Donnerstag, 2. November 2006

Das Kopfblattsystem auf den Kopf stellen

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: in der Unterländer Zeitungslandschaft stehen grosse Veränderungen bevor.

WeiachBlog hat bereits im Frühling auf erste Pläne hingewiesen: Tages-Anzeiger mischt regionale Presselandschaft auf (Beitrag vom 21. März 2006) und im Sommer die Gegenmassnahmen der Verteidiger beschrieben: Unterländer Bastion gegen das Tagi-Schlachtschiff (Beitrag vom 6. August 2006)

Zwei Machtblöcke stehen sich gegenüber

Die Kontrahenten sind die Tamedia AG auf der einen und die NZZ-Gruppe mit dem Verbund Zürcher Landzeitung auf der anderen Seite. Im Unterland gehören dazu der Zürcher Unterländer (ZU) und das Neue Bülacher Tagblatt (NBT). Letzteres stiess erst am 1. November zur NZZ-Koalition.

Der Angreifer und die Koalition der Verteidiger rühren kräftig die Werbetrommel und machen gerade die letzten Vorbereitungen für ihren Truppenaufmarsch. Die ersten Gefechte im Unterländer Zeitungskrieg stehen unmittelbar bevor. Auf den 6. November ist der Grossangriff des Tages-Anzeigers angekündigt.

Die Schlacht um LeserInnen und Werbegelder

Auf die Idee vom Zeitungskrieg bin ich nicht selber gekommen: Mit einem «Medien-Schlachtschiff, das — koste es, was es wolle — noch so gerne in die Gewässer des Zürcher Unterlandes vordringen möchte», verglich die NBT-Chefredaktorin Dagmar Appelt Ende Juli die Konkurrenz der Tamedia. Und zwar weil sie über die Tages-Anzeiger-Regionalausgabe mit der Trumpfkarte der Unterländer Zeitungen, ihrem engen Lokalbezug, stechen will.

Der bevorstehende Kampf um die Gunst der Leser ist an Dramatik nicht zu überbieten. Immerhin geht es um nichts weniger als das Überleben der letzten alten Unterländer Zeitungen. Die lokalen Werbebudgets werden sich künftig wohl teilweise in die Schatullen der Tamedia ergiessen. Eng wird es also auf jeden Fall. Die Tatsache, dass sich das Neue Bülacher Tagblatt nach über 140 Jahren hart erarbeiteter Selbstständigkeit bereits im Vorfeld des Markteintritts der Tamedia in einen Verbund gerettet hat, spricht Bände.

Ein Kopfblattsystem...

Interessant ist der Kampf auch, weil beide Blöcke denselben Markt mit unterschiedlichen und doch ähnlichen Konzepten anpeilen.

Die Koalition «Zürcher Landzeitung» mit der NZZ-Gruppe im Rücken arbeitet mit einem klassischen Kopfblattsystem, d.h. jede Zeitung behält ihren Titel und eine Kernredaktion fürs Lokale, der ganze Rest (sog. Mantel) wird von einer gemeinsamen Redaktion produziert. Und das wird dann so vermarktet:

«Das Neue Bülacher Tagblatt stösst am 1. November 2006 als Kopfblatt zum Zürcher Underländer und damit zur Zürcher Landzeitung. Die Inserenten profitieren massgeblich von der Weiterentwicklung des Zürcher Unterländer Gesamtausgabe. Neben einer stark steigenden Auflage und Reichweite, insbesondere im Raum Bülach, profitiert der Anzeigenkunde von einem vorteilhaften Preis/Leistungsverhältnis. Den Abonnenten des Neuen Bülacher Tagblatts wird weiterhin eine Zeitung mit eigenständigem Charakter zugestellt.» (Quelle: www.zuercherlandzeitung.ch)

Als Profil gibt der Unterländer an: «Der "Zürcher Unterländer" positioniert sich als Lokal- und Regionalzeitung und ist amtliches Publikationsorgan der meisten Gemeinden der Bezirke Bülach und Dielsdorf. Konzeptionell ist der "Zürcher Unterländer" eine moderne Kompaktzeitung, welche 6mal pro Woche mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren erscheint und 40.000 Leser ausweist. Am Donnerstag wird der "Zürcher Unterländer" in alle Haushaltungen verteilt in einer Auflage von 77.000 Exemplaren und zählt 94.000 Leser.» (Quelle: www.zuercherlandzeitung.ch)

... gegen eine Dachmarke mit regionaler Auffächerung

Die Tamedia dagegen operiert mit einer Dachmarke, dem klassischen Tages-Anzeiger. Bei den mit der Frühzustellung durch Verträger direkt zugestellten Ausgaben wird dem Standardprodukt ein sechster Bund eingelegt, der so genannte Regionalbund. Und der ist verschieden - je nach Region in der sich der Briefkasten des Abonnenten befindet. Am Zustellort Weiach wird also der Regionalbund für das Unterland drin sein.

In der Sprache des Prospektes für Werbekunden liest sich das dann so:

«Der «Tages-Anzeiger» schlägt im Zürcher Unterland, in den Bezirken Bülach und Dielsdorf, Wurzeln – mit einer eigenen Redaktion in Bülach. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten ab dem 6. November 2006 in der Regionalausgabe jeden Tag darüber, was die Menschen im Zürcher Unterland bewegt. Wir stellen die Leute vor, die in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur und im Sport etwas bewegen und lassen sie bei uns zu Wort kommen. Bei uns erfahren die Leserinnen und Leser des «Tages-Anzeigers» in einem separaten Zeitungsbund, was vor ihrer Haustüre passiert, was sie ärgert, was sie freut, wer in ihrer Gemeinde den Takt angibt, was ihre Region zusammenhält und wo am meisten läuft», wird Peter Früh, Leiter der Regionalredaktion, zitiert.

Auf Anfrage von WeiachBlog teilte der TA-Leserdienst mit, es sei aus (logistischen) Gründen nicht möglich, die Printausgabe mit einem anderen als dem Regionalbund des Zustellortes zu erhalten. Die TA-Angestellte verwies auf die elektronische Ausgabe. Dort seien sämtliche Regionalartikel abrufbar.

Der Alptraum für die Bibliotheken und Archive wird durch diese Auffächerung noch grösser. Es ist immer schwieriger, sich ein Bild zu machen, was genau zu einem Tages-Anzeiger gehört. Zumal auch heute schon jede Nacht mehrere Ausgaben gedruckt werden (welche man in den Händen hält erkennt man am Stern auf der Titelseite).

Fazit: Ein Tagi ist nicht ein Tagi - es kommt darauf an, wo und wie man ihn bekommt. Ein Unterländer hingegen sieht für alle gleich aus.

Letztlich wird das aber die Leser nicht gross stören. Für sie wird der Inhalt zählen. Auf dem Feld Lokalbezug wird sich entscheiden, ob Leser, die bisher den Tages-Anzeiger UND eine der Regionalzeitungen (ZU oder NBT) abonniert hatten, nun auf letztere verzichten werden.

Wirkung auf Weiach? Wahrscheinlich gar keine.

Beide Seiten versuchten im Vorfeld, bei möglichst vielen Gemeindebehörden den Status eines «Amtlichen Publikationsorgans» zu erlangen oder zu behalten. In Weiach verlorene Liebesmüh. Denn bei uns gibt es mit den monatlich erscheinenden «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» eine Plattform, die für die Bedürfnisse des Gemeinwesens völlig ausreicht und zu einem vernünftigen Preis produziert werden kann. Durch die Verteilung in alle Haushalte ist zudem sichergestellt, dass auch von Neuigkeiten erfährt, wer nicht eine der Tageszeitungen abonniert hat.

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