Samstag, 16. März 2024

Geteilte Niedergerichtsbarkeit bereits im 14. Jahrhundert

Die Gerichtsherrschaft Weiach war ein Stachel im Fleisch des Zürcher Stadtstaates. An vielen anderen Orten gelang es den Zürchern über die Jahrhunderte hinweg, nach dem Hochgericht (der Landeshoheit) auch noch das Niedergericht (mit limitierter Bussenkompetenz) an sich zu ziehen. In Weiach hingegen behaupteten auswärtige Gerichtsherren bis zum Ende des Ancien Régime ihre Position. 

Deshalb hatte Weiach auch bis 1798 ein eigenes Dorfgericht. Den bisher ältesten bekanntgewordenen Hinweis auf dieses Dorfgericht verdanken wir Thomas Weibel (SSRQ ZH NF II/1, Nr. 193 Anm. 3), der aus dem Original wie folgt zitiert:

«Dis beschach ze Wiiach, da ze gegen waren:» (Quelle: StAZH C II 6, Nr. 769 vom 10. November 1352). 

Nach dieser Angabe des Gerichtsorts folgen die Namen der Zeugen, wobei hier allenfalls auch die Angehörigen der Richterbank aufgeführt sind, denn es sind ein paar Wiiacher dabei. 

Im November 1352 gab es zwei Gerichtsvorsitzende

Wo man bei Weibels Anmerkung noch zum Schluss kommen kann, dass immer nur ein Gerichtsvorsitzender die Leitung innehatte, da wird man bei der Lektüre des Regests (kurze Inhaltsangabe) in der offiziellen Sammlung der Urkundenregesten des Zürcher Staatsarchivs (1336-1460) eines Besseren belehrt: 

«Cuonrat Vogt, Schultheiss von Kaiserstuhl (Keyserstuol), sitzt im Namen des Bischofs Johans von Konstanz neben Johans Omo, Bürger von Kaiserstuhl und Vertreter des Freiherren von Tengen, zu Gericht [...]»  (URStAZH Bd. 1, Nr. 943) 

Da sitzt also ein Vertreter des Fürstbischofs, der gleichzeitig Kaiserstuhler Bürgermeister ist. Und direkt neben ihm sitzt ein anderer Kaiserstuhler Bürger, der einen Angehörigen des Hochadels vertritt!

Der alte Adel hält noch die Stellung

Die Herren von Tengen sind aus frühmittelalterlichem Adel. Sie waren mit viel Allodialbesitz ausgestattet, der insbesondere im heutigen Zürcher Unterland, im Schaffhausischen und im süddeutschen Hegau lag. Allod bedeutet: Das Land gehörte ihnen direkt, es war kein Lehen, das sie dem König verdankten und ihnen wieder entzogen werden konnte. Schon allein das zeigt den herausragenden Rang dieser Adelsfamilie, der einige Historiker attestieren, dass sie ihre Stellung noch aus der Karolingerzeit habe. Allerdings waren sie (wie viele andere Hochfreie in diesen Jahren) im Spätmittelalter bereits auf dem absteigenden Ast und mussten ihre Besitzungen nach und nach verkaufen.

Darstellung aus Karl Christian Sachs' Artikel von 1974 (S. 5; vgl. Quellen und Literatur)
Auf der Karte fehlt Schwarzwasserstelz, da Sachs den Ort Füsibach (= Fisibach) nicht zuordnen konnte (vgl. S. 4).

So ging beispielsweise 1363 das Schloss Schwarzwasserstelz (das auf einer Rheininsel am linken Ufer unterhalb Kaiserstuhl thronte) mit der Gerichtsherrschaft über Fisibach von den Herren von Tengen an den Fürstbischof von Konstanz.

Zwei Gerichtsherren mit gleichen Anteilen?

Völlig im Dunkeln liegt, ob die Anteilsrechte an der Gerichtsherrschaft Weiach gleich gross waren (wie es z.B. im 16. Jahrhundert der Fall war). Ebensowenig wissen wir darüber, wie die Herren von Tengen an diesen Gerichtsherrschaftsanteil gekommen sind. Es ist also nicht bekannt, ob sie (oder andere Hochadelige, wie bspw. die in Weiach bis 1295 begüterten Freiherren von Wart) einst das ganze Niedergericht über unser Dorf innehatten und später einen Teil davon an den Fürstbischof abtreten mussten, oder ob sie umgekehrt vom Fürstbischof als Co-Gerichtsherr akzeptiert wurden (wobei letzterer Verlauf als unwahrscheinlicher angenommen werden muss). 

Wie man in späteren Jahrhunderten anhand von vielen Urkunden feststellen kann, trifft dieses zweite Modell aber auf die Schaffhauser Patrizierfamilie Heggenzer zu. Sie waren zu einer Art bürgerlicher Nachfolger der Ministerialadeligen in Diensten des Fürstbischofs avanciert und konnten sich eine Hälfte des Niedergerichts über Weiach sozusagen als Geldanlage sichern, als ihr Dienstgeber wieder einmal dringend bare Finanzmittel brauchte. Wann dies der Fall war? Auch das liegt im Dunkeln. 

Bekannt ist jedoch, dass nach dem Aussterben der Heggenzer im Mannesstamm (im Jahre 1587) deren Erben, die Herren von Landsberg, im Jahre 1605 ihre Hälfte für 612 Gulden an den Fürstbischof veräussert haben (vgl. SSRQ ZH NF II/1, Nr. 188). Spätestens seit dieser Zeit gab es nur noch einen Gerichtsvorsitzenden. Den des Fürstbischofs.

Quellen und Literatur

  • Sachs, K. Ch.: Vom Herkommen der Edelfreien von Tengen. In: Küsnachter Jahrheft 1974 – S. 3-10.
  • Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich 1336-1460. 7 Bände. Zürich, 1987-2007. Band 1: 1336-1369. Zürich 1987 (Brupbacher, D.; Eugster, E.)
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt. Aarau 1996 – S. 439. (SSRQ ZH NF II/1, Nr. 193 Anmerkung 3)
  • Walliser. P.: Allod. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.06.2002.
  • Brandenberger, U.: Die älteste Erwähnung des Weiacher Dorfgerichts. WeiachBlog Nr. 1752, 28. September 2021.

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