"Der Lebensnerv wird abgeschnitten", titelte das St. Galler Tagblatt in seiner Ausgabe vom 1. November und die Rede ist von den Problemen, welche der Rückzug von SBB Cargo auf der Ostschweizer Landschaft verursacht - exemplarisch am Beispiel der Futtermühle Mogelsberg.
Die Berner Zeitung ärgerte sich gleichentags darüber, dass die SBB der kleinen Regionalverkehr Mittelland (RM) den Güterverkehr entrissen hätten, nur um jetzt viele kleine Landstationen dicht zu machen: "SBB Cargo - Die Abwürger bei der SBB" und "Güterverkehr - Das Abstellgleis wartet", auch diese Titel lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Dass dann auf Kosten der Allgemeinheit auch noch Hunderte von Arbeitslosen produziert werden ("In der ganzen Schweiz 650 Stellen weg" - Solothurner Zeitung, 29. Oktober) setzt dem Ganzen die Krone auf.
Prügel gerechtfertigt
SBB Cargo, dem mit unfähiger Hand geführten Güterlogistik-Bereich der Schweizerischen Bundesbahnen, bläst der Wind voll ins Gesicht. Und auch das Management der Muttergesellschaft SBB bezieht Prügel - völlig zu Recht, finde ich.
Denn was da in den letzten Jahren den Kunden an Leistungsabbau zugemutet wurde, geht auf keine Kuhhaut. Früher hatte Weiach noch einen Bahnhof: Weiach-Kaiserstuhl. Seit 1995 gibt es ihn nicht mehr, nur noch eine unbediente Haltestelle in Kaiserstuhl. Wer einen Koffer oder eine Kiste aufgeben will, muss seither nach Bülach. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das eine reine Zumutung.
Bisher gab es wenigstens noch den Güterverlad für die Land- und Forstwirtschaft. Auch den will man jetzt ersatzlos streichen. Was für die Futtermühle Mogelsberg und das Emmental gilt, das spüren auch die Waldbesitzer und Landwirte im Zürcher Unterland. Dass nämlich völlig «Am Markt vorbeigeplant» wird (Tages Anzeiger, 1. November).
Weiach und die umliegenden Gemeinden weisen zusammen hunderte Hektaren an Gemeinde- und Privatwald auf, jeden Winter werden entsprechend viele Festmeter Langholz geschlagen.
Nun will man auch noch den Verladepunkt Weiach-Kaiserstuhl abwürgen, obwohl Jahr für Jahr tonnenweise Zuckerrüben und kubikmeterweise Holz auf die Bahn umgesetzt wurden. Allein dieses Jahr wurden 20 Langholzwagen mit ca. 2000 Kubikmeter Käferholz und anderem grünen Holz, aber auch Brennholz für Italien verladen. Für nächstes Jahr sind insgesamt 2700 Kubikmeter geplant.
In den eigenen Fuss schiessen?
Das soll jetzt offenbar alles auf der Strasse transportiert werden. Mit dem Ausdünnen der Verladepunkte schiesst sich die SBB Cargo nämlich (absichtlich?) in den eigenen Fuss. Mit weitreichenden Kollateralschäden. Der Verladeplatz Zweidlen wird zwar einstweilen noch beibehalten, obwohl er für den Holzverlad alles andere als geeignet ist. Erstens hat es weniger Platz zum Verladen und zweitens erhöht die Oberleitung die Gefahr von Unfällen.
Wohin wird der Verladepunkt bei der nächsten Totsparrunde verlegt? Und was passiert erst, wenn die Weiacher Kies AG dereinst den Betrieb einstellt? Deren Heimatbahnhof ist nämlich Zweidlen. Eins ist sicher: Wenn man kilometerweit bis zum nächsten Verladepunkt fahren muss, dann lohnt sich ein Umladen je länger je weniger. Der Tages-Anzeiger wird noch deutlicher:
Sollten die Bedienpunkte im Wagenladungsverkehr tatsächlich um die Hälfte reduziert werden, käme das einem kränkelnden Baum gleich, dem noch die letzten gesunden Äste abgeschnitten würden. (Güterbahn adieu - Tages Anzeiger, 1. November)
Harte Worte - hoffentlich stossen sie bei den Verantwortlichen auf offene Ohren. Das ist aus mindestens zwei Gründen wünschenswert: 1. wegen der nationalen Souveränität (Stichwort: Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen für die vielen zusätzlichen Lastwagenfahrten) und 2. der schon über die Massen strapazierten Staatskassen wegen (Stichwort: Wer bezahlt für obsolet gewordene Verladeanlagen? vgl. Tages-Anzeiger, 4. November, S. 31: Den SBB drohen teure Schadenersatzklagen). Von den infrastrukturpolitischen Gründen war oben schon ausführlich die Rede.
Die Schweizer verzeihen ihren SBB ja viel. Nicht umsonst meinte Massimo Rocchi, sie würden geliebt wie "äs Bébé". Aber irgendwann hat auch der Geduldigste die Nase voll. Bei aller Liebe.
4 Kommentare:
Die Aargauer Zeitung vom 16. November 2005 fragt: Wurde der Slogan «Für Güter die Bahn» vergessen? Für etliche Firmen steht mit dem Leistungsabbau der SBB Cargo AG der Gleisanschluss auf dem Spiel. Investitionen in Anschlussgleise dürften sich als verloren erweisen. Viele kleinere und mittlere Firmen im Kanton Aargau und den angrenzenden Gebieten sehen sich vor grossen logistischen Problemen. Einige befürchten gar, durch den Cargo-Kahlschlag in den Ruin getrieben zu werden.
Im Wehntal drohen mehr Lastwagentransporte für landwirtschaftliche Produkte. Deshalb kommt jetzt auch im Bezirk Dielsdorf Unmut auf:
Widerstand gegen SBB-Abbaupläne. Denn davon betroffen ist auch die Strecke Dielsdorf–Niederweningen.
Der «Zürcher Unterländer» vom Mittwoch, 30. November 2005 titelt: Über tausend Lastwagen drohen. Wehntal: Erfolgreiche Unterschriftensammlung gegen Einstellung des Bahn-Güterverkehrs.
"Die Gemeinden zwischen Dielsdorf und Niederweningen setzen sich für den Erhalt des Güterverkehrs auf der Schiene ein. Gestern Abend reichten rund 20 Gemeindevertreter eine Petition ein." schreibt Florian Riesen.
Wie der «Zürcher Unterländer» vom Dienstag, 20. Dezember 2005 meldet, formiert sich im Wehntal geballter Widerstand gegen den Leistungsabbau durch SBB Cargo. Gestern Montag erhielt deren Chef, Daniel Nordmann in Zürich eine Petition mit 1021 Unterschriften überreicht. Parallel dazu haben SVP-Nationalräte, Bauern und Verbandsvertreter gegen den Leistungsabbau bei SBB Cargo protestiert, schreibt Inga Struve.
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