Wenn Zeitungen ein kleines Dorf weitab der weltpolitischen Trampelpfade und hunderte oder gar tausende von Kilometern von ihren Stammlanden entfernt erwähnen, dann kann es sich eigentlich nur um die genaue Verortung eines Unglücksfalls oder die engere Heimat eines Athleten handeln.
Im Falle von Hajo Obuchoff, Journalist bei «Neues Deutschland», dem früheren Zentralorgan der DDR-Staatspartei SED, traf am 3. Februar 2010 der zweite Fall zu. Er schrieb über einen Sportler aus Weiach. Genauer gesagt: einen Ex-Profi-Sportler.
Bäumli als Schlachtenbummler
Aufhänger des Artikels Schweizer Freude im Berliner Rund. Das Sechstagerennen begeistert die Fans sind die Sixdays-Schlachtenbummler David Baumann und Benjamin Baumgartner:
»Was mir am besten gefällt in Berlin«, meint Baumanns Freund, Benjamin Baumgartner, »ist die Objektivität des Publikums. Hier wird jeder auf der Bahn angefeuert – egal aus welchem Land er kommt.«
Baumgartner war selbst Radrennfahrer und kann fachlich mitreden. »Ich bin ein großer Fan von Maximilian Levy. Den kenne ich persönlich. Er ist einfach ein guter Typ«, sagt der Schweizer über den Cottbuser Weltmeister im Keirin. Noch 2008 fuhr Baumgartner gemeinsam mit seinem Bruder Tobias selbst beim Züricher Sechstagerennen gegen die Elitefahrer, die auch in Berlin ihre Runden drehen. Damals musste er aber nach der vierten Nacht aufgeben.
»Ich habe inzwischen auch meine Profikarriere an den Nagel gehängt«, erzählt der 26-Jährige aus Weiach, den seine Freunde Bäumli nennen. »Ich musste einsehen, dass ich keine Chance habe, ganz vorn mitzufahren. Wenn ich sehe, wie viele sehr gute Fahrer es allein in Deutschland gibt – da konzentriere ich mich lieber auf mein Wirtschaftsstudium.«
Fahnen schwenken für die Holländer
Gegen Ende des Artikels dokumentiert Obuchoff, dass Bäumli und sein Freund wirklich die sportliche Leistung bejubeln und nicht nur einfach die Eidgenossen (allen voran das Duo Marvulli/Aeschbach) anfeuern:
Allerdings verschafft sich kurze Zeit später im 30-Minuten-Rennen die »Schwarze Sieben« mit Danny Stam und Peter Schep die beste Ausgangsposition für die letzte Nacht. Gemeinsam mit den Paaren Robert Bengsch und Marcel Kalz sowie Andreas Müller und Erik Mohs jagen die fliegenden Holländer den Dänen und den Brandenburgern eine Runde ab. Da schwenken auch die Jungs aus Zürich anerkennend ihre Schweizer Fahne.
Zerrbild Schweiz
Was für ein Bild die stark linksorientierte, überalterte und damit mehrheitlich DDR-gewohnte Leserschaft von «Neues Deutschland» von den Schweizern auch Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer noch haben dürfte, zeigt sich an einem beiläufigen Kommentar Obuchoffs im Anschluss an eine Aussage von Bäumlis Freund David Baumann:
»Wir haben ein gemütliches und erschwingliches Hotel in Kreuzberg gefunden.« Selbst für Schweizer ist das ein wichtiger Faktor.
Wie war das? Irgendwie sind alle Schweizer reich - oder wenigstens Finanzexperten.
2 Kommentare:
Schön,dass durch das Internet auch in den tiefen Tälern der Schweiz (wieder so ein Klischee) linke deutsche Zeitungen gelesen werden können. Indes, wenn Sie meinen, dass wir in Osten Berlins alle Schweizer als Banker oder Almbauern sehen, täuscht der Eindruck. Vielleicht liest der eine oder andere Schweizer auch die leise Ironie (und Selbstironie) aus meinen Zeilen heraus. Jedenfalls, wenn auch er nicht den alten Klischees anhängt, dass Ostdeutsche alles durch die rote Brille sehen und sowieso keinen Humor haben.
Ganz so schlimm ist es wirklich nicht. Vielleicht kommen Sie doch einfach mal vorbei, so wie Ihre Landsleute zum Sechs-Tage-Rennen oder einfach nur mal so, um sich umzuschauen.
Gruß in die Berge, Hajo
Keine Angst. Manchmal fehlen einem Artikel halt die Smilies. Es ist auch bis zu uns nach Süd-Alemannien durchgedrungen, was sich im Osten Deutschlands alles verändert (hat). Da staunt man immer wieder, wenn man nach ein paar Jahren erneut nach Berlin, Brandenburg oder Sachsen kommt. Und irgendwie sind sich Ossies und Schweizer in mindestens einem Punkt ähnlich. Sie sind keine Besserwessis. ;-) Gruss nach Berlin!
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