Freitag, 2. November 2007

Warum Top-Manager überbewertet werden

Eine mögliche Antwort auf diese Frage habe ich letzthin in einer 1979 fertiggestellten Historiker-Dissertation gefunden.

Sie dreht sich um Johann Jakob Treichler (1822-1906), einen der ersten Schweizer, der als Kommunist verschrien war. Kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts ging in Europa bekanntlich das «Gespenst des Kommunismus» um (vgl. erster Satz des Kommunistischen Manifests 1848). Der junge Treichler war publizistisch tätig und seine Ideen trafen in der bewegten Zeit der Kartoffelfäule und massiv steigenden Brotpreise (+20% in einem einzigen Monat im Herbst 1845) kurz vor dem Sonderbundskrieg offenbar den Nerv der Zeit.

Auch Persönlichkeiten der Geschichte sind nur Katalysatoren

Der Autor der Dissertation, Franz Wirth, schrieb, bisher habe man «die soziale Bewegung von 1845/46 ziemlich isoliert als ein einmaliges Ereignis dargestellt, das allein durch die Persönlichkeit Treichlers hervorgerufen worden sei.» Und fährt weiter:

«Diese Sicht scheint mir etwas einseitig. Wohl spielen Personen in der Geschichte oft eine wichtige Rolle; aber häufig gibt es neben und hinter ihnen noch ganz andere apersonale treibende Kräfte, so dass der Persönlichkeit allenfalls eine Wirkung als Katalysator zukommt. So spielt denn auch in der vorliegenden Arbeit die Person Johann Jakob Treichler eine Hauptrolle. Aber wir müssen vor allem nach den Hintergründen, nach den Voraussetzungen forschen, welche es ermöglichten, dass die Aktivitäten dieses jungen Mannes zeitweilig einen ganzen Kanton in Atem halten konnten.»

Ich würde sogar sagen: diese apersonalen Gründe braucht es immer.

Auf diesen Fall gemünzt: ohne Kartoffelfäule und gleichzeitige Wirtschaftskrisen, die weite Kreise der Bevölkerung in Elend und Hunger zu stürzen drohten und sie dadurch in vielen Fällen erst radikalen Ideen zugänglich machten, wäre Treichler nie die Bedeutung zugekommen, die man ihm seitens des erschreckten Besitzbürgertums zuwies.

Gleiches gälte nach dieser Logik für Marx, Engels und Lenin oder eben für Bush, Clinton und Kennedy - um nur ein paar herausragende Figuren zu nennen, deren persönlichem Wirken schon weiss Gott was für Wirkungen zugeschrieben worden sind.

Umstände zählen mehr als Management-Entscheide

Was das mit Top-Managern zu tun hat? Nun, wenn es um die Entlöhnung geht, dann werden als Argument für Millionen-Boni ja oft überragende Leistungen ins Feld geführt. Besieht man die Sache genauer, dann sind allerdings solche Zuschreibungen oft fragwürdig.

Denn was würden die Top-Manager ohne das Fussvolk machen? Die von ihnen geleiteten transnationalen Grossunternehmen funktionieren nur dank einem herrschenden Konsens unter und dem Effort der Mitarbeitenden. Vor allem aber stellt sich ihr wirtschaftlicher Erfolg nur dank dem Zusammenwirken vieler Einflüsse (auch ausserhalb des Unternehmens) ein, auf die der Katalysator «Manager» wenig bis gar keinen Einfluss nehmen kann.

Im besten Fall setzt er - um es naturwissenschaftlich auszudrücken - die Aktivierungsenergie einer Reaktion herab, die mit dem nötigen Energieeinsatz auch ohne ihn zustande gekommen wäre. Das ist der Job eines Katalysators. Er ist daher im Einkauf pro Mengeneinheit teurer als das Substrat. Aber ist das sein persönliches Verdienst? Und soll es sich dann in einem Lohn ausdrücken?

Ja, DAS ist allerdings eine wahrhaft Treichler'sche Frage.

Quelle
  • Wirth, F.: Johann Jakob Treichler und die soziale Bewegung im Kanton Zürich (1845/1846). Diss. Univ. Basel, 1979. Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Band 144. Verlag Helbing & Lichtenhahn, Basel 1981 - Einleitung S. XII.

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