Freitag, 31. Oktober 2025

Zwanzig Jahre WeiachBlog. Konstanten, Seitenzahlen und ISSN

Eine «Redaktion Weiacher Geschichte(n)» war es heute vor genau 20 Jahren, am Abend des letzten Oktobertags 2005, die den Willkommensbeitrag im neuen Gefäss WeiachBlog ins Netz gestellt hat.

Damals waren die Weiacher Geschichte(n) ein Printprodukt zwischen einer und acht Seiten A4, das jeden Monat als Rubrik der Mitteilungen für die Gemeinde Weiach in alle Briefkästen der Gemeinde gelegt wurde. 

Heute ist dem Trend der Zeit geschuldet born digital Trumpf. Gedruckt wird kaum noch. Auch die WeiachBlog-Gesamtausgabe verlässt die Welt der Bits und Bytes nur in seltenen Ausnahmefällen.

Die Konstanten: Autor und Hostingplattform

Dass der Autor, ein mittlerweile zum Privatier mutiertes älteres Semester, immer noch dieselbe Person ist wie 2005, das wird niemanden ernsthaft erstaunen.

Bemerkenswerter ist in unserem von vielen Stumpengleisen geprägten Informationstechnologiezeitalter, dass die Publikationsplattform vom ersten Tag bis heute ein und dieselbe geblieben ist: Blogger.com

Gewiss, etwas mehr Zeitinvestition in das Drum & Dran, gar ein Wechsel auf WordPress oder andere Tools würden wohl ein optisch wesentlich besseres Bild abgeben. 

Die Inhalte und die zu ihrer Erstellung erforderliche Recherchezeit im Hintergrund sind dem obgenannten Schreiberling jedoch wesentlich wichtiger.

Ein bunter Blätterstrauss

Wir blicken zurück auf eine von etlichen Stürmen geprägte Entwicklung, mit Experimentierfreude, ausführlichen Fachartikeln und kleinen Miszellen zur lokalen Geschichte, streitbaren Beiträgen zu aktuellen Themen der Gemeindepolitik und noch einigem mehr.

Die Online-Publikation hat viele Metamorphosen und Durststrecken (für die Leserschaft) durchgemacht. Von einer anfangs täglichen Portion kurzer Beiträge, die primär als Ergänzung zu den Geschichte(n) gedacht waren, hat WeiachBlog sich spätestens nach deren Einstellung, d.h. ab Dezember 2009, zum Allzweckpublikationsgefäss gewandelt.

Durchschnitt: 1.83 Seiten pro Artikel

Der WeiachBlog – im Startbeitrag noch mit dem heute eher unüblich gewordenen Artikel «das» versehen – ist also kein Periodikum, eher ein Gelegenheitsprodukt. Die per Stichtag 2276 publizierten Artikel sind punkto Anzahl und Umfang denn auch höchst ungleich über diese zwanzig Jahre verteilt. Das lässt schon die Übersicht erahnen, die jedem Jahresband der Gesamtausgabe mitgegeben wird:

Auszug aus dem Jahresband 2025 (aktuell 292 Seiten)

ISSN 2813-5792

Am 16. Januar 2023 wurde WeiachBlog beim ISSN-Zentrum Schweiz als Periodikum registriert. Zugeteilt ist ihm die International Standard Serial Number 2813-5792, die seither auch im Impressum geführt wird und auf jeder Seite des Blogs erscheint.

Vita brevis, ars longa

Auf weitere 20 Jahre? So grosser Vermessenheit und Hybris mag sich der Blogautor eingedenks seines eigenen Gesundheitszustandes im Speziellen und der Weltlage im Allgemeinen nicht erdreisten. Er nimmt es von Tag zu Tag und schaut, was möglich ist.

Seine Leserschaft wartet schliesslich seit Monaten auf das eigentlich für das Jubiläumsjahr 600 Jahre Weiach beim Kanton Zürich (1424-2024) vollmundig angekündigte Weiacher Orts- und Flurnamenbuch (WOFNB). Das soll nun mit Priorität bearbeitet werden. Und wie schon das Dorffest 750+1 um ein Jahr zeitversetzt erscheinen.

Literatur in eigener Sache. Start und Geburtstage

Donnerstag, 30. Oktober 2025

«Omne ius michi competens» – Hinweis auf geteiltes Niedergericht

In der bisherigen historischen Literatur über Weiach wird querbeet die Auffassung vertreten, der Freiherr Jakob von Wart habe am 8. Februar 1295 die Niedergerichtsbarkeit über Weiach an den damaligen Fürstbischof von Konstanz, Heinrich von Klingenberg, verkauft  und zwar die ganze Niedergerichtsbarkeit. Ein Ende Juli 2025 aufgetauchtes Regest lässt daran zweifeln.

* * *

Die herrschende Lehrmeinung findet man beispielsweise bei Kaspar Hauser in seinem 1896 gedruckten Aufsatz «Die Freiherrn von Wart», erschienen als «Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98». In der Einleitung, S. 6, zählt er verschiedene Besitzungen auf, darunter «[...] der Meierhof samt den niedern Gerichten in Weiach, alles Konstanzer Lehen, [...]». Hauser geht also davon aus, dass es sich bei der Transaktion lediglich um den Heimfall eines schon länger dem Fürstbistum gehörenden Lehens handelte.

Eine – bis auf den letzten Punkt – ähnliche Auffassung vertritt sinngemäss auch Martin Illi, der Autor des Artikels Weiach im Historischen Lexikon der Schweiz, Stand 11. Januar 2015. Er schreibt explizit:

«1295 verkaufte Jakob von Wart die niedere Gerichtsbarkeit seines Meierhofs in Weiach sowie die über das Dorf Weiach dem Bischof von Konstanz. Im 16. Jahrhundert verpfändete Konstanz seine Rechte zur Hälfte; 1605 kaufte es sie wieder zurück.»

Unklar ist, wie Illi auf das 16. Jahrhundert kommt, wo andere Autoren (wie Leu's Lexicon, Bd. X, S. 14) von der Mitte des 15. Jahrhunderts ausgehen. Dieser Punkt soll hier aber nicht weiter erörtert werden.

Gilt «Teilverpfändung und Rücknahme» noch?

Nachstehend geht es um die Frage, ob die bisher gängige Vorstellung zutrifft, wonach die Hälfte des Niedergerichts lediglich vorübergehend in den Händen Dritter gelegen habe (namentlich für das 15. bis 17. Jahrhundert bisher bekannt: Heggenzer von Wasserstelz und danach Herren von Landsberg).

Diese Sichtweise geht implizit davon aus, dass die ungeteilte Niedergerichtsbarkeit ab 1295 dem Fürstbistum gehört habe, es sie zu einem späteren Zeitpunkt teilverpfändet und später wieder zurückgenommen habe.

Bekannt ist (spätestens seit Publikation des Rechtsquellen-Bandes Neuamt im Jahre 1996), dass 1352 eine Teilung der Niedergerichtsrechte vorgelegen haben muss. Das zeigt sich an der Urkunde mit der Signatur StAZH C II 6, Nr. 769. Darin ist ein Angehöriger des Geschlechts der Freiherren von Tengen als einer von zwei Gerichtsherren genannt. Nach oben ausgeführter Auffassung wären die Tengener damit Pfandnehmer oder Lehensnehmer gewesen.

Offenbar doch keine Verpfändung!

Nachdem der Verfasser dieses Beitrags im Juli 2025 auf ein Regest zu StAZH C II 6, Nr. 504.6 gestossen ist, sieht die Sachlage doch etwas anders aus. Unter Ziffer 2 ist da nämlich zu lesen:

«Die Gerichtsherrlichkeit zu Weiach (Weyach) gehört zu einem halben Teil dem Bischof; der andere halbe Teil gehört nicht lehensweise, sondern als Eigentum dem Inhaber von Wasserstelz und ist erbweise von Escher an Heggentzer und danach an die von Landsberg (Landtsperg) gefallen, welche ihn dem Bischof zum Kauf angeboten haben. [Kaufbrief: 1605; C II 6, nr. 469].»

Das zugrundeliegende Dokument, eine undatierte Zusammenstellung von Berichtigungen des fürstbischöflich-konstanzischen Obervogts Andreas Zwyer von Evebach, die zwischen 1597 und 1605 entstanden ist, pulverisiert die bisherigen Vorstellungen.

Folgt man dieser Darstellung, dann sind sowohl die Freiherren von Tengen wie später das Kaiserstuhler Bürgergeschlecht der Escher (das möglicherweise dem Ministerialadel entstammt), dann die Schaffhauser Patrizier Heggenzer sowie schliesslich die Herren von Landsberg jeweils aus eigenem Recht heraus ebenso Eigentümer einer Hälfte der Gerichtsbarkeit gewesen wie der Fürstbischof selber.

Inhalt der Originalurkunde von 1295 neu analysiert

Der in Latein abgefasste Originaltext der Urkunde dürfte von der fürstbischöflichen Kanzlei zu Konstanz aufgesetzt worden sein. Man kann das daraus schliessen, dass die verwendeten Formeln sich sehr stark ähneln:

«Noverint igitur universi tam posteri quam presentes [...] quod ego corpore et mente sanus [...]» lautet die Formulierung in einer Urkunde vom 23. September 1301 (Chartularium Sangallense, Bd. 5, S. 33) als Cünradus dictus Furst de Künzemberg nobilis von seinen Rechten an den Fürstbischof abtritt. 

Die sechs Jahre ältere Weiacher Urkunde lautet an derselben Stelle wie folgt:

«Noverint universi tam posteri quam presentes, quod ego pure ac liberaliter omne ius michi competens in iurisdicione // et districtu curie villicatus dicte Wiach, site prope Kaiserstůl, et in villa Wiach, que iurisdicio getwinch et ban wlgariter appellatur, trado, dono et confero venerabili patri H. dei gratia Constantiensi episcopo nomine et vice ecclesie sue Constantiensis» (UBZH N° 2323; VI, 289; StAZH C II 6, Nr. 466, 8. Februar 1295; Unterstreichung durch WeiachBlog)

Weiter geht aus dem Regest in REC Bd. 2, Nr. 2930 hervor, der Verkäufer (Freiherr Jakob von Wart) behalte «sich die zur zeit von dem bauer (colonus) seiner besitzungen in Waiach [sic!] einzutreibenden geldstrafen (emende), soweit sie dem bisch. zustehen, unbeschadet der übrigen, vor». (Unterstreichung durch WeiachBlog)

Im Lichte der Berichtigungen von Obervogt Andreas Zwyer kann man die beiden unterstrichenen Passagen eigentlich nur so deuten: 

Teilung der Niedergerichtsbarkeit über Weiach ist älter als 1295!

Jakob von Wart gibt damit m.E. deutlich zu verstehen, dass der Verkaufsgegenstand lediglich die ihm zustehenden Rechte (omne ius michi competens) an der Gerichtsbarkeit sowie seine Anteile an den Geldstrafen (vgl. frz. amendes!) umfasse. Offensichtlich gibt es Bussenanteile, die nach der Transaktion nicht dem neuen Eigentümer (dem Bischof) zustehen, sondern weiterhin einem in der Urkunde ungenannten Dritten.

Das wiederum lässt einzig den Schluss zu, dass die Gerichtsbarkeit bereits vor dem Beurkundungstermin anfangs Februar 1295 geteilt gewesen sein muss! Die Annahme, dass es sich um eine hälftige Teilung gehandelt hat, ist angesichts der späteren Verhältnisse nicht abwegig.

Quellen und Literatur

  • Hauser, K.: Die Freiherrn von Wart. Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98. 233/34stes Stück. Buchdruckerei Geschwister Ziegler, Winterthur 189– Einleitung, S. 6.
  • Badische Historische Commission (Hrsg.): Regesta episcoporum Constantiensium (REC). Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower 517-1496. Zweiter Band, 1293 – 1383. Bearb.: A. Cartellieri, K. Rieder. Innsbruck 1905 – Nr. 2930, S. 10.
  • N.N. (mutm. Zuber, Sinaida): Berichtigungen des [bischöfl. Konstanzer] Vogts zu Kaiserstuhl [Andreas Zwyer] zum Renovationswerk Gottfrieds von Rammingen im auf dem eidgenössischen Boden gelegenen Teil des Amts Kaiserstuhl. Regest Staatsarchiv des Kantons Zürich. Original zw. 1597 u. 1605 entstanden. Signatur: StAZH C II 6, Nr. 504.6.
  • Illi, M.: «Weiach". In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.01.2015.
  • Brandenberger, U.: Die älteste Erwähnung des Weiacher Dorfgerichts. WeiachBlog Nr. 1752, 28. September 2021.
  • Brandenberger, U.: Geteilte Niedergerichtsbarkeit bereits im 14. Jahrhundert. WeiachBlog Nr. 2055, 16. März 2024.

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Temporäre Explosion der Weiacher Schafpopulation

Rindvieh, Schweine, Ziegen. Diese Tiergattungen waren unter den Nutztieren in unserer Gemeinde traditionell stark vertreten. Schafe hingegen musste man vergleichsweise schon fast mit der Lupe suchen. Das ist heutzutage nicht anders.

Die Identitas AG, die im Auftrag des Bundes die Hundedatenbank Amicus, die Tierverkehrsdatenbank TVD sowie diverse Tierstatistiken führt, stellt auch Daten zur Anzahl der erfassten Tiergattungen pro Gemeinde zur Verfügung. 

Normalerweise an zwei Händen abzählbar

Am letzten Stichtag, der auf der Website verfügbar ist – dem 30. September 2025 – waren auf Weiacher Halter genau 9 Schafe gemeldet, davon 6 der Rasse Shropshire.

Shropshire-Schafe sind Spezialisten. Sie lassen sowohl Nadelgehölze als auch Obstbäume in Ruhe, verbeissen sie also nicht und werden daher u.a. in Christbaumkulturen eingesetzt, um den Graswuchs unter Kontrolle zu halten.

Im Herbst können die Weiacher Landeigentümer auf den Wiesen die Hilfe zusätzlicher Schafe anderer Rassen allerdings gut gebrauchen, wenn es sich nicht gerade um eine Biodiversitätsförderfläche handelt, auf der die Herbstweide vertraglich wegbedungen wurde.

An der Verzweigung Leestrasse-Steinbruchstrasse auf die Weide

Schafe sind bei uns also Exoten. Umso auffälliger ist da der Besuch einer Wanderherde, wie sie heute von Franziska Mitteregger auf der FB-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... fotographisch verewigt wurde.

Bilder & Collage: Franziska Mitteregger

Mit dieser Herde hat sich der Schafbestand auf Weiacher Boden locker verzehnfacht. Bis in einigen Tagen die zugewiesenen Flächen abgeweidet sind und die Herde weiterzieht. 

An der Statistik ändert das nichts. Denn der zivilrechtliche Wohnsitz dieser Gastarbeiter ist am Betriebsstandort der Wanderschäferei.

Montag, 27. Oktober 2025

Der «Postrudi» in Pattesons Autobiographie

In Weiach ist es teilweise noch heute der Brauch, dass Alteingesessene mit in traditioneller Weise entstandenen Zunamen bezeichnet werden, die vielen Einheimischen geläufig sind. 

So beispielsweise der «Chüefer-Urs», mit bürgerlichem Namen Urs Schenkel, der im östlichen der beiden Aussiedlerhöfe auf der zur Kiesausbeutung vorbereiteten Ebene des Hasli wohnt. Vor der Aussiedlung war diese Familie an der Luppenstrasse 6 ansässig. Dort – so überliefern es mündliche und schriftliche Quellen – war die Küferwerkstatt von Jakob Schenkel eingerichtet. Deshalb sind diese Schenkel zwecks Abgrenzung von anderen Familien dieses Namen eben «s' Chüefers».

Wer zur Familie gehört, hat den Namenszusatz

Nach demselben Muster erhielt derjenige Zweig der Meierhofer, der während Generationen die Funktion des Weiacher Posthalters innehatte, einen entsprechenden Zusatz: «s' Poschtmeierhofers». 

Daher wurde der letzte Amtsinhaber dieser Dynastie, Walter Meierhofer, als «Poscht-Walti» bezeichnet (vgl. WeiachBlog Nr. 1897). Das galt aber auch bei anderen Mitgliedern des Familienzweigs, selbst wenn sie selber überhaupt nichts mehr Postdienstleistungen zu tun hatten, wie die neu zugezogene Lehrerfamilie Hauser lernen musste. 

Ursi Hänni-Hauser schreibt dazu in einem Kommentar auf der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn...: «Übrigens hatte ich als Kind anfänglich nicht verstanden, weshalb man den Bruder vom "richtigen" Pöstler Poscht-Ruedi nannte...  Beide Brüder sangen übrigens im Kirchenchor, zu dem ich aus bekannten Gründen direkte Drähte hatte...!» (13. Februar 2023, 17:39)

Anna Wolf replizierte zwei Tage später mit: «und männerchor 🥰🥰 gruss aus weych» (15. Februar 2023, 17:42)

Autobiographie von ennet dem grossen Teich

Rückblende in die Postkutschenzeit. Bei der damaligen Beliebtheit des Vornamens Ruedi kann es nicht verwundern, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts gleich mehrere «Poscht-Ruedi» gegeben hat.

In ihrer Autobiographie When I was a girl in Switzerland schreibt Louise Patteson (geborene Luisa Griesser aus Weiach):

«My cousin Rudi, the postmaster’s son, was only a year older than I; but ever since I could remember he delivered the mail to our house; and I suppose to all the other villagers. He was commonly called the “Postrudi,” because it is customary there to designate people by their occupation or location, or both.» (Patteson, S. 13)

Da Luisa im Jahr 1853 geboren wurde, muss Ruedi Meierhofer 1852 zur Welt gekommen sein. Sein Vater, der postmaster vom 1. Juni 1852 bis 31. Dezember 1889 war, hiess ebenfalls Rudolf, was die Sache auch nicht einfacher machte, wenn man zwischen Briefausträger und Posthalter unterscheiden wollte. Es sei denn, man hätte den kindlichen Boten explizit als «s' Poschtruedis Ruedeli» bezeichnet.

Humorvoller Sekundarlehrer mit strenger Strichliste

Ruedi und Louisa besuchten gemeinsam die Sekundarschule in Stadel, wo Lehrer Reichling mehrere Dutzend Schüler in einem einzigen Zimmer im Alten Schulhaus (vis-à-vis des VOLG) unterrichtete. An diesen Mann erinnert sich Patteson besonders gern:

«He had some patent expressions which were so humorous that when I first heard them I could hardly restrain myself from laughing, but they would lose their flavor in translation. He kept some sort of a blank in which were squares marked off for the pupils. For any severe misdemeanor a black mark called a “Strich” was traced in the square. Cousin Rudi was given many a Strich because he used to play so hard during the noon recess that he would come into school with his face red as a lobster.» (Patteson,  S. 204).

Mit einem «blank» oder «paperblank» ist ein Notizbuch gemeint. Der Begriff «misdemeanor» wird umschrieben als «an act that some people consider to be wrong or unacceptable». 

Worin das unakzeptable Verhalten dieses «Poscht-Ruedi» genau bestanden hat, darüber schweigt sich die Autorin aus. Und bislang weiss der Verfasser dieser Zeilen auch nichts Näheres über seinen weiteren Lebensweg.

Quelle und Literatur 
  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 13 & 204.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Postkutschenromantik aus erster Hand. WeiachBlog Nr. 1509, 17. Mai 2020.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.

Samstag, 25. Oktober 2025

Der «Sängerverein in Weiach». Ein Lebenszeichen von 1843.


«Den ansehnlichen, freiwilligen Beitrag an die durch das Bezirkssängerfest verursachten Kosten verdankt dem edeln, unbekannt sein wollenden Geber höflich -- Der Sängerverein in Weiach.»

Dieses kleine Inserat in der Winterthurer Zeitung «Der Landbote», dem seit März 1836 jeweils am Donnerstag erscheinenden ersten Periodikum, das auch im Zürcher Unterland und Weinland gelesen wurde, kommt zwar unscheinbar daher.

Aus lokalhistorischer Perspektive ist es jedoch eine kleine Sensation. Denn hier bekommen wir den bisher ältesten, vom Verfasser dieser Zeilen gefundenen Beleg vor Augen. 

Er beweist, dass es auch vor dem auf der seidenen Fahne des Gesangvereins Weiach verewigten Jahr 1860 schon organisierte Sängeraktivitäten abseits der kirchlichen Strukturen gegeben hat. 

In der Kirche lernten die Männer singen

Die obligatorische Singschule in der Kirche für ältere männliche Jugendliche im Rahmen der «Repetirschule» nach den Alltagsschuljahren, ist als sog. «Nachtschule» bereits in der Schulumfrage 1771/72 belegt (vgl. Anmerkung 4 zu Maurer 1966).

Zu vermuten ist, dass der genannte Weiacher Sängerverein schon einige Jahre zuvor gegründet worden ist (wie viele andere Gesangsvereine in Mitteleuropa) und über eine nicht allzu kleine Anzahl Mitglieder und ausreichenden Rückhalt in der Gemeinde verfügte. Die Ausrichtung eines Bezirkssängerfestes war schliesslich auch damals schon organisatorisch keine Kleinigkeit.

Zu vermuten ist weiter, dass der damals in seiner Kirchgemeinde Fuss fassende Pfarrer Hans Konrad Hirzel für dieses Sängerfest tatkräftig seinen Beitrag leistete. Zeitungsberichte, die ein Benefizkonzert in Kaiserstuhl Ende Januar 1845 belegen, sprechen für eine führende Rolle seiner Person in Sängerkreisen auch über die Kantonsgrenze hinaus.

Quelle und Literatur

  • Anzeige Nr. 1664. In: Der Landbote (Winterthur), Nro. 46, 16. November 1843, S. 4.
  • Maurer, E.: Eine neue Orgel für die Kirche Weiach. Herausgegeben von der Evang.-ref. Kirchenpflege Weiach. Weiach 1966. Neu paginierter Originaltext. Mit Anmerkungen von Ulrich Brandenberger. Stand: Dezember 2024; PDF, 996 KB.
  • Brandenberger, U.: Alter der Fahne oder Jahr der Vereinsgründung? WeiachBlog Nr. 792, 13. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Fahnen mit Turnerkreuz, Armbrust und Lyra. WeiachBlog Nr. 1432, 4. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Zur Jahrzahl 1860 auf der Fahne des Gesangvereins Weiach. WeiachBlog Nr. 1759, 7. Oktober 2021.
  • Brandenberger, U.: Pfarrer J. C. Hirzel: Kinder, Landwirtschaft und edle Tonkunst. WeiachBlog Nr. 2127, 3. Juli 2024.

Montag, 13. Oktober 2025

Dendrodatiert auf 1240? Die ältesten Holzbalken in Weiach

Ist Weiach im Jahre 1271 gegründet worden? Nein, die Siedlung im heutigen Ortskern ist älter. Aber um wie viel älter? Das einzige, was wir sicher wissen: Sie hat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits existiert. Und an der Stelle, wo heute das Oberdorf liegt, standen Gebäude. 

Nun wird man vielleicht einwenden, da gebe es doch noch einen älteren Beleg aus dem Oberdorf. Richtig, den gibt es, wie dem dritten Band der Reihe Bauernhäuser des Kantons Zürich zu entnehmen ist: «Möglicherweise geht der von 1240d datierte Keller im 1647 gebauten Vielzweckbauernhaus auf ein Nebengebäude des Brandhofes, auf den Speicher oder die Trotte, zurück.» (Hermann 1997)

Wiederverwendet, oder nicht?

Das «d» nach der Jahrzahl weist auf eine Dendrodatierung hin. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurden die Deckenbalken im Keller des Bauernhauses Oberdorfstrasse 27 beprobt und datiert [s. Bericht Laboratoire Romand de Dendrochronologie (LRD), Moudon vom 31. August 1988 (N/Réf. LRD8/R1987C)]

Die aus ortsgeschichtlicher Sicht entscheidende Frage ist: In situ? Zeigen die datierten Balken offensichtlich nachträgliche Bearbeitungsspuren, stammen also ursprünglich aus einem anderen Bau und sind hier wiederverwendet worden? Oder sind sie seit ihrer Entnahme aus dem Wald und der initialen Bearbeitung durch die Zimmerleute an ihrem heutigen Standort verbaut worden und seither unverändert in dieser Lage verblieben? [Zur Frage nach Fälljahr und Baujahr, vgl. WeiachBlog Nr. 1393].

Dr. Roland Böhmer, stellvertretender Leiter Dokumentation der Kantonalen Denkmalpflege Zürich, konnte auf Anfrage von WeiachBlog auch nicht mit Sicherheit sagen, was zutrifft. Dazu müsse man genau hinschauen, insbesondere auch die Bauweise der Mauern beurteilen, in welche die beprobten Balken eingelassen sind. Denn es gebe Unterschiede in der Art und Weise, wie Mauern über die Jahrhunderte hinweg in der Regel erstellt wurden.

Viele Möglichkeiten hat man derzeit auch vor Ort kaum. Denn wie von der Hauseigentümerin, Regina Haegi, in Erfahrung zu bringen war, sind zwar die Mauern zugänglich und auch nicht verputzt. Die meisten Balken hingegen sind hinter einer Schicht Isolationsmaterial verborgen.

In situ, sagt die Bauernhausforschung

Nach der Analyse des Dendrodatierungsberichts des LRD kam die Zürcher Bauernhausforschung am 14. August 1989 zu folgendem Schluss:

«Weiach, Vielzweckbau Vers.Nr. 287, Haus Hägi
Ergänzungen zur Baugeschichte (nach Dendro)
- Der strassenseitige Teil des nördlichen Kellers datiert von 1240 (4 Deckenbalken datiert). Auch das Mauergefüge der Nord- und Südwand dürften aus dieser Zeitepoche stammen. Auf der Nordseite endet das primäre Mauerwerk mit einem Mauerabsatz.»

Böhmer dazu am 14. Januar 2022:

«Isabell Hermann gelangte zum Schluss, dass Teile des Mauerwerks des Kellers und die Deckenbalken zusammengehören. So im Bauernhausband S. 274: "Möglicherweise geht der 1240d datierte Keller im 1647 gebauten Vielzweckbauernhaus auf ein Nebengebäude des Brandhofes, auf den Speicher oder die Trotte, zurück."

Auch aus den Unterlagen zum Band, die ich für Sie gescannt habe, geht dies deutlich hervor. Hermann beobachtete sowohl in der Vertikalen wie in der Horizontalen Absätze im Mauerwerk und folgerte daraus, der Raumteil mit den Deckenbalken um 1240d sei ein älteres Gebäude, das 1647 in das Vielzweckbauernhaus integriert wurde. [Auszeichnung: Red. WeiachBlog]

Wichtig: Die Dendrodatierung lieferte mangels Waldkante nicht exakt das Jahr 1240, sondern folgendes Ergebnis: "pas antérieure à 1228, aux environs de 1240".»

Was steht im LRD-Bericht genau drin?

Die eichenen Deckenbalken im Kellergeschoss der Oberdorfstr. 27 sind also laut dem Laboratoire Romand de Dendrochronologie nicht vor 1228 geschlagen worden. Wir haben damit dendrochronologisch den Hinweis, dass es das heutige Weiach schon vor 1250 gegeben hat.

Die massgebende Stelle im Bericht des LRD zeigt, dass sich die Datierung auf vier Proben abstützt:
Fehlende Waldkante und das Problem der Splintholzdatierung

Hölzer sind, so kann man auf der Website Prähistorische Archäologie nachlesen, «in der Regel bearbeitet worden, zum Beispiel um in Baustrukturen eingesetzt werden zu können oder um aus ihnen Gegenstände herzustellen, die für den alltäglichen Bedarf eingesetzt wurden.

Mit jedem Bearbeitungsschritt werden den Hölzern allerdings mehr und mehr der äußeren Jahrringe entfernt. Durch das Entfernen der Baumrinde und der äußeren Jahrringe kann nicht mehr festgestellt werden, wann ein Baum gefällt wurde. Je mehr Jahrringe fehlen, desto „älter“ wird eine Probe. [...]

Wenn eine Probe exakt datiert und tatsächlich das Jahr der Baumfällung angegeben werden soll, setzt dies das Vorhandensein der sogenannten Waldkante voraus. Gemeint ist hiermit der letzte Jahrring unter der Baumrinde. Hat sich an einer Probe tatsächlich noch ein Rest der Baumrinde erhalten können, so kann diese exakt datiert werden. 

Darüber hinaus wird zwischen einer Splintgrenzendatierung und einer Kernholzdatierung unterschieden. Als Splintholz wird der äußere Bereich eines Baumstammes unter der Rinde bezeichnet, der sich noch im Wachstum befindet. Im Kern eines Baumstammes befindet sich hingegen das sogenannte Kernholz. Dieses Holz ist physiologisch nicht mehr aktiv und häufig dunkler als das jüngere Splintholz.

Mikroskopisch lässt sich feststellen, ob eine Probe aus Kern- oder Splintholz besteht, wenn nicht sogar beide Bereiche erhalten sind. Wenn einmal festgestellt wurde, dass eine Probe tatsächlich Splintholz aufweist, kann mit der Hilfe dieser Information der Datierungsspielraum eingeschränkt werden. So ist beispielsweise bekannt, dass bei einer hunderjährigen [sic!] Eiche das Splintholz im Durchschnitt 20 Jahrringe umfasst. Kernholzdatierungen hingegen können nur einen terminus postquem angeben, das heißt den frühesten möglichen Zeitpunkt der Baumfällung.» (Miera 2020)

Irgendwo zwischen 1237 und 1243

So einen Terminus post quem hat das LRD 1988 im Falle dieser Deckenbalken mit der Angabe «pas antérieure à 1228» auch festgehalten. Vor diesem Jahr kann der Keller also nicht entstanden sein. Zumindest nicht in dem Sinne, dass die Deckenbalken eingesetzt wurden.

Und was bedeutet jetzt «aux environs de 1240»? Der damals vor bald 40 Jahren an Probenahme und Analyse beteiligte LRD-Mitarbeiter Hurni hat WeiachBlog telefonisch bestätigt, dass an diesen Balken die Waldkante fehlt und auch gewisse Teile des Splintholzes, sodass man keine jahresgenaue Datierung vornehmen könne, aber von einem Schlagjahr zwischen etwa 1237 und 1243 ausgehen dürfe.

Es lässt sich festhalten, dass diese Balkenlage derzeit das älteste auf ein paar wenige Jahre eingeschränkt datierbare, fix mit dem Boden verbundene Objekt auf Gemeindegebiet darstellt.

Ein wenig älter als die Städtchen Eglisau und Kaiserstuhl

Die Eichenbalken sind so alt, dass sie aus der Zeit der Gründung des Städtchens Eglisau und der Errichtung der dortigen Rheinbrücke durch die Herren von Tengen stammen (zw. 1238 und 1253), bzw. rund 15 Jahre älter als die Stadtgründung von Kaiserstuhl (ca. 1254/55), wo es ebenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt eine Konkurrenzbrücke gegeben haben könnte.

Urkundlich nachweisbar ist die Eglisauer Brücke auf 1249. Die Kaiserstuhler Brücke wird hingegen erst im Jahre 1294 erwähnt, als der Fürstbischof von Konstanz die Stadt und das auf dem Nordufer gelegene Schloss Rötteln gekauft hat.

Quellen und Literatur
  • Orcel, Ch.; Orcel, A.; Hurni, J.-P.: Analyse dendrochronologique de bois provenant de la maison Egle - Haeggi à Weiach (ZH). N/Réf. LRD8/R1987C (Laboratoire Roman de Dendrochronologie; Auftraggeber Dr. Ch. Renfer, Leiter Bauberatung Denkmalpflege Zürich). Moudon, 31. August 1988. Handschriftliche Vermerke auf dem Expl. der Denkmalpflege: «Wohnhaus (ehem. Bauernhaus) Vers.-Nr. 287. Oberdorfstrasse 27-29».
  • Dokumentation BHF (Bauernhausforschung des Kantons Zürich) 1987-1995. [Archiv der Kantonalen Denkmalpflege Zürich]
  • Hermann, I. (Hrsg.): Die Bauernhäuser des Kantons Zürich, Bd. 3. Basel 1997 – S. 274.
  • Miera, J.: Probleme dendrochronologischer Datierungen. Kapitel in: Die Dendrochronologie. Prähistorische Archäologie. Wissen - Datierung - Dendrochronologie. Abgerufen 14.8.2022 u. 13.10.2025.
  • Telefonische Abklärungen mit Dr. Roland Böhmer, Regina Haegi und Jean-Pierre Hurni vom 12. bis 14. Januar 2022.
  • Böhmer, R.: E-mail «Weiach, Vers. NR. 287» vom 14. Januar 2022 an Wiachiana-Verlag.

Samstag, 11. Oktober 2025

Woher kam die Angst der Weiacher vor dem 9. des Monats?

Am vergangenen Wochenende hatte das Weiacher Ortsmuseum für die traditionelle grosse Herbstausstellung seine Türen und Tore geöffnet (vgl. WeiachBlog Nr. 2292).

Teil der Ausstellung bildete auf dem Tennboden im Ökonomieteil eine Schautafel über die Landwirtschaft, die als Hauptabnehmerin eng mit etlichen der vorgestellten Gewerbebetriebe verbunden war. Die angehefteten sechs Textseiten wurden vor über 20 Jahren von alt Gemeindepräsident Ernst Baumgartner-Brennwald (1920-2008; whft. gew. Oberdorfstr. 26) verfasst.

Die Schautafel Landwirtschaft auf dem Tennboden
(Foto: Ortsmuseumskommission, Facebook)

Nachstehend die Aufzeichnungen auf dem sechsten Blatt, das sich auf die dramatischen Ereignisse im Herbst 1944 bezieht. Wie bei vielen Erinnerungen, die nach Jahrzehnten aus dem Gedächtnis zu Papier gebracht werden, spielt dieses auch Ernst dann doch ein paar chronologische Streiche, wie nachstehend dargelegt wird.

«Am 9. September 1943 [recte: 9. Oktober 1944] war ich an der Delegiertenversammlung der Jungen Kirche in Basel. Plötzlich donnerten Jagdflugzeuge über die Stadt und Wasseralarm wurde ausgelöst, denn das Kemser-Kraftwerk war bombardiert worden.»

Der alliierte Fliegerangriff auf das Stauwehr Kembs-Märkt ereignete sich am frühen Abend des 7. Oktober 1944. Vgl. die Ausführungen im letzten Abschnitt dieses Artikels. 

Ernst (24) war Augenzeuge des Fliegerangriffs auf den fahrenden Zug

Dann schildert Baumgartner-Brennwald den von etlichen Weiacher Augenzeugen (u.a. Mina Moser) überlieferten Angriff auf einen Richtung Eglisau fahrenden Zug nördlich des Weiacher Dorfkerns am 9. September 1944 (vgl. Literaturliste unten):

«Am 9. Oktober [recte: September] war unsere Fami[l]ie nahe der Bahnlinie mit «kartoffeln» beschäftigt. Sturzflugartig kamen kurz nach 12 Uhr amerikanische Jagdflugzeuge mit Maschinengewehr-Geknatter herunter. Im ersten Moment glaubten wir, es gelte uns. Aber da sahen wir den Güterzug kommen und aus dessen Dampflokomotive zischend der Dampf entwich. In der Annahme[,] dass dort Personal verletzt worden sind, eilte ich dem Zug entgegen. Plötzlich ertönten wieder Maschinengewehrgeknatter. Die Jagdflugzeuge hatten eine Schleife gezogen und kamen über das «Güllefass» (Gebiet Fasnachtfluh) herab, und beschossen den Zug seitwärts. Ich hatte mich erschrocken in eine Kartoffelfurche gelegt, und sprang erst weiter[,] als ich sicher war[,] dass die Angreifer fort waren. Bei der Lokomotive lag an der Böschung der Heizer mit blutendem Oberarm. Der Lokführer schickte mich mit weiteren Herbeigeeilten in den Gepäckwagen. Dort lag der Zugführer mit einer handgrossen offenen Bauchwunde. Er konnte uns die Weisung geben[,] dass an der Decke eine Tragbahre hänge. Mittlerweile waren aus dem Dorf Sanitätsoldaten zur Hilfe eingetroffen. Die Verletzten konnten nach langer Zeit als geheilt erklärt werden.»

Aus dieser detaillierten Beschreibung, der wir hohe Authentizität beimessen dürfen (immerhin war Ernst Baumgartner als Soldat darauf trainiert, Gefechtssituationen zu erfassen), geht u.a. hervor, wie die Jagdpiloten vorgegangen sind. Vom Rafzerfeld her kommend – wo sie bei Rafz bereits einen anderen Güterzug attackiert hatten – stachen sie auch auf diesen Zug hinunter, feuerten eine Salve ab, zogen ihre Maschinen dann wieder hoch und gelangten in einer weiten Linkskurve über den Sanzenberg, Haggenberg und Stein in die rechte Flanke der jäh gestoppten Komposition. Das zeigt der Hinweis mit dem Flurnamen Güllefass deutlich. Als «s Güllefass» wird laut dem blauen Büechli von Zollinger (im Volksmund nach dem Rückentitel sog. «Chronik» 1972/84) die «Felspartie zwischen Wörndel und Fasnachtflue» bezeichnet, was exakt zur Endposition des angegriffenen Zuges vor der Höh passt.

Im Zürcher Hauptbahnhof umgeleitet

Den nächsten Fliegerangriff in unmittelbarer Nähe von Weiach erlebte Ernst zwar in Uniform, jedoch nicht als Augenzeuge. Er war gerade auf der Heimfahrt aus dem Dienst:

«Am 9. November 1944 wurde ich nach einem Ablösungsdienst mit dem Bat. 64 entlassen. Im HB Zürich stürmte ein Bahnangestellter in den abfahrbereiten Zug und rief: «Militär nach Weiach rasch aussteigen». Unserer Sechs gelang dies mit Sack und Pack und der Zug fuhr ab. Niemand konnte uns mit der Weisung[,] dass wir via BadenKoblen[z]–ZurzachWeiach ohne Erk[l]ärung heimfahren sollen. Erst in Koblenz wurde uns bekannt[,] dass amerikanische Bomber wahrscheinlich das Kraftwerk Rheinsfelden angreifen wollten und dabei die Eisenbahnbrücke sehr stark beschädigten und umliegende Gebäude zerstörten.»

Der erwähnte Bahnangestellte hatte also lediglich den Auftrag erhalten, Fahrgäste nach Weiach über den Aargau umzuleiten. Man darf annehmen, dass dieser Aufruf im Zug relativ kurz nach dem Angriff auf das Kraftwerk (zwischen 11:35 und 11:45 an diesem Donnerstag, 9.11.1944) erfolgt ist (vgl. WeiachBlog Nr. 1617).

Der Dienst beim Füsilierbataillon 64 zusammen mit fünf weiteren jungen Weiachern ist eine Folge der damals noch kantonal organisierten Infanterieverbände. Das «Bat. 64» war traditionell seit der Truppenreorganisation 1875 der Auszugsverband, in dem die Weiacher Füsiliere nach der RS in der Regel eingeteilt wurden.

Ernsts abschliessendes Fazit: «Drei Monate hintereinander, immer am 9. des Monates, solche Erlebnisse zu erfahren, hat mir eine richtige Angst auf den 9. eingeflösst.»

Handschriftlicher Vermerk des Präsidenten der Ortsmuseumskommission,
Hans Rutschmann, zur Herkunft der zitierten Notizen (S. 6 unten).

Bombardments direkt vor den Toren der Stadt Basel

Es ist durchaus möglich, dass am 9. Oktober 1944 Jagdflugzeuge über die Stadt Basel donnerten (wie Baumgartner-Brennwald schreibt). Der geschilderte Angriff auf die Stauanlagen im Rhein unmittelbar nördlich der Stadt erfolgte allerdings wenige Stunden zuvor und die Angst, es könnten rheinaufwärts oberhalb Basel weitere Stauwehre angegriffen werden, stand im Raum, weshalb auch der Wasseralarm plausibel ist. Am Abend des 7. Oktober 1944 hatten die Basler nämlich eine eindrückliche Demonstration der Wucht der damaligen Luftkriegsführung erlebt.

Schlenker (s. Literatur) berichtet, die Explosion von Munition in einem von der deutschen Flak abgeschossenen Lancaster-Bomber (abgestürzt im Raum Efringen-Kirchen) habe eine derart heftige Druckwelle entwickelt, dass in der Stadt Basel (mehr als 5 Kilometer entfernt!) mehrere Schaufensterscheiben und weitere Fenster barsten. Luftschutzsoldaten, die im Hafen Kleinhüningen Dienst taten, seien zu Boden geworfen worden.

Der Pegel des Rheins sank durch die Zerstörung des Wehrs Kembs-Märkt mittels 6-Tonnen-Bomben «Tallboy» innert rund zweieinhalb Stunden um mehr als dreieinhalb Meter, auch die Hafenbecken entleerten sich sogartig, wodurch etliche Schiffe im Hafen Kleinhüningen, die nicht mehr rechtzeitig in tieferes Wasser gelangen konnten, auf Grund sassen (vgl. die Bilder im ausführlichen Beitrag von Schlenker).

Circa 200 Meter nördlich vom Dreiländerpunkt (und damit dem Rheinhafen Basel-Kleinhüningen) entfernt querte die sog. Hüninger Schiffbrücke den Rhein. Sie wurde am 20. Oktober 1944 durch amerikanische Brandbomben zerstört. Ab 1947 erfolgte der Übergang durch eine Autofähre, bis 1979 flussabwärts die Palmrainbrücke eröffnet wurde. Erst seit 2007 steht an dieser Stelle wieder eine – allerdings nur für Velofahrer und Fussgänger bestimmte – Brücke, die Passerelle des Trois Pays.

Quelle und Literatur

  • Baumgartner-Brennwald, E.: Mosaik von Erlebnissen, Typoskript 2 Seiten, terminus ante quem Herbst 2003. Archiv des Ortsmuseums Weiach, ohne Signatur.
  • Brandenberger, U.: Amerikanische «Luftgangster»? 9. September 1944: US-Luftwaffe beschiesst Güterzüge bei Rafz und Weiach. Weiacher Geschichte(n) Nr. 41. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2003 – S. 11-16.
  • Schlumberger, A.: Die Bombardierung des Stauwehrs des Kraftwerkes Kembs. In: Schweizer Soldat, Bd. 82 (2007), H. 3, S. 35. https://doi.org/10.5169/seals-716347
  • Kron, B.: Als die US-Luftwaffe Weiach beschoss. Geschichte und Geschichten aus dem Unterland. In: Tages-Anzeiger Unterland, 21. August 2008 – S. 54.
  • Brandenberger, U.: «Wie wenn Spaghetti vom Himmel fallen würden». WeiachBlog Nr. 1617, 1. Januar 2021.
  • Schlenker, P.: Bomberangriff auf das Stauwehr Märkt D - Kembs F  7. Oktober 1944. In: The Royal Air Force over Switzerland 1940-45. Website https://raf.durham-light-infantry.ch
  • Brandenberger, U.: «Amerikanische Luftgangster», revisited. Zum 80. Jahrestag. WeiachBlog Nr. 2167, 9. September 2024.

Sonntag, 5. Oktober 2025

Willis Dokumentation belebt historische Gewerbeschau

Das Weiacher Gewerbe im Wandel der Zeit. So lautete der Titel der diesjährigen Ausstellung im Ortsmuseum Weiach, die an diesem Wochenende, 4. & 5. Oktober 2025, dem Publikum offenstand. 

Die Ortsmuseumskommission unter Leitung von Bruno Koller hat wieder einmal eine hervorragende Wechselausstellung in das Weycher Bijou am Müliweg 1 hineingezaubert. 

Dokumente, Handwerksgegenstände und Bilder stellen zu Gruppen geordnet die vielfältigen gewerblichen Tätigkeiten dar. Sie alle bezeugen, dass Weiach nie nur ein reines Bauerndorf gewesen ist. Das nachstehende Bilderkaleidoskop kann zwar lediglich einen kleinen Eindruck vermitteln. 

Es soll aber vor allem daran erinnern, welch grossen Anteil Willi Baumgartner-Thut (95; nachstehendes Bild) an der Kuratierung hatte. 


Auf einem Tisch im westlichen der beiden Wechselausstellungszimmer (beide im Obergeschoss) sowie in der gastlichen Stube im Erdgeschoss lag eine rund 60 Seiten starke Dokumentation zum Weiacher Gewerbe (Zeigetaschen in blauem Ringbuch), die Willi nicht zuletzt dank seiner viele Jahrzehnte zurückreichenden Erinnerungen zusammengestellt hat:



Arbeitsgeräte des Coiffeurs Heidelberger (Herzogengasse 10).

Die Gastronomie war einst hoch im Kurs. Wer einkehren wollte, hatte viel Auswahl. 
Die Wirtschaft zur Post war allerdings bereits in den 1920ern nicht mehr dabei.

Von links nach rechts: Müllerei (Müliweg 7), Hafnerei (diverse Standorte), 
Sägerei (Bilder von der alten Sagi an der Bachserstrasse 20).

Aus dem Nachlass der Milchgenossenschaft Weiach (Milchhütte an der Stadlerstrasse 4), darunter vom Weiacher Drucker Kleiner gefertigte Exemplare der Statuten von 1942.

Gegenstände aus der Amtstätigkeit der Poscht-Meierhofer 
(Alte Poststrasse 2; ihr altes Wirtshausschild vgl. oben).

Das Firmenschild der Bäckerei Griesser an der Luppenstrasse 8.

Die Firma Kleiner an der Winkelstrasse 7 war nicht nur im Druckgewerbe tätig. 
Sie hatte auch Fotografie und Kameratechnik im Angebot.

Weiterführende Informationen

Grössere Fotosammlung zur Ausstellung auf der Facebook-Website des Ortsmuseums Weiach. (Nachtrag vom 6. Oktober 2025, 14:45)



Samstag, 4. Oktober 2025

Beginnt jetzt das Aufräumen bei der Gebäudeadressierung?

Im Herbst 1992 wurden in unserer Gemeinde die Weichen für das heute geltende Adresssystem gestellt. Statt der damals seit fast zwei Jahrhunderten verwendeten Assekuranznummern wurde neu das Polizeinummernprinzip eingeführt. Das bedeutete: Strassenname und Hausnummer gehörten ab diesem Zeitpunkt untrennbar zusammen. Vorbei die Zeiten, als man noch einfach im Haus Nummer 505 gewohnt hat. Und der Weiacher Pöstler wusste, dass er dieses Gebäude in der oberen Chälen findet. 

Polizeinummernprinzip verlangt konsequente Strassenbenennung

Die Umstellung hatte zur Folge, dass die vom Gemeinderat eingesetzte Kommission für eine ganze Reihe von bisher offiziell noch namenlosen Wegen und Gässlein neue Bezeichnungen vergeben musste und die Bevölkerung um Vorschläge bat. Aus dieser Zeit stammen denn auch die Namen Alte Poststrasse (vgl. WeiachBlog Nr. 2029), Rebweg oder Querweg, die alle rechts bzw. links von der Oberdorfstrasse abzweigen.

Die an diesen Wegen liegenden Gebäude erhielten neue Adressen zugeteilt. So mussten sich die Korrespondenten der Familien Rutschmann (Alte Poststrasse 4, Assek.-Nr. 262) sowie Meierhofer (Alte Poststrasse 2, Assek.-Nr. 399) an die Neuerung gewöhnen, was nicht allzu schwer war, denn beide hatten aus beruflichen bzw. historischen Gründen sehr enge jahrzehntealte Beziehungen zur Schweizerischen Post.

Einige durften ihre alte Adresse behalten

Andere taten sich damit offenbar schwerer und so kam es, dass nur ein paar Meter weiter die Oberdorfstrasse hinauf der nach Osten Richtung Chabis (s. WeiachBlog Nr. 2009) hinaufführende Rebweg eben nur von einer der beiden daran liegenden Parteien adoptiert wurde. Was dazu führte, dass es bislang nur die Adresse Rebweg 2 gab (Assek.-Nr. 279). Das weiter vorn auf der anderen Seite des Wegleins gelegene Haus Assek.-Nr. 265 behielt seine traditionelle Adresse Oberdorfstrasse 13

Auch das altehrwürdige Haus Oberdorfstrasse 22 (Assek.-Nr. 282) konnte seinen Namen behalten, obwohl sein Hauseingang auf die Querstrasse hinausführt. Vor 33 Jahren war das noch kein Problem. Aber die Zeiten ändern sich.

Im neuen Jahrtausend erliessen Bund und Kanton dann Leitfäden zur Gebäudeadressierung (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 639), die vorsehen, dass die jeweilige Lage des Haupteingangs eines von Menschen genutzten Hauses massgebend für die Zuweisung des Strassennamens sei. Würde dieses Prinzip auch in unserer Gemeinde konsequent durchgesetzt, dann müssten etliche Weiacherinnen und Weiacher sich an neue Adressen gewöhnen (vgl. WeiachBlog Nr. 2048 für eine Auswahl).

Gemeinderat beschliesst Normkonformität für Einzelfall

Nun kommt im Oberdorf Bewegung in die Sache. In der jüngsten Ausgabe des Mitteilungsblatts (MGW, Oktober 2025, S. 4) findet man den folgenden kommunalen Rechtssetzungsakt:

Oberdorfstrasse 13 wird zu Rebweg 1 - Adressänderung

Der Gemeinderat Weiach hat beschlossen, die Gebäudeadresse Oberdorfstrasse 13 auf Rebweg 1 zu ändern. Die Anpassung wurde notwendig, da es an der Oberdorfstrasse zu einer doppelten Hausnummerierung kam, was wiederholt zu Problemen bei Postzustellungen und Dienstleistungen führte. Zudem grenzt das Gebäude faktisch an den Rebweg, womit die neue Adressierung sachlich gerechtfertigt ist.

Die Umadressierung erfolgt gemäss den gesetzlichen Vorgaben, wonach jede Gebäudeadresse eindeutig sein muss. Die erforderlichen Anpassungen in den amtlichen Registern sowie die Information der relevanten Stellen werden nun umgesetzt.

Die Lösung eines Pseudoproblems?

Ein Blick auf den oben eingefügten Ausschnitt aus dem Plan der Amtlichen Vermessung lässt einen etwas ratlos zurück. Worin liegt denn diese angeblich «doppelte Hausnummerierung»? Die Oberdorfstrassse Nr. 13 gibt es nicht doppelt. Oder finden SIE ein doppeltes Lottchen? Wenn nein, wo ist dann das Problem?

Dass ein und dasselbe Gebäude je nach Eingängen völlig unterschiedliche Adressen haben kann, das müsste der Gemeindeverwaltung klar sein. Schon allein aufgrund des Umstandes, dass das Baumgartner-Jucker-Haus (Assek.-Nr. 246; Stadlerstrasse 11 bzw. Büelstrasse 20) zu ihrem Immobilienbestand gehört. 

Unfähige Pöstler?

Probleme können bei der Postzustellung höchstens auftreten, wenn die Bewohner der Oberdorfstrasse 13 neu darauf bestanden haben, – vermessungsamtlich korrekt – am Rebweg 1 zu wohnen, eine Adresse, die es auf den Katasterplänen (siehe oben) bislang jedoch schlicht nicht gibt. 

Oder ist es ernsthaft schon so weit, dass Pöstler kognitiv herausgefordert sind, nur weil auf eine 11 unmittelbar die 15 folgt und die 13 etwas zurückversetzt zu finden wäre?  Exakt dasselbe Problem liegt bei der Liegenschaft Büelstrasse 3 (Assek.-Nr. 227) vor, die nach den Richtlinien eigentlich die Adresse Brunnenweg 1 tragen müsste.

Auf Google Street View (Stand August 2022) sieht man überdies deutlich, dass der Rebweg laut der an der Holzwand des Nebengebäudes Assek.-Nr. 273 (Nr. 13.2) angebrachten Strassentafel scheinbar erst dort beginnt. Auch das muss ein nicht mit Plänen bewaffneter Betrachter so interpretieren, dass links davon die im Strassenverlauf fehlende Nr. 13 zu finden ist.

Pläne kann man ändern. Der Geometer hätte helfen können

Die Formulierung im Mitteilungsblatt, das Gebäude Nr. 265 grenze «faktisch an den Rebweg», womit die neue Adressierung gerechtfertigt sei, lässt vermuten, dass die Umbenennung gewünscht wurde und Exekutive wie Verwaltung eine andere Lösung daher gar nicht in Betracht gezogen haben: Nämlich die, den Rebweg (wie im letzten Abschnitt gezeigt) auch auf dem Katasterplan erst auf der Höhe des Nebengebäudes Nr. 273 beginnen zu lassen. 

Dafür gibt es einen Präzedenzfall. Nämlich das am nordwestlichen Ende der Büelstrasse gewählte Vorgehen (vgl. WeiachBlog Nr. 1380). Dort gab auf dem Plan einst tatsächlich zwei Gebäude, die nach Ansicht des Kantons die Adresse Bachweg 2 trugen. Bis dann der Nachführungsgeometer die Parzelle 1475 auf dem Katasterplan optisch (Strassentafel!) und benennungstechnisch den in der Landschaft tatsächlich vorzufindenden Gegebenheiten angepasst hat.

Oberdorfstrasse 11 und 15 ebenfalls nicht richtlinienkonform

Die im Titel gestellte Frage muss mit Nein beantwortet werden. Bei der genehmigten Umadressierung liegt wohl lediglich eine erratische Einzelfall-Entscheidung vor. 

Den Beweis findet man an derselben Ecke. Laut den Richtlinien müsste man auch das Gebäude Oberdorfstrasse 15 (Assek.-Nr. 275) umadressieren. Dessen Hauseingang führt nämlich eindeutig auf den Rebweg (laut dem Plan der Amtlichen Vermessung). Die Adresse ist damit nicht richtlinienkonform. Sie müsste auf Rebweg 2 geändert werden und das heutige Gebäude Rebweg 2 auf die Nummer 4 (oder wenigstens 2a). 

Dasselbe trifft auch für das Gebäude Oberdorfstrasse 11 zu, dessen Hauseingang ebenfalls auf das westlichste Stück des Rebwegs hinausführt. Was wiederum dazu führt, dass die soeben vergebene Adresse eigentlich Rebweg 3 lauten müsste, denn der Neubau (Ersatz für das Vögeli-Huser-Haus) würde dann die Nummer 1 erhalten. So sind die Vorschriften der Polizeinummerierung nun halt einmal. 

Sie sehen: Es ist komplizierter als man denkt.