Samstag, 12. November 2005

Die Linde auf der Sternenkreuzung

Der Weiacher Lehrer und Ortshistoriker Walter Zollinger führte für die Jahre 1952 bis 1967 eine Jahreschronik der Gemeinde. Diejenige zum Jahre 1955 schrieb er im Herbst 1957. Danach war sie 25 Jahre bei der Zentralbibliothek Zürich unter Verschluss. Heute kann man also lesen, was er damals geschrieben hat.

Die Einleitung der Chronik 1955 handelt von einem lokalen Naturdenkmal, das seit dem Ausbau der Kreuzung Mitte der 70er Jahre verschwunden ist:

An die Spitze des diesjährigen Berichtes soll eine kurze Würdigung unserer Dorflinde zu stehen kommen, bevor sie eventuell verschwindet. Sie erhebt sich, ca. 20 Meter hoch, auf dem Inseldreieck zwischen Kaiserstuhler-, Glattfelder- und Stadlerstrasse, nahe beim Gasthof zum „Sternen“. Mit ihrer mächtigen, breitausladenden Baumkrone beherrscht sie vorläufig immer noch den Dorfeingang sowohl von Kaiserstuhl wie von Glattfelden her und überragt alle Nachbargebäude ganz beträchtlich. Ihr Stammesumfang, 1 m ab Boden gemessen, beträgt 270 cm. Ihr Alter darf auf rund 120 Jahre geschätzt werden. (Vater Liebert, 1833 geboren, vermochte sich nach Aussage seiner Tochter, an die Zeit zu erinnern, da sie gepflanzt wurde; er sei dazumal ein kleiner Bub gewesen).

Ihren Stamm umgibt eine bequeme Rundbank, die an warmen Abenden und verkehrsreichen Sonntagnach-mittagen vom heutigen Jungvolk belagert ist, um ja alle vorübersausenden Motorwagenarten mit „Kennermiene“ kritisieren zu können! – In früheren Zeiten mögen eher die Alten sich hier zu Kurzweil und Austausch von Dorfneuigkeiten aufgehalten haben. – Alljährlich zur Blütezeit im Frühsommer ist sie jetzt von hohen Leitern umstellt, von denen aus Jung und Alt ihre Körbchen oder Kratten mit den vornehmduftenden Blüten füllt, um im Winter genügend des gesunden Teekrauts zu besitzen. „Lindenblütenthee“ wird in jeder Weiacher Familie stets bereit gehalten.

Schade ist’s nur, dass die alte Linde, dieses schöne Wahrzeichen des Unterdorfes, von Jahr zu Jahr einige brüchig gewordene Aeste verlieren muss und dadurch ihre Krone immer mehr von der einstigen Wucht und Mächtigkeit einzubüssen droht. Schon aus diesem leiden Grunde ist es sicher am Platze, dass sie in dieser 55er–Chronik noch in Wort und Bild festgehalten werde! Eines schönen Tages, besser eines stürmischen Tages, muss sie vielleicht doch das Opfer des Alters und der Brüchigkeit werden!

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1955. Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1955

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