Mittwoch, 14. Juli 2021

Aus dem «Arbeitslager Zweidlen/Weiach» Entwichene

Es gibt Schriftwerke, die nur ausgewählten Personen zugänglich sind und die überdies nach ihrem Erscheinen noch jahrzehntelang unter Verschluss bleiben. Dazu gehören die Einträge in Datenbanken der Polizeiinformatik von Bund und Kantonen. Praktisch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch nannte sich dieses strafverfolgungsinterne gedruckte Periodikum noch «Schweizerischer Polizei-Anzeiger» (SPA).

Normalerweise ist unser Dorf darin kaum zu finden gewesen, vielleicht ein- oder zweimal pro Jahr. Und dann auch noch oft, weil halt ein Gesuchter den Bürgerort Weiach im Zivilstandsregister stehen hatte. Im Jahre 1945 war das allerdings ganz anders. Der Grund: das Arbeitslager Zweidlen/Weiach in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ofen-Hof.

Achtzehn Einträge vermeldet der Anzeiger im «Kriminellen Teil» unter dem Titel «Verhaftsbefehle» mit der Rubrik «Entweichung». Und zwar samt und sonders aus den Monaten nach dem Waffenstillstand am 8. Mai 1945.

Wie wir in WeiachBlog Nr. 1688 gesehen haben, stammte die Mehrheit der im letzten Kriegsjahr im Arbeitslager Zweidlen/Weiach internierten Flüchtlinge aus Jugoslawien. Aber es gab immer noch Angehörige anderer Nationen (belegt: Polen, Tschechen, Italiener), die sich dort aufhalten mussten. 

Sich aus dem Lager zu entfernen, ohne eine schriftliche Erlaubnis eingeholt zu haben, brachte einen Internierten in ziemliche Schwierigkeiten. Wer Militärdienst geleistet hat und das Urlaubssystem kennt, der kann sich in etwa vorstellen, wie das funktionierte.

Zuerst gehen die Kopfarbeiter...

Etliche der mit landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigten Insassen des Weiacher Lagers hielt nach Kriegsende nicht mehr viel zurück. Die Androhung von handfesten Nachteilen (besonders der Landesverweis) verlor ihren Schrecken je länger, desto mehr. 

Am 29. Mai machten sich der Student Branivoj K., *12.9.21 («Jugoslave») und der Flugingenieur Karl S., *27.3.21, Tscheche, buchstäblich vom Acker (SPA, Nr. 130, 9. Juni 1945 / S. 1071, Lnr. 9845 und 9853.).

Kurz darauf, am 3. Juli, taten es ihnen Branislav I., *31.12.16, «Jugoslawe, Beamter» (SPA, Nr. 157, 12. Juli 1945 / S. 1337, Lnr. 12 415), sowie Ratimir, P., *27.1.13, «Jugoslawe, Rechtsanwalt», gleich (SPA, Nr. 158, 13. Juli 1945 / S. 1350, Lnr. 12 571). Auch sie entwichen aus dem Lager und landeten auf der Fahndungsliste.

Eine nächste Welle folgte anfangs August: Am 5.8. genehmigte sich Georg, S., *9.2.15, «Jugoslawe, Kfm., Flüchtling» den Abgang aus dem Lager, wurde aber erst nach fast einem Monat (!) im Polizei-Anzeiger ausgeschrieben (SPA, Nr. 202, 3. September 1945 / S. 1805, Lnr. 17 001). 

Am 6. August haute der nächste jugoslawische Beamte aus dem Lager ab: der Flüchtling Ivan Hans B., *24.3.19 (SPA Nr. 197, 28. August 1945 / S. 1749, Lnr. 16 387). Auf denselben Tag datiert machte sich Marijan N., *16.8.20, «Jugoslawe, Stud., Flüchtling» auf den Weg in die Heimat. (SPA, Nr. 197, 28. August 1945 / S. 1751, Lnr. 16 406)

Und am 7. August türmte Otmar L., *10.9.18, «Jugoslawe, Kfm., Flüchtling» (SPA, Nr. 190, 20. August 1945 / S. 1669, Lnr. 15 602) aus dem Lager für Emigranten, wie es die federführende Polizeiabteilung im EJPD  bis dahin nannte.

... dann die Handwerker

Ende September firmierten die Baracken dann sowohl unter dem Namen Arbeitslager für Flüchtlinge Zweidlen-Weiach/ZH, wie unter dem alten Namen Arbeitslager für Emigranten.

Am 15 und 16. September verschwanden gleich zehn polnische Staatsangehörige:

  • Henryk L., *13.9.26, Landarb. (LNr. 19 426); 
  • Bogumil O., *27.3.26, Metzger (Lnr. 19 427); 
  • Eduard P., *26.12.26, Schlosser (Lnr. 19 429);  
  • Felix S., *16.10.27, Stud. (Lnr. 19 436); 
  • Waclaw (Wenzel) T., *13.7.27, Schüler (Lnr. 19 437); 
  • Florian W., *23 2.28, Kfm. (Lnr. 19 439); 
  • Ireneusz K., *2.1.27 (4.1.23), Automech., Flüchtling (Lnr. 19 551); 
  • Witold B., *28.6.26, Arb., Flüchtling (Lnr. 19 857) 
  • Feliks R., *18.11.28, Lehrling, Flüchtling (Lnr. 20 223), sowie
  • Pawel K., *26.6.27, Handl. (Lnr. 26 146).

Im Fahndungsregister erschienen diese Männer zwischen dem 28. September und 14. Dezember (!). Kam ja auch nicht mehr so darauf an. Die meisten waren nicht gemeingefährlich, wollten heim und nicht in der Schweiz untertauchen...

Quelle und Literatur

  • Schweizerischer Polizei-Anzeiger, 1945. Signatur: BAR E4260D-01#1000/838#30*
    Ab 1803; bis 1864 Allgemeines Signalement-Buch für die schweizerische Eidgenossenschaft, 1864-1904 Allgemeiner Polizeianzeiger der schweizerischen Eidgenossenschaft, ab 1905 Schweizerischer Polizei-Anzeiger (2 Bände pro Jahr).
  • «Jugoslaven». Das Arbeitslager Zweidlen/Weiach im Jahre 1945. WeiachBlog Nr. 1688 v. 7. Juli 2021.

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