Sonntag, 2. September 2007

Als das Wehntal von der Limmat bis zum Rhein reichte

Manchmal stolpert man bei der Lektüre älterer Literatur auf ganz erstaunliche Details mit grosser Tragweite für die regionale Geschichte. So wie grad gestern in einer 439 Seiten starken Festschrift, die dem Romanisten und Historiker Hans Kläui (1906-1992) gewidmet ist.

Aussergewöhnliche Festschrift

Hans Kläui war zusammen mit seinem Bruder Paul Kläui (1908-1964) eine der herausragenden Figuren der zürcherischen Ortsgeschichtsforschung des 20. Jahrhunderts. Als langjähriger Redaktor der Zürcher-Chronik verfasste er viele Grundlagenartikel zur Ortgeschichtsschreibung (eine Auswahl davon ganz unten). Mit über 275 Büchern, Artikeln und Beiträgen hat er einen Fundus an Material hinterlassen, der auch heute noch von grossem Interesse ist.

Normalerweise sind Festschriften ja Sammlungen von Aufsätzen der Freunde und Schüler des Geehrten. In diesem Falle aber hat der Jubilar über die Jahrzehnte alles selbst verfasst. Die Festschrift zum 75. Geburtstag Kläuis stellt damit eine eindrückliche Werkschau dar. Jetzt aber zum Wehntal.

Gross-Wehntal im 9. Jahrhundert

Eine für die Geschichte des Zürcher Unterlandes relevante Miszelle hat Hans Kläui in der schriftlichen Ausarbeitung eines Vortrags untergebracht, den er an der Gründungsversammlung des Vereins der Freunde der Paul-Kläui-Bibliothek in Uster am 3. November 1973 gehalten hatte und der in obgenannter Festschrift erstmals veröffentlicht wurde:

«Das heutige Wehntal zwischen Lägern und Egg ist Ihnen sicher ein Begriff. Doch man ist sich zuwenig bewusst, dass noch im 9. Jahrhundert das Waninctal im Norden vom Rhein, im Westen von der Aare, im Süden von der Limmat begrenzt war und im Osten ins Glattal auslief. Es ist äusserst wahrscheinlich, dass wir es bei diesem viel grösseren Gebiet mit einer alten alemannischen Adelsherrschaft im Sinne Dannenbauers zu tun haben, worauf uns auch die Ortsnamen Ober- und Niederweningen hinweisen. Eine andere Region bildet das Glattal selbst, wo bekanntlich der älteste alemannische Ortsnamentyp auf -ingen fehlt, wogegen Kloten, Bülach, Neeraach und einige andere *acus-Namen auf keltische Relikte hinweisen.»

Und weiter unten: «Vielfach überschneiden sich solche Gebiete, die wir im Frühmittelalter als zeitlich begrenzte und räumlich als lockere Einheit sehen möchten.»

Landschaftsbezeichnungen im Wandel der Zeiten

Man sieht an diesem Beispiel, wie stark Landschaftsbezeichnungen über die Jahrhunderte hinweg ihre räumliche Ausdehnung verändern können. Der Thurgau umfasste im 9. Jahrhundert ja auch die gesamte Nordostschweiz (inklusive dem Gebiet um Zürich) - vgl. den Wikipedia-Artikel Geschichte des Kantons Thurgau.

Spannend ist dies nun im Hinblick auf die Zugehörigkeit des heutigen Gemeindegebiets von Weiach. Folgt man diesen Ausführungen Kläuis, so haben die Gebiete des Glattals mit ihren galloromanischen Ortsnamen eine andere Besiedlungs- und vorkarolingische Herrschaftsgeschichte als die Gebiete um die Lägern, wo Ortsnamensendungen auf -ingen vorkommen (z.B. Otelfingen im Furttal).

Gehört Weiach, dessen Name zu den galloromanischen Bildungen auf *acum gezählt wird, nun zu diesem alten Waninctal oder zum Glattal?

Quelle
  • Kläui, H.: Orts- und Regionalgeschichte in heutiger Zeit. In: Wappen - Orte - Namen - Geschlechter. Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Kläui. Winterthur, 1981 - S. 19-33 (Fundstelle: S. 31)

Ortsgeschichtliche Grundlagen

  • Kläui, H.: Zur sprachlichen Gestaltung von Ortsgeschichten. In: Zürcher-Chronik. Z. f. zürcherische Geschichte, Heimatkunde und bildende Kunst, Neue Folge 1962, Nr. 3 – S. 49-52. Nr. 4 – S. 80-84.
  • Kläui, H.: Aufgaben der Ortsgeschichte. In: Zürcher-Chronik. Neue Folge 1965, Nr. 2 – S. 26-28.
  • Kläui, H.: Aufgaben und Methoden der Ortsgeschichte. In: Zürcher-Chronik. Neue Folge 1968, Nr. 1 – S. 1-5. Nr. 2 – S. 35-39. Nr. 3 – S. 58-62. Nr. 4 – S. 85-88.
  • Kläui, H.: Ortsgeschichte heute. In: Zürcher-Chronik. Nr. 3, September 1970 – S. 53-56.
  • Kläui, H.: Orts- und Regionalgeschichte in heutiger Zeit. In: Zürcher-Chronik. Nr. 4, 1973 – S. 104-106.

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