Sonntag, 18. August 2024

Wenn der Bestellungsbetrüger bei den SBB einbricht, 1941

Waren bestellen und nicht bezahlen. Diese Betrugsmasche gab es natürlich auch bereits zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, menschliche Täuschungsmanöver inklusive. Nur die technologischen Umstände waren andere als heute. Und Bahnhöfe noch bedient. Die SBB-Linie Zurzach–Eglisau spielte dabei eine wichtige Rolle.

Zuerst eine Schreibmaschine...

Nachstehend wird die Geschichte fast rein anhand von Zitaten aus dem Schweizerischen Polizei-Anzeiger (SPA) erzählt, dem damaligen Fahndungsbuch der Polizeikorps. Sie beginnt im SPA Nr. 251 vom 10. November 1941 auf Seite 1656 (Angaben in eckigen Klammern sind Anmerkungen von WeiachBlog): 

«16 531. - Unbekannter, ang. [angeblich] Frei, Robert, Fest.- Ing. [Festungsingenieur], Schw. Mot. Kan. Abt. 13 (falsch), Bestellungsbetrug z. N. [zum Nachteil] der Fa. Theo Muggli, Zürich 1, und Verd. des Diebst. [Verdacht des Diebstahls] einer Schreibmaschine «Royal-Standard», Mod. 10, Fab.Nr. 1 499 845, beg. 4./5.8.41 im Stationsgebäude Zweidlen, z. N. der SBB. Der ang. Frei telephonierte 28.7.41 der Fa. Muggli, er werde in nächster Zeit in Zurzach als Fest.-Ing. arbeiten und im Hotel Rad Logis nehmen; er beabsichtige, eine «Continental»-Occasionmaschine zu kaufen. Da eine solche nicht vorrätig war, «kaufte» er eine «Royal»-Maschine zu Fr. 500, ersuchte um Zusendung derselben an die (fingierte) Adresse Hotel Rad in Zurzach; den Betrag werde er sofort durch die Post einzahlen, sofern die Maschine konveniere. Am 4.8.41 telephonierte der ang. Frei an Muggli, er sei nicht nach Zurzach beordert worden; die nach Zurzach geleitete Maschine sei per Express nach der Bahnstation Zweidlen zu senden. Im Güterschuppen SBB. in Zweidlen wurde dann die Maschine von dem ang. Frei oder einem Komplizen gestohlen. Ohne Zweifel ident. mit Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, Architekt (Art. 16 532, J. 1941). Pol.Kdo. Zürich.»

Wie so eine Maschine en détail aussieht, kann man auf der Website eines Schreibmaschinenrestaurators sehen: Schlagfertigetippsen.

... dann Kaba-Schlösser

Einen Verband mit dem Namen Schwere Motorisierte Kanonen-Abteilung 13 gab es damals durchaus, nur war dort halt kein Robert Frei eingeteilt, was die Kantonspolizei Zürich rasch einmal feststellte. 

Wie der Verweis auf den gleich darunter platzierten Eintrag über einen weiteren Fall zeigt, der demselben Täter zugeschrieben wurde, erkannten die Ermittler dann im November rasch ein Muster zwischen dem Fall anfangs August an der Station Zweidlen (oben) und einem neuen Fall Ende Oktober an der Station Weiach-Kaiserstuhl (unten):

«16 532. - Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, Architekt, Bestellungsbetrug z. N. der Fa. F. Bender, Eisenwaren, Zürich 1, und Verd. des Diebst. von 50 «Kaba»-Schlössern, beg. 31.10./1.11.41 im Stationsgebāude in Weiach, z. N. der SBB. Etwas vor Mitte Okt. 1941 erkundigte sich ein Unbekannter telephonisch bei der Fa. Bender, bis wann 50 «Kaba»-Schlösser geliefert werden könnten und zu welchem Preis. Da die Antwort nicht sofort erteilt werden konnte, wurde der Unbekannte um Angabe seiner Telephonnummer ersucht; er gab Bescheid, dies sei unmöglich, da er im Militärdienst sei. Am folgenden Tage wiederholte er seine telephonische Anfrage, nahm die ihm gemachte Offerte an und bestellte 50 «Kaba»-Schlösser; er werde später berichten, wohin die Lieferung zu erfolgen habe. Ende Okt. 1941 ersuchte der Besteller, der sich nun als Architekt Mühlebach vorstellte, die Fa. Bender telephonisch, die Schlösser per Eilgut und unter Nachnahme des Betrages an die Adresse «Architekt Mühlebach, Weiach» (fingiert) zu senden. Die Sendung wurde nicht eingelöst; dagegen erkundigte sich der ang. Mühlebach am 30. oder 31.10.41 bei der Bahnstation Weiach-Kaiserstuhl, ob für ihn eine Nachnahmesendung von ca. Fr. 750 eingegangen sei; er fügte bei, er befinde sich z. Zt. im Militärdienst und werde die Kiste in den nächsten Tagen einlösen, man solle sie ja nicht retournieren; weiterer Bericht werde folgen. Ohne Zweifel ident. mit Unbekannter, ang. Frei, Rob., Fest.Ing. (Art. 16 531, J. 1941). Pol.Kdo. Zürich.»

Führte Militärdienstmasche die Ermittler auf die Spur?

Wieder Bestellbetrug und wieder die Masche mit dem Militärdienst, diesmal gleich im Nachbarort. Und ja, einen solchen Architekten hat es in Weiach wohl nie gegeben. Dieser Umstand dürfte auch dem Vorsteher der Station bekannt gewesen sein. Er nahm aber wohl an, dass die Bestellung von einem in Bachs, Fisibach, Kaiserstuhl oder Weiach stationierten Wehrmann getätigt wurde. In diesen kriegerischen Zeiten nicht ungewöhnlich.

Die Diebstahlmeldungen erhielten im Polizei-Anzeiger eigene Artikelnummern und geben genauere Angaben zu den gestohlenen Gütern:

«16 536. -- In Weiach, SBB .- Stationsgebäude, 31.10./1.11.41, 15-16 Uhr, wahrsch. nachts, z. N. der SBB., aus Lagerschuppen, vermutl. mit Nachschlüssel oder Dietrich: Nachnahmesendung von Fa. Bender in Zürich, aufgegeben in Zürich-Tiefenbrunnen, Kiste von ca. 60×60×70 cm, gez. «F.B.», deklariert «Eisenwaren», enth. 50 «Kaba»-Schlösser, Art Zylinderschlösser, Gewicht 45 kg (Wert Fr. 733). Pol.Kdo. Zürich.»

Hier ging die Täterschaft also raffinierter vor, indem auf Nachnahme bestellt und damit die SBB gleich doppelt geschädigt wurde: durch Vermögensschaden und den Einbruch. Nur wenig weiter unten dann auch noch die Beschreibung der in Zweidlen gestohlenen Schreibmaschine:

«16 543. - In Zweidlen, SBB.- Stationsgebäude, 4./5.8.41. vermutl. 19.25-18 Uhr, wahrsch. nachts, z. N. der SBB., aus Güterschuppen, vermutl. mit dem bei der Türe aufgehängten Schlüssel geöffnet: Expressgutsendung Nr. 77 Zurzach-Zweidlen, Schreibmaschine «Royal-Standard», Mod. 10, Fab.Nr. 1 499 845, Segmentumschaltung, 88 Schriftzeichen. Normalschrift, Tabulator usw., samt Blechdeckel (Wert Fr. 500). Pol.Kdo. Zürich.»

Die Vertrauensseligkeit der Angestellten der Station Zweidlen machte es der Täterschaft besonders einfach.

Kiste mit Schlössern kurz nach dem Einbruchdiebstahl gefunden

«16 624. - Nachtrag zu Art. 16 536, J. 1941. Weiach, z. N. der SBB. Die Kiste mit den 50 «Kaba»-Schlössern wurde 3.11.41, ca. 100 m vom Tatort entfernt, in einem an der nach Kaiserstuhl führenden Hauptstrasse liegenden Eisenlager der Fa. Zimmermann beigebracht, wo sie offenbar zwecks späterer Abholung versteckt worden war. (V. auch Art. 16 532, J. 1941.) Pol.Kdo. Zürich.»

Aufgrund dieser Abstandsbeschreibung muss sich dieses Eisenlager nördlich der Hauptstrasse 7 befunden haben. Auf jeden Fall noch auf Weiacher Gebiet, womit dann auch Kantonspolizist Bill (vgl. WeiachBlog Nr. 1641 zur Person) zuständig war.

Täter aus dem Aargau identifiziert

Wie genau die Ermittlungsorgane dann innert kürzester Zeit den Täter eruieren konnten, wäre noch abzuklären. Allenfalls findet man dazu noch etwas in den Akten der Kantonspolizei oder Gerichtsunterlagen. Anzunehmen ist, dass auch «unser» Polizeisoldat Bill seinen Anteil daran hatte. 

Jedenfalls wird bereits in der SPA-Ausgabe vom 1. Dezember 1941 (Nr. 269, S. 1776) der erfolgreiche Abschluss der Ermittlungen vermeldet, und zwar unter Art.-Nr. 17 682. Rubrik «Erledigungen». Gleich fünf Positionen konnten so geschlossen werden (die Zahlen bezeichnen die Artikelnummern, vgl. oben):

«Unbekannter, ang. Frei, Robert, und Mühlebach, Hans (ident. mit : Baldinger, Gottfried, 1916, von Zurzach/AG, Schreiner)  16531

Unbekannter, ang. Mühlebach, Hans, und Frei, Robert (ident. mit: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 532

Weiach, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 536

Zweidlen, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 543

Weiach, Diebst. (Täter: Baldinger, Gottfried, obenerwähnt)  16 624»

Quelle

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