die Frage, von welchem dieser beiden Geschlechter sich der Weiacher Stern tatsächlich ableitet (wenn überhaupt), wird – glückliche Zufälle bei weiteren Archivarbeiten vorbehalten – auch 135 Jahre nach Keller-Escher wohl eher nicht beantwortet werden können.

Zieht man die Farben zu Rate, dann haben allerdings klar die Escher die Nase vorn. Denn der Heggenzer Stern ist in Silber gehalten und liegt überdies auf rotem Grund. Der Stern der Familie Escher aber ist – zumindest auf der Wappenscheibe von 1570 – eindeutig in Gold gehalten und liegt auf blauem Grund.

Ein sechsstrahliger goldener Stern ist das Weiacher Symbol im Wirtshausschild des Gasthofs Sternen und auf der Gesangvereinsfahne. Vor allem aber im über 300-jährigen Regensberger Dekanatsbuch. Im Gegensatz dazu ist dort der damals ebenfalls noch sechsstrahlige Bachser Stern silbern (vgl. Bilder der beiden Wappens in WeiachBlog Nr. 1478).

Gold schlägt Silber – auch in diesem Fall?

Quellen
  • Runge, H.: Die Wappenrolle von Zürich. Ein heraldisches Denkmal des vierzehnten Jahrhunderts in getreuer farbiger Nachbildung des Originals mit den Wappen aus dem Hause zum Loch, Selbstverlag der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich; Druck von D. Bürkli, Zürich 1860. Vgl. Wikimedia Commons.
  • Keller-Escher, C.: Fünfhundert und sechzig Jahre aus der Geschichte der Familie Escher vom Glas. 1320-1885. Festgabe zur Feier des fünfhundertsten Jahrestages ihrer Einbürgerung zu Zürich. I. Theil. Geschichtliche Darstellung und biographische Schilderungen. Auf Wunsch der Familie nach den Quellen bearbeitet und zusammengestellt. Zürich 1885. Vgl. e-rara.ch.
  • Keller-Escher, C.: Fünfhundert und sechzig Jahre aus der Geschichte der Familie Escher vom Glas. 1320-1885. Festgabe zur Feier des fünfhundertsten Jahrestages ihrer Einbürgerung zu Zürich. II. Theil: Genealogie der Familie Escher vom Glas. Nach urkundlichen Quellen mit Benutzung älterer Familienstammbücher, der genealogischen Arbeiten auf der Zürcherischen Stadtbibliothek und der städtischen Register zusammengestellt und bis auf die neueste Zeit fortgeführt. Zürich 1885. Vgl. e-rara.ch.
Literatur

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