Mittwoch, 7. Juli 2021

«Jugoslaven». Das Arbeitslager Zweidlen/Weiach im Jahre 1945

Mit dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai 1945 schwiegen zwar die Kanonen. Aber der Krieg war für viele Menschen noch lange nicht beendet. Unter ihnen waren auch etliche Flüchtlinge, die aus dem Gebiet des 1991 auseinandergefallenen Jugoslawien stammten. Sie waren auf Weiacher Gemeindegebiet in einem Lager untergebracht und wurden von dort aus für landwirtschaftliche Arbeiten eingesetzt.

Diese als «Anbauarbeiten» bezeichneten Arbeitsleistungen (im Rahmen der «Anbauschlacht» nach dem Plan Wahlen!) waren für die Landwirte nicht etwa gratis, sondern wurden nach Offertstellung verrechnet. Und sie waren nicht immer billiger als einheimische Arbeiter, wie der ortshistorisch versierte Weiacher Zeitzeuge Willi Baumgartner-Thut (*1930) weiss.

Nahe dem Ofen-Hof

Das Lager Zweidlen/Weiach (wie es offiziell genannt wurde) war in den Kriegsjahren nahe dem Ofenhof südlich des Hardwaldes errichtet worden. Nach Aussagen des Zeitzeugen stand es nördlich der Hauptstrasse auf der Ostseite des Feldwegs, der an die Ecke des Hardwalds führt (diese Ecke ist erst mit der im Krieg ausgeführten Rodung entstanden). Die Baracken befanden sich ungefähr dort, wo auf der Karte das erste «n» (von Hardrütenen) steht. 

Willi weiss noch, wie er damals Fleisch ins Lager gebracht hat. Seiner Erinnerung nach waren dort v.a. Polen und Juden interniert (vgl. seine Chronologie des 20. Jahrhunderts in der 6. Auflage der Ortsgeschichte, s. Quellen). 

Für die Jahre vor 1945 mag das gestimmt haben. Bislang hat WeiachBlog im Bundesarchiv die diesbezüglichen Monatsberichte der Zentralleitung der Arbeitslager von Mai 1940 bis Dezember 1944 noch nicht gefunden. Dass Polen auf Weiacher Boden gelebt haben, das wäre angesichts des 1945 verzeichneten sehr hohen Anteils dieser Nationalität an allen in Lagern und Heimen lebenden Flüchtlingen und Emigranten nicht verwunderlich. 

Tausende in Lagern und Heimen

Dem 64. Monatsbericht über den August 1945 (vgl. die nächsten beiden Abbildungen) ist jedenfalls zu entnehmen, dass Zweidlen/Weiach eines von damals 33 über die ganze Schweiz verteilten Flüchtlingslagern war. Die Zusammenstellung auf der ersten Seite zeigt, wie stark sich das Kriegsende in Europa auf die Bestandeszahlen ausgewirkt hat. Im August 1945 nahm die Zahl der in Institutionen unter der Ägide der Zentralleitung Untergebrachten um ein Drittel ab!


Auf Seite 3 findet man auf der letzten Zeile der Rubrik Arbeitslager für Flüchtlinge das obgenannte Lager. Ende Juli waren dort 80 Männer einquartiert, 9 kamen im Verlauf des Augusts hinzu und 32 traten aus dem Lager aus, sodass per Ende des Monats ein Bestand von 57 «Jugoslaven» gemeldet wurde:


Für Ende September hat die Lagerleitung einen Bestand von 75 gemeldet. Im Verlauf des Oktobers kamen 5 hinzu und 38 wurden aus dem Lager entlassen. Bestand Ende Oktober 1945 somit noch 42, was rund 4 % aller in Arbeitslagern tätigen Flüchtlinge entsprach. Per Ende November 1945 sank der Bestand leicht auf 39 «Jugoslaven» (67. Monatsbericht). Da der Bestand schweizweit auf 603 abgenommen hatte, erhöhte sich der Anteil auf 6.4 %.

Am Jahresanfang noch ein Emigrantenlager

Der 57. Monatsbericht über den Januar 1945 zeigt, dass das Lager Zweidlen/Weiach im Verlauf des  Jahres den Status gewechselt hat: vom Emigranten- zum Flüchtlingslager. Als Emigrantenlager beherbergte es noch verschiedene Nationalitäten, aber schon Ende Januar war der überwiegende Anteil aus Südslawien, wie die Fussnote vermeldet: «Im Arbeitslager für Emigranten Zweidlen/Weiach sind derzeit ca. 50 jugoslavische Flüchtlinge untergebracht»:

Quellen

  • Akten der Zentralleitung der Arbeitslager, Zürich-Enge; 1940-1946. Signatur: BAR E5791#1000/949#1644* (für registrierte Benutzer des Bundesarchivs online abrufbares Dossier).
  • Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Sechste, erweiterte Auflage von Walter Zollingers «Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Trub 2018-2021 – S. 92.
  • Persönliches Gespräch mit Willi Baumgartner-Thut am 7. Juli 2021.

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