Um die alte Kapelle aus vorreformatorischer Zeit (die im Raum Bedmen gestanden hat, vgl. WeiachBlog Nr. 1353) kann es sich dabei kaum gehandelt haben, denn die war bereits zum Zeitpunkt des Weidgangsstreits mit Kaiserstuhl und Fisibach (zwei Jahre zuvor) eine Ruine oder zumindest in sehr schlechtem Zustand und dürfte auch nicht genügend Platz gehabt haben. Nein, der Ort dieser Versammlung muss die Pfarrkirche im Oberdorf gewesen sein.
Klar ist auch, dass das Fragezeichen im Titel von WeiachBlog Nr. 878 vom 13. Juli 2010 (Ältester Hinweis auf die Kirche im Oberdorf?) völlig berechtigt und der im Text stehende Satz «Die älteste direkte Erwähnung einer Kirche zu Weyach habe ich bislang völlig übersehen.» ziemlich irreführend ist.
Die Kirche stand schon 1555
Nach wie vor korrekt: die Passage «Wahrscheinlich ist die alte Kirche mehrere Jahrzehnte vor dem Entstehen der Offnung [von 1596] erbaut worden. [...]. Es ist nämlich nach wie vor möglich, dass im Zürcher Staatsarchiv in einem Dokument ein noch älterer Hinweis auf seine Entdeckung wartet.»
Und den gibt es tatsächlich. Finden kann man ihn mittlerweile auch online, im Schweizerischen Idiotikon (Id.), dem umfangreichsten Regionalwörterbuch des deutschen Sprachraums:
«Eim Öppis i d'Schueh schütte' Z, dafür modern auch 'schiebe' wie nhd. 'Eim i d' Schueh (ine) brünzle, seiche'; s. Bd. V 771 (auch BSi.); Bd VII 142 und vgl.: 'Dero halb, so inn der kilchen zuo Wiach einanderen inn die schuoch brünzlen und die von Keiserstuol sy darumb in trostung genommen...' 1555, Z RM. 'Schim sëlb in d' Schueh brunze', 'sich selbst zum Nachteil reden oder zeugen' GRD. (B.).» (Id. VIII, 452)
«Z» steht für «Zürich», «RM» für «Ratsmanuale» («BSi.»: «Simmental»; «GRD.»: «Davos»).
Die Kaiserstuhler liessen sich nichts in die Schuhe schieben
Der Umstand, dass in der Weiacher Kirche schlecht übereinander geredet wurde (man sich gegenseitig Sachen in die Schuhe schob), hat also derart grossen Unmut verursacht, dass sich selbst in einem Ratsmanual der Hohen Obrigkeit zu Zürich noch ein Niederschlag davon finden lässt.
Man darf annehmen, dass es die Regierung des Stadtstaates nicht gross interessiert hätte, wenn das eine rein dorfinterne Angelegenheit gewesen wäre, oder eine, die sich mit den Nachbarn auf Augenhöhe hätte regeln lassen. Doch hier fühlten sich offenbar die Kaiserstuhler derart betroffen, dass sie von den Weiachern eine Bürgschaft verlangten (in Form eines Versprechens und/oder einer Geld- oder Sachleistung). Die lokale Aufregung nahm also sozusagen eine diplomatische Dimension an.
Sinn und Zweck einer «Trostung»
Was unter dem Rechtsbegriff der Trostung zu verstehen sein kann, darüber findet man ebenfalls im Idiotikon Hinweise (vgl. Id. XIV, 1421). In einem religiös aufgeladenen Konfliktfeld, wie es sich auch zwischen den neugläubig gewordenen Weiachern und den altgläubigen (d.h. letztlich katholisch gebliebenen) Kaiserstuhlern seit 1532 entwickelt hatte, könnte dieses «in die schuoch brünzlen» in der Kirche durchaus Fragen umfasst haben, die letztlich den Landfrieden betreffen, vgl. dazu die folgende Passage aus dem erwähnten Artikel Trostung, wo es um die gemischtkonfessionelle Gemeine Herrschaft Rheintal (GRh.) geht (Id. XIV, 1423):
Das ist ein Auszug aus den Eidgenössischen Abschieden (Absch.), wo die an der Herrschaft Rheintal beteiligten Orte 1532 (zu diesem Zeitpunkt neben ZH: LU, SZ, GL, UR, NW/OW, ZG und das damals noch nicht geteilte Appenzell) unter Umgehung von Zürich eine finanzielle Sicherung des Landfriedens beschlossen haben. Diese Bürgschaft war mit der Androhung strafrechtlicher Konsequenzen und weiterer finanzieller Nachteile verbunden. Und das ist denn auch die zweite Hauptbedeutung des Wortes Trostung: «Amtliches Verbot, Interdikt mit Strafandrohung» (Id.-Online-Version).
Diese Regelung hat übrigens der zuvor in Weiach tätige Pfarrer Mathias Spiller am eigenen Leib erfahren müssen. Er geriet 1559 sozusagen zwischen die diplomatischen Fronten, wurde verhaftet und als dem Landfrieden abträglich aus seinem Pfarramt in Altstätten (damals Teil der Vogtei Rheintal, heute Kanton St. Gallen) entfernt, vgl. WeiachBlog Nr. 1542.
Quellen und Literatur
- Schweizerisches Idiotikon: Band 8 (1920) und Band 14 (1987) (vgl. idiotikon.ch).
- Brandenberger, U.: Disput um die Finanzierung der Kirchturmrenovation. Was die alte Kirche im Oberdorf einem Grossbrand zu verdanken hat. Weiacher Geschichte(n) Nr. 106. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2008.
- Brandenberger, U.: Gemeindeoffnung 1596: Ältester Hinweis auf die Kirche im Oberdorf? WeiachBlog Nr. 878 v. 13. Juli 2010.
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