Dienstag, 31. Dezember 2024

An Silvester 1824 brannten zwei Haushalte lichterloh

Vor 200 Jahren genehmigte sich der Zürcher Kleine Rath (heute wäre das der Regierungsrat des Kantons Zürich) einen verlängerten Neujahrsurlaub. Die Herren Räte trafen sich erst am 6. Januar zur ersten Sitzung des neuen Jahres.

Ihr allererstes Geschäft war dann gleich ein recht unerfreuliches aus der Nordwestecke des Staatsgebiets. Ein auf den 1. Januar datiertes Schreiben des Oberamtmanns auf Schloss Regensberg (heute wäre das der Bezirksstatthalter), das über einen Grossbrand an Silvester 1824 berichtet:

«Das Lbl. Oberamt Regensperg erstattet der hohen Regierung sub dato 1sten hujus den Bericht, daß Tags vorher die mit No. 17. und 18. bezeichneten, zusammen für fl 1500. aßecurirten Wohnungen der Jacob Baumgartnerschen und Heinrich Bersingerischen Haushaltung zu Weyach gänzlich abgebrannt seyen. Dieser Bericht wird, in Gewärtigung des hierüber abzufaßenden Gutachtens der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, einstweilen ad acta gelegt.»

Ein versicherter Schaden von 1500 Gulden also. Von der (wohl nicht versicherten) ebenfalls verbrannten Fahrhabe und persönlichen Effekten der nun ohne Häuser dastehenden Familien ist hier keine Rede. Die Regierung nahm die Angelegenheit erst einmal lediglich zur Kenntnis und liess die löbliche (das bedeutet Lbl. nämlich) Gebäudeversicherungskommission ihres Amtes walten.

Gutachten der Brandassekuranz innert 10 Tagen erstellt

Und diese Kommission hat sich wohl schon kurz nach dem Eintreffen des Schreibens aus Regensberg vor Ort begeben, hat die Akten durchgesehen und sich ein eigenes Bild verschafft. 

Bereits am 11. Januar behandelte die Regierung die traurige Angelegenheit erneut, denn am Vortag hatte die Kommission ihren Antrag formuliert und das am 6. Januar offiziell bestellte Gutachten eingereicht. 

Diesmal geht das Protokoll tiefer und erwähnt (wohl basierend auf dem Bericht) die Versicherungssummen der beiden Gebäude:

«Mit einer Weisung d. d. 10ten hujus hinterbrachte die Lbl. Brandaßecuranz-Commißion der hohen Behörde des Kleinen Rathes ihren gutächtlichen Bericht und Antrag, betreffend das am 31sten passati zu Weyach Statt gehabte Brandunglück, durch welches die zwey Behausungen, No. 17. für fl 1000. aßecurirt, den Erben des Heinrich Bersinger, und No. 18. für fl 500. eingeschrieben, dem Jacob Baumgartner zugehörig, gänzlich eingeäschert wurden.»

Die Abkürzung «d.d.» steht für lateinisch «de dato»: «vom Datum» oder «datiert vom»; «hujus» (abgekürzt für «huius mensis») bedeutet «dieses Monats», also desselben, auf den der vorliegende Eintrag datiert ist. Diese Formulierung war insbesondere in der Verwaltungssprache und in juristischen Texten bis ins 19. Jahrhundert verbreitet. «Passati» steht entsprechend für den vorangehenden Monat, also hier den Dezember.

Wieder einmal vernachlässigte Feuerstellen!

Die Ermittlungen der Kommission zur Brandursache ergaben laut dem Regierungsratsprotokoll vom 11. Januar 1825 ein durchzogenes Bild:

«Da die Ursache des Brandes, dieser in ihrer Feuereinrichtung sehr übel bestellt gewesenen Gebäude, nicht ausgemittelt ist, die erstbenannte Haushaltung aber, welche ein ungetheilt gutes Zeugniß genießt, alles Verdachtes entschlagen ist, und gegen die zweyte, die sich zwar auch schon die Ahndung für Fahrläßigkeit mit dem Feuer zugezogen hat, keinerley Indicien vorhanden sind, auch beyde Parteyen alle ihre Fahrnuß verloren haben und sehr dürftig sind, so haben UHHerren und Obern erkennt, denselben den ganzen Ersatz der obbemeldten Aßecuranz-Summe, nebst der gewohnten Obrigkeitlichen Steuer an Frucht und Geld verabfolgen zu laßen.

Hievon wird der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, der Lbl. Finanz-Commißion, und dem Lbl. Oberamte Regensperg Kenntniß gegeben.
»

UHHerren (Unsere Hohen Herren) zeigten sich angesichts des Umstandes, dass im Gutachten keine Brandursache direkt angesprochen werden konnte (ausser dem generell schlechten Zustand der Feuerstellen) sowie aufgrund der Armut der beiden vom Brand betroffenen Weyacher Haushalte also gnädig. Und das, obwohl die Familie von Jacob Baumgartner punkto Feuersicherheit bereits mindestens einen Tolggen im Reinheft hatte!

Es wurde also erkannt (d.h. beschlossen), die volle Versicherungssumme zur Auszahlung bringen zu lassen und den Betroffenen auch die üblichen Leistungen des Staates zugesprochen.

In welchem Dorfteil standen Nr. 17 und 18?

Aufgrund des Umstandes, dass die Nummerierung nach dem ältesten System bei der Mühle im Oberdorf begonnen wurde, kann man direkt ableiten, dass es sich um Häuser am Fuss der Fasnachtflue gehandelt hat. Und das ist auch so, wie man dem im Gemeindearchiv liegenden Lagerbuch der Brandassekuranz (PGA Weiach IV.B.06.01) entnehmen kann:



Aus diesen beiden im Jahre 1834 mutmasslich aus einem älteren Lagerbuch kopierten Einträgen ersieht man, dass die Nr. 18 (versichert für 500 Gulden) nicht wiederaufgebaut wurde. Wohl aber die Nr. 17 (ursprünglich assekuriert für 1000 Gulden). 1834 gehörte das neu erstellte Gebäude Hans Ulrich Bersinger (wohl einer der Erben des Heinrich Bersinger sel.) und war für 1550 Gulden versichert.

Diese Assekuranzsumme entspricht fast exakt der 1825 ausbezahlten Entschädigung. Aufgrund dieser Angaben könnte man nun annehmen, dass das neue Gebäude im Verhältnis 2:1 unter den beiden brandgeschädigten Familien aufgeteilt wurde, schliesslich waren ja beide Parteien mittellos. Fragt sich nur, weshalb dann das Eigentum nun zu 100 % bei Hs. Ulrich Bersinger lag. Waren die Baumgartner ausgewandert? Und woher wäre dann das Geld gekommen, mit dem sie ausbezahlt wurden?

Abgebrannt war ein Strohdachhaus

Nicht allzu viel weiter kommt man mit dem 1812 erstellten Lagerbuch, das mittlerweile im Staatsarchiv (allerdings nur noch in Form der Negative der Mikroverfilmung) einsehbar ist (Original: StAZH RR I 575.1):

Die beiden versicherten Objekte sind auf ein und derselben Seite des Lagerbuchs eingetragen und die Versicherungssummen beider Parteien werden zusammengezählt, sodass man annehmen muss, sie seien zusammengebaut gewesen. Zudem ist bei beiden Parteien ein Strohdach eingetragen. Brannte eins der beiden Objekte ab, dann war es unvermeidlich auch um das andere geschehen. 

Bereits der Eintrag für den Neubau nach dem Brandunglück, datiert auf das Jahr 1825, weist als Eigentümer einzig den oben erwähnten Hs. Ulrich Bersinger aus! Der Neubau hatte ein Ziegeldach erhalten und als Versicherungssumme wurde offenbar der bisherige Gesamtbetrag für beide Objekte (1500 Gulden) übernommen. Und: Der Zuname dieses Zweiges der Bersinger war Weibelrudis (wenn ich das ab der leider ziemlich verschwommenen Aufnahme richtig entziffert habe).

Von der zweiten brandgeschädigten Partei findet man aber in den Eigentümereinträgen keine Spur mehr. Dieses Rätsel harrt also noch der Auflösung.

Nummer 17 (1809) ist jetzt Oberdorfstrasse 13 (1992)

Aus der Gebäudenummernkonkordanz geht hervor, dass die wiederaufgebaute Liegenschaft Nr. 17 im Jahre 1895 die Nummer 33 und im Jahr 1955 die Assekuranznummer 265 zugeteilt erhalten hat und heute immer noch steht. 

Es handelt sich um das einzige Gebäude, das zurückversetzt von der Oberdorfstrasse gelegen ist (hinter der Nr. 11) und nach den offiziellen Richtlinien eigentlich die Adresse Rebweg 1 tragen müsste.

Laut Gebäudeversicherung ist das Baujahr (technisches Gebäudealter) 1826. Auf welche Angaben sich diese Verschiebung um ein Jahr bezieht (Fertigstellungsjahr?), ist derzeit noch offen. 


Als Eigentümer der Parzelle 293 firmierten noch im Oktober letzten Jahres Roger und Nadja Kappeler. Aktuell sind es Daniel und Kathrin Rimensberger.

Quellen 
  • Das Lbl. Oberamt Regensperg berichtet, daß in Weyach 2. Wohnungen abgebrannt. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 6. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0001
  • Aßecuranzvergütung des Brandunglückes zu Weyach an die Haushaltungen Bersinger und Baumgartner. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 11. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0028.
  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01.
  • Brandenberger, U. (Bearb.): Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach 1809-1895-1955-1992, nachgeführt bis 31.12.2024; in Verbindung mit der Gebäudealterkarte sowie der Eigentümerauskunft des Geoportals des Kantons Zürich (maps.zh.ch).

Samstag, 28. Dezember 2024

Elsässischer Wehrmachtsoldat desertiert in die Schweiz

Die Grenzfüsilierkompanie V/269, bei welcher der Weiacher Lehrer und Ortschronist Walter Zollinger als Wachtmeister seinen Aktivdienst geleistet hat, war um den Jahreswechsel 1944/45 nicht mehr im angestammten Kaiserstuhl, sondern am Kraftwerk Rheinsfelden und bei Eglisau stationiert.

Am 27. Dezember musste die Kompanie in Stadel mobilisieren. Der langjährige Bataillonskommandant Grossmann verabschiedete sich an diesem Tag von der Kompanie und übergab sein Kommando an den Generalstabshauptmann Pfenninger. 

Kaum eingerückt, schon Ernstfall

Am nächsten Tag war die V. Kompanie dann bereits im Grenzschutzeinsatz. Unter dem 28. Dezember 1944 – also heute vor 80 Jahren – schrieb ihr Kompaniekommandant folgenden Tagebucheintrag:


Bestand: 3 Of, 101 Uof + Soldaten, 6 HD  [HD = Hilfsdienst]

Wetter: kalt, sehr schön.

Arbeit nach Tagesbefehl. Die Arbeit an den Waffen hat gezeigt, dass die Mannschaft solche bis auf wenige Ausnahmen noch gut beherrscht.  [Anmerkung: Hoffentlich auch, sie wurde ja erst am 12. Oktober desselben Jahres aus einem Ablösungsdienst entlassen und nun folgte schon der nächste.]

Hr. Hptm. Pfenninger besucht die Kp. [gehört sich so für einen neuen Bataillonskommandanten]

Die Kp. V/269 nimmt Verbindung auf mit der Flabgruppe 108. [Das war also das für den Raum Eglisau/Hüntwangen zuständige Flab-Detachement. In Weiach stand zur selben Zeit die Schwestereinheit mit der Nr. 104, vgl. WeiachBlog vom 26. Dezember]

Brückenköpfe wurden streng bewacht

1515 meldet sich auf der Wache ein deutscher Wehrmachtsangehöriger. [Elsässer]. Er wird verpflegt und in Verwahr genommen. Übergabe an die Kantonspolizei.

Die zu diesem Satz gehörende Randbemerkung «Viadukt Nord» ist besonders wertvoll. Sie zeigt nämlich an, wo genau sich dieser Wehrmachtssoldat gestellt hat. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am nördlichen Ende der Eisenbahnbrücke über den Rhein, die Teil der 1895-97 erstellten Linie Eglisau-Neuhausen ist. Also in unmittelbarer Nähe der Station Hüntwangen-Wil und der Wagendecken- und Wachstuch-Fabrik Stamm & Co (mehrheitlich auf Eglisauer Boden).


Ein Malgré-nous setzt sich ab

Dieser letzte Eintrag zum 28.12. steht für eine Tragödie der besonderen Art. Hier ist nicht ein Deutscher desertiert, sondern ein Soldat in deutscher Uniform, der sich mutmasslich von Hohentengen her durch den Wald über die Grenze ins Rafzerfeld geschlagen hat. 

Dieser Elsässer war ein Malgré-nous. Das ist die Bezeichnung für rund 130'000 zwangsweise in die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogene deutschsprachige Franzosen aus Elsass-Lothringen, die sich nach dem Krieg dem Verdacht ausgesetzt sahen, mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht zu haben. Es gab aber nur wenige Freiwillige. Die überwiegende Mehrheit sahen sich als Soldat wider Willen, malgré-nous eben.

Gegen die Haager Landkriegsordnung

Das Gebiet Elsass-Lothringen war zwar im Mai 1940 von den Deutschen besetzt, jedoch nicht per Annexion ins Deutsche Reich integriert worden. Dagegen sprach der Umstand, dass der deutsche Aussenminister von Ribbentrop noch 1938 eine Vereinbarung mit den Franzosen getroffen hatte, wonach Deutschland keine territorialen Ansprüche an Frankreich habe (also insbesondere nicht das von 1871 bis 1918 zum Reich gehörende Reichsland Elsaß-Lothringen).

Aus diesem Grund war auch die Rekrutierung rechtlich unzulässig. Dies kann man aus der Internationalen Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (sog. Haager Landkriegsordnung) vom 29. Juli 1899, ableiten: 

Art. 44: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen.

Art. 45: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten.

Und deutsche Soldaten wurden ja bekanntlich auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Für elsässische Zwangsrekrutierte also auf den Führer der Besatzungsmacht.

Umkämpftes Elsass

Am 23. November hatte die 1. Französische Armee Strassburg erreicht, am 25. November Mülhausen (Mulhouse; vgl. die Karten zum Artikel Kämpfe um Elsass und Lothringen (1944). Diese Vorstösse dürfte der Deserteur mitbekommen haben. 

Man kann ihm nicht verdenken, dass er nicht gegen die Franzosen (und damit gegen Elsässer, die auf der anderen Seite mitkämpften) in den Einsatz geschickt werden wollte. Das machte seinen Entscheid leichter, das Risiko auf sich zu nehmen, als Deserteur gefangengenommen und erschossen zu werden.

Den Deutschen gelang es zwar zwischen dem 31. Dezember 1944 und 25. Januar 1945 (sozusagen als Nebenkriegsschauplatz der Ardennenoffensive) noch einmal, rund 40 % des Elsass einzunehmen. Von langer Dauer waren diese Geländegewinne allerdings nicht.

Quelle und Literatur
  • Tagebuch Gz Füs Kp V/269. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*.
  • Tagebuch Flab Bttr 108, 1942-1945. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3119*.
  • Neukom, Th.: Eisenbahnviadukt (Eglisau, 1897). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 88-89.
  • Kunz Bolt, Ch.: NOK-Kraftwerk Rheinsfelden-Eglisau (Glattfelden 1915/20). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 116-117.

Donnerstag, 26. Dezember 2024

Irrtümlich auf eine eigene C-36 geschossen

In den Zeiten des Kalten Kriegs war man als männlicher Jugendlicher gut beraten, sich auf die Rekrutierung vorzubereiten. Nicht nur mit physischem Training. Auch geistig. Dafür gab es etliche vom EMD geförderte Abendkursangebote. 

Kleine Auswahl gefällig? Der Erste-Hilfe-Kurs des Militärsanitätsvereins (besser als jede heutige Nothelferkurs-Schnellbleiche), Morsekurse für Funkbegeisterte und Flugzeugerkennungskurse, wo man anhand von Modellen, Silhouetten und Filmaufnahmen lernte. Der Absolvent solcher Kurse konnte sich sein Spezialwissen in einem rosafarbenen Büchlein bescheinigen lassen. Das konnte helfen, den Aushebungsoffizier davon abzuhalten, einen als Füsilier einzuteilen.

Fensterplatz beim Flugzeugerkennungsunterricht?

Dass solche Theorie sehr praktischen Nutzen haben kann, das belegt der Nachmittag des zweiten Weihnachtstages 1944, heute vor 80 Jahren. Damals donnerten auf Leebern nördlich des Dorfes Weiach und nahe dem Rhein nämlich die Geschütze der Schweizer Fliegerabwehr, wie man dem Tagebuch des Kommandanten der Flab-Batterie 104, Hauptmann Kissling, entnehmen kann:


Unter dem rationalen Telegrammstil der Pflichtberichtspunkte findet sich unter 8. Besondere Vorkommnisse die Prosa einer mehr als peinlichen Schussabgabe:

«Die Bttr. eröffnet um 1530 auf als fremdes Flz. angesprochene C 36 irrtümlicherweise das Feuer, glücklicherweise ohne Erfolg. Bestrafung der "Schuldigen" durch Abt. Kdt.»

Wie hoch die Strafe ausgefallen ist, das schreibt Hptm Kissling hier leider nicht. Bislang war es dem Verfasser dieses Artikels auch nicht möglich, in die Tagebücher der vorgesetzten Stellen (Flab Rgt 22 oder 23?) Einsicht zu nehmen.

Was ist eine C-36?

Der Mehrzahl der geneigten heutigen Leserschaft ist der Begriff C-36 und das Aussehen dieses Flugzeugs wohl ein böhmisches Dorf.

Den damaligen Angehörigen des in Weiach stationierten Flab-Detachements hätte das aber nicht passieren dürfen.

Ironie der Geschichte: Noch am Vortag, dem 25. Dezember 1944, hatte Leutnant Kummer als Stellvertreter des Kommandanten auf ebendiesen Stephanstag für das Alarm-Det. von 16:30 bis 17:30 eine Lektion «Flz.-Erkennungsdienst» anberaumt. Das geht aus dem von ihm unterzeichneten Tagesbefehl hervor. Als Einsatzbesprechung war diese Sequenz wohl nicht gedacht. Trotzdem sozusagen perfektes Timing.

Die C-36 war ein ureigenes Schweizer Gewächs. Gebaut von der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte (K+W), 1942 in Dienst gestellt und nach dem Krieg noch lange als Zielschleppflugzeug verwendet. Da durfte man dann drauf schiessen. Aber nur auf das Ziel im Schlepptau!

Quellen und Literatur

  • Tagebuch Flab.-Det. 104, Bd. 6, 8.5.1944 bis 13.2.1945 (Elektronische Version: Dok 8, S. 24; bzw. Dok 9, S. 86 für den Tagesbefehl). Schweizerisches Bundesarchiv. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3115*.
  • Bild C-36 von ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05035-197 / Public Domain Mark - http://doi.org/10.3932/ethz-a-000031934.
  • Brandenberger, U.: Fliegerabwehrgeschütze standen monatelang auf der Leebern. WeiachBlog Nr. 1839, 2. Juli 2022.

Dienstag, 24. Dezember 2024

Maikäferbekämpfungsbeiträge an Heiligabend gesprochen

Am heutigen Datum vor 100 Jahren war der Zürcher Regierungsrat nicht etwa weihnächtlich gestimmt. Er widmete sich unter anderem einer geradezu kriegerischen Angelegenheit: der Maikäferbekämpfung. In ihrem Antrag an die Regierung schrieb die zuständige Volkswirtschaftsdirektion: 

«Das Jahr 1924 war ein sogenanntes «Bernerflugjahr»; ein massenhaftes Erscheinen der Käfer im größten Teile des Kantons war erfahrungsgemäß mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten. Nach der von der Volkswirtschaftsdirektion vorgenommenen Zusammenstellung der gemeinderätlichen Berichte wurden denn auch in 144 Gemeinden mit einem sammelpflichtigen Areal von 73,024 ha im ganzen 1,112,549 Liter Maikäfer eingesammelt und vernichtet, trotzdem der Käferflug durch die vorwiegend kühle und regnerische Witterung der letzten Aprilwoche und der ersten Dekade des Monates Mai ziemlich beeinträchtigt war.»

Es galt Ablieferungspflicht

Damals waren noch alle Eigentümer, Pächter, etc. von Liegenschaften (unüberbaute Flächen und Laubwald) verpflichtet, nach Aufforderung durch Beauftragte des örtlich zuständigen Gemeinderats bestimmte Mengen an Käfern pro Flächeneinheit abzuliefern, um die Schäden einzudämmen, die diese gefrässigen Insekten sonst verursacht hätten:

«§ 3. Das Minimum der abzuliefernden Käfer beträgt für jeden Inhaber eines Grundstückes bis auf 10 Aren Flächeninhalt 2 Liter, für je weitere 10 Aren Grundbesitz 1/2 Liter. Die Gemeindräte sind befugt, bei starkem Auftreten der Käfer dieses Pflichtmass bis auf das Vierfache zu erhöhen.»

Diese Bestimmung findet man in der Verordnung betreffend die Einsammlung und Vertilgung der Maikäfer und Engerlinge vom 4. April 1901 (vgl. StAZH OS 26 (S. 283-286)). Dieser Erlass hatte etliche Vorgänger. Der älteste wurde noch zu Zeiten erlassen, als die Schweiz nach napoleonischer Pfeife tanzen musste: die Polizeyverordnung vom 5ten Merz 1807, betreffend die Ausrottung der Laub- oder Mayen-Käfer (vgl. StAZH OS AF 3 (S. 286-292)).

Aber auch schon die Gnädigen Herren zur Zeit des Ancien Régime sahen die Jagd auf diese Krabbeltiere als auf ihrem Staatsgebiet zu befördernde Aufgabe an. Das zeigt sich in der Mandatesammlung des Staatsarchivs des Kantons Zürich: Erinnerung für die Landschaft betreffend Bekämpfung der Laubkäfer oder Meienkäfer, 1771 (vgl. StAZH III AAb 1.13, Nr. 84).

Finanzieller Anreiz für freiwillige Mehrmengen

Die Verordnung von 1901 sah explizit monetäre Förderung vor: «§ 6. Auch die nichtpflichtigen Gemeindeeinwohner sind zur Einsammlung und Ablieferung von Maikäfern einzuladen. Für die abgelieferten Käfer erhalten sie aus der Gemeindekasse eine Entschädigung, welche für die erste Flugwoche 20 Rp., für die folgenden Wochen 10 Rp. per Liter betragen soll. Die gleiche Entschädigung erhalten diejenigen Pflichtigen, welche über ihr Pflichtmass hinaus Käfer abliefern.»

Das konnte also für eine Gemeinde ziemlich teuer werden, wenn (wie 1924: Bernerflugjahr) gerade besonders viele Maikäfer auftraten. In diesem Jahr blieben aber die Gemeinden im Bezirk Dielsdorf verglichen mit etlichen Gebieten am Zürichsee verschont.

Damit die Gemeindekassen nicht überstrapaziert würden, sah der Erlass Staatsbeiträge vor und lobte gar Prämien aus:

«§ 10. Für die von den Gemeinden gemäss den §§ 6 und 9 dieser Verordnung bezahlten Entschädigungen ist in erster Linie der Ertrag der allfällig nach § 5 erhobenen Bussen zu verwenden; an den Rest trägt der Kanton zur Hälfte bei; überdies werden vom Staate an Gemeinden, welche in rationeller und intensiver Weise den Maikäfer- und Engerlingfang betrieben oder im Sinne der Verordnung aus Gemeindemitteln dafür namhafte Opfer gebracht haben, angemessene Prämien verabreicht. Die zuständige Direktion des Regierungsrates kann von Gemeinden, welche bei Ermittlung des Staatsbeitrages in Betracht fallen, die nötigen Kontrollen, wie Grundbesitzkataster, Einsammlungslisten und Bussenverzeichnisse, zur Einsicht herbeiziehen.»

Nur ordentliche Staatsbeiträge, keine Prämien

Und um die Festsetzung der Beiträge ging es im Regierungsratszimmer an diesem Heiligabend vor 100 Jahren. Die Gemeinde Weiach hat 17 Franken und 85 Rappen ausbezahlt erhalten. Unsere direkten Nachbargemeinden Bachs, Glattfelden und Stadel tauchen in dieser Liste des Regierungsrates erst gar nicht auf.

Prämien gab es keine, obwohl beispielsweise die Gemeinde Gossau in den höchsten Tönen gelobt wurde. Erklärt wird das im Regierungsratsbeschluss so:

«Obschon einzelne Gemeinden unter Aufwendung bedeutender Mittel in der Durchführung des Käferfanges anerkennenswerter Weise zum Teil außerordentliche Leistungen zu verzeichnen haben, muß doch von der Ausrichtung von Prämien mit Rücksicht auf die starke Überschreitung des bewilligten Kredites durch die ordentlichen Staatsbeiträge und angesichts der immer noch ungünstigen finanziellen Lage des Staates, welche in den Ausgaben größte Zurückhaltung erfordert, Umgang genommen werden.»

Nichts mit Bescherung für die Gemeindekassen! 

Quelle

Freitag, 13. Dezember 2024

Copulatum Anno 1774. Weiacher Hochzeitspaare vor 250 Jahren.

Für das Jahr 1774 findet man zehn Einträge zu Hochzeiten im Weiacher Tauf- und Ehe-Register (StAZH E III 136.2). Die letzte eingetragen unter dem heutigen Datum, dem 13. Dezember, vgl. ganz unten. Vier weitere Einträge mit Weiacher Bezug (einer oder beide Ehepartner aus Weiach) finden sich über die Ehedatenbank des Staatsarchivs in den Büchern zweier Stadtkirchen, des Grossmünsters (3x) bzw. St. Peter (1x).

4. Januar – Baumgartner, Rudolf, Weiach, mit Bombeli, Anna Barbara, Weiach (StAZH E III 136.2, EDB 141).

18. Januar – Rüdlinger, Felix, Weiach, mit Baltisser, Regula, Weiach (StAZH E III 136.2, EDB 142).

Bei diesem beiden Hochzeiten musste Pfr. Johann Heinrich Wiser nichts weiter vermerken, denn da handelte es sich ja um Personen aus der von ihm seit fünf Jahren betreuten Kirchgemeinde. Mitte Februar lag der Fall ganz anders:

15. Februar – Egli, Jakob, Weiach, mit Eggli, Anna, Dachsen (StAZH E III 136.2, EDB 143). 

Der Bräutigam wird als Meister (Mr.) und «Proselytus» bezeichnet. προσήλυτος prosḗlytos, d.h. Hinzugekommener, bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Egli zum reformierten Glauben konvertiert war. Er war wohl ein zugewanderter, ursprünglich römisch-katholischer Handwerksmeister war, vielleicht aus dem Süddeutschen.

Bei der Braut steht im Original laut EDB: «Egli». Das zweite g wurde durch den Genealogen eingefügt, der den Datensatz erfasst hat. Und zwar aufgrund des Umstandes, dass Eggli ein in Dachsen (südlich des Rheinfalls) altverbürgerter Familienname ist.

8. März – Herzog, Rudolf, Weiach, mit Albrecht, Barbara, Stadel (StAZH E III 136.2, EDB 144). 

Hier ist ein einheimischer Gewerbetreibender in den Stand der Ehe getreten: Er wird als «Bek» bezeichnet. Neben dem Namen der Braut notierte der Pfarrer: «Nata 1717 den [Lücke] Aug.». Sie war also schon in ihren Fünfzigern. Es ist anzunehmen, dass auch der Bräutigam schon älter war, denn allzu grosse Altersdifferenz war nur bei der Kombination «Älterer Mann mit junger Frau» wohlgelitten, nicht aber umgekehrt.

18. April – Pfister, Johannes, Bachs, mit Baumgartner, Elisabeth, Weiach (StAZH TAI 1.708; ERKGA St. Peter IV B 39, EDB 10081).

Diese Vermählung ist lediglich im Kirchenbuch der Stadtzürcher Kirche St. Peter (die mit dem riesigen Zifferblatt) zu finden, nicht aber im Bachser oder Weiacher Kirchenbuch. An diesem 18. April 1774, einem Montag, wurden in St. Peter übrigens laut den Einträgen nicht weniger als sieben Paare aus dem ganzen Züribiet in den Stand der Ehe gegeben! Es ist anzunehmen, dass all diese Paare ihre Gründe hatten, sich nicht in der heimischen Kirche das Ja-Wort zu geben. Und sei es, dass die Hochzeitskirche vom Ehegericht bestimmt wurde.

5. Mai – Baumgartner, Hans Heinrich, Weiach, mit Meierhofer, Elisabeth, Weiach (StAZH TAI 1.741 (Teil 1); StadtAZH VIII.C. 7., EDB 2467)   

10. Mai  Baumgartner, Hans Heinrich, Weiach, mit Meier, Elisabeth, Weiach (StAZH E III 136.2, EDB 145); vgl. WeiachBlog Nr. 2097, 10. Mai 2024.

Bei diesen beiden Einträgen handelt es mutmasslich um dasselbe Ehepaar. Welcher Pfarrer sich beim Namen der Braut trumpiert hat, das wäre noch zu eruieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler dem Pfarrer im Stadtzürcher Grossmünster unterlaufen ist, wäre höher, da die beiden für ihn ja Fremde waren. Beim Bräutigam steht im Grossmünster-Eintrag der Vermerk «Cop. f. h. 6.», was wohl «Copulatum fuit hora sexta» bedeutet, also eine schlichte Zeremonie am frühen Morgen zwischen 6 und 7 ohne Gottesdienst. Fünf Tage später notierte auch der Weiacher Pfarrer die eheliche Verbindung in sein eigenes Kirchenbuch.

7. Juli  Baumgartner, Felix, Weiach, mit Schneider, Anna, Rorbas (StAZH E III 136.2, EDB 146).

Hier hat der Weiacher Pfarrer notiert, der Bräutigam sei ein «viduus», also verwitwet. Bei der Braut, die ja nun in seine Gemeinde zog, vermerkte Pfr. Wiser (wie schon bei Barbara Albrecht aus Stadel) das Geburtsdatum: «nata 1739, 15. 8bris» (15. Oktober). Anna war zu diesem Zeitpunkt somit 34 Jahre alt.

26. Juli – Bersinger, Matthias, Weiach, mit Engelhard, Verena, Neerach (StAZH E III 136.2, EDB 147).

Der Juli 1774 war in Sachen Heiraten in Weiacher Kirche offensichtlich der Monat der Witwer. Auch bei diesem Bräutigam steht der laut Datenbank der Zusatzvermerk «viduus». Bei Verena das Geburtsdatum: «nata 1729, 13. 9bris» (13. November); ergo 44-jährig.

13. September – Trüllinger, Abraham, Weiach, mit Meierhofer, Maria, Weiach (StAZH E III 136.2, EDB 148)

Keine Bemerkungen des Weiacher Pfarrers nötig, da (wie im Januar) eine rein gemeindeinterne Angelegenheit und regulär in der eigenen Kirche abgewickelt.

10. Oktober  Hauser, Heinrich, Stadel, mit Bersinger, Verena, Weiach (StAZH TAI 1.741 (Teil 1); StadtAZH VIII.C. 7., EDB 2586 sowie E III 114.2, EDB 369).

Schon die zweite Ehe mit Weiacher Beteiligung, die in diesem Jahr im Grossmünster geschlossen wurde. Zusatzvermerk: «Cop. f. h. 7.», also ebenfalls frühmorgens ohne Zeremoniell. Auch dieser 10. Oktober war übrigens ein Montag. Im Band VIII.C.7 des Grossmünsters wird der Name der Frau als «Bertschinger» verschrieben. Und im Stadler Ehebuch fehlt die Angabe, dass die Braut aus Weiach stammt.

24. Oktober  Baumgartner, Heinrich, Weiach, mit Weidmann, Anna, Mulflen (Bachs) (StAZH TAI 1.741 (Teil 1); StadtAZH VIII.C. 7., EDB 2594) und 26. Oktober: (StAZH E III 136.2, EDB 149)

Exakt zwei Wochen später, montags, wieder mit Vermerk «Cop. f. h. 7.», erfolgt im (oder beim?) Grossmünster die dritte Trauung dieses Jahres mit Weiacher Beteiligung. Bei der Braut ist das Geburtsdatum («nata 1738, 6. Mz.») notiert, sowie der Umstand, dass sie «gravida», d.h. schwanger war.

13. Dezember – Willi, Heinrich, Weiach, mit Heller, Verena, Wil (StAZH E III 136.2, EDB 150).

Als letzte Trauung des Jahres 1774 liess sich ein Weiacher Amtsträger, der Weibel Heinrich Willi, mit einer sehr jungen Frau aus dem Rafzerfeld trauen. Bei ihr vermerkte unser Pfarrer nicht das Geburts-, sondern das Taufdatum: «[bapt.] 1755, 28. Junii».

[Veröffentlicht am 16. September 2025 um 04:37 MESZ]

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Im Markgrafenland gedient – für die Heirat nach Hause

Wenn man am selben Tag heiratet, dann kann man sich die Kosten für die Hochzeitsfeier teilen. So dachten wohl vor 300 Jahren auch die Brüder Konrad und Josua Walder aus Glattfelden, als sie ihre Vermählung planten und zusammen mit dem Pfarrherrn auf den 12. Dezember 1724 festsetzten.

Der Glattfelder Pfarrer trug die beiden Trauungen denn auch gleich untereinander in sein Tauf-, Ehe- und Totenbuch ein, sodass sie heute in der Ehe-Datenbank des Staatsarchivs ebenfalls benachbart sind:

«Walder, Konrad, Glattfelden, getraut mit Frei, Verena, Glattfelden, "beyde von hier, in der Stocki".» (StAZH E III 43.2, EDB 274)

«Walder, Josua, Glattfelden, getraut mit Meierhofer, Regula, Weiach.» Dahinter zur Erklärung notiert: «sind Brüder, u. hat diser [Josua] im Margraafenland und s[ein]e Lebensgesellin auch daselbst gedienet.» (StAZH E III 43.2, EDB 275)

«eod.» steht für eodem die, also am selben Tag.

Arbeiten in der Fremde

Josua und Regula mussten also ihren Lebensunterhalt als Gastarbeiter verdienen. Arbeit hatten sie im Markgrafenland gefunden, einer Gegend im südwestlichen Teil des Schwarzwaldes, bekannt durch ihren ausgezeichneten Weinbau. (Meyer's Konversationslexikon 1888)  

Die Markgrafen förderten diesen Wirtschaftszweig, der durch die klimatischen Bedingungen am Oberrheingraben und die guten Böden seit Jahrhunderten floriert und die Markgräfler-Weine auch als Exportprodukt erfolgreich machte.


Karte des Markgräflerlandes. «R» steht für die ehemalige Herrschaft Rötteln, «B» für die Herrschaft Badenweiler, die seit 1444 unter gemeinsamer Oberhoheit standen. (Quelle: Wikimedia Commons; User:Furfur)

«Am 1. Juni 1556 schloss sich der Markgraf und damit auch seine Untertanen der Reformation an. Das Markgräflerland bezeichnete schließlich alle rechtsrheinischen, protestantischen Ortschaften am Westhang des Schwarzwaldes zwischen Freiburg und Basel. Beim Zukauf der Gemarkung Gersbach vom katholischen Vorderösterreich musste die Bevölkerung daher zur evangelischen Konfession wechseln.» (Quelle: Wikipedia-Artikel Müllheim im Markgräflerland, Abschnitt Markgrafschaft Baden

Folge des Augsburger Religionsfriedens

Dieser Umstand erklärt auch, weshalb das reformierte Zürich keine grösseren Bedenken hatte, seine Bürger auf dieser rechtgläubigen Insel mitten im sonst stramm römisch-katholischen habsburgischen Vorderösterreich arbeiten zu lassen.

Seit dem sogenannten Augsburger Reichs- und Religionsfrieden vom 25. September 1555 wurde denjenigen Fürsten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die sich zu den Anhängern der Confessio Augustana (eines Bekenntnistextes der lutherischen Reichsstände) zählten, ihre Besitzstände und ihr Recht auf freie Religionsausübung in ihrem Herrschaftsbereich garantiert. Der Fürst bestimmte nach dieser Regel die Konfession seiner Untertanen. Erst 1612 (nach anderen Quellen schon) prägte Joachim Stephani, ein norddeutscher Rechtsgelehrter, für dieses Phänomen die einprägsame Formel «Cuius regio, eius religio».

[Veröffentlicht am 13. August 2025 um 23:05 MESZ]

Montag, 9. Dezember 2024

Das Sechspfarrerjahr 1566

Ein Dreikaiserjahr erlebten die Untertanen des Deutschen Reichs 1888, Dreipäpstejahre waren auf dem Stuhl Petri keine Seltenheit (letztmals 1978) und 1276 verzeichnete die katholische Christenheit gar ein Vierpäpstejahr.

Weiach toppt das alles locker. Unsere Vorfahren mussten 1566 nämlich als Sechspfarrerjahr abbuchen. Weshalb? In der Stadt Chur war die Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr hoch, an der Pest zu sterben. Und auch sonst war das Leben damals durchaus nicht ungefährlich. 

Nach kurzer Zeit wegbefördert

Aber im Gegensatz zu den obgenannten Fällen hochgestellter Herren und auch den zwei Vierkaiserjahren der Römerzeit (69 und 193 n. Chr.) kam kein einziger dieser sechs Pfarrer bei uns ums Leben. Sie wurden alle durch den Zürcher Rat, der sie eingesetzt hatte, bereits nach wenigen Wochen auf eine andere Stelle verschoben.

Das Jahr 1566 zeigt besonders eindrücklich, wie damals unsere Pfarrstelle sozusagen als erste Bewährungsprobe für junge Absolventen angesehen wurde. Fünf dieser sechs wurden im selben Jahr 1566 als Pfarrer ordiniert. Und Weiach war ihre erste Pfarrstelle überhaupt. 

Im Telegramm-Stil des älteren der beiden gedruckten Zürcher Pfarrerverzeichnisse, dem Etat von 1890, liest sich die Abfolge so:

1565. Jesaias Wecker, ordin. 65.  Er wurde Pfr. in Kirchberg (St. Gl.), später in Wytikon.

1566. Leonhard Hofmeister, ordin. 66.  Er wurde Diakon in Stein, 67 Pfr. in Steckborn, später in Männedorf.

1566. Joh. Wilhelm Brennwald, geb. 42, ordin. 66, Sohn des Schaffners Jost B. in Embrach.  Er wurde Diakon zu Kappel.

1566. Rudolf Bräm v. Zürich, geb. 40, ordin. 66.  Er wurde Diakon zu Küsnacht.

1566. Kaspar Zurlinden v. Zürich, geb. 41, ordin. 66.  Er kam nach Hombrechtikon.

1566. Georg Boßhardt v. Zürich, geb. 40, ordin. 66.  Er wurde Pfr. in Balgach (St. Gl.) später in Niederhasle.

Nach der Weiacher Pfarrerzählung WPZ24 sind das die Nummern 36 bis 41.

Aus anderen Quellen wissen wir, dass Wecker (auch Wegger geschrieben) vom Zürcher Rat am 13. März 1566 auf die Stelle im Untertoggenburg gewählt wurde. Und weiter, dass Zurlinden im Dezember 1566 nach Hombrechtikon kam. Also sechs Amtsträger in rund neun Monaten.

Miserabler Praktikantenlohn

Dass keiner länger als unbedingt nötig Pfarrer für die Weiacher bleiben wollte, hatte einen einfachen Grund: Schlechter bezahlt war kaum eine andere Pfarrstelle im Zürcher Gebiet. 

Die Jahresbesoldung aus der Staatskasse betrug gerade einmal 10 Gulden! Davon konnte man selbst als Einzelperson kaum überleben. Und ein Pfarrhaus gab es in diesen ersten Jahren nach der Reformation in Weiach auch noch nicht.

Eine Stelle als Assistenzpfarrer (Diakon), wie sie Hofmeister, Brennwald und Bräm erhielten, war offensichtlich einiges besser dotiert.

Quelle

  • Wirz, K.: Etat des Zürcher Ministeriums von der Reformation bis zur Gegenwart. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen zusammengestellt und nach Kirchgemeinden geordnet. Zürich 1890 – S. 197.

Sonntag, 8. Dezember 2024

Verrauchter Kirchenraum kommt teuer zu stehen

Die Reformierten hätten «kilchen glych den rossställen». So oder ähnlich tönten katholische Schmähreden im ersten und zweiten Jahrhundert nach der Reformation. 

Vielleicht sprach aus solchen spitzen Bemerkungen auch ganz einfach der bare Neid. Denn wenn man nur glatte weisse Wände hat, ohne jegliche Verzierung, dann ist auch die Renovation ähnlich billig wie das regelmässige Kalken der Wände von Viehställen. 

In aufwändig verzierten und opulent mit Malereien ausgestatteten Kirchen geht das nicht. Da wird eine Renovation schnell zur superteuren Restauration oder führt gleich zu einer kompletten Neugestaltung. Wenn man berücksichtigt, dass in katholischen Kirchen wesentlich häufiger Kerzen brennen, dann schlägt sich pro Zeiteinheit auch viel mehr Russ an den Wänden nieder.

Exakteste Reinigungsarbeit erforderlich

Ganz so teuer wurde es in der evangelisch-reformierten Weiacher Kirche bei der letzten Renovation 2019/2020 nicht. Denn die Innenwände präsentieren sich so schlicht, wie es das zwinglianische Glaubensbekenntnis verlangt. Mit einer einzigen Ausnahme: dem Bibelzitat (Jer 17, 12-14) an der Nordwestmauer. Gemalt im April 1968 von Otto Rüger.

Im Bild sieht man die Initiale E im Verlauf der Arbeiten. Die beauftragte Firma Fontana tastete Rügers Werk nicht an. Ihre Spezialistin entfernte in minutiöser Präzisionsarbeit den Schmutz, der sich in einem halben Jahrhundert auf den weissen Stellen rundherum festgesetzt hatte.

Quelle

  • Aufnahme Gregor Trachsel, 29. April 2020, 09:10 (IMG_7598.jpg).

Freitag, 6. Dezember 2024

Für die 7. und 8. Klasse doch lieber keine Ganzjahrschule

«Mitbürger! Gemäß Beschluß des Kantonsrates unterbreiten wir Euch ein Gesetz betreffend die Volksschule zur Abstimmung. Wir laden Euch ein, diese Vorlage zu prüfen und am Abstimmungstage, Sonntags den 11. Juni 1899, Euere Stimme über Annahme oder Verwerfung derselben auf den Euch zuzustellenden Stimmzeddeln mit Ja oder Nein abzugeben.»

Mit diesen Worten richtete sich die Zürcher Regierung vor 125 Jahren via das kantonale Amtsblatt an den Souverän. Das Amtsblatt konnte man in den ehaften Wirtschaften (d.h. in Weiach im Gasthof zum «Sternen»), aber auch auf der Gemeinderatskanzlei einsehen.


Ausdehnung der Schulpflicht auf 8 Jahre? Nein, danke!

Die Abstimmung vom 11. Juni 1899 zum Gesetz über die Volksschule ging in Weiach eindeutig gegen die Vorlage aus. Eine längere Schulpflicht wollte nur etwas mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten. Und nicht etwa nur ein Drittel der Abstimmenden:

Weiach zählte 147 Stimmzettel aus (gültig: 145; leer: 2; ungültig: 0). Und ermittelte das folgende Resultat: 35.17 % Ja, 64.83 % Nein bei sagenhaften 98.00 % Stimmbeteiligung (!).  (ABl. 1899, S. 692)

Dieses Gesetz betreffend die Volksschule vom 11. Juni 1899 – Signatur: StAZH OS 25 (S. 394-411) – wurde allerdings von einer Mehrheit aller zürcherischen Stimmenden angenommen, bei rund 38 % Nein-Stimmen. Es war übrigens erstaunlich langlebig, weil revisionsfähig. Erst mit dem Volksschulgesetz (VSG) vom 7. Februar 2005 (der heute gültigen Rechtsgrundlage) wurde es aufgehoben.

Option für die oberen Klassen: «Schule light» im Sommer 

Auch Weiach hatte sich mit der neuen Situation zu arrangieren, dass die durchaus schon voll im landwirtschaftlichen Arbeitsablauf integrierten Jugendlichen länger die Schulbank drücken mussten.

Die Gemeinden konnte aber die Anzahl Schulstunden im Sommerhalbjahr auf das gesetzliche Minimum plafonieren: weniger als 20 % der Stunden. Dieses Modell nannte man damals «Winterschule (obwohl technisch gesehen auch im Sommer Unterricht light stattfand).

Im Amtlichen Schulblatt des Kantons Zürich vom 1. Januar 1900 war auf S. 1 die Regelung zur Erinnerung abgedruckt:

«§ 14 des Gesetzes betreffend die Volksschule vom 11. Juni 1899 lautet: „Die Schulpflicht dauert acht Jahre und zwar bis zum Schlusse desjenigen Schuljahres, in welchem der Schüler das 14. Altersjahr zurückgelegt hat. Durch Beschluss der Schulgemeinde kann im Sommerhalbjahr der wöchentliche Unterricht in der siebenten und achten Klasse auf acht Stunden, die auf zwei Vormittage zu verlegen sind, beschränkt werden. In diesem Falle soll das Winterhalbjahr mindestens 23 Wochen umfassen“.

Bis zum Ende des Jahres 1899 hatten sich gemäss § 86 des Volksschulgesetzes alle Gemeinden darüber schlüssig gemacht, ob sie für das siebente und achte Schuljahr täglichen Unterricht einführen oder von der in Lemma 2 des oben zitirten § 14 gewährten Fakultät Gebrauch machen wollen.»

Die Tageszeitungen vermitteln eine Übersicht...

Entsprechend berichteten auch die Zeitungen über die Entscheide der Schulgemeinden. So die NZZ am 6. Dezember 1899:

«Zürich. Dem amtlichen Schulblatt entnehmen wir folgende weitere Zusammenstellung der Gemeinden, die für das siebente und das achte Schuljahr Ganzjahrschulen beschlossen: [...]  

Im Bezirk Dielsdorf führten ab 1900 nur Otelfingen und Affoltern bei Zürich (heute Zürich-Affoltern) eine Ganzjahrschule. Alle anderen Schulgemeinden hatten Winterschulen beschlossen. Neben Weiach sind sämtliche Nachbarn aufgeführt: Bachs, Thal-Bachs, Eglisau, Glattfelden, Raat, Stadel und Windlach. Auch Neerach und Riedt hatten sich für dieses Modell entschieden. 


... das Amtliche Schulblatt bringt die Statistik

Man sieht hier sozusagen auf einen Blick, wie stark landwirtschaftlich-konservativ gesinnt die nördlichen Bezirke Andelfingen, Bülach und Dielsdorf damals noch waren. Der Kontrast zu den Zürcher Oberländern könnte nicht ausgeprägter sein (Amtl. Schulblatt, 1900, Nr. 1, S. 4):

Sinneswandel anfangs der 1920er-Jahre

Weniger als ein Vierteljahrhundert später sah die Weiacher Schulgemeindeversammlung die Sache dann etwas progressiver, wie Walter Zollinger in einem seiner Notizhefte festgehalten hat:

«Gmdevers. 25.4.22 [od. «.6.»?, überschrieben] über Stdplanänderung 7.8. Kl. Anwesend 81, Ja 50, Nein 30, leer 1.  (es ging darum, die 7.8. Kl., statt nur 2 x [nachträglich eingefügt: «im Sommer»] pro Woche, neu: jeden Vorm. zur Schule zu schicken, ganzjährig dafür.»

Auch das war natürlich noch keine Vollzeitschule, da lediglich die bisher schulfreien Vormittage dazukamen. Aber immerhin: im Sommer ergab das eine Verdreifachung der Unterrichtszeit.

Quellen

  • Amtsblatt des Kantons Zürich, 1899, u.a. S. 692.
  • Neue Zürcher Zeitung, Nummer 338, 6. Dezember 1899, Erstes Abendblatt – S. 1-2.
  • VII. und VIII. Schuljahr. In: Amtliches Schulblatt des Kantons Zürich, XV. Jahrgang. Nr. 1, 1. Januar 1900 – S. 1.
  • Statistische Übersicht der Gemeinden des Kantons mit Ganzjahr- und Winterschulen sowie der Zahl der dieselben besuchenden Schüler. In: Amtliches Schulblatt des Kantons Zürich, XV. Jahrgang. Nr. 1, 1. Januar 1900 – S. 4.
  • Zollinger, W.: Notizen zur "Geschichte des Unterländer Dorfes Weiach". Sog. «Schulheft I» (auch: «Zgr. I.»), paginiert, undatiert. Archiv des Ortsmuseums Weiach – S. 15.
[Veröffentlicht am 15. September 2025 um 23:15  MESZ]

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Budgetversammlung: Des öffentlichen Schaukampfs zweite Auflage

Heute vor einem Jahr wurden auf diesem Blog die Differenzen zwischen RPK und Gemeinderat bezüglich des diesjährigen Budgets beleuchtet (vgl. WeiachBlog Nr. 2018).

Die weitestgehende Absenz von Budgetkritikern an der Gemeindeversammlung vom 7. Dezember 2023 hat dann zuverlässig dazu geführt, dass der Gemeinderat mit seiner Auffassung, man dürfe auch auf Vorrat Steuern erheben, um das Budget mittelfristig ausgeglichen zu gestalten, per Handmehr in der Versammlung durchgedrungen ist.

Der diesjährige Abschied der RPK zum Budget ist sozusagen eine Neuauflage, ein ceterum censeo, was das beim Bundesgericht zu Lausanne schlummernde Infrastrukturprojekt betrifft. Die RPK lehnt zwar das Budget 2025 nicht in globo ab, macht aber erneut zwei Anträge, um die Diskussion an der Versammlung anzukurbeln:

«Das Budget wird einstimmig unter Berücksichtigung der untenstehenden Änderungsanträge verabschiedet und der Gemeindeversammlung zur Annahme empfohlen.

Änderungsantrag 1: Vollständige Streichung des Betrages über CHF 5'000'000.00 der Budgetposition 5040.04, Gemeindeinfrastrukturprojekt

o Begründung: Ein Budget hat die Ist-Situation im kommenden Jahr abzubilden. Da der Abstimmungsentscheid vor dem Bundesgericht hängig ist, ist mit einem Baustart 2025 nicht zu rechnen. Damit werden auch keine Mittel benötigt und deshalb ist die Budgetposition zu streichen.

Änderungsantrag 2: Rückabwicklung der Steuererhöhung von 67% auf 73% wieder auf 67%

o Begründung: Die Steuererhöhung auf Vorrat war weder notwendig (Asylantenunterkunft von CHF 400'000.00 ist nicht gebaut worden), noch erlaubt (Art. 92, Abs. 1 Gemeindegesetz des Kantons Zürich) und deshalb ist der Steuersatz wieder auf 67% zu senken. Es können trotzdem noch 140'000.00 in die finanzpolitische Reserve eingebracht werden.»

Ebenso sicher wie das Amen in der Kirche war natürlich, dass sich die Rechtsauffassung des Gemeinderates ebenfalls um kein Iota verändert hat.

Da von einer fristgerechten Beschwerde gegen den Beleuchtenden Bericht nichts bekannt ist – und nur dieses Vorgehen auf dem Rechtsweg würde zur Klärung der Frage führen, wer von beiden denn nun tatsächlich im Recht ist – wird sich heute Abend wohl lediglich eine Neuauflage des Schaukampfes zwischen dem Gemeindepräsidenten und dem Präsidenten der RPK abspielen. 

Amüsant, ärgerlich, wie auch immer man das Spektakel dann einstufen will. Nur halt nicht wirklich zielführend. Im Gegenteil. Doch dazu mehr am morgigen Samichlaustag.

Finanzunterlagen auf den letzten Drücker vorgelegt

Eine andere Beobachtung im Zusammenhang mit dieser Budgetversammlung soll hier noch Erwähnung finden. 

Da hat doch die Gemeindeverwaltung die amtliche Publikation des Budgets 2025 samt Beleuchtendem Bericht erst auf den letzten Drücker hinbekommen: am 21. November um exakt 10:00 Uhr, d.h. wenige Stunden vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von zwei Wochen! 

Immerhin so, dass die Stimmberechtigten, die den Newsletter abonniert haben, das auch mitbekommen haben. Die Push-Benachrichtigung funktioniert. Aber man fragt sich schon, weshalb das nicht speditiver ging. Warum man dem Souverän nicht mehr Zeit lässt, um sich das Budget genauer anzusehen.

Eine Spurensuche beim Präsidenten RPK ergibt: 

Der Gemeindeschreiber forderte eine Antwort per spätestens 4. November 2024 abends. Und erhielt den Beschluss von der RPK auch fristgerecht. 

Dann schaute er sich das Protokoll der RPK-Sitzung aber offenbar nicht an, merkte daher erst eine Woche später, dass der RPK-Aktuar den Titel des Traktandums 2 «Beschlussfassung Budget 2024» (noch vom Vorjahr her) auf «Beschlussfassung Budget 2025» zu ändern vergessen hatte.

Am 12. November monierte jedenfalls die Gemeindeverwaltung besagten Fehler bei der RPK, den diese am 13. durch Einreichung eines korrigierten Protokolls richtigstellte. 

Daraus kann man jetzt folgendes Fazit ziehen:

Die Stimmberechtigten hätten die entscheidenden Unterlagen für die Gemeindeversammlung von heute Abend also eigentlich bereits vor vier Wochen erhalten können! Oder zumindest vor drei Wochen erhalten sollen. Denn was hat bitteschön höhere Priorität als die Bedenkzeit des Souveräns?

Eigentlich möchte ich die Frage nicht stellen, ob der Finanzvorstand dem Gemeindeschreiber den Auftrag erteilt hat, dem Souverän möglichst wenig Zeit zu lassen, um die Unterlagen zu sichten. Sie drängt sich aber leider ob dieser Art von Fristenlösung mit Macht in den Vordergrund.

Samstag, 30. November 2024

Der Tod in nächster Nähe ist der beste Impfluencer

Wer nicht dran glauben will, der muss schon daran glauben wollen! Und sei es mit dem eigenen Portemonnaie. Gemeint ist die Impfung und die ihr zugeschriebene Wirkung. 

Nein, die Rede ist nicht von Corona. Hier geht es um einen anderen Fall von medizinbehördlichem Nudging, der sich vor 200 Jahren abgespielt hat.

Damals ging es um eine «Kinderblattern» genannte Krankheit. Hohe Infektiosität und Letalität zeichnen sie aus. Aber: Sie kann nur durch den Menschen weitergegeben werden. Es handelt sich um die seit 1979 weltweit erfolgreich ausgerotteten Pocken (Erreger: Orthopox variolae).

Sanitäts-Collegium trifft alle nöthigen Policey-Maßnahmen

«Die Pocken zeigten sich im letzten Jahre [1823] nirgends im Kanton, hingegen wurden 4897. Kinder geimpft, und dazu an Unterstützungen 1704. Frk[en]. ausgegeben.» (Jahresbericht des Sanitäts-Collegii, 29. Juni 1824, S. 28; StAZH MM 1.88 RRB 1824/0608)

Im darauffolgenden Jahr sah das schon ganz anders aus:

«Von der Pockenkrankheit zeigten sich, aus dem Vorarlbergischen durch Ansteckung eingebracht, an einigen Orten in unserm Kanton Spuren, die aber, Dank der ausgebreiteten Vaccination, nirgends um sich griffen. Das Sanitäts-Collegium traf für diese Fälle selbst alle nöthigen Policey-Maßnahmen, bestrebte sich aber, durch die bey dem Publikum vermehrte Besorgniß erscheinender Gefahr unterstützt, mit gutem Erfolge dem erprobten Schutzmittel eine allgemeinere Anwendung zu verschaffen. Es wurden daher auch in diesem Jahre 5434. Impfungen vorgenommen, und hingegen der Starrsinn und Eigenwillen eines Vaters von zehn Kindern, welcher sich derselben widersetzte, zu abschreckender Warnung öffentlich bekannt gemacht.» (Jahresbericht des Sanitäts-Collegii. 17. Mai 1825, S. 67; StAZH MM 1.91 RRB 1825/0365)

Vor 200 Jahren forderte die Krankheit noch Opfer...

Die Zentralbibliothek Zürich twitterte dazu vor anderthalb Jahren: «Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Pocken in Europa weit verbreitet und etwa 10 % der Infizierten starben. Als sie im Winter 1824 im Kanton Zürich ausbrachen, versuchte die Regierung, die Bevölkerung von der Pockenimpfung zu überzeugen.» (ZBZ, 18. Mai 2022, 14:00)

Diese Impfung gab es damals bereits seit rund 25 Jahren und etliche Staaten (u.a. das Königreich Dänemark) hatten bereits eine Impfpflicht eingeführt. Im nach der Helvetik und Mediationszeit 1815 wieder unabhängig gewordenen Zürcher Stadtstaat war das nicht der Fall. Bei uns versuchte die Regierung, die Untertanen per Flugblatt zu überzeugen:

... aber offensichtlich nicht genug für eine Impfung

Dazu schreibt die ZBZ: «Der hier vorgestellte Impfaufruf wurde im Winter 1825 als Flugblatt an die Bevölkerung verteilt. In der Pockenwelle 1825/26 erkrankten 125 Menschen, von denen 24 verstarben.» (ZBZ, 18. Mai 2022 14:01)

Zum Vergleich: Umgerechnet auf die heute im Kanton ansässigen 1.6 Mio. Einwohnern wären das rund 1000 Erkrankte, wovon 200 sterben würden.

1793 zählten die Kirchgemeinden des Stadtstaates Zürich rund 182'000 Einwohner (mit Stein am Rhein, Dörflingen (heute SH), Basadingen, Schlattingen (heute TG), sowie Sax, Sennwald und Salez im heutigen St. Galler Rheintal; den Freiämtler Gemeinden (heute AG) sowie Tegerfelden und Zurzach im ebenfalls aargauischen Studenland). [Quelle: MagPhysPolitZEuropKol 1793]

1850 waren es (bei verkleinertem Gebiet; nur Rheinau, Hüttikon, Dietikon, Schlieren und Urdorf kamen 1803 dazu) erst rund 251'000 Einwohner. [Quelle: e-HLS Artikel Zürich (Kanton)]

Kuhpocken machen Bauernfamilien immun

Bei solchen Infiziertenzahlen kann man sich in etwa vorstellen, wie eifrig die Zürcherinnen und Zürcher sich haben impfen lassen. Es gab ja noch etliche andere Seuchen, an denen man zu Tode kommen konnte. Viele vertrauten überdies auf ihre natürlich erworbene Immunität, zumal auf dem Land, wo man sich in der Regel durch die Kuhpocken für genügend geschützt hielt. Dasselbe Kuhpockenvirus, das seit 1799 für die Schutzimpfung genutzt wurde. Denn der Erreger der Kuhpocken, Orthopox vaccinia, ist ein enger Verwandter des Variola-Virus, das den schweren Verlauf beim Menschen verursacht. Wer von ihm (bspw. beim Melken der Kühe an deren Euterblattern) infiziert wurde, war in der Regel auch gegen die Menschenpocken-Viren immun.

Ungeimpfte zahlen für ihren eigenen Lockdown

Was im Winter 1824 begonnen hatte, das war im Frühling 1826 noch nicht vorbei. Im Kanton Luzern griffen die Behörden in Beromünster und Aesch jedenfalls knallhart durch, wie man der damals nur zweimal wöchentlich (am Mittwoch und am Samstag auf je vier Seiten) erscheinenden NZZ entnehmen konnte:

«Die Häuser worin Pockenkranke sind, sollen in Bann gelegt, das will sagen, mit Wache versehen werden, die jede Gemeinschaft mit deren Bewohnern hindere; dazu können Landjäger oder in deren Ermanglung andere tüchtige Leute gebraucht werden. Die daherigen Kosten fallen ausschließlich auf jene Hausväter, in deren Wohnungen die Pocken herrschen.» (Neue Zürcher-Zeitung, Nro. 24, Sonnabend den 25. März 1826, S. 93; Titelseite) 

Die Luzerner Obrigkeit liess also die Häuser von Pockenkranken polizeilich bewachen und überband die Kosten dafür dem Haushaltsvorstand! Ob das im Kanton Zürich auch so gehandhabt wurde, habe ich bislang nicht herausgefunden. Aber auch in Weyach wurde eine «strenge Eingränzung» verfügt, wie man der darauffolgenden NZZ-Ausgabe entnehmen kann.

Weyach 1826: Durchschlagender Impferfolg

Die Zürcher Obrigkeit hat es nicht unterlassen, einen wohl so nicht erwarteten Impfkampagnen-Erfolg im März 1826 über die Zeitungen verbreiten zu lassen:

«Zur Fortsetzung der von Zeit zu Zeit mitgetheilten warnenden Pockenberichte, entheben wir einem bezirksärztlichen Bericht vom 25. März, die nachfolgenden Angaben aus dem ansehnlichen Pfarrdorfe Weyach, im Zürcherschen Oberamt Regensberg. Von drey Blatternkranken, die durch Einbringung der Seuche angesteckt wurden und die nie geimpft waren, starben zwey erwachsene Personen; fünf ungeimpfte Kinder im nämlichen Haus wurden nun zwar alsbald geimpft, aber die Ansteckung der natürlichen Blattern war vorausgegangen und sie wurden von diesen befallen. Durch zweckmäßige Verfügungen und schnell veranstaltete Schutzpockenimpfungen ist die weitere Verbreitung der Krankheit verhütet worden. Weder Eltern noch Geschwister durften die Verstorbenen zum Grabe geleiten und stark blatternnarbige Männer haben ihre Särge getragen. Die strenge Eingränzung der Häuser, in denen die Pockenkranken wohnten und der schnelle Tod zweyer Erwachsener Personen durch die Pocken, haben viele ungläubige Haushaltungen in gläubige verwandelt; alles nahm nun eilige Zuflucht zum Impfen, und nicht nur Minderjährige wurden dem Impfarzt gebracht, sondern es meldeten sich auch halb und ganz Erwachsene, selbst verehlichte Personen, so daß in kurzer Zeit 77 Angehörige dieser Gemeinde geimpft worden sind.» (Neue Zürcher-Zeitung, Nro. 25, Mittwoch den 29. März 1826, S. 98)

Die NZZ war stramm auf Regierungslinie

In der Disziplin des regierungstreuen Verlautbarungsjournalismus musste die 1780 gegründete NZZ schon immer gut sein. Bei einer Zeitung, die im Hinrichtungsjahr des Schwirbelkopfes Pfr. Johann Heinrich Waser gegründet wurde, gehört das sozusagen zur Grundausstattung der Blattlinie. Als Überlebensprogramm war das auch in der Restaurationszeit des Biedermann die angesagte Strategie.

Interessant ist die Beschreibung der stark blatternnarbigen Sargträger. Das waren also Personen, die bereits an Pocken erkrankt waren und diese überlebt hatten, wie man ihren vernarbten Gesichtern, etc. angesehen hat. Hier setzte man also auf natürliche Immunität.

Das behördliche Narrativ setzt primär bei den Ungeimpften an: Drei erkrankten an den Pocken und zwei starben. Die hohe Todesrate von 2/3 habe – so wird insinuiert – ihre Wirkung nicht verfehlt. Wenn hier die Verehelichten speziell genannt werden, dann deshalb, weil diese im Schnitt schon länger erwachsen waren, da man für die Heiratserlaubnis genügend Vermögen vorweisen musste.

Elf Prozent aller Weycher neu geimpft

Die Behörden wollten das offensichtlich als Erfolg verkauft wissen. Nicht erwähnt wird, wieviele Weiacherinnen und Weiacher schon gegen Pocken geimpft waren. 

Die damaligen Einwohnerzahlen für Weyach: 1824 – 671; 1827 – 700. Das waren also um die 11 Prozent, die sich in Weiach allein durch dieses Ereignis für eine Impfung entschieden haben. 

Viel oder wenig? Jedenfalls einmal ein Anlass für die Amtsärzte, die Propagandatrommel fürs Impfen zu rühren. Und die militärische Metapher ist hier durchaus angebracht. Denn im Bereich der Pocken sahen sich diejenigen Mediziner, die ans «Vaccinieren» glaubten, auf einem Feldzug. Was heute ja nicht ganz anders ist.

Propagandafeldzug, Anno 1804

Bereits 20 Jahre früher, also nur 5 Jahre (!) nach der Entwicklung der Pockenschutzimpfung, propagierte die Gesellschaft der Wundärzte auf dem Schwarzen Garten – eine Zürcher Ärztevereinigung – diese Neuerung, indem sie in Neujahrsblättern ein Lob aussprach auf «den klugen Hausvater und die vorurteilsfreie Hausmutter», die sich «mit der beruhigenden Überzeugung, das Beste gewählt zu haben» für eine Schutzpockenimpfung entschieden hätten.

In genanntem Neujahrsblatt war denn auch eine Stadtbürgerfamilie mit ihren Kindern abgebildet, die gerade geimpft worden waren und dafür ihr Blatterngeschenk (das Mädchen ein Bäbi, der Knabe ein Steckenpferd) erhalten. Dieses Geschenk schickten die Verwandten, wenn die Kinder einer Familie die Blattern überstanden hatten. Nun, so die Ärztevereinigung, könne man seinen Kindern das alles ersparen: «Sie sind nicht schwach und kränkelnd, diese Kleinen; sie leiden an keinen üblen Folgen der Krankheit; ihre Gesichter sind nicht verunstaltet; ihre Augen haben keinen Schaden gelitten; sie können sogleich Freude haben an ihren Geschenken.» (zit. n. Blog Hauptbibliothek Universität Zürich, vgl. Literatur)

Für Risiken und Nebenwirkungen...?

Die Verkaufsargumente sind also ganz ähnlich den heutigen, Incentives inklusive. Trotzdem waren viele – besonders auf dem Land – höchst skeptisch. Denn allzu oft erlebten (und erleben) sie im täglichen Leben wie ihre Ärzte und Tierärzte im Nebel stochernd nach den Ursachen suchten, sie nicht wirklich fanden und dann allzu gerne ein Allheilmittel verschrieben haben. Von möglichen Impfschäden sprach von diesen Fortschrittsgläubigen dann natürlich auch kaum einer.

Quellen und weiterführende Literatur

  • [MagPhysPolitZEuropKol]: Magazin zur nähern Kenntniß des physischen und politischen Zustandes von Europa und dessen auswärtigen Kolonieen. 3,1/4. 1793/94 ## Bd. 3,2  No. 2, 1793.
  • Neue Zürcher Zeitung. Nro. 24, 25. März 1826, S. 93 Nro. 25, 29. März 1826, S. 98.
  • Suter, M. et al.: Zürich (Kanton). In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 24. August 2017.
  • N. N.: Die Anfänge der Pockenimpfung in Zürich. In: Blog der Hauptbibliothek der Universität Zürich, 14. Juni 2021
  • Tribelhorn, M.; Gerny, D.: Die Urangst vor der Impfung: «Früher fürchteten sich die Leute vor Menschen mit Kuhköpfen». In: Neue Zürcher Zeitung, 29. Oktober 2021.
  • Vivienne Kuster, V.; Häfliger, M., Loser, Ph.: Haben wir eine tiefe Impfquote, weil es uns zu gut geht? «Apropos» – der tägliche Podcast. In: Tages-Anzeiger Online, 8. November 2021.
  • Zentralbibliothek Zürich (Hrsg.): CitizenScience Projekt  Schul(zeit)reisen digital. Mehr erfahren: https://t.zbzuerich.ch/impfkampagne. Eine frühe Impfkampagne Arbeitsblatt (mit vollständiger Transkription der behördlichen Impfaufrufe) & Lehrpersonenunterlage (mit weiterführenden Links).
[Veröffentlicht am 1. September 2025 um 14:27 MESZ]

Donnerstag, 28. November 2024

Der Damast liegt oberhalb der mittleren Rebstrasse

In WeiachBlog Nr. 2009 steht zum Flurnamen «Damast» u.a.: «Die bislang älteste Nennung, die ich finden konnte, datiert auf das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der von Willi Baumgartner-Thut der Nachwelt zur Kenntnis gebrachte Plan des Rebstrassenprojekts (1909-1911) weist ihn in der heutigen Schreibweise auf.» Dabei wurde aber sowohl die Beigabe des Plans versäumt, aus dem die konkrete Verortung des Flurnamens «Damast» hervorgeht, als auch die Referenzierung der angesprochenen Unterlage unterlassen.

Wichtig ist das, weil eine Diskrepanz zwischen der Auffassung des Planes «Rebweganlagen Weiach» von 1908 und dem Flurnamenplan von Boesch von 1958 besteht. Gewährsmann für Prof. Boesch war mutmasslich der damalige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer.

Herr Professor, wo ist die Flur «Im Lee»?

Laut dem ein halbes Jahrhundert älteren Rebweganlagen-Plan ist der Damast ausschliesslich oberhalb der heutigen Leestrasse zu verorten. Und zwar vom Oberdorf her gesehen im Abschnitt zwischen der Verzweigung Winkelstr./Oberdorfstr. und der Einmündung des Rebwegs in die Trottenstrasse, was wiederum der horizontalen Ausdehnung nach Boesch entspricht. Am selben Abschnitt ist zwischen Trottenstrasse und Leestrasse der Flurname «Im Lee» eingezeichnet.

Baumgartner-Thut 2023, S. 39

Bei Boesch hingegen fehlt diese Flurbezeichnung «Im Lee» völlig (vgl. WeiachBlog Nr. 2009)! Nach seiner Auffassung umfasst die Flur Damast auch dieses Lee und ist damit rund doppelt so gross. Zollinger andererseits unterschlägt zwar in seiner Flurbezeichnungen-Liste die Flur Damast, führt dort jedoch den Namen «Im Lee» auf, mit der Erläuterung: «Hang zwischen unterer und mittlerer Rebstrasse» (vgl. Zollinger 1972, S. 88). Er folgt in diesem Punkt also dem Rebweganlagen-Plan.

Laut einer älteren Flurnamenliste im Ortsgeschichte-Ordner Pfister/Zollinger (Teil Zollinger, d. Vereinzelte) ist allerdings die Lage der Flur «im Lee» noch wie folgt beschrieben: «an mittl. Rebstr., wo Haus Pfenninger steht». Damit ist das 1962 von der Gebäudeversicherung mit Nr. 313 aufgenommene Haus Leestr. 23 gemeint. [Abschnitt ergänzt]

Man erkennt aus dieser kurzen Auslegeordnung erneut, wie fluide solche Flurnamen in der Landschaft sind. Und was die Wahl der Gewährsperson und/oder der Verzicht auf den systematischen Beizug bereits bestehender lokaler Pläne und Karten anrichten können.

Quellen und Literatur

  • Boesch, B.: Orts- und Flurnamen-Karte Gemeinde Weiach. Erfassungen der Jahre 1943-2000 (Signatur: StAZH O 471). Datenerfassung für Weiach durch Prof. Bruno Boesch mit dem Gewährsmann Alb. Meierhofer, 1958.
  • Zollinger, W.: Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. Rückentitel "Chronik Weiach", 1. Aufl. Weiach 1972, S. 88.
  • Baumgartner-Thut, W.: Der Rebberg von Weiach im 20. Jahrhundert. Weiach 2023. -- Reb- und Wiesland um 1910 gemäss Landabtretungstabelle, S. 4; Junge Obstbäume, S. 39 (Bild oben) sowie Rutschverbauung im Rebberg, S. 67.
  • Brandenberger, U.: Wie kam der Flurname «Damast» zustande? WeiachBlog Nr. 2009, 13. November 2023.

[Ergänzter Abschnitt und Korrekturen eingefügt am 23.12.2024; Bild und Bildlegende eingefügt am 22. April 2025]

Sonntag, 24. November 2024

Ein Völkchen von autobahnfreundlichen Vermietern?

Der Abstimmungssonntag war für einmal ein rein eidgenössischer. Keine kantonalen und keine kommunalen Vorlagen standen zur Entscheidung. Umso erstaunlicher ist der Service, den die Gemeindeverwaltung auf der offiziellen Website für die Stimmberechtigten bereitstellt. Es fehlen nur noch die Verlinkungen auf das Bundesblatt (BBl):

Eidgenössische Abstimmungsvorlagen:

1.    Bundesbeschluss vom 29. September 2023 über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen (BBl 2023 2302);

2.    Änderung vom 29. September 2023 des Obligationenrechts (Mietrecht: Untermiete) (BBl 2023 2288);

3.    Änderung vom 29. September 2023 des Obligationenrechts (Mietrecht: Kündigung wegen Eigenbedarfs) (BBl 2023 2291);

4.    Änderung vom 22. Dezember 2023 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) (Einheitliche Finanzierung der Leistungen) (BBl 2024 31).

Beim Thema Nationalstrassen ist im Unterland faktisch eine Einheitsfront für ein Ja zu verzeichnen, einzig das Städtchen Regensberg ist um Haaresbreite auf die Nein-Seite gekippt (94 Ja zu 96 Nein).

An der Eigenbedarfskündigung scheiden sich die Geister

Schaut man sich die Resultate im Gemeindevergleich an, dann wird deutlich, dass Weiach nicht zwingend konform geht mit anderen Unterländer Gemeinden. Besonders deutlich wird das beim Thema Mietrecht. Links die Ergebnisse der Vorlage 3 (Kündigung wegen Eigenbedarfs), rechts die der Vorlage 2 (Untermiete):

Bildquelle: https://app.statistik.zh.ch/wahlen_abstimmungen

Die Frage der Eigenbedarfskündigung bewegt die Stimmberechtigten wesentlich mehr als der Bereich Untermiete. Das zeigt sich deutlich am Umstand, dass viele in Sachen Untermiete noch befürwortende Gemeinden beim Eigenbedarf zu Nein-Mehrheiten gekippt sind.

In Weiach und seinen Nachbargemeinden hingegen sieht es so aus wie an der mittleren Goldküste. Man könnte fast meinen, im Unterland würden mehrheitlich Vermieter wohnen. Nachstehend die Weiacher Resultate:

Da die Prozentzahlen im offiziellen Protokoll nicht enthalten sind, seien sie hier nachgereicht:
  • Nationalstrassen: 63.03 % Ja
  • Mietrecht. Untermiete: 55.64 % Ja
  • Mietrecht. Kündigung wg. Eigenbedarfs: 54.68 % Ja
  • Einheitliche Finanzierung KVG-Leistungen: 56.45 % Ja

Schweizweit wurde übrigens nur die Vorlage 4 zur KVG-Finanzierung angenommen. Die drei anderen Vorlagen sind bachab geschickt worden.

Das Stimmlokal ist fast nur noch für Traditionsbewusste offen

Im oben erwähnten Regensberg liegt die Stimmbeteiligung bei rund 60 %. Das Kontrastprogramm findet man am Rheinufer. Gerade einmal rund 34 % der in Weiach Stimmberechtigen haben sich dazu bequemt, ihr Stimmrecht auch auszuüben, davon über 93 % mittels Briefwahl. Es lohnt sich fast nicht mehr, das Stimmlokal zu öffnen.

Die im Titel gestellte Frage ist natürlich eine recht rhetorische. Dennoch: Worauf sind diese Ja-Mehrheiten zurückzuführen? Hängen sie vor allem mit der bei uns schon notorischen Stimmabstinenz zusammen? Das ist durchaus möglich. Es kann gut sein, dass überproportional ältere, automobil habituierte Personen mit Wohneigentum ihr Stimmrecht wahrgenommen haben.

[Veröffentlicht am 17. August 2025 um 17:17]

Mittwoch, 20. November 2024

Si tacuisses... Vorlauter Gemeindepräsident

Manchmal ist es besser zu schweigen und gegenüber seinem Hofjournalisten kein Statement abzugeben. Denn hättest Du geschwiegen (so die Bedeutung des lateinischen Titelbeginns) wärst Du zwar nicht Philosoph geblieben (wie das geflügelte Wort im Original weitergeht), aber zumindest ein souveränerer Präsident, besserer Teamspieler und ausgefuchsterer künftiger Verhandler. 

Was ist vorgefallen? Gestern hat die Nagra unter erheblichen Begleitgeräuschen und Rascheln im Zeitungswald das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch für das Tiefenlager Nördlich Lägern beim Bundesrat eingereicht.

Die einen halten sich bedeckt... 

Astrit Abazi, seines Zeichens Journalist des Zürcher Unterländer, hat dazu am letzten Samstag in der Online-Ausgabe, am Montag auch in Print-Form einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel «Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region». Und fasst die Angelegenheit im Untertitel so zusammen: «Der Entscheid, wo das Lager für radioaktive Abfälle hinkommt, soll vors Volk. Das fordern Kritikerinnen und Kritiker. Die Standortgemeinden sehen es anders.» 

Liest man dann den Beitrag, dann sieht das allerdings so aus: Der Stadler Gemeindepräsident Schaltegger äussert sich zur Referendumsfrage nur indirekt und betont, der Gemeinderat werde die «spezifischen Interessen von Stadel» vertreten sowie «zeitnah und transparent» informieren. Abazi weiter: «Auch der Glattfelder Gemeindepräsident Marco Dindo möchte sich nicht dazu äussern.» 

Bei den politischen Exponenten unserer Nachbarn kann man da also nicht sagen, was sie denken. Ganz anders bei unserem eigenen Häuptling. 

... die andern fallen mit der Tür ins Haus

«Weiachs Gemeindepräsident Stefan Arnold wiederum macht klar: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.» Die politischen Behörden seien seit Jahren intensiv in den Prozess um das geologische Tiefenlager involviert worden. «Diese jahrelange, sachlich-kritische Auseinandersetzung mit allen relevanten Parteien und Organisationen basiert auf einer soliden Vertrauensbasis. Es gibt ein hohes Vertrauen in die bis heute involvierten Institutionen und in die unabhängige Prüfbehörde, welche den Prozess überwacht», sagt Arnold. [WeiachBlog: Er meint wohl das ENSI, eine Bundesstelle] 

Dass Gegner des Projekts ein Referendum ergreifen würden, sei klar gewesen, sagt Arnold. «Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, dass viele der Gegner grundsätzlich Bedenken gegenüber dem Konzept eines Tiefenlagers haben, ohne bisher konkrete und konstruktive Alternativvorschläge zu unterbreiten.» Das erschwert es, den Diskurs auf eine sachliche und lösungsorientierte Ebene zu bringen. Arnold betont ausserdem, dass erst jetzt überhaupt die Prüfung und die Machbarkelt eines Tiefenlagers am besagten Standort beginnen. «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten», sagt er. «Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»»

Kommentar WeiachBlog 

Angesichts dieses Zitatefüllhorns weiss der Kommentator kaum, wo er anfangen soll... 

O-Ton Abazi: «Die Standortgemeinden sehen es anders».

Wirklich? Herr Abazi, ist Monsieur Arnold der Mediensprecher der Tiefenlager-Gemeindepräsidentenkonferenz GlaStaWei? Vielleicht sind ja Schaltegger und Dindo ganz anderer Meinung.

Oder ist Weiach allein massgebend? Genauer gesagt: nur der Weiacher Gemeinderat? Wir wissen ja nicht einmal, ob es sich bei dieser Auffassung um einen Gemeinderatsbeschluss, oder zumindest einen begründeten Konsens der Gemeinderäte und -innen handelt. Oder ob das nur die Privatmeinung des Herrn Präsidenten ist.

Was ist der Wille des Volkes?

O-Ton Arnold 1: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.»

La commune, c'est moi? Hat der Präsident je einmal Anstalten gemacht, herauszufinden, wie die Weiacher in ihrer Gesamtheit darüber denken? Und da geht es nicht nur um die Stimmberechtigten.

Ein solches Stimmungsbild wäre für ihn als – selbsternannten? – Verhandlungsführer in der Entschädigungsfrage dann doch von grosser Bedeutung. Läge eine repräsentative Meinungsumfrage vor, dann ist es egal, ob sie zugunsten der Nagra oder gegen das Projekt ausfällt. In den Verhandlungen mit der Atomlobby kann man das so oder so in klingende Münze umsetzen. Sind die Leute mehrheitlich positiv, dann braucht es Finanzspritzen, damit das so bleibt. Sind sie negativ eingestellt, dann kann man darauf pochen, dass man den Ortsansässigen zumindest mit möglichst viel Geld den Schneid abkauft.

Wo läge das Problem, wenn die Stimmung so ist, wie vor der ersten NAGRA-Bohrung, als die Gemeindeversammlung am 17. September 1980 mit 104 gegen 2 Stimmen konsultativ gegen das Vorhaben war? Auch dann ist es nur eine Frage des Verhandlungsgeschicks, die Haut der Weycher so teuer wie möglich zu verkaufen. Denn wenn die Atomlobby eines nicht brauchen kann, dann sind es unschöne Bilder, die in die Stuben von Herrn und Frau Schweizer flimmern. Bilder mit einer ihr ablehnend gegenüberstehenden Lokalbevölkerung, die auf die Barrikaden geht. Ob dann Mistgabeln und Traktoren mit von der Partie sind oder nicht.

Ungelegte Eier, aber vorsorglich kräftig gackern? 

O-Ton Arnold 2: «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten. Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»
 
Richtig. Das wäre es. Und erst in ca. sechs Jahren werden wir wissen, wie ein allfälliges Referendum ausfällt. Es kann ja durchaus sein, dass bei den Hiesigen bis dahin aus Passivität offene Ablehnung wird. Oder die Technologieschiene sich in eine andere Richtung entwickelt hat, daran arbeiten ja u.a. die Chinesen mit Hochdruck (Stichwort: Vierte Generation and beyond). Wenn aus Abfällen begehrte Rohstoffe werden, dann redet von Verlochen kein Mensch mehr. 

Da fragt man sich erst recht, wieso der Herr Präsident bei dieser Ausgangslage überhaupt nur schon von einer Verhandlungsführung mit den Atömlern zu träumen begonnen hat. 

Das geneigte Publikum darf sich seinen Reim darauf selber machen.

Quelle
  • Abazi, A.: Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region. In: Zürcher Unterländer, 18. November 2024, S. 3.