Donnerstag, 31. Juli 2025

Geweihstange schickte Grüsse aus der Eiszeit

Kalt, nass, unfreundlich. Unter solchen Schlagworten muss man den diesjährigen Juli wohl abbuchen. Im Hochsommer vor 50 Jahren mag das Wetter wärmer und trockener gewesen sein. Trotzdem erlebte Weiach damals eine Überraschung der wahrlich arktischen Art.

Zeitungen quer durch die Schweiz berichteten darüber. Sogar die in St. Moritz verlegte Engadiner Post brachte mehr als nur eine Kurznotiz. Gefunden wurde nämlich das Bruchstück einer Geweihstange. Von einer Tierart, die wir heute nur noch in weit entfernten Landen antreffen können: einem nordamerikanischen Karibu oder einem nahen Verwandten.
 
Male caribou in Alaska.
Source: Dean Biggins (U.S. Fish and Wildlife Service) - US FWS, Division of public affairs, WO3772-023.

Nicht nur die Zeitungen fanden das höchst berichtenswert. Sogar die Kantonale Denkmalpflege (!) nahm den Fund in ihren 8. Jahresbericht auf:

Rentier-Geweihstangenfragment der ausgehenden Würmeiszeit 

Am 30. Juni 1975 erhielt das Paläontologische Institut und Museum der Universität Zürich von dipl. Ing. L. Schmid der Weiacher Kiesgrube AG [recte: Weiacher Kies AG] die Meldung, dass O. Zimmermann drei Tage vorher auf dem Förderband ein Stück einer Geweihstange entdeckt habe. Die Fundstelle liegt in der Kiesgrube Hardrütenen südlich der Bahnlinie Eglisau-Kaiserstuhl (Koord. 676400/268800) in 345 m ü.M. bzw. 25 m unter Terrainoberfläche. 

Dr. K.A. Hünermann vom genannten Institut und Museum meldete der Denkmalpflege über diesen Neufund am 7. Juli 1975 folgendes: «Bei dem Fund handelt es sich um ein Fragment aus dem mittleren Abschnitt der rechten Geweihstange des jungeiszeitlichen Ren, und zwar vom starken Typ, der am ehesten dem nordamerikanischen Rangifer tarandus arcticus (Richardson, 1829) vergleichbar ist. Von diesem ausserordentlich seltenen Fund ist eine Veröffentlichung vorgesehen...» 

Literatur: Urgeschichtlicher Fund in einer Weiacher Kiesgrube. 20 000 Jahre altes Rentiergeweih. NZZ Nr. 166 vom 21. Juli 1975. 

Aufbewahrungsort: Paläontologisches Institut und Museum der Universität Zürich. 


Ob die Fundstellen-Koordinate (s. Kartenausschnitt oben) den Punkt bezeichnet, wo Kieswerk-Mitarbeiter Zimmermann das Bruchstück auf dem Förderband entdeckt hat, oder tatsächlich den Ort, von wo der Kies an diesem Tag herkam, ist nicht bekannt. Und letztlich auch irrelevant. Wichtig war nur, dass Ende Juni 1975 nach insgesamt fünf Funden, die von Mammuts stammten, noch eine weitere Tierart aus der kargen Tundra dazugekommen ist.

Quelle

  • WEIACH (Bez. Dielsdorf). Hardrütenen. Kiesgrube der Weiacher Kies AG. Rentier-Geweihstangenfragment der ausgehenden Würmeiszeit. In: Zürcher Denkmalpflege, 8. Bericht 1975-1976, S. 204.

Mittwoch, 30. Juli 2025

«Unbedeutende notarielle Instrumente»?

Der Archivführer der Zürcher Gemeinden (vollst. Titel s. Quellen und Literatur) ist mittlerweile bald 20 Jahre alt geworden. Er enthält selbstverständlich auch ein Kapitel über Weiach. Konkret: über drei Weiacher Archive

Es sind dies diejenigen der Evang.-ref. Kirchgemeinde (ERKGA), der Politischen Gemeinde (PGA), sowie – in letzteres integriert – der ehemaligen Armengemeinde (AGA; letztmals separat inventiert 1935, vgl. StAZH GA 157.8). Keine Erwähnung finden das Pfarrarchiv (PfA) sowie die Archive der Primarschulgemeinde (PSA) und des Ortsmuseums (OM).

Die Beschreibung der ERKGA-Bestände lautet wie folgt:

I B Verträge auf Papier

Unbedeutende notarielle Instrumente ohne ersichtlichen Zusammenhang mit der Gemeinde.

II A Akten

Verzeichnisse 1778/93 zu den Kirchenörtern in der Kirche Weiach; von der Kanzel verlesene Mandate und Erlasse 18. Jh. zu verschiedenen Regelungsbereichen.

III A Jahresrechnungen

Mehrjahres-Rechnungen 1691–1718, 1752–1797.

Die unter II A Akten erwähnten Kirchenörter beziehen sich auf die Sitzplatzrechte innerhalb der Kirche, denn früher hatte jeder seinen ihm zugeteilten Platz (vgl. WeiachBlog Nr. 233). Diese Verzeichnisse sind offenbar bedeutend genug. Und sogar Mandate und Erlasse zu wahrhaft unkirchlichen Themen wie Strassenvermessungspfählen oder dem Eisenhandel, die (wenn es nicht nur um die Obervogtei Neuamt oder gar Weiach allein gegangen ist) teils gar gedruckt wurden und auch von allen anderen Kanzeln im Zürcher Herrschaftsgebiet herab verkündet worden sind.

Vorschnelle Unbedeutenderklärung

Stirnrunzeln verursacht vor allem der Kommentar unter I B Verträge auf Papier. Woher will der Bearbeiter, der damalige Staatsarchivar Otto Sigg, denn konkret wissen, dass sie «unbedeutend» sind? In welcher Hinsicht unbedeutend? Nur weil «ohne ersichtlichen Zusammenhang mit der Gemeinde»? Gar kein Zusammenhang bezüglich Landeigentum oder Vermögenspositionen der Kirchgemeinde vorhanden? 

Immerhin handelt es sich bei 2 von 3 Positionen um auf dem Obervogteischloss Rötteln bei Kaiserstuhl von der fürstbischöflichen Kanzlei ausgestellte und damit faktisch beglaubigte Dokumente (s. unten). Irgendeinen Grund wird es ja gegeben haben, dass diese «notariellen Instrumente» in der Lade des Weyacher Stillstandes gelandet sind, oder?

Ein Blick in die Archivverzeichnisse

Nun gibt es über die kommunalen Archive auch separate Inventare. Die Abteilung I wird seit jeher unter dem Titel «Urkunden» geführt.

1896

Das älteste Inventar über das ERKGA Weiach wurde 1896 durch die Kirchenpflege handschriftlich erstellt und durch J. Nauer, Präsident sowie Heinrich Griesser (mutmasslich der Aktuar) unterzeichnet (Signatur des Exemplars im Staatsarchiv: StAZH GA 157.3). Urkunden gab es damals nach Auffassung dieser beiden Herren nicht. Sie notierten lediglich den Vermerk «keine».

1925

Das Verzeichnis von Eugen Brenneis aus dem Jahre 1925 wurde erst 10 Jahre später durch das Staatsarchiv abgetippt: ins Dokument mit der Signatur: StAZH GA 157.9. Unter I. Urkunden; B. Besiegelte Verträge auf Papier sind jetzt plötzlich drei Positionen vermerkt:

I.B.1  Kaufbrief über 4 1/4 Vierling Reben  1 Stück  1677

I.B.2  Kaufbrief d.d. 1697 (Originalauszug v. 15. Mai 1761)  1 Stück

I.B.3  Zugschein f. Hans Jakob Brunner von Weiach  1 Stück  1761

Mag sein, dass Nauer und Griesser 1896 diese Unterlagen zwischen anderen Aktenbündeln gar nicht als Urkunden erkannt haben, möglicherweise, weil sie Kaufbriefe nicht unter der Kategorie «besiegelt». subsumierten. Ob das Original Brenneis handschriftlich erstellt wurde, wäre anhand des Exemplars im ERKGA zu klären. 

1935

Das nächste Verzeichnis von Paul Roesler, Rorbas aus dem Jahre 1935 (StAZH GA 157.10) – im Original maschinengeschrieben – bringt nun einige Änderungen in der Beschreibung dieser Dokumente (die neu offiziell als I.B. Urkunden auf Papier bezeichnet werden):

I.B.1  Franz Ernst Zwyer von Eurbach, Obervogt der Stadt Kaiserstuhl und Herrschaft Röttelen besiegelt einen Kaufbrief zwischen Hans Griesser und Conrad Meyer, beide von Weyach.

O.S. gut erhalten  [O.S. steht wohl für «Originalsiegel»]

1 Stück; 1677 März 5

Hier kommen nun Fragen auf. War diese Urkunde 1896 noch nicht Teil des Kirchgemeindearchivs? Und wenn ja, weshalb landet sie dann bis 1925 dort? 

Zu den Angaben Roeslers ist anzumerken, dass er sich verlesen haben muss, denn der genannte Siegler heisst korrekt Franz Ernst Zwyer von Evebach. Er war der dritte Amtsinhaber in Folge aus dieser Urner Adelsfamilie, die ursprünglich aus Silenen stammte.

I.B.2  Kaufbriefe zwischen Heinrich Hertzog und Hans Meyer, beide von Weiach (copiert 1761 in Röttelen)

2 Stück; 1692 Juli 8

Bei dieser zweiten Position fällt auf, dass einerseits die Jahrzahl des Originals hier um fünf Jahre zurückverschoben ist, neu 1692 statt wie bisher 1697, was die Frage aufwirft, wer sich da verlesen hat. Und andererseits ist festzustellen, dass aus einem Stück hier zwei Stücke geworden sind.

I.B.3  Zugbrief für Hans Jakob Brunner, Goldschmid in Zürich, auf Ulrich Neff

1 Stück; 1761

Auch bei der dritten Urkundenposition dieser Unterabteilung ergeben sich Fragen, die wiederum nur durch Einsicht in den Mikrofilm (StAZH TAI 1.397) oder in die Originale im ERKGA zu klären sind. Eine davon: War dieser Brunner tatsächlich ein Weiacher Bürger? Oder ist damit eigentlich Ulrich Neff (Näf) gemeint? Letzterer Familienname ist in Weiach als altverbürgert (vor 1800) bekannt.

2007

Das nächste erhaltene Archivverzeichnis ist dann erst Jahrzehnte später entstanden, erstellt durch die Tösstaler Firma Wickihalder Archivservice, 8487 Zell und datiert auf 18. Dezember 2007. Das Weiacher Exemplar trägt die Signatur: ERKGA Weiach IV.B.8.2, das des Staatsarchivs: StAZH GA 157.12.

Es sieht nicht so aus, als ob die Bearbeiter sich die Dokumente in der Unterabteilung I.B (nun als I. Urkunden, B. Verträge auf Papier bezeichnet) genauer unter die Lupe genommen hätten. Sie haben wohl lediglich das Vorhandensein festgestellt und dann bei Roesler abgeschrieben. Allerdings nicht ganz exakt. Wo Roesler bei I.B.2 korrekt «in Röttelen» schreibt, da steht bei Wickihalder verschrieben «im Röttelen».

Quellen und Literatur

  • StAZH GA 157: Verzeichnisse der Weiacher Gemeindearchive im Staatsarchiv des Kantons Zürich (aktuell total 18 Dossiers).
  • Mikrofilme der Weiacher Archivbestände vor 1798:  StAZH TAI 1.397 AGA Weiach; StAZH TAI 1.397 ERKGA Weiach  Bis II A (1752/1753/1754); StAZH TAI 1.398 ERKGA Weiach  Ab II A (1755/1756/1757); StAZH TAI 1.397 PGA Weiach; StAZH TAI 1.369 OM Weiach.
  • Sigg, O.: Archivführer der Zürcher Gemeinden und Kirchgemeinden sowie der städtischen Vororte vor 1798. Zeugnisse zürcherischer Gemeinde-, Verwaltungs- und Rechtskultur im agrarischen und kirchlichen Zeitalter. Hrsg.: Staatsarchiv des Kantons Zürich. Zürich 2006. Website: zuerich-geschichte.info.
  • Brandenberger, U.: Besitzerzertifikat für den Sitzplatz in der Kirche. WeiachBlog Nr. 233, 25. Juni 2006.

Montag, 28. Juli 2025

War das erste Weiacher Pfarrhaus eine «Bruchbude»?

In den Zürcher Ratsmanualen ist der Ankauf des ersten Weiacher Pfarrhauses unter dem 17. März 1591 notiert (Zitat nach einer Mitteilung von Staatsarchivar Anton Largiadèr, 19. Mai 1934):

«Der Kauf um Mathÿß Schöublis Haus zu Weiach, “den neuen Pfarrer darein zu setzen“, wird bestätigt. Es soll nach und nach dieses Haus, was die Notdurft erfordert, erbaut und verbessert, und dem Prädikanten etwas Zinses daran jährlich zu geben auferlegt werden (in maßen er sich anerboten).»

An diesem Datum war der sog. Natalrat am Ruder, der an Weihnachten des Vorjahres die Geschäfte übernommen hatte. Fundstelle: StAZH B II 235 (Ratsmanual des Unterschreibers, 1591 I, S. 23).

Wer hat die Rechnung bezahlt?

Bislang war der Verfasser dieser Zeilen der Ansicht, dass damals die Finanzmittel zum Kauf des – im Ortsteil Chälen stehenden – Schöubli-Hauses aus der Staatskasse geflossen seien (vgl. WeiachBlog Nr. 1483).

Eine Passage in einem kürzlich aufgefundenen Regest zu einem Dokument, das wenige Jahre später (nach 1591, aber vor 1605) entstanden ist, stellt diese Auffassung jedoch fundamental infrage. Da schreibt die Regestenerstellerin nämlich:

«Hernach auf Anhalten der Bauern setzte Zürich in Weiach einen eigenen Prädikanten ein und bestimmte seine Belohnung aus dem Weiacher grossen seinerzeit durch Escher an Zürich bzw. an das Augustiner-Kloster verkauften Zehnten; dazu hat die Bauernsame jährlich 40 Gulden beizusteuern und musste für den Prädikanten das Haus Matheus Schüblis zu Weiach kaufen.»  (StAZH C II 6, Nr. 504.6; Auszug Ziff. 3)

Heisst im Klartext: Die Kirchgemeinde Weiach musste, um überhaupt eine solche zu werden, nicht nur 2/3 der Besoldung des neuen Pfarrers selber berappen (wie am 25. Oktober 1590 zugesichert), sondern auch ein aus eigenen Mitteln finanziertes Pfarrhaus zur Verfügung stellen! 

Ein sehr bescheidenes Haus, aber immer noch ein grosser Fortschritt

Die Formulierung, das Haus solle «was die Notdurft erfordert» renoviert und repariert werden, erscheint unter diesem Blickwinkel plötzlich sehr plausibel, denn wahrscheinlich hatten die Weiacher schlicht das Geld nicht, um ein repräsentatives Haus in gutem Zustand zu kaufen. Es könnte durchaus sein, dass es sich bei diesem ersten Pfarrhaus um das gehandelt hat, was heutzutage manch einer als «Bruchbude» bezeichnen würde.

Dass die Zürcher Obrigkeit in dieser Sache nicht die Spendierhosen anhatte, ist nicht allzu verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie tief die Demütigung von 1540 empfunden worden sein muss. Damals sahen sich Bürgermeister und Rat mit der Drohung ihrer Weiacher Untertanen konfrontiert, eher wieder in die katholische Messe nach Kaiserstuhl oder Hohentengen gehen zu wollen, statt wie befohlen in den reformierten Gottesdienst nach Stadel. Zur Vermeidung eines vollständigen Gesichtsverlusts und propagandistisch ausschlachtbaren Erfolgs der katholischen Konkurrenz waren sie sozusagen gezwungen gewesen, den Weiachern einen Prädikanten zuzuteilen, der zu ihnen ins Dorf kam.

Für den ersten residenten Pfarrer unserer Gemeinde, Hans Felix Schörli, dürfte aber auch dieses bescheidene Occasions-Pfarrhaus noch eine spürbare Verbesserung zum vorherigen Zustand gewesen sein, musste er doch jetzt nicht mehr regelmässig zwecks Predigt zu Fuss von Zürich nach Weiach (und zurück) pilgern und erhielt erst noch den sechsfachen Verdienst an Bargeld ausbezahlt.

Quelle und Literatur

  • N.N. (mutm. Zuber, Sinaida): Berichtigungen des [bischöfl. Konstanzer] Vogts zu Kaiserstuhl [Andreas Zwyer] zum Renovationswerk Gottfrieds von Rammingen im auf dem eidgenössischen Boden gelegenen Teil des Amts Kaiserstuhl. Regest Staatsarchiv des Kantons Zürich. Signatur: StAZH C II 6, Nr. 504.6.
  • Brandenberger, U.: Beim Weiacher Pfarrhaus machte der Staat eine Ausnahme. WeiachBlog Nr. 1483, 13. März 2020.

Dienstag, 15. Juli 2025

Der Schulweg. Ein Kind des Kriegsausbruchs 1939

Im Strassenverzeichnis der Gemeinde Weiach, Stand 2. Juni 2009, ist der «Schulweg» als kommunale Strasse mit der Nummer 550 aufgeführt. Offiziell führt er von der Stadlerstrasse (Höhe Einmündung Oberdorfstrasse) in einer Länge von etwa 140 Metern südwestwärts  am Lindenweg vorbei  bis zu der Stelle, wo er am Kreuzungspunkt auf die Herzogengasse, den Gartenweg und den Leiacherweg trifft.

Nur die ersten 50 m dürfen befahren werden, für den Rest gilt ein Fahrverbot für Motorwagen,
Motorräder und Motorfahrräder (SSV Anhang 2, Ziff. 2.14). Auf beiden Seiten versperrt ein Pfosten die Durchfahrt. Dieses Stück bildet den Ostteil der Parzelle 231 (Westteil = Herzogengasse):

Plan der Amtlichen Vermessung, Stand 15.7.2025

Ein ganzer Zoo an öffentlichen Bauten

Am beschriebenen Weg liegen – alle auf der Parzelle 1432 – die folgenden kommunalen Gebäude:
  • Schulweg 2 (das Alte Schulhaus von 1836)
  • Schulweg 2a (Dritte Etappe; anthrazitfarbene Container von 2024)
  • Schulweg 4 (das Mehrzweckgebäude von 1976, oberer Eingang; Gemeindesaal, Heizzentrale und Feuerwehrlokal tragen die Adresse Stadlerstrasse 10)
  • Schulweg 6 (das bordeauxrote Schulhaus von 1976)
Ein nur inoffizielles Stück des Schulwegs zweigt nach rund 30 m von der Herzogengasse nach Osten ab. Diese Sackgasse zwischen Tartanbahn und der Böschung, auf dem seit 2014 der Kindergarten steht, trägt keine Bezeichnung. Über diese Stichstrasse sind erreichbar:
  • Schulweg 8 (ehemals «Kellerhäuschen» am Schulweg selber; heute Kindergarten Farbtupf)
  • Schulweg 10 (Weisse Schul-Container, 1. Etappe)
  • Schulweg 12 (Weisse Schul-Container, 2. Etappe; Zugang auf Seite Stadlerstrasse 10)

Schulstrasse oder Schulweg?

Am 7. April 1992 erliess der Gemeinderat eine «Verordnung über die Strassenbezeichnung und die Hausnumerierung sowie das Aufstellen amtlicher Signale». Eine Sonderkommission überarbeitete daraufhin das Strassenverzeichnis. Etablierte Namen wurden überprüft und bisher noch namenlose Strassen und Wege neu benannt.

In den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach vom Juli 1992, S. 4, wurde der Schulweg noch als «Schulstrasse» bezeichnet. Durch wen, wann und weshalb daraus dann ein Weg gemacht wurde, ist dem Verfasser dieser Zeilen noch nicht bekannt.

Als der Weg zur Strasse wurde

Seit einigen Monaten ist hingegen die Frage geklärt, wann diese auf der Siegfriedkarte 1:25'000 von 1930 noch als Fussweg eingezeichnete Verbindung zur fahrbaren Strasse ausgebaut wurde. Die Schuld daran trägt der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit dem Polenfeldzug am 1. September 1939.

Ausschnitt aus: Topographischer Atlas, Bl. 26 (Siegfriedkarte, 1930)

Bereits einige Tage zuvor hatte der Bundesrat die Grenztruppen mobilisiert, die mit der Sperrung der Strassenachsen begannen und sich dann an den Bau und Ausbau von Geländeverstärkungen und Bunkern machten. 

Da die Zugänge zur Chälen, zum Büel und über die Stadlerstrasse nach Süden nun mit Panzerhindernissen verbarrikadiert waren, stellte dies nicht nur die Weiacher Landwirte, sondern auch die Truppe vor gewisse logistische Probleme.

Kompanie III/269 beim Strassenbau

Einen konkreten Befehl von höherer Ebene konnte der Verfasser zwar noch nicht ausfindig machen, jedoch einen Eintrag im Kommandanten-Tagebuch der Gz. Füs. Kp. III/269. Diese Einheit hatte ihren ersten Aktivdiensttag am 29. August und notierte unter dem Durchschlag des Tagesbefehls No. 27 vom Sonntag, 24. September 1939 u.a.: «Straßenbaute vom Schulhaus gegen Sägerei Bösinger begonnen zur Verkehrsumleitung.»

Verlängert man den Schulweg imaginär Richtung Südwesten, dann trifft man auf die Alte Sagi (Bachserstrasse 20), die damals von der Familie Bösiger betrieben wurde. Das -n- hat der Tagebuchführer hinzuerfunden. Ähnlich wie er auch aus dem Weiacher Pfarrer Kilchsperger einen «Kilchsberger» gemacht hat (vgl. den Eintrag gleich oberhalb):


Ob die Arbeiten an der neuen Fahrverbindung zwischen dem Schulhaus und der Liegenschaft Herzogengasse 10 nach fünf Tagen bereits beendet waren, wird im Tagebuch III/269 nicht berichtet.

Unter dem Tagesbefehl No. 31 vom Donnerstag, 28.9.39 findet man lediglich den handschriftlichen Eintrag: «Zug Wehrli arbeitet noch in die Vollmondnacht hinein um die Festung Weiach in Form verlassen zu können.»


Die Kp III hatte nämlich den Befehl erhalten, ihren Standort nach Stadel zu verlegen, um dort die Kompanie neu zusammenzustellen. Der Ernst der Lage und die Vorbereitung auf einen Nahkampf im Handgemenge wird illustriert mit dem Vermerk: «Bajonnette werden geschliffen.»

Quellen

  • Topographischer Atlas der Schweiz (TA), Bl. 26; Siegfriedkarte 1930 1:25'000
  • Tagebücher der Gz Füs Kp III/269, Bd 1, 1939. Signatur: BAR-CH E5790#1000/948#1873*
  • ARV Kt. ZH, Plan der Amtlichen Vermessung. https://maps.zh.ch

Montag, 14. Juli 2025

Wehntaler Warnung vor Weiberwelt-Umrennern

Mit dem Nebelspalter ist das so eine Sache. Er nervt. Ist politisch inkorrekt. Und das seit 150 Jahren. Heute nervt die rechtsgebürstete Redaktion die Woken und Linken. Wen Redaktor Nötzli damals geärgert hat, das wäre noch zu eruieren.

«Illustriertes humoristisch-satirisches Wochenblatt». So nannte sich das Printprodukt aus Zürich 1899, in seinem fünfundzwanzigsten Jahre. Und wie man dem von der Schweizerischen Nationalbibliothek gescannten Exemplar entnehmen kann, war auch das «Bureau» im «Bundesrathaus» zu Bern unter den Abonnenten (vgl. Bild). Nolens volens, hoffen wir. Schliesslich gibt es im Bundesrat nichts zu lachen.

Auf der fünften Seite von Heft 18 liest man dann tatsächlich die folgenden Zeilen, die wohl von einem Zürcher Unterländer Verseschmied eingesandt worden sind:

Wehmütig Wehnthaler Wehrliches

«Immer werden Lehrerinnen
Kinderwitz Vermehrerinnen
Dort im Wehnthal fort geweht.
Kömmt ein Löckler angegangen,
Wird die Liebschaft angefangen,
Und das Frauenzimmer geht!

Unsern Jungen nicht ersprießlich
Und den Alten recht verdrießlich
Ist ein solcher Hochzeitszug.
Hoffentlich in kurzen Jahren
Wird die Hausfrau wohl erfahren:
Kinder hat man bald genug!

Lehramtstochter! – solltest bleiben;
Lehre Göhren lesen, schreiben,
Nimm uns diese Arbeit ab.
Meide doch die falschen Männer
Diese Weiberwelt-Umrenner
Bleibe ledig bis ins Grab!
»

In den drei sechszeiligen Strophen ist jeweils ein Reimschema angelegt, das nach dem Muster a-a-b-c-c-b funktioniert. Bei diesem sog. Schweifreim bilden die ersten drei (a-a-b) sowie die letzten drei Verse (c-c-b) jeweils einen Satz bzw. eine Sinneinheit. Diese beiden Elemente werden zu einem Gesamtbild verwoben, indem sich jeweils die Verse 3 und 6 reimen.

Mit dem Begriff Witz war damals noch gemeint, dass ein Kind gewitzt, also schlauer werde durch die Schule. Ein Vorgang, der seitens des Lehrkörpers Kontinuität erfordert, die aber – wie obiges Lamento vermuten lässt – auch schon vor 125 Jahren zu wünschen übrig liess.

Ledige Frauen waren damals noch an ihrer Anrede zu erkennen. Und Lehrerinnen, wie in Weiach Luise Vollenweider, die ihr ganzes Leben dem Lehrberuf gewidmet hat, bestanden darauf, auch im hohen Alter noch mit «Fräulein» angesprochen zu werden. Angesichts solcher Anfechtungen durch männliche Verführer durchaus verständlich.

Quelle und Literatur

Sonntag, 13. Juli 2025

Von einem Junker zum nächsten. Pfarrwahl 1753 im Ratsmanual

Junker. Für Weiacher Ohren tönt das heutzutage nach dem Nachnamen unserer letzten Posthalterfamilie (vgl. WeiachBlog Nr. 1897).

Mitte des 18. Jahrhunderts aber war das ein Titel, den zwei aufeinanderfolgende Weiacher Pfarrherren trugen. Ähnlich wie heute ein Doktortitel, der eine herausragende Stellung signalisiert. Nur mit dem gewichtigen Unterschied, dass es sich hier um ein Adelsprädikat handelt. Junker konnte man damals qua Abstammung werden, wenn man in eine der Zürcher Constaffel-Familien mit Ritter-Status hineingeboren wurde. Oder  eher seltener  tatsächlich durch eigene Leistung, wenn man wie Götz Escher 1433 vom Kaiser zum Ritter geschlagen wurde (Götz ist der Stammvater der Escher zum Luchs, so benannt nach dem kaiserlich verliehenen Wappentier).

Spezielle Stellung in der Zünfterstadt

Die Constaffel waren in Zürich in etwa das, was in Bern die regierenden Patrizierfamilien darstellten: der städtische Adel, der in der Regel auch als ratsfähig galt. In der Zunftstadt Zürich war es allerdings seit der Brun'schen Revolution von 1336 und insbesondere nach dem Tode Bruns im Jahr 1360 zunehmend so, dass die Adeligen das Heft nicht mehr wirklich in den Händen hielten. 

Händler und Handwerker bestimmten in der Limmatstadt politisch das Geschehen viel stärker, was sich auch in der Formel «Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich» niederschlug. Manchmal auch als «beide Räte» bezeichnet (kleiner und grosser Rat) waren sie damit – nach heutigem Verständnis – ein Einheitsblock aus Regierung und Parlament. Checks & balances der damaligen Zeit, die man nicht als Gewaltenteilung im heutigen Sinne verstehen kann.

Von einem von Meiss zu einem Luchs-Escher

1747 wählte der Zürcher Rat als Nachfolger des verstorbenen Dekans und Weiacher Pfarrers Johann Rudolf Wolf (Epitaph in der Weiacher Kirchenmauer; WPZ24, Nr. 76) den Junker Diethelm Meiss (1719-1768; WPZ24, Nr. 77). Vgl. StAZH E I 30.136, Nr. 53, d.d. 17. November 1747.

Verglichen mit seinem jahrzehntelang amtierenden Vorgänger wurde er fast zu einem Übergangspfarrer, denn bereits 1753 liess sich Meiss durch den Fürstbischof von Konstanz zum Pfarrer von Glattfelden ernennen, eine Position, die finanziell wesentlich lukrativer war als die in Weiach.

Innert etwas mehr als einer Woche erledigt

Sowohl Fürstbischof wie Zürcher Rat erledigten dieses Wahlgeschäft in Rekordzeit. Am 23. Juli 1753 hatte der Rat den traditionellen Dreiervorschlag an den Fürstbischof verabschiedet. Auf der Liste war Diethelm Meiss zuoberst. 

Als Kollator für die 1421 von seinem Vorgänger Otto III. von Hachberg begründete Kirche Glattfelden hätte sich Bischof Franz Konrad Kasimir Ignaz von Rodt (1706-1775) zwar auch für einen Nichtgenannten entscheiden können, folgte hier jedoch dem Antrag aus Zürich.

So kam es, dass Mittwochs 1ten August 1753 im Zürcher Rat bereits die Bestätigung der Wahl von Jkr. Diethelm Meiss auf die erledigte Stelle in Glattfelden zur Kenntnis genommen und die weiteren Schritte beschlossen wurden:

«Der von dem Herren Bischoff zu Constanz benamsete Pfarrer nach Glatfelden Jkr. Diethelm Meiß Pfarr[er] zu Weyach ward bestätet und hierauf an seiner stat zu einem Pfarrer naher [Weyach] mit mehrerer stimm erwelt Jk. Hartman Escher Pfarrer zu Rüeschlikon.»


Die Formulierung (siehe Bild oben) lässt durchaus den Schluss zu, dass Diethelm Meiss auf expliziten Wunsch des Bischofs von Rodt auf den Dreiervorschlag kam.

Junker Hartmann war im Rat der klare Favorit

Auch der Umstand, dass man für die nun entstehende Lücke in Weyach bereits am 1. August einen Nachfolger zur Hand hatte, zeigt, dass die Auswahl entweder sonnenklar war oder aus dem bischöflichen Regierungssitz Meersburg am Bodensee zumindest postwendend gemeldet wurde, sodass die Kirchenoberen sich umgehend zur Nachfolgefrage äussern konnten.

Der leider undatierte «Fürschlag auf Weyach» von 1753 (StAZH E I 30.136, Nr. 54) listet – wie schon der von 1747 – nicht weniger als acht Namen auf, wobei Jkr. Hartmann Escher auf Position 2 gesetzt wurde.

Wenn die Notizen auf dem Fürschlag die Abstimmungsresultate im Rat abbilden – was bei 32 abgegebenen Stimmen im 2. Wahlgang durchaus plausibel ist –, dann konnte Hartmann immerhin die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinen, nachdem er bereits im 1. Wahlgang das beste Resultat (10 Stimmen) erzielt hatte.

Bis zum Tode von Jkr. Meiss war Hartmann Escher (1720-1788) danach Weiacher Pfarrer (WPZ24, Nr. 78) und wurde dann seinerseits vom selben Fürstbischof von Rodt zum Pfarrer von Glattfelden ernannt.

Quellen und Literatur

  • Ratsmanual des Baptistalrats des Stadtschreibers, 1753/2, S. 6&7 [Transkribus-Site]. Signatur: StAZH B II 881.
  • Brandenberger, U.: Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück? WeiachBlog Nr. 1482, 11. März 2020.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.
  • Hürlimann, K.: Escher zum Luchs. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.08.2024. Artikel «Escher» von Hürlimann & Zeuske.
  • WPZ24: Weiacher Pfarrerzählung (WPZ). Kombinierte Liste nach allen Quellen (ab 1520, d.h. inklusive Kaplane nach katholischem Ritus vor der Reformation). Stand am 7. Dezember 2024.

Samstag, 12. Juli 2025

Lehrer Zollingers Klassen im Sommer 1950

Mindestens 52'292 Fototermine haben die beiden Porträtfotografen Hubert Haagmans (1884-1968) und sein Sohn Walter Haagmans  (1923-2005) im Laufe ihrer Berufsleben absolviert. Entstanden sind über 106'000 Fotografien von Schulklassen und Lehrkörpern aus Gemeinden des Kantons Zürich und der Nachbarkantone. Dieses vom Lehrmittelverlag des Kantons Zürich angekaufte sogenannte Klassenfotoarchiv bildet heute den Fonds StAZH W I 90.

Unter der Signatur W I 90.24799 ist ein Foto erhalten geblieben, das am heutigen Datum, 12. Juli, seinen 75. Geburtstag feiert. Abgebildet ist die Realabteilung der Primarschule Weiach unter Leitung von Walter Zollinger (1896-1986), des langjährigen Weiacher Lehrers (ab 1919) und Ortschronisten (ab 1952).

Ersatzoriginal auf Mikrofiche, angefertigt 2008. Beim Original handelte es sich um eine Fotografie mit den Merkmalen: Negativ, 18 x 13 cm, Silber-Gelatine-Verfahren, Celluloseacetat- oder Cellulosenitrat-Film, schwarz-weiss. 

Damals waren auch noch die 7. & 8. Klasse unter der Obhut des Lehrers der Oberstufe. Zwischen 1936 und 1947 gab es in dieser Abteilung derart viele Schüler (73 laut G-Ch 1954; wahrsch. in den 30ern), dass eine dritte Lehrkraft eingestellt werden musste. Nachdem dann die Schülerzahlen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder massiv abgenommen hatten, sah sich die Primarschulgemeinde Weiach gezwungen, ab dem Schuljahr 1947/48 wieder auf zwei Lehrkräfte zurückzugehen. 

Dem Autor dieses Betrags noch unbekannt ist, wo damals die Trennlinie gesetzt wurde (Unterstufe 1.-3. Kl., Oberstufe 4.-8. Kl. oder Zuteilung der 4. Kl. zur Unterstufenlehrkraft). Aber unabhängig davon, ob man hier nun die Schülerinnen und Schüler aus vier oder fünf Jahrgängen sieht: Die kleineren Schülerzahlen sind abzählbar. Anwesend sind nur 29!

Quellen

  • Klassenfoto Weiach \ Stufe: Primarschule \ Lehrperson: Herr Zollinger, 1950.07.12  –Signatur: StAZH W I 90.24799
  • G-Ch Weiach 1954, S. 1; Vgl. Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Freitag, 11. Juli 2025

Zuonline.ch wird TA Unterland. Regionalzeitungssterben auf Raten.

Um den Jahreswechsel 2024/25 herum hat die Unterländer Zeitungslandschaft ihren 175. Geburtstag gefeiert (vgl. den geschichtlichen Überblick in WeiachBlog Nr. 2150). Etwa gleichzeitig sind Neuerungen angekündigt worden, die zumindest eine Zäsur, wenn nicht einen finalen Epochenwechsel darstellen. 

Nach dem Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, der durch Aktientransaktionen des früher tonangebenden Druckereiunternehmers Akeret schon zwischen 2005 und 2010 eingetreten war und mit der Übernahme durch die Tamedia-Gruppe endgültig besiegelt wurde, geht nun die letzte verbliebene Abonnements-Zeitung unserer Gegend, der «Zürcher Unterländer», schrittweise in einem Newsdesk-Konglomerat auf, wie ein Stück Zucker in einer Kaffeetasse.

Dafür gibt es viele äussere Zeichen, von denen hier vier näher beleuchtet werden:

1. Chefredaktor abgesetzt. 

Die bisher eigenständige Unterländer-Redaktion ist zum Regionalbüro herabgestuft worden. Der ehemalige Chefredaktor Zürcher Unterländer, Martin Liebrich, ist laut Impressum nur noch Leiter «Zürich Unterland», operiert wird aus Büros in Winterthur, wie man aus gewissen Indizien herauslesen kann. Die publizistische Leitung hat die Tages-Anzeiger-Chefredaktorin inne. Und die sitzt in der Stadt Zürich.

2. Zuonline.ch ist tot. «TA Unterland» ist Trumpf.  

Der bisherige eigene Webauftritt wurde eingestampft. Faktisch gibt es den Zürcher Unterländer online nicht mehr. Artikel der 11-köpfigen Unterland-Redaktion erscheinen mit dem Logo des Tages-Anzeigers in der Rubrik «TA Unterland» der Website tagesanzeiger.ch.

3. Letzte Corporate Identity-Überreste der Traditionsmarke ZU. 

Das Smartphone-Zeitalter hat auch im Unterland gnadenlos zugeschlagen. Nur noch die App lebt. Über die gängigen App-Stores findet man Beschreibungen, aus denen hervorgeht, dass es aktuell neben dem E-Paper tatsächlich auch noch eine gedruckte Ausgabe gibt. 

Im Marketingsprech tönt das dann so: 

«Mit der E-Paper-App erhalten Sie die Zeitung Zürcher Unterländer als digitale Ausgabe. Lesen Sie relevante Nachrichten im klassischen Zeitungslayout und geniessen Sie intelligente Unterhaltung sowie überraschende Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Lifestyle und Sport - regional, national und international. Nutzen Sie das E-Paper täglich von Montag bis Samstag bereits vor der gedruckten Version und profitieren Sie von folgenden Vorteilen: [...]»

E-paper und Druckausgabe sind sozusagen die letzten Hinweise darauf, dass aktuell noch so etwas wie ein Kopfblatt-System aufrechterhalten wird. Aus dem Zürcher Unterländer ist das geworden, was die Tamedia als Kampfansage bereits 2006 lanciert hat: ein Tagi-Regionalbund (vgl. WeiachBlog Nr. 137).

4. Auflage rückläufig. 

Laut dem WEMF-Auflagebulletin 2024 (Quelle: Wikipediaartikel Zürcher Unterländer) sinkt die Auflage allerdings kontinuierlich, dem massiven Bevölkerungswachstum im Unterland zum Trotz: Nur noch 10'863 verkaufte Exemplare. Im Vorjahr waren es noch 11'874.

Formal ist also der «Unterländer» noch am Leben. Wie eigenständig die Redaktion im beschriebenen Umfeld operieren kann, ist allerdings – auch angesichts der prekären Gesamtlage der traditionellen Zeitungslandschaft in der Schweiz – höchst fraglich.

Frühere WeiachBlog-Beiträge

  • Brandenberger, U.: Tages-Anzeiger mischt regionale Presselandschaft auf. WeiachBlog Nr. 137, 21. März 2006.
  • Brandenberger, U.: Unterländer Bastion gegen das Tagi-Schlachtschiff. WeiachBlog Nr. 258, 6. August 2006. 
  • Brandenberger, U.: Das Kopfblattsystem auf den Kopf stellen. WeiachBlog Nr. 304, 2. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Tamedia usurpiert Weiacher Wappen. WeiachBlog Nr. 306, 5. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Medialer Angriff nach 3 Jahren gescheitert? WeiachBlog Nr. 696, 16. November 2009.
  • Brandenberger, U.: Journalistische Hüllen von Tamedias Gnaden. WeiachBlog Nr. 827, 19. April 2010.
  • Brandenberger, U.: Von der «Wochen-Zeitung» zum «Zürcher Unterländer». WeiachBlog Nr. 2150, 19. August 2024.

Montag, 7. Juli 2025

Die Binätsch-Affäre – Anlass einer Feindschaft

Salat, Binätsch und Chruutstiel. Dieses erntefrische Gemüse wurde laut der in Weiach aufgewachsenen US-Autorin Louise Patteson (geborene Luisa Griesser) von den Hausfrauen an den Dorfbrunnen gewaschen.

Patteson schrieb autobiographisch über die Mitte des 19. Jahrhunderts, die letzten Jahre vor der Installation der ersten Haus- und Löschwasserversorgung (1877 errichtet). Luisa wurde 1853 in Weiach geboren und zog im Oktober 1867 mit ihrer Familie nach Amerika.

Binätsch war und ist eines der beliebtesten Gemüse und daher auch ein geläufiges Zürcher Wort (vgl. Idiotikon 4, 1308). So sagte man laut Idiotikon früher: «In Binätsch übere (gleichsam in das Beet des Nachbarn) luege» bzw. schielen. Oder: «Der Binätsch ist em nüd ufg'gange» in der Bedeutung, sein Plan sei zunichte geworden. Spinat kam auch in Auseinandersetzungen durchaus zu Ehren: «Eim de Binätsch erlëse» bedeutete, jemandem «alle seine Fehler vorhalten».

Wenn's am Brunnen knallt

Nachdem wir im gestrigen Beitrag das Wohnhaus der Näherin Barbara kennengelernt haben, sei hier nun endlich der Mitte April 2020 in WeiachBlog Nr. 1490 versprochene Zwistigkeitsgrund zwischen Barbara und ihrer Schwägerin nachgereicht. Wie man aufgrund des Titels und des vorstehenden Absatzes unschwer erraten kann, ging es um Spinat:

«About this time I began to do little chores around the house, such as bringing wood into the kitchen and carrying water from the village fountain. I had a tiny copper gelte about the size of a wash-bowl, and I always went with Mother to the fountain and carried some water home. The village housewives washed all such vegetables as lettuce, and spinach and chard at the fountain, each always using two geltes so as to change from one to the other. This sometimes made it rather crowded, and often the women got in each other’s way. I remember once seeing one shove her neighbor’s gelte full of spinach off the trough. The spinach lay there until evening when the cattle came to water and ate it. One of those women was Barbara, the seamstress, and the other her sister-in-law. After that they were no longer friends.» (Patteson 1921, S. 42-43)

Da Luisa und ihre Familie mitten im Büel vis-à-vis des früheren Näpferhüsli gewohnt haben, dürfte sich diese dramatische Auseinandersetzung auch in diesem Teil des Dorfes abgespielt haben. 

Aus irgendeinem Grund war Barbara (eigentlich wohnhaft in der oberen Chälen) also wohl an einem der Brunnen eines anderen Dorfteils zugange. Entweder im unteren Oberdorf (dem beim Baumgartner-Jucker-Haus) oder im Büel (vor dem Eingang zum Friedhof; heute verschwunden; bzw. dem Privatbrunnen nahe der Liegenschaft Büelstrasse 1). Ihr oder ihrer Schwägerin hatte dabei offensichtlich etwas nicht in den Kram gepasst, was in der doch ziemlich destruktiven Bestrafungsaktion mündete.

So kann schlussendlich von Rindviechern gefressener Spinat zu lebenslanger Feindschaft führen. Und im Tode liegt man dann trotzdem sozusagen Schulter an Schulter. Wie es eine höhere Fügung eingerichtet hat.

Quelle und Literatur

  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 42-43.
  • Brandenberger, U.: Freund und Feind im Tod vereint. WeiachBlog Nr. 1490, 16. April 2020.

Sonntag, 6. Juli 2025

Zu Besuch im letzten Weiacher Strohdachhaus

Es kommt nicht allzu häufig vor, aber es gibt Momente in der Ortsgeschichtsforschung, in denen zwei Mosaiksteinchen sozusagen wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Einen solchen hatte ich jüngst dank der folgenden Literaturstelle im Werk der aus Weiach stammenden US-Autorin Louise Patteson (1853-1922; vgl. WeiachBlog Nr. 1487):

«Another of my friends was Barbara, the seamstress. She lived in a house that was thatched with straw, and not tiled like the other houses. The straw thatch hung so far over the windows that it made the rooms dark, and it was not pleasant there. But Barbara made my dresses, and I had to go there to have them fitted.» (When I was a Girl in Switzerland, Boston 1921, S. 15)

Das Haus von Barbara, der Näherin, war ein Strohdachhaus. Das Wort «thatch» trägt an sich schon die Bedeutung «Dachstroh», sodass wir es beim «straw thatch» mit einem Pleonasmus zu tun haben, der als hübsches Stilmittel eingesetzt wird, um das Zuviel an Stroh zum Ausdruck zu bringen. Ein Zuviel, das die Räume dunkel und den Aufenthalt in ihnen unerfreulich gemacht habe.

Die anderen Häuser, so Patteson, seien mit Ziegeln gedeckt gewesen. Und es scheint, als ob es an diesem Ort sonst nur Ziegeldächer und keine weiteren Strohdächer gegeben hat. Die Rede ist von Weiach und der Zeitraum, um den es geht, liegt zwischen 1853 und 1867, dem Jahr der Abreise in die Neue Welt.

Es stellt sich also die Frage, ob es sich tatsächlich um das einzige Strohdachhaus in Weiach gehandelt hat und wo im Dorf dieses zu finden war.

«oben in Kellen. N°. 95.»

Wenn man das älteste Lagerbuch der Brandassekuranz, das im Archiv der Politischen Gemeinde Weiach erhalten geblieben ist (PGA Weiach IV.B.06.01; Bild S. 111 s. unten), systematisch durchblättert, dann ist sozusagen auf den ersten Blick zu erkennen, welches Material auf dem Dach war.

Vergleiche dazu die vierte Spalte «Bauart» des Vordruckformulars mit den Unterkategorien «Gemauert», «Riegel» und «Holz» für den Baukörper (links) sowie «Ziegel», «Holz» und «Stroh» für die Bedachung (rechts). Wenn unter «Stroh» kein Eintrag mit einer Zahl 1 zu finden ist, dann war es eben kein Strohdach. 

In diesem Fall hier weist das Nebengebäude Nr. 95b (ab 1842 als «Tenn & Brügi» bezeichnet) ein Ziegeldach auf. 

Das mit einiger Sicherheit aus dem 18. oder einem noch früheren Jahrhundert stammende Wohngebäude Nr. 95 im Eigentum von Jacob Meÿerhofer (zu 6/8 in Riegelbauweise) verfügte hingegen nach wie vor über ein Strohdach:


Für das Jahr 1863 ist es als Wohnhaus, Scheune & Stall mit Strohdach erfasst. Und assekuriert für 1500 Franken. Darunter mit der Jahrzahl 1864 ohne Versicherungssumme der Vermerk, das Gebäude sei «geschlissen» und als Ersatz dieselbe Konfiguration «neu erbaut» worden, jetzt aber mit Ziegeldach. Und mit dem massiv höheren Zeitwert von 8500 Franken.

1864 erfolgte also ein kompletter Neubau am selben Bauplatz. Bei diesem Gebäude Nr. 95 (später, 1895, mit der Nr. 155 bezeichnet und seit 1955 nach aktueller Gebäudeversicherungsnummerierung mit Nr. 508) handelt es sich um das Haus Chälenstrasse 24, ehemals im Eigentum von Robert Bersinger, beim oberen Chälenbrunnen.

Das letzte Strohdachhaus in Weiach ist demnach 1863 oder 1864 aus dem Ortsbild der hinteren Chälen verschwunden.

Natürlich hätte man den Standort des letzten Weiacher Strohdachhauses auch ganz ohne den Hinweis in Pattesons Autobiographie finden können, rein durch systematische Auswertung des Lagerbuchs. Aber die Kombination dieser beiden Belege gibt der Trouvaille ihre besondere Note. 

Quellen und Literatur

  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01.
  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 15.
  • Brandenberger, U. (Bearb.): Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach 1809-1895-1955-1992, nachgeführt bis 31.12.2024; in Verbindung mit der Gebäudealterkarte sowie der Eigentümerauskunft des Geoportals des Kantons Zürich (maps.zh.ch).
  • Brandenberger, U.: Die Weiacher Autobiographie einer amerikanischen Tierbuchautorin. WeiachBlog Nr. 1487, 13. April 2020.
  • Zur Näherin Barbara, vgl.: Brandenberger, U.: Freund und Feind im Tod vereint. WeiachBlog Nr. 1490, 16. April 2020.