Freitag, 29. August 2025

Weycher Ouverture zum Stadlerhandel 1834 – ein Setzerfehler

Auch prestigiöse Publikationen sind vor peinlichen Druckfehlern nicht gefeit. Das trifft auch für das Zürcher Taschenbuch (ZTB) zu, ein seit 1878 zuverlässig wie ein Uhrwerk erscheinendes Jahrbuch mit Fachaufsätzen zur Zürcher Historie, das wie andere zürcherische Neujahrsblätter jeweils auf den Bächtelistag herausgegeben wird.

So war das u.a. mit einem Artikel des Regensberger Lehrers und Regionalhistorikers Heinrich Hedinger, der im Taschenbuch auf das Jahr 1934 seinen Aufsatz über den sog. Stadlerhandel in Druck gab (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 114 zu diesem handfesten Schulbücher-Streit).

Zwei Zeilen auf der falschen Druckplatte eingefügt

Entweder gab es überhaupt keinen Probeabzug (höchst unwahrscheinlich), oder das «Gut zum Druck» wurde ohne genügend sorgfältige Prüfung der Fahne gegeben.

Der Setzer hat sich jedenfalls geirrt, was zur Folge hat, dass man beim Lesen noch heute stolpert und leicht verwirrt zurückbleibt, wenn man sich nicht die Mühe nimmt, der Sache auf den Grund zu gehen.  

Da nun diejenige Stelle, wo zwei Zeilen irrtümlicherweise auf der vorangehenden Seite in die Druckplatte eingefügt wurden, ausgerechnet eine Passage betrifft, in der es um die Rolle der Weiacher in diesem Schulbücher-Aufstand geht, sei hier erst das Original aus dem ZTB und danach die korrigierte Fassung wiedergegeben:

[...]


Sie haben es vielleicht gemerkt. Da gibt es einen Bruch zwischen der dritt- und zweitletzten Zeile auf S. 171. Ein weiterer Sprung bei Zeile 1 von S. 172 und noch einer nach der Zeile 5 auf derselben Seite.

Richtig einsortiert

Nachstehend soll hier nun das Missgeschick des Setzers korrigiert werden. Die zwei letzten Zeilen der S. 171 sind auf der nachfolgenden Seite zwischen der Zeile 5 und 6 einzureihen. Dann liest sich der Text so, wie er eigentlich gedacht war. 

«                 Als Bezirksschulpfleger Hauser von Stadel
am 12. Dezember 1833 die Abteilung in Raat besuchte,
bemerkte er im Visitationsbuch: „Es ist mir leider bekannt, daß
die Hausväter zu Raat sich widersetzen, die obrigkeitlich
angeordneten oder gesetzlichen Lehrmittel in die Schule
einführen zu lassen, worüber ich mein Mißfallen aussprechen
muß. Auf eine solche Widersetzlichkeit kann nicht nur eine
leichte Ahndung, sondern gelegentlich eine ernstere Strafe
folgen" [Anm-42]. Am 29. Dezember 1833 besprach der hiesige, nur

[...]
[...]

S. 172

aus wenigen Mitgliedern bestehende freisinnige Zunftverein
die Angelegenheit, ohne eine befriedigende Lösung zu finden.
Nun bat die Schulpflege Stadel am 30. Dezember 1833 die
Bezirksschulpflege, „daß die obern Behörden einmal einschreiten
möchten, weil sie selbst nichts mehr wirken könne
[Anm-43]. Am

gleichen Tag besammelten sich auch die Bürger von Weiach.
„Mit großer Mehrheit ward dabei beschlossen, den Gebrauch

des ersten Lesebüchleins und des Scherrischen Tabellenwerks
in hiesiger Schule nicht zu gestatten und ebenso die Aufbauung
eines Schulhauses zu verweigern"
[Anm-44]. In dieser Gemeinde-
versammlung äußerte sich u.a. Gemeinderat Bersinger, „man
wolle mit der neuen Lehre die Religion wegtun, und das
könne man nicht leiden"
[Anm-45]. Damit erfahren wir in unserer
Gegend erstmals etwas vom Gedanken der Religionsgefahr,
der später den Stadlerhandel wesentlich beeinflußte, weil nun
zu den Geldsorgen hinzu noch die zähe Verteidigung des
geistigen Lebens kam, das damals eben hauptsächlich religiöser
Natur war.
»

Bemerkungen

1. Die vom Bezirksschulpfleger getadelten Raater Väter, ihrer 40 an der Zahl, waren geschlossen gegen die Einführung der neuen Schulbücher, ob primär aus Gründen des Geldmangels oder tatsächlicher religiöser Bedenken wegen, ist schwierig zu eruieren. Jedenfalls haben sie den dortigen Lehrer im späteren Verlauf der Angelegenheit unter Gewaltandrohung gezwungen, zu unterschreiben, dass in Raat die neuen Lehrmittel nicht eingeführt würden.

2. Der in der ersten Zeile auf S. 172 genannte «freisinnige Zunftverein» war die Vorläuferin der heutigen gemeindeübergreifenden FDP-Sektion Stadel. Diese politische Partei war mit der Staatsumwälzung 1831 an die Macht gekommen und hatte natürlich jedes Interesse, alles Beförderliche zu tun, damit die neue Schulkonzeption ihre Ziele auch erreicht. Die Zunft Stadel war eine Unterabteilung des Bezirks Regensberg. Sie fungierte als Wahlkreis für den Grossen Rat (Kantonsrat) und verfügte über ein Zunftgericht, das die Bezirksgerichte entlasten sollte.

3. Den Auszug aus dem Weiacher Schulpflegeprotokoll (Anmerkung 44) verdankt Hedinger sehr wahrscheinlich dem bei uns wohlbekannten Lehrer und Ortschronisten Walter Zollinger. Er erwähnt ihn explizit in Anmerkung 3 auf S. 163 des Aufsatzes als Lieferant für «vereinzelte Angaben».

Quelle und Literatur

  • Hedinger, H.: Der Stadlerhandel. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1934. Zürich 1933 – S. 162-187.
  • Brandenberger, U.: Aufstand wegen neumodischen weltlichen Schulbüchern. Die Weiacher im «Stadlerhandel» vor 175 Jahren. Weiacher Geschichte(n) 114. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2009 – S. 14-21.

Sonntag, 17. August 2025

«Geschichte der Gemeinde Weiach» von Pfr. Kilchsperger

Lehrer Zollingers Ortsgeschichte, die 1972 zwischen harte Buchdeckel gepresst im Druck erschienen ist, war nicht der erste Versuch, eine Geschichte der Gemeinde Weiach zu schreiben. Zumindest einer dieser Versuche ist uns erhalten geblieben.

Im Archiv des Ortsmuseums liegt ein schmales Konvolut an handschriftlichen Notizen ohne Angaben zum Urheber. Laut Zollinger stammen sie von Pfr. Albert Kilchsperger (*1883 †1947; 1908-1940 in Weiach). Die Aufzeichnungen sind über weite Strecken in Stenografie abgefasst.

Entweder wurde diese kleine Dokumentensammlung aus dem Pfarrarchiv Weiach extradiert (wie das bei den sog. Wipf-Akten der Fall war) oder es ist direkt von den Hinterbliebenen an alt Lehrer Walter Zollinger, den ersten Präsidenten der Ortsmuseumskommission, übergeben worden (Kilchsperger hatte eine Weiacherin aus der Familie der Post-Meierhofers geheiratet).


Es handelt sich mehrheitlich um unlinierte, in der Mitte gefaltete Papierbogen im Format 45.4x18 cm, mit zwei Beilagen in kleinerem Format.

Zu verzeichnen sind vier Teile:

1. «Geschichte der Gemeinde Weiach.»

Später (wohl von Pfr. Kilchsperger selber) mit Bleistift ergänzt: «I.  Teil». Undatiert. Fadengeheftete Bogen paginiert, wo durch den Urheber beschrieben. Paginierung uneinheitlich; römische Blattpaginierung auf recto sowie (wohl nachträgliche) lateinische Seitenpaginierung auf verso. Also nach dem Muster I, 2, II, 4, etc. Jedoch ist Bl. XI als S. 21 paginiert.
Total 28 Seiten, wovon die 7 letzten leer. Haupttext ist mit Tinte geschrieben.

Es existiert ein Transkript, durch Walter Zollinger erstellt: Schulheft blau, mit Sigel «Ksp. III», ebenfalls undatiert. Für die nachstehenden Teile sind keine Transkripte bekannt.

2. «Geschichte von Weiach. II. Teil. Das kirchliche Leben.» 

«Das kirchliche Leben» wurde später mit Bleistift gestrichen und auf «Kirchengeschichte v. Weiach von der Reformation bis zur Gegenwart!» geändert. Undatiert. Fadengeheftete Bogen, jeweils recto die Blätter mit röm. Ziffern paginiert. Letztes Blatt unpaginiert (ist eigentlich Blatt I des ersten Bogens). Total 20 Seiten, wovon 2 leer. Haupttext ist mit Tinte geschrieben.

3. «Notizen zur Geschichte von Weiach». 

Nur dieser Titel ist mit Tinte geschrieben, restlicher Text mit Bleistift. Undatiert. Total 5 lose gefaltete Bogen, davon 4 im eingangs erwähnten Format, 1 im Format 22.5x18 cm. Total 20 Seiten, wovon 4 leer (2 davon beim kleinen Bogen). Enthält Verweise auf die Wipf-Exzerpte (erkennbar an deren ausserordentlichem Paginierungsstil), sowie Hinweise auf Fundstellen bei anderen Autoren. Mehrheitlich in Stenoschrift verfasst.

Zumindest ein Teil dieser Notizen dürfte 1912 entstanden sein. Darauf weist auf dem ersten Blatt recto die genannte Jahrzahl und entsprechende Jahresberechnung zurück bis 1591 hin, wo Kilchsperger versucht hat, die durchschnittliche Standzeit eines Pfarrers zu ermitteln. Er kommt auf der Basis von 321 Jahren (also ca. 5 Jahre seiner eigenen Amtszeit eingerechnet) auf 16.9 Jahre, was einerseits zu hoch liegt, weil er von lediglich 19 Pfarrern ausgeht. Tatsächlich waren es aber 22 (von Schörli bis Wipf), kleinere Fehler entstehen dadurch, dass die Übergangszeiten durch Verweser nicht abgezogen sind. Abzüglich der Amtszeit Kilchspergers ergeben sich 316 Jahre / 22 Pfr. = 14.3 Jahre.

4. Bläulicher Briefumschlag mit Vordruck «Schulpflege Weiach». 

Handschriftlich mit Farbstift-Aufschrift «Notizen betreff Weiach» auf der Vorderseite sowie Bleistiftvermerk «16. Jahrh.» auf der Rückseite versehen. Enthält einmal gefaltetes liniertes Blatt im Format 27.0x21.5. Undatiert. Betrifft u.a. auch Schwabenkrieg 1499. Ganzer Text mit Tinte. Nur wenige Passagen in Stenografie. Total 4 Seiten, wovon 1 leer.

Bedeutung für die Weiacher Historiographie

Das vom Urheber selber mit dem Titel «Geschichte der Gemeinde Weiach» (bzw. «Geschichte von Weiach») versehene Werk zeigt, dass die Rolle Pfr. Albert Kilchspergers in der Historiographie der Gemeinde bisher zu Unrecht keine Beachtung gefunden hat.

Seine eigenständige Bearbeitung und Einordnung der ihm vorliegenden Abschriften des Amtsvorgängers Pfr. Ernst Wipf, sowie etliche sonst (ausser teilweise später bei Zollinger) nicht überlieferte lokale Details, zeugen für eine mehr als nur kursorische Beschäftigung mit der Weiacher Ortsgeschichte, ja sie legen die Vermutung nahe, dass auch Kilchsperger (und nicht nur Wipf und Zollinger) im Staatsarchiv des Kantons Zürich Originalunterlagen eingesehen hat.

Viele dieser Details sind tel quel in Zollingers Monographie zum 700-jährigen Jubiläum der «Ersterwähnung» des Ortsnamens (das eingangs erwähnte blaue Büechli) eingegangen, so beispielsweise die Aussage über Holzschlag durch fremde Truppen im Stocki oder die über das gescheiterte Eisenbahnprojekt 1857 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 19). Besonders wertvoll ist u.a. Kilchspergers kurze Einlassung zur Herkunft des Ortsnamens Weiach, bei der Einflüsse der im 20. Jahrhundert dominant werdenden gallorömischen Deutung noch völlig fehlen.

Kilchsperger ging bislang komplett vergessen

Man muss konstatieren, dass Zollinger gut daran getan hätte, den Beitrag Kilchspergers in seiner Ortsgeschichte von 1972 zumindest genauso mit Namensnennung zu verdanken, wie er dies im Vorwort gegenüber Wipf und Pfister getan hat, zumal er offensichtlich Formulierungen Kilchspergers wortwörtlich übernommen hat und dessen Nichterwähnung daher faktisch einem Plagiat gleichkommt.

Dies gilt insbesondere für die Überlieferung der Forderung der Weiacher von 1540 nach einem eigenen Prädikanten. Dieses Zitat, für das nicht geklärt ist, wo Kilchsperger es herhat, ist in den bisher aufgetauchten unpublizierten Unterlagen zur Weiacher Ortsgeschichte nämlich ausschliesslich im zweiten, kirchlichen Teil seiner «Geschichte von Weiach» überliefert!

Über die Gründe (Nachlässigkeit oder Absicht?) für das völlige Weglassen des offensichtlich vorhandenen Beitrags Kilchspergers durch Zollinger könnte beim aktuellen Stand der Erkenntnisse höchstens spekuliert werden.

Freitag, 15. August 2025

Telefonieren in Weiach, Anno 1925

«Sofort antworten, wenn die Zentrale aufläutet» (S. 379) oder «In den Trichter hineinsprechen» (S. 385)! Mit solchen Appellen wurde der Abonnent vor 100 Jahren konfrontiert. Und zwar oben auf jeder Seite, wenn er das über 800 Seiten starke Telefonbuch aufschlug.

Das nannte sich offiziell «Amtliches Verzeichnis der Telephon-Teilnehmer», der Band III kostete Fr. 2.50 und wurde von der «Schweizerischen Telegraphen- und Telephon-Verwaltung» herausgegeben. Die hatte damals den oberen Teil eines Mastes mit je zwei auf gleicher Höhe montierten Isolatoren im Logo:


Anleitung für die Benützung des Telephons

Es gab natürlich auch einen Vorspann vor dem eigentlichen Verzeichnis, in dem erklärt wurde, wie das System funktioniert. Und dort wurde auch der Tarif durchgegeben: Die Taxe für ein Ortsgespräch (für Weiach: alle an der Zentrale Kaiserstuhl angehängten Abonnenten) betrug 10 Rappen. Umgerechnet nach dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) wären das heute rund 66 Rappen.

Die Taxe für Ferngespräche war nach Entfernung und Tageszeit abgestuft und wurde «für je 3 Minuten od. einen Bruchteil dieser Zeit» berechnet: Bis 10 km kostete das 20 Rappen, bis 20 km 30 Rappen und bis 50 km 50 Rappen. Das konnte also schnell teuer werden!

Auch eine höchstzulässige Dauer eines Gesprächs war vorgesehen. Es wurde vom Zentralisten nach 6 Minuten abgeklemmt, «wenn für den zu benutzenden Leitungsweg noch andere Anmeldungen vorliegen». Ortsverbindungen durften «nach vorhergehender Mitteilung an die Sprechenden durch die Zentrale unterbrochen werden, wenn der eine der Sprechenden zu einem Fern- oder Auslandsgespräche verlangt» wurde. Aber man war kulant: «Die nachträgliche Wiederherstellung der Verbindung erfolgt auf Wunsch unentgeltlich.» Im Lokalnetz längere Gespräche führen, das lag also durchaus drin.

Immerhin eine zweistellige Anzahl Telefonanschlüsse in Weiach


Auf dem Gebiet der Gemeinde Weiach gab es 1925 genau 10 Telefonanschlüsse (vgl. Bild oben). Die hatten ein- oder zweistellige Nummern und mussten für ein Gespräch die Zentrale in Kaiserstuhl aufläuten, die sie dann manuell durch Stöpseln weiterverbunden hat. 

Man sieht hier, wer in der Gemeinde zu den ersten Nutzern der Telephonie gehört hat: diejenigen, die der Zentrale Kaiserstuhl am nächsten waren: die Sägerei Meierhofer (heute Holz Benz AG) zwischen der Bahnstation und dem Städtchen (Nr. 9) sowie das Restaurant zum Bahnhof (Nr. 10). Und aus historischen Gründen die «Gemeindesprechstation» (Nr. 5), die 1925 im Gasthof zum Sternen installiert war. Das Restaurant zum Wiesenthal hatte seinen Anschluss noch nicht so lange, erkennbar an der Nr. 30.

Unsere Zentrale hatte nicht immer Dienst

Wie man der Titelzeile ansieht, war Weiach im Netz von Kaiserstuhl integriert. Auch wie die Zentrale bedient war, erschloss sich dem Leser des Telefonbuches durch den dahinter notierten Code: «ER-n»

  • «E» für «Zweiteiliger Tagdienst»: Sommer: 07:00-12:15, 13:15-20:00; Winter 07:45-12:15, 13:15-20:00.
  • «R» für «Beschränkter Sonntagsdienst»: 08:30-12:00, 18:30-20:00 (sommers wie winters).
  • «n» für «Bereitschafts-Nachtdienst: Beantwortung der Aufrufe während der Nacht gegen Bezahlung der reglementarischen Zuschlagsgebühren.»

Quelle

  • Amtliches Verzeichnis der Telephon-Teilnehmer. III. Zürich, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell Ausser- u. Inner-Rhoden, Zug, Schwyz [Teile], Glarus, Graubünden [ohne Misox], Fürstentum Liechtenstein. 1925-1926.   PTT-Archiv. Signatur: P-260-1_3_1925, S. 382. https://mfk.rechercheonline.ch/

Donnerstag, 14. August 2025

Rekrut Jakob Baumgartner der Gelbsucht erlegen

Am heutigen Datum vor 150 Jahren ist in der NZZ die nachstehende Danksagung erschienen. Das ist in einigen Todesfällen das zweite Inserat (nach der Todesanzeige), das die Angehörigen nach erfolgter Abdankung in eine Zeitung einrücken lassen – hier aber möglicherweise das einzige.

(NZZ Nr. 408, 14.8.1875, Erstes Blatt, S. 4)

Für Leser, die ebenso grosse Mühe mit der Entzifferung von Frakturschrift haben wie die OCR-Software von e-newspaperarchives.ch, sei hier der Text wiedergegeben:

«Den geehrten Herren Offizieren und Soldaten, die an dem Begräbniß unseres theuren, während der Militärschule im Spital verstorbenen Sohnes und Bruders Jakob Baumgartner von Weiach, seßhaft gewesen in Rellikon-Egg, so freundschaftlichen Antheil genommen haben und dadurch die Feierlichkeit desselben gehoben haben, sprechen wir hiemit den innigsten Dank aus. Rellikon-Egg, den 12. Aug. 1875. Die trauernden Hinterlassenen.»

An die Gestade des Greifensees ausgewandert

Dieser Zweig der Kantonalpost-Baumgartner hat erst wenige Jahre zuvor (in den 1860ern) aus dem Weiacher Oberdorf an das Südwestende des Greifensees gezügelt (vgl. WeiachBlog Nr. 1897; Ära Baumgartner 1842-1852). Jakob ist somit noch in Weiach geboren und getauft worden.

Rällikon – wie es heutzutage geschrieben wird, beziehungsweise im Mittelalter «Reglikon» – liegt im Gegensatz zum Grossteil des Gemeindegebietes von Egg ZH nicht auf dem Hügelzug zwischen Zürichsee und Greifensee, sondern in der Ebene.

Medienmitteilung der Militärverwaltung

In derselben Ausgabe der NZZ wurde im redaktionellen Teil (zwei Seiten weiter vorn; Rubrik Kantone. Zürich.) die folgende Mitteilung abgedruckt:

«(Mitgetheilt.) Der am 10. August im hiesigen Kantonsspital verstorbene Baumgartner, Jakob, von Weiach, Rekrut in der 26. Rekrutenschule Zürich, 4. Compagnie, wurde den 12. ds. mit militärischen Ehren begraben. Um allfälligem Mißverständnisse vorzubeugen, machen wir bekannt, daß der Verstorbene an Gelbsucht gelitten und laut ärztlichem Attest trotz sorgfältigster Behandlung in Folge dieser Krankheit gestorben ist.»

Die Formulierung zeigt, dass es sich um eine offizielle Verlautbarung der kantonalen Militärdirektion gehandelt hat, die mittels Medienmitteilung (wie man das heute nennen würde) den in solchen Fällen unvermeidlichen Gerüchten den Wind aus den Segeln nehmen wollte.

Quellen und Literatur

Dienstag, 12. August 2025

Die bauliche Entwicklung im Stationsquartier Weiach, Stand 1953

Mit der Eröffnung der Linie von Winterthur nach Koblenz wurde 1876 das Stationsgebäude der Schweizerischen Nordostbahn eingeweiht (Kaiserstuhlerstr. 48) und gegenüber ein Wohnhaus des Bierbrauers Jakob Denzler zum «Rheinthal». Ab 1887 entstand dort das Restaurant zum Bahnhof (2008 abgerissen).

Die Kernbereiche der grossen Hallen der Holz Benz AG zwischen Hauptstrasse und Bahnlinie wurden ab 1904 von der Sägerei Jakob Meierhofer errichtet, das Gebäude der Schuhschäftefabrik Walder (später Sattlerei Fruet AG, Kaiserstuhlerstr. 51, heute: Im See 2) kam 1921 dazu, 1924 das Weichenwärter-Wohnhaus «Allenwinden» (Kaiserstuhlerstr. 45, heute: Dörndlihag 7), 1950 die ehemalige Bahnhofgarage Weibel (Kaiserstuhlerstr. 47), 1953 der frühere Polizeiposten (Kaiserstuhlerstr. 40), 1957 das Lagergebäude der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Weiach (Kaiserstuhlerstr. 44) und 1960 der Wohnblock für die Festungswächter (Dörndlihag 6).

So äussert sich die aktuelle Ausgabe der ortsgeschichtlichen Monographie (vgl. Literatur) zu den frühen baulichen Aktivitäten im Bereich zwischen dem Weiacher Vorposten Bedmen und der Stadt Kaiserstuhl. Wer von den Ortsansässigen diesen Zustand noch selber erlebt hat, der ist über dem AHV-Referenzalter (65 Jahre).

Luftaufnahme vom 26. Mai 1953

Gar um die 80 Lenze und mehr muss zählen, wer die folgende Konfiguration mit eigenen Augen gesehen haben kann:


Auf der Nordseite (d.h. links) der Bahnlinie sieht man einen geschwungenen Feldweg, der den alten Verlauf der Hauptstrasse vor dem Bau der Trasse Eglisau – Koblenz anzeigt (vgl. WeiachBlog Nr. 1784).

Die GWK-/FWK-Unterkunft im Dörndlihag fehlt da natürlich noch, ebenso der heute alte Teil der erweiterten Landi Weiach (beide in der linken oberen Bildecke). 

Bildlegende

Von links nach rechts sind die Gebäude wie folgt anzusprechen:

1 – Posten Weiach der Kantonspolizei Zürich, mit Dienstwohnung, 1953 fertiggestellt.

2 – Dreschscheune der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach, nach Grossbrand 1940 wiederaufgebaut.

3 – Haus Allenwinden. Wohnhaus mit gewölbter Waschküche des Albert Meierhofer, Weichen-Wärter, 1924, ehemals Kaiserstuhlerstrasse 45, heute Dörndlihag 7 (vgl. WeiachBlog Nr. 382).

4 – Lagerunterstand am Grubenweg. 2014 durch den Zivilschutz GlaStaWei abgerissen und durch den Gemeindewerkhof ersetzt (vgl. WeiachBlog Nr. 1175).

5 – Stationsgebäude Weiach-Kaiserstuhl, errichtet durch die Schweizerische Nordostbahn 1876 als Provisorium im sog. «Laubsägelistil» («Stationsgebäude Classe V»). Eigentum der Schweizerischen Bundesbahnen, Gebäude unter Denkmalschutz (vgl. Wikipedia-Artikel Weiach-Kaiserstuhl).

6 – Bahnhofgarage Weibel, 1950. Heute BP-Tankstelle und Convenience-Shop.

7 – Restaurant zum Bahnhof. 1876 als Wohnhaus mit Keller erbaut, dazu Scheune und Stall (rechts). 1887 zum Wohn- und Gasthaus umfunktioniert. 1890 strassenparalleler Anbau eines Kegelbahngebäudes mit Trinkhalle (links). Die baufällige Anlage wurde 2008 abgerissen. An dieser Stelle steht heute die Überbauung Im See 1/3 (2014) und Im See 8-16 (2015).

8 – Schäftenäherei der Schuhfabrik Walder, Brüttisellen, 1921.

9 – Schützenhaus Hasli, 300 m-Stand der Schützengesellschaft Weiach, 1948.

10 – Sägerei und Holzhandlung Robert Meierhofer, errichtet ab 1904. Per 1. Januar 1954 ins Eigentum der Firma Heinrich Benz, Holzhandel, Kloten übergegangen (vgl. G-Ch Weiach 1954, S. 17).

Quellen und Literatur

  • Lagerbücher der kantonalen Brandassekuranz ab 1834-1954, Archiv der Politischen Gemeinde Weiach, Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01 und .02. 
  • Friedli, W.: Luftaufnahme vom 26. Mai 1953. Kaiserstuhl, Weiach (Ausschnitt Stationsquartier). Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / LBS_H1-014958. DOI-Link: http://doi.org/10.3932/ethz-a-000357010
  • Brandenberger, U.: En attendant Godot: Restaurant Bahnhof. WeiachBlog Nr. 269, 2. September 2006.
  • ders.: «Allenwinden» steht zum Verkauf. WeiachBlog Nr. 382, 9. Februar 2007.
  • ders.: Die Schrotthalde beim Restaurant Bahnhof. WeiachBlog Nr. 420, 8. April 2007.
  • ders.: Der langsame Tod des Restaurants Bahnhof. WeiachBlog Nr. 519, 17. September 2007.
  • ders.: Bahnstation und Restaurant Bahnhof vor 1911. WeiachBlog Nr. 867, 24. Juni 2010.
  • ders.: Zivilschutz reisst Unterstand am Grubenweg ab. WeiachBlog Nr. 1175, 24. April 2014.
  • ders.: Poststrasse muss Eisenbahn Platz machen, Detailplan 1873. WeiachBlog Nr. 1784, 30. Januar 2022.
  • Brandenberger, U.: Weiach. Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Sechste, erweiterte Auflage von Walter Zollingers «Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Elektronische Ausgabe, V 6.83, August 2025 – S. 75.

Sonntag, 10. August 2025

Der Übertragungsmast Fasnachtflue ist höher als geplant

«Heute um 21:50 Uhr aufgenommen – nächtlicher Blick über Weiach. Die Dunkelheit hüllt das Dorf in Ruhe, nur einzelne Lichter zeichnen sanfte Konturen. Aus der Vogelperspektive wird die stille Schönheit der Nacht sichtbar.» 

Diese romantischen Zeilen begleiten ein kurzes Video (1:12), gepostet in der Nacht von Freitag auf Samstag auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...». Die Kamerafahrt der Drohne mit Blickrichtung Nordwest führt von oberhalb des Müliweihers bis knapp an die Grenze zwischen Oberdorf und Büel.

Auf die Frage, ob der nächtliche Drohnenflug zulässig war oder nicht, auf die Befürchtungen betreffend Überwachung, etc. wollen wir jetzt nicht eingehen. Nur so viel: Ja, mit den entsprechenden Positionsleuchten an der Drohne darf man solche Flüge auch in der Nacht durchführen. Sofern man über die entsprechenden Bewilligungen verfügt und die maximale Flughöhe von 120 m AGL (above ground level) eingehalten wird, vgl. Art. 22 VLK samt dem dazugehörenden EU-Verordnungsdschungel.

Luftfahrthindernisse höher 25 Meter sind kartiert

Für den Autor dieses Beitrags war der Erkenntnisgewinn noch ein anderer. Stichwort: Luftfahrthinderniskarte. Die Konsultation dieser Grundlage ist für jeden Piloten, ob in der bemannten oder unbemannten Luftfahrt, absolut entscheidend. Man will ja seinen Helikopter oder dergleichen nicht um einen Fernsehmast herumwickeln, oder in einer Transportseilbahn bzw. einer Hochspannungsleitung hängen bleiben.

Im vergangenen Sommer waren auf diesem Blog die Einwände der kantonalen Raumplaner gegen den Umsetzer an der Fasnachtflue Thema (vgl. WeiachBlog Nr. 2128) und der damalige Beitrag schliesst mit den Worten:

«Ob er wirklich 45 Meter hoch aufragt und wie hoch sich die Kirchturmspitze tatsächlich über das Terrain erhebt, dafür müsste man sich einmal mit trigonometrischen Methoden hinter die Angelegenheit klemmen.»

Für den Masten brauchen wir die Trigonometrie nicht. Da hilft die Website swiss-dronemap.ch aus; vgl. die Info-Box, die sich auf die orange schraffierte Fläche (CTR Zurich) sowie die kaum sichtbare Struktur an der oberen linken Ecke («unseren» Masten) bezieht:

47 Meter hoch ist er also, der Übertragungsmast, der einst nur einen sog. Füllsender trug und an dem heute in erster Linie Mobilfunkantennen «kleben».

Ob er die höchste Struktur auf Gemeindegebiet ist? Laut derselben Hinderniskarte ist die Weitspann-Hochspannungsfreileitung mit 60 Metern eingetragen. Wohl als worst case. Wer beim Fliegen >60 m AGL einhält, sollte also über Weiacher Boden auf der sicheren Seite sein.

Literatur
  • Brandenberger, U.: Kantonale Raumplaner waren gegen Fernsehumsetzer Fasnachtflue. WeiachBlog Nr. 2128, 7. Juli 2024.

Mittwoch, 6. August 2025

Die Tochter des Wanderdoktors – geboren im Wirtshaus zu Wyach?

Werfen wir einen Blick in die zu Zeiten des deutschen Kaisers Wilhelm II. in Leipzig erscheinende Monatsschrift Familiengeschichtliche Blätter, Ausgabe Oktober 1911. Unter der Rubrik mit dem schon fast poetischen Titel «Gelegenheitsfindlinge» hat auch der WeiachBlog einen ebensolchen Fund gemacht. So liest er sich im Volltext:

Göbel.

1689 März 5. wurde zu Weiach, Kt. Zürich getauft: Anna Regina, Tochter des Johann David Goebel aus der Schlesing (sic), Oculist, Bruch- und Steinschneider, und der Frau Anna Barbara Muommin, von Eringshausen aus der Wetterau unter dem Grafen v. Ehrenstein. Jedenfalls war die Tochter im Gasthaus zu Weiach geboren, da die Wirtsfrau als Patin erscheint. — Taufbuch Weiach.

Zürich. Dr. Hegi.

Ist das nicht ein hübsches Geschichtchen? Fangen wir bei den Erläuterungen von hinten her an.

Bezüge zum Staatsarchiv des Kantons Zürich

Der Autor, Friedrich Hegi (1878-1930), Doktor der Geschichte, war zum Zeitpunkt des Hinweises an die Redaktion der Familiengeschichtlichen Blätter als II. Staatsarchivar beim Kanton Zürich angestellt. Und er hatte nicht nur wissenschaftliche Kontakte ins Deutsche Reich. Sein zwei Jahre älterer Bruder, Gustav Hegi, war 1910 Professor für Systematische Botanik an der Universität München geworden.

Mit dem Taufbuch Weiach kann nur der älteste Band der Weiacher Kirchenbücher gemeint sein, geführt vom jeweiligen Pfarrherr (im Jahr 1689: Pfr. Hans Rudolf Seeholzer).

Dieses Tauf-, Ehe- und Totenregister 1609-1753 (StAZH E III 136.1), ist der einzige Band, der nachweislich schon vor 1935 ans Zürcher Staatsarchiv extradiert wurde (aber bis heute im Verzeichnis auftaucht: PGA Weiach IV.A.01). Mutmasslich ist diese Ablieferung im Herbst 1920 erfolgt (vgl. ZTB 1941, S. 31). 

Die Annahme liegt daher nahe, dass die mittels regierungsrätlichem Kreissschreiben an die Zivilstandsbeamten im Mai 1910 angeordnete Übergabe der ältesten Kirchenbücher ans Archiv der Politischen Gemeinde (vgl. ZTB 1941, S. 30) von Dr. Hegi zu einem Augenschein in Weiach genutzt wurde. So konnte er überprüfen, ob für den Band konservatorische Massnahmen angezeigt wären und bei dieser Gelegenheit auch einen Blick ins Gemeindearchiv werfen.

Geboren im ehaften Wirtshaus?

Die Ehefrau des Wirts ist im Taufbuch als Gotte von Anna Regina aufgeführt. Hegi schliesst aus diesem Umstand, dass eigentlich nur eine Geburt in der einzigen ehaften Taverne vor Ort denkbar sei (damals an der heutigen Oberdorfstrasse 7). Das lässt sich aus der Gesetzeslage ableiten, die den Untertanen im Grundsatz strikt verboten hat, Fremde zu beherbergen und dieses Recht nur dem Inhaber des staatlich konzessionierten Wirtshauses zugestand. 

Ob der Taufbuch-Eintrag diese Interpretation des Geburtsortes stützt, wird man auch ohne Besuch im Staatsarchiv in absehbarer Zeit per Fernabfrage herausfinden können. Dann nämlich, wenn auch die Weiacher Kirchenbücher volldigitalisiert vorliegen (aktuell nur bis und mit Stammheim).

Dass es sich bei den Eltern Johann David Goebel und Anna Barbara Muommin um Auswärtige gehandelt hat, zeigt sich nicht nur an den Herkunftsangaben. 

Die Mutter stammte aus der Wetterau. Das ist ein schon von den Römern besetztes Gebiet westlich von Frankfurt am Main. Ehringhausen ist heute Teil der Gemeinde Gemünden im mittelhessischen Vogelsbergkreis. Dorthin gelangt man, wenn man von Basel aus der Bundesautobahn 5 bis fast an ihr Ende folgt. Wo der Herkunftsort des Vaters (Schlesing) geographisch anzusiedeln ist, wissen wir nicht. Schon Hegi ging von einem Verschreiber des Pfarrers aus.

Der Kindsvater betrieb ein medizinisches Wandergewerbe

Besonders interessant ist die Berufsbezeichnung des Mannes, die ihn als Vertreter der sog. niederen Heilkunst identifiziert. Die drei Angaben betreffen allesamt Bereiche, in denen sich die an Hochschulen ausgebildeten, gelehrten Doctores der Medizin nicht unbedingt vertieft einlassen wollten. 

Ausgebildet wurden beispielsweise die Bruchschneider und Steinschneider oft von einem Bader (der Schröpfkuren anbot) oder einem Wundarzt. Die waren neben den Hebammen sozusagen im Alleingang für die Gesundheitsversorgung auf dem Land zuständig.

Und da der Inhaber der ehaften Taverne zu Weiach laut Konzession ein Badhaus führen durfte, ist es naheliegend, dass dort auch spezialisierte Heilpraktiker abstiegen, wie eben der Oculist, Bruch- und Steinschneider Goebel.

Unter einem Oculisten ist ein ougenarzt zu verstehen, ein Begriff, den es schon im 15. Jahrhundert gab. Diese Profession wurde oft von reisenden Medizinern praktiziert (vgl. u.a. den Abschnitt über die Neuzeit im Beitrag Augenheilkunde).

Ausführlichere Erklärungen zu den beiden nahe verwandten Professionen der Bruchschneider, die sich auf die Behandlung von äusseren Eingeweidebrüchen, sog. Hernien, spezialisiert hatten, sowie der Steinschneider, die für das Entfernen von Harnsteinen in Blase und Harnröhre ausgebildet waren, sind im Mittelalter-Lexikon von Dr. med. vet. Peter C. A. Schels (1936-2015) zu finden, vgl. Literatur unten.

Quelle und Literatur

Montag, 4. August 2025

Beyond Kieswerk. Geologe spannt den Bogen in die ferne Zukunft

Der Weiacher Gemeinderat, vertreten durch den Sicherheitsvorstand Petitpierre, hat für die diesjährige Ansprache zum Nationalfeiertag wieder einmal eine Persönlichkeit abseits der sonst tonangebenden Parteienlandschaft eingeladen.

Unser Festredner, Philipp Senn, gehört zur Führungscrew der Nagra, einer Genossenschaft, die mittlerweile schon über 50 Lenze zählt. Dass er nach Weiach zu einer Feierstunde eingeladen wird, ist angesichts der in den 1980ern höchst umstrittenen Probebohrungen nahe dem Ofenhof durchaus kein Selbstläufer. Vergleiche den Redetext und die redaktionelle Anmerkung 3 ganz unten.

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WeiachBlog dankt für die Erlaubnis, die diesjährige Rede veröffentlichen zu dürfen (was mit der letztjährigen Rede von Nationalrat Tuena leider nicht geklappt hat). Der Text ist redaktionell um orthografische Unebenheiten bereinigt, wurde aber sonst im Original belassen.


Geschätzter Jean-Marc Petitpierre,

liebe Weycherinnen und Weycher, werte Gäste,

herzlichen Dank für die Einladung zu Ihrer 1.-August-Feier. Es ist mir eine grosse Ehre, heute mit Ihnen den Schweizer Geburtstag zu feiern und mit Ihnen ein paar Gedanken zu teilen – das umso mehr, wenn man in Ihrer Chronik schneugget: die letzten August-Reden durchwegs von politischer Prominenz bestritten.

Mein Name ist Philipp Senn und ich spreche heute in meiner Funktion als Mitglied der Geschäftsleitung der Nagra zu Ihnen – jene Organisation, welche im Auftrag der Schweiz ganz in Ihrer Nähe ein Tiefenlager für den atomaren Abfall unseres Landes am Planen ist. Mit diesem Hut bin ich heute bei Ihnen.

Zum ersten Mal Weycher Boden betreten bzw. vorbeigefahren bin ich in meiner Jugendzeit. Aus dem Baselbiet kommend – da bin ich aufgewachsen und auch heute noch wohnhaft – hat man auf der Autofahrt nach Osten zwei Optionen: entweder auf der Autobahn im Mittelland oder aber entlang des Rheins. Mein Favorit schon damals war die Rheinstrecke: die langgezogenen Kurven dem Rhein und den lieblichen Auen entlang und durch die sanfte Hügellandschaft, vorbei am Leuenkopf haben mir damals schon sehr gut gefallen. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele von Ihnen diese landschaftliche Qualität ebenso schätzen.

Ein paar Jahre später stand ich ein nächstes Mal bewusst auf Weycher Boden, als Geologie-Student. Wir haben in den Kiesgruben draussen im Hard die jüngere geologische Geschichte studiert. Dabei haben wir gelernt, wie die Flüsse nach dem Verschwinden der Gletscher das Rheintal mit beachtlichen Kiesvorkommen aufgefüllt haben. Was das Kies als Rohstoff für eine Bedeutung hat, muss ich Ihnen in Weych nicht erklären.

Apropos wertvoller Rohstoff: Da wurde in Weych vor 5 Jahren am Sanzenberg ja ein Silberschatz aus keltisch-römischer Zeit gehoben. Eine Sensation, die auch ausserhalb von Weych wahrgenommen wurde. Dies hat mich an Erzählungen meines Vaters erinnert, der bei Ausgrabungen der Munzach-Villen – eine Art Vorort des bekannteren Augusta Raurica – ebenfalls römische Gegenstände gehoben hat. Der Fund von Silbermünzen ist allerdings ausgeblieben, zumindest soweit mir bekannt ist... Es zeigt auf jeden Fall, dass die Qualitäten der ganzen Rheinregion schon in unserer Vorzeit geschätzt wurden.

Und schliesslich hat mich vor wenigen Jahren wiederum die Geologie ins Zürcher Unterland und nach Weych gebracht: Tief unter dem Kies gibt es aus geologischer Sicht nämlich weitere interessante Gesteine: nicht zuletzt den Opalinuston. Und in dieses dichte Tongestein soll das Tiefenlager für den radioaktiven Abfall gebaut werden, wenn der Entscheid in Bern in ein paar Jahren so gefällt wird. 800 Meter unter der heutigen Erdoberfläche. Der Zugang zum unterirdischen Lager ennet dem Berg auf Stadler Boden im Bereich Haberstal.

Das Tiefenlager ist ein Generationenprojekt: Es beschäftigt bereits in der Vorbereitung Generationen, wird Generationen mit der Umsetzung begleiten und ist für Generationen. So soll es eine sichere Entsorgung für Generation bringen. Nicht nur für 25 – das wäre das heutige Alter der Schweiz, sondern für hunderte oder tausende Generationen in der Zukunft. Dazu sind technisch-wissenschaftliche Herausforderungen zu lösen: ein dichtes Lager tief im Boden. Und gerade deshalb braucht es, ganz schweizerisch: Präzision, Verlässlichkeit und Weitblick.

Es ist ein Jahrhundertprojekt, welches unsere Generation aber auch noch ganz anders fordert: Ein Vorhaben, welches Fragen aufwirft, Ängste auslösen kann, aber auch einen grösseren Abstimmungsbedarf mit sich bringt; und deshalb mit den betroffenen Menschen vor Ort vorangetrieben wird. Dafür ist der Dialog auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten und Betroffenen nötig. Nur gemeinsam und unter Einbezug der verschiedenen Sichtweisen wird dieses Vorhaben vernünftig gelingen. Und für den ersten Teil dieses langen Wegs, der schon beschritten wurde im Zürcher Unterland, den gegenseitigen Austausch und das Mitdenken, kann ich mich an dieser Stelle schon mal ganz herzlich bedanken!

Am 1. August feiern wir die Schweiz und dass Unterschiede und Gegensätze Erfolg bedeuten können – denken wir nur an die sprachlichen und kulturellen Unterschiede oder landschaftlichen Gegensätze auf kleinstem Raum in unserem Land. Das funktioniert nur im Dialog und mit konstruktiver Lösungssuche. Mit dieser Haltung – da bin ich überzeugt – gelingt nicht nur ein friedliches Miteinander, sondern auch eine positive Gestaltung der Zukunft oder das Umsetzen grosser Vorhaben. 

Sie können mir glauben, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ich heute in meiner Funktion hier stehe und mit Ihnen 1.-August feiere. Ich bin beruflich immer mal wieder in anderen Ländern und sehe, wie die atomare Entsorgung umgesetzt wird. Da muss in einem Fall eine Hundertschaft Polizisten die nötigen geologischen Untersuchungen bewachen und andernorts sind Transporte von radioaktiven Abfällen nicht selten von gewalttätigen Protesten begleitet. Hier in der Schweiz werde ich, als Mitglied der Nagra-Geschäftsleitung, als 1. August-Redner eingeladen. Wahrscheinlich sagt das viel aus über unser Land, wo wir wissen, dass Unterschiede und Gegensätze ausdiskutiert werden müssen – aber auch ausdiskutiert werden können.

Wichtig ist dabei nicht zuletzt der Austausch mit der Nachbarschaft auch über die Grenze hinaus. Dieser ist – so kennen wir es auch aus dem Raum Basel – mal mehr oder weniger intensiv, aber bei uns grundsätzlich freundlich. Gerade heute wird uns bewusst, welchen Wert ein friedliches Miteinander auch über Grenzen hinaus hat – in einer Zeit, wo dies in verschiedenen Regionen der Welt leider nicht gelingt. Und dies gilt natürlich speziell bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber auch der «türkische Basar» um sogenannte Strafzölle zeugt nicht gerade von wohlwollendem Miteinander.

Blicken wir gemeinsam noch kurz in die Zukunft. Stellen Sie sich vor: Heute in 100 Jahren, am 1. August 2125, sitzen Ihre Urenkel hier. Die letzten Abfälle sind längst eingelagert, eine längere Beobachtungsphase ist vorüber, es wird diskutiert, ob das Lager verschlossen werden soll. Vielleicht haben Ihre Urenkel wieder eine Rednerin oder einen Redner eingeladen, der zum Tiefenlager spricht. Ich bin sicher, dass diese Person vor allem einen grossen Dank und viel Anerkennung zu Ihren Nachfahren ins Zürcher Unterland bringen wird. Dank und Wertschätzung für das Mitdenken, das Hinterfragen, das Mittragen zugunsten eines gut gelungenen, nationalen Entsorgungsprojekts.

Und es besteht aus meiner Sicht die berechtigte Hoffnung, dass unsere Nachfahren beim Zurückschauen sagen können: «die haben das gar nicht so schlecht aufgegleist, gemeinsam, mit schweizerischer Sorgfalt, damals, im frühen 21. Jahrhundert».

Oder in anderen Worten, angelehnt an die Rede von Alt-Bundesrat Schneider-Ammann bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels: «Es erfüllt uns alle mit Stolz, aber auch mit Demut. Denn dass ein solches Bauwerk gelingt, ist nicht selbstverständlich.»

Und damit zurück zu heute: Gerne wiederhole ich meinen Dank für die freundliche Einladung. Und natürlich wünsche ich uns allen ein gemütliches und gefreutes Zusammensein bei diesem würdigen 1.-Augustfest! Herzlichen Dank.

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Anmerkungen der Redaktion WeiachBlog

1. Mit der im einleitenden Absatz erwähnten «Chronik» ist der Sammelband «Dasses es Ross patriotisch hätt gmacht…» gemeint; vgl. Wiachiana Doku Nr. 5 (PDF, 4.57 MB).

2. Der Hinweis auf den «türkischen Basar» ist ein Aktualitätselement ersten Ranges: eine diskrete Kritik an Donald Trump, 47. US-Präsident, und seinem Importzollansatz von 39 % auf Schweizer Produkte, verkündet am Vorabend des Nationalfeiertags.

3. Senn sagt zu Recht, es sei keine Selbstverständlichkeit, dass er als Geschäftsleitungsmitglied der Nagra überhaupt nach Weiach eingeladen wurde – und sich dafür nicht ansatzweise überlegen musste, Polizeischutz zu beantragen.

Es ist in der Tat so, dass die Nagra noch anfangs der 1980er-Jahre einem signifikanten Teil (mindestens einem Siebtel) der damals rund 700 Einwohner überaus unwillkommen war. Das Misstrauen der Organisation und ihren Vertretern gegenüber war mit Händen zu greifen (vgl. dazu den Beitrag Zähneknirschendes «Ja, aber...» zu NAGRA-Bohrgesuch; WeiachBlog Nr. 1982 vom 2. September 2023). Angesichts dieser Grundstimmung wäre es dem damaligen Gemeinderat wohl nicht im Traum eingefallen, eine solche Einladung auszusprechen.

Seither ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Vor allem aber haben die Träger der Nagra, namentlich der Bundesrat wie auch die Stromkonzerne, in den 90er-Jahren im Debakel um den Nidwaldner Wellenberg hinzugelernt: Mit Zwangsandrohung und obrigkeitlichen Dekreten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Ohne behutsam verfolgten partizipativen Ansatz geht es in der direktdemokratischen Schweiz nicht.

4. Der redaktionell gesetzte Titel ist eine Anspielung auf den Beitrag Beyond Kieswerk – ein radioaktives Tiefenlager? WeiachBlog Nr. 656 vom 2. November 2008.

Freitag, 1. August 2025

Für die Grenzbesetzung 1588 musste Wyach keine Soldaten stellen

Am heutigen Nationalfeiertag ist es angebracht, darüber nachzudenken, weshalb unser Bundesstaat sich selber «Schweizerische Eidgenossenschaft» nennt. Wäre es bei den Bündnissen der heutigen Urkantone aus dem Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts geblieben, dann hätte dieses Modell der Zusammenarbeit wohl nicht so lange überlebt. Dass wir heute auf eine lange zurückreichende Tradition der Verteidigung gemeinsamer Interessen zurückblicken können, hat mit der Weiterentwicklung dieser Bündnisbriefe und Übereinkommen zu tun.

Was sind Defensionale?

Im 16. Jahrhundert nahmen die gegenseitigen Unterstützungszusagen die Form der sogenannten Defensionalordnungen an. Benoît de Montmollin erklärt im Historischen Lexikon der Schweiz, was man darunter versteht:

«Vertragliche Vereinbarungen, die der Landesverteidigung der Eidgenossenschaft dienten, wurden in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert generell als Defensionale bezeichnet. Die Defensionalordnungen ergänzten die überholten Bestimmungen des spätmittelalterlichen Bundes und umfassten die Vertragswerke, welche die eidgenössischen Orte zur gegenseitigen Hilfe verpflichteten. Sie spielten in der Geschichte des eidgenössischen Militärwesens und für die Neutralität eine bedeutende Rolle. Die ersten Defensionalordnungen wurden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwischen den reformierten Orten vereinbart, um die Gegenreformation abzuwehren.»

Durch religiöse Differenzen motivierte Separatbündnisse

Bei diesen Orten handelt es sich um Zürich, Basel, Bern und Schaffhausen, die sich 1572 gegenseitig absicherten, dazu kam 1584 eine Vereinbarung mit der calvinistischen Stadt Genf, die sehr exponiert war (denn die Berner und Walliser mussten das 1536 eroberte Chablais wenige Jahre zuvor den Savoyern wieder zurückgeben). Die katholischen Orte hielten u.a. mit dem sog. Goldenen Bund von 1586 dagegen (vgl. WeiachBlog Nr. 1465). Also eine innerhalb der Eidgenossenschaft mit viel Zündstoff und Kriegsgefahr geladene Situation.

Im Westen knallt es heftig

In Frankreich war diese religiös aufgeladene Konfliktsituation noch um einiges explosiver. Dort ging es letztlich um die Frage der Thronfolge. Darf ein Protestant französischer König sein? Die beiden Seiten scheuten nicht vor militärischer Gewalt, Mord und Totschlag zurück, ein veritabler Bürgerkrieg, der von Mitte der 1570er begonnen hatte und unter Einmischung ausländischer Akteure besonders 1585 bis 1588 hin und her wogte (Details vgl. den entsprechenden Abschnitt im Wikipedia-Artikel über Heinrich III.).

Im Jahre 1587 liess der Zürcher Rat zu, dass ein Truppenkontingent (und mit ihnen ein ehemaliger Weiacher Pfarrer als Feldprediger) in die Champagne zog, um mitten in Frankreich den protestantischen Heinrich von Navarra gegen die katholische Liga (angeführt von den Herzögen von Guise und Lothringen) zu unterstützen. Diese bei uns als «Tampiskrieg» bezeichnete Expedition endete wenig ruhmreich, auch der genannte Feldprediger starb in fremden Landen.

Will die katholische Liga in reformierte Gebiete einfallen?

Nach den blutigen Gefechten im November 1587 mussten Bern und Basel befürchten, dass die Truppen der Katholischen Liga ihr Gebiet nicht unbedingt pfleglich behandeln würde, sollte der Fall eintreten, dass diese dort mit bewaffneter Macht einmarschierten. 

Sie beantragten daher Unterstützung bei ihren Zürcher Bündnispartnern. Und die stellten über Weihnachten und Neujahr ein Kontingent zusammen, um im Notfall sofort zu Hilfe eilen zu können. Die Handschrift StAZH A 231, Nr. 3, welche die personellen Vorbereitungen festhält, ist heute (wieder) im Staatsarchiv des Kantons Zürich und wurde unlängst in der Reihe Quellen zur Zürcher Geschichte (QZH) digital ediert:

Vorgesehen waren in diesem am 6. Januar 1588 festgeschriebenen Aufgebotsplan zwei Einheiten (geführt von je einem Hauptmann) mit total 500 Bewaffneten aus allen Gegenden des Zürcher Herrschaftsbereichs.

Eine präventive Massnahme, sollte es im Verlauf des Jahres im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen dem französischen Herrscher Heinrich III. und seinen Gegnern aus dem Raum Lothringen (insbesondere den Herzögen von Guise) zur drohenden Invasion kommen.

Bei Hofe hatte die Medici-Connection das Sagen

Heinrich III., ein Sohn der Katharina von Medici, war übrigens eine höchst umstrittene Figur. Der – wie sich nach seinem gewaltsamen Ableben im August 1589 herausstellen sollte – letzte König aus dem Hause Valois war ein Muttersöhnchen erster Güte. Er hat die Staatsgeschäfte (insbesondere die knallharten Verhandlungen mit Heinrich von Navarra) seiner Mama überlassen und sich stattdessen lieber in Festivitäten mit seinen Günstlingen, den unpopulären Mignons, ergangen. «Dabei soll er gern Frauenkleider getragen haben, mit Perlenhalsbändern und Halskrausen nach Damenart.» (vgl. Wikipedia). Es war wohl allen Zeitgenossen klar, wer da am Hofe wirklich die Hosen anhatte.

Das Neuamt musste dreizehn Mann auf Pikett stellen

Im Regest zum edierten Dokument beschreibt der Bearbeiter (mutm. Hannes Schmid) wie die Unterstützung der Berner und Basler im Ernstfall abgelaufen wäre: 

«Bei der nächsten Bündnismahnung ("pundtsmanung") soll ein Hauptmann mit dem einen Fähnlein nach Bern und ein anderer Hauptmann mit dem anderen Fähnlein nach Basel abkommandiert werden, und zwar noch am Tag oder in der Nacht nach Eintreffen des Rufes um Beistand. Die Hauptleute und Soldaten werden von Name zu Name schriftlich festgehalten. Die Mobilisierung bleibt bestehen und Abgänge von einzelnen Soldaten des Auszugs sollen ersetzt werden, solange mit dem Ruf nach Beistand seitens der beiden eidgenössischen Orte gerechnet werden muss.»

Auf fol. 10r ist notiert, aus welchen Ortschaften der Obervogtei Neuamt die Soldaten des Pikettkontingents stammten:

Nüw Ampt gibt xiij man

[1] Junghanns Kofel zů Stadel, [2] Růdli Vogler zů Oberhaßlen, [3] Hanns Schmid zů Oberhöri,

jeder ein Büchs

[4] Ludwig Bertschi, Müllers Sohn, zů Hofstetten, [5] Felix Marteler zů Oberhaßlen, [6] Anthoni Frölich zů Hochfelden,

jeder ein harnast und ein spieß

[7] Andreas Gaßman, [8] Heini Maag, beid zů Oberglatt, [9] Hanns Ůli Mor zů Nöschicken, [10] Andres Volkhart zů Oberhöri, [11] Felix Meyer zů Willen, [12] Michel Hußer zů Stadell,

jeder ein spieß

[13] Heini Mathyß zů Adlicken, [bei Regensdorf]

ein harnast und ein Halbarten

Hinter den Namen ist im Original jeweils die Ausrüstung notiert. Nur drei von dreizehn hatten eine Schusswaffe. Die anderen waren lediglich mit Spiessen oder Hellebarden bewaffnet. Und längst nicht jeder verfügte über eine Schutzausrüstung in Form eines harnast. Damit ist der aus Metallplatten gefertigte Brustpanzer gemeint. 

Das geflügelte Wort von der geharnischten Reaktion ist bis heute geläufig. Umso mehr war es das in der damaligen Zeit. Der Harnisch war sozusagen das Symbol der Wehrbereitschaft. Und sogar für die Tierwelt wurde das Wort verwendet, so bezeichnete man 1563 die damals noch in vielen Bächen lebenden Krebse als «geharnescht fisch» (Id. II, 1613).

Stellt sich noch die Frage: Wo ist Willen? Die toponomastische Anlaufstelle Nr. 1, Ortsnamen.ch, hilft auch hier weiter: Der Willenhof ist ein Weiler, der zur Gemeinde Hochfelden gehört, gelegen nahe der Glatt zwischen Hochfelden und Niederhöri.

Die Wyacher hatten Glück, die anderen Neuämtler auch

Der Kommentar zum edierten Dokument erläutert auch, weshalb wir davon ausgehen dürfen, dass in diesem Fall kein Weiacher aufgeboten wurde:

«Auch wenn nicht alle Gemeinden der Zürcher Landschaft Erwähnung finden, darf das Defensionale doch als vollständig gelten, da mit der Aufstellung das im Text definierte Soll von 500 Soldaten erreicht wurde. Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass diejenigen Gemeinden, die im Defensionale keine Erwähnung finden, bei diesem Auszug keine Männer zu stellen hatten.»

Da sich die Auseinandersetzungen zwischen den Kriegsparteien in der Folge auf die Hauptstadt Paris konzentriert haben, dürften auch die obgenannten dreizehn Neuämtler nicht eingezogen worden sein.

Und was lernen wir Heutigen daraus? Vigilantia pretium libertatis. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit! Politisch wie militärisch.

Quelle und Literatur

  • StAZH A 231, Nr. 3 vom 6. Januar 1588; Digitale Edition: QZH, Nr. 87
  • de Montmollin, B.: Defensionalordnungen. Version vom 22.03.2005. In: Historisches Lexikon der Schweiz, e-HLS.
  • Brandenberger, U.: Der Goldene Bund. Ursache für die Pfarrhausbefestigung? WeiachBlog Nr. 1465, 14. Januar 2020.