Gestern war Berchtoldstag (oder zürcherisch «Bächtelistag»; WeiachBlog berichtete). Der 2. Januar ist nicht nur dem Festen gewidmet. In der Stadt Zürich und ausgehend von da in einigen Landgemeinden des Züribiets ist der Morgen dieses Tages traditionell der Ausgabetag der Neujahrsblätter.
Traditioneller Ausgabetag der Neujahrsblätter
Gegen Abgabe der so genannten «Stubenhitzen» - einer Art Heizkostenzuschuss für das Versammlungslokal einer gelehrten Gesellschaft - schenkten diese den Überbringern, die meist Kinder waren, eine lehrreiche Neujahrsgabe.
Mit den Jahrzehnten sind die Neujahrsblätter zu veritablen Büchern geworden, die einen wesentlichen Teil der Publikationstätigkeit altehrwürdiger Vereinigungen ausmachen. So waren im Tagblatt der Stadt Zürich vom 30. Dezember 2005, Seite 8, nicht weniger als acht verschiedene Neujahrsgaben aufgelistet - von Büchern bis zu Audio-CD's.
Die älteste Tradition hat dabei das Neujahrsblatt der Stadtbibliothek (heute weitergeführt von der Zentralbibliothek Zürich); es wird seit 1645 publiziert. Etwas jünger sind die ersten Publikationen der Allgemeinen Musik-Gesellschaft (1685) und der Feuerwerker-Gesellschaft (1689).
Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg
Die Antiquarische Gesellschaft in Zürich gibt seit 1837 ein Neujahrsblatt heraus. Das gestern erstmals verkaufte trägt den Titel: Ein «Bruderkrieg» macht Geschichte. Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg. Und behandelt wird darin eines der einschneidendsten Ereignisse des 15. Jahrhunderts, welche das Gebiet der heutigen Schweiz und ihrer Umgebung erfassten.
Der Alte Zürichkrieg wird von der historischen Forschung heute auf den Zeitraum von 1436 - 1450 gelegt. Das waren die Jahre vom Ausbruch des Konflikts zwischen der Stadt Zürich und Habsburg-Österreich auf der einen sowie den Eidgenossen auf der anderen Seite bis zum offiziellen Abschluss des Friedens (sog. «Kappeler Richtung» mit Rückgabe der besetzten Gebiete: der Herrschaft Grüningen und des Knonaueramts).
Entzündet hatte sich der Streit an der Frage, wer den kinderlosen Grafen von Toggenburg beerben sollte. Sowohl die Zürcher wie die Schwyzer erhoben Anspruch auf das Gebiet um den oberen Zürichsee.
Der Vater tot, das Haus verbrannt
Auch das Zürcher Unterland wurde von den Kampfhandlungen erfasst. Diese konzentrierten sich vor allem in den Jahren 1443 und 1444. Kurz vorher hatte die Stadt Zürich die Grafschaft Kyburg wieder an Habsburg-Österreich zurückgegeben, das Neuamt jedoch behalten. Als nördlichste Ortschaft gehörte auch Weiach dazu.
Für Stadel, Neerach und Bülach (letzteres gehörte damals wieder Habsburg-Österreich) sind Schäden durch Brandschatzung und Plünderung urkundlich nachgewiesen. Für Weiach nicht. Trotzdem darf man annehmen, dass auch die dort Ansässigen schwer gelitten haben.
Im Artikel «Der Vater tot, das Haus verbrannt. Der Alte Zürichkrieg aus der Sicht der Opfer in Stadt und Landschaft Zürich» (MAGZ 73, S. 65-88) beschreibt Christian Sieber eine Szenerie, die fatal an die Gräuel der Balkankriege der 1990er-Jahre erinnert - mit einer Ausnahme: Genozid wurde nicht betrieben.
Wirtschaftskrieg gegen die Landbevölkerung
Ansonsten war alles anzutreffen: Vergewaltigung, Plünderung, Brandstiftung. Die ökonomische Schädigung des Kriegsgegners hatte System. Menschenleben forderte der Krieg zwar auch, auf Zürcher Seite sind allein in den Hauptschlachten mindestens 1000 Gefallene zu verzeichnen. Darunter waren zwar auch etliche Söldner, aber in der Hauptsache dürften es schon männliche Zürcher aus Stadt und Land gewesen sein, die ihr Leben liessen.
Den weitaus schlimmeren Effekt hatten aber die Brandschatzungen, denen sich die Eidgenossen zwischen den eigentlichen Schlachten widmeten. Dem Kriegstagebuch des Schwyzer Landschreibers Hans Fründ ist zu entnehmen, dass in Siedlungen und Einzelhöfen geplündert und diese dann angezündet wurden. Eine einfache Sache bei der damals vorherrschenden Bauweise aus Holz mit Strohdächern.
Man darf auch annehmen, dass alles, was nicht niet- und nagelfest war, auf Wagen verladen und gen Innerschweiz verfrachtet wurde. Weiter wurde nach Angaben von Fründ das Vieh weggetrieben, die Felder wurden abgeerntet, sofern gerade Erntezeit war. Gleich verfuhr man mit den Trauben. Ausserhalb dieser Zeit wurden die Reben ausgerissen oder verbrannt. An den Obstbäumen wurden die Triebe oder die Rinde systematisch zerstört, so dass die Bäume abstarben. Taktik der verbrannten Erde also - mit dem Ziel, dem verhassten Gegner grösstmöglichen Schaden zuzufügen.
Psychologische Kriegführung
Selbst Kirchen waren vor den Eidgenossen nicht sicher, viele wurden geplündert, angezündet oder sonst entweiht – teilweise sogar durch die Massenvergewaltigung von Frauen und Mädchen. Ein Kriegsverbrechen auch zur damaligen Zeit, das nach dem Sempacherbrief von 1393 verboten und mit schweren Strafen bedroht war. Die Heerführer der Eidgenossen liessen dies zu, um den Untertanen der Zürcher noch viel empfindlicher zu spüren zu geben, wie hilflos sie waren und damit ihre Obrigkeit zu demütigen.
Zuflucht in Kaiserstuhl?
Wohin sich die Weiacher während dieser Schreckenszeit geflüchtet haben ist nicht bekannt. Möglich wäre als Zufluchtsort das benachbarte Städtchen Kaiserstuhl, denn dieses gehörte damals dem Bischof von Konstanz, der in diesem Konflikt neutral war. Ausserdem war es als Teil der Grafschaft Baden seit 1415 unter der Kontrolle der Eidgenossen.
Womit bereits der Forschungsbedarf definiert wäre: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl sollten unter dem Aspekt der Auswirkungen des Alten Zürichkriegs durchgesehen und ausgewertet werden.
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