Montag, 10. April 2006

Verfassung in der Kirche beschworen

Sonntag, 10. April 1831: Heute vor genau 175 Jahren wurde in der Kirche zu Weyach der Eid auf die neue Kantonsverfassung abgelegt. Und nicht nur in Weyach. Das war im ganzen Kanton Zürich so.

Dazu schrieb der Ortshistoriker Walter Zollinger in seinem 1972 erschienenen Büchlein «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» (nach dem Rückentitel meist als die «Chronik» bezeichnet):

«Nach dem berühmten Ustertag vom 22. November 1830 kam endlich die Erneuerung, die Zeit der Regeneration genannt, im ganzen Zürcher Land zum eigentlichen Durchbruch. Und bereits unterm 20. März 1831 war die neue, in ihren Grundgedanken noch heute gültige Staatsverfassung geboren. Sie wurde am 10. April von den Weiacher Bürgern in einer eigens in der Kirche durchgeführten Versammlung feierlich beschworen. Sie brachte gewaltigen Auftrieb in bezug auf das Schulwesen, den Loskauf von Zehnten und Grundzinsen, Gründung gemeinnütziger Gesellschaften und Vereine (die Gemeinnützige Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf zum Beispiel im Jahre 1836). Diesen Zeitpunkt darf man füglich als den eigentlichen Beginn unseres heutigen politischen Gemeindewesens betrachten.

Gemeindepräsident wurde in diesem Jahre 1831 der Zunftrichter und Sekelmeister Hans Ulrich Schenkel, und seine Kollegen in diesem ersten Gemeinderat nach Inkrafttreten der fortschrittlichen 31er Verfassung hiessen:
Rudolf Bersinger, Schmied
Hs. Hch. Willi, Tierarzt Sohn
Rudolf Meyerhofer, Schuhmacher
Heinrich Meyerhofer, Zimmermann

Diese hatten nun dafür zu sorgen, dass die zahlreichen, aufgrund der 31er Verfassung von den kantonalen Behörden erlassenen Gesetze und Verordnungen auch in unserer Landgemeinde schnellstens eingeführt und durchgeführt würden.

Leider gab es auch diesmal wieder, und vor allem in ländlichen Gebieten, verbohrte Anhänger des Früheren und damit Gegner des Neuen, sogenannte Konservative. Unter Vorgabe, die Religion sei in Gefahr, unternahmen diese den Versuch, den angehenden Fortschritt mit allen erdenklichen Mitteln zu hemmen. Davon legt der in der Nachbargemeinde ausgebrochene Stadler Handel im Frühjahr 1834, bei dem angeblich auch der Weiacher Gemeinderat Rudolf Bersinger mitwirkte, ein beredtes Zeugnis ab, ebenso der berüchtigte Züriputsch vom 6. September 1839. Aber die Drahtzieher dieser Ereignisse, die wohl stark darauf ausgingen, ihre einstigen Vorrechte und ehrwürdigen Titel zurückzuerobern, konnten sich auf die Dauer nicht durchsetzen.
» [Originaltext ohne Fussnoten]

Totale Erneuerung des Kantons

Die Staatskanzlei des Kantons Zürich veröffentlichte am 5. April eine Medienmitteilung zu diesem denkwürdigen Ereignis, das die Grundlage für die stürmische Entwicklung Zürichs zum Wirtschaftsmotor der Schweiz erst ermöglicht hat:

«Vor 175 Jahren, im März und April 1831, gab sich das Zürcher Volk eine neue Staatsverfassung. Diese veränderte Zürich fundamental. Zuvor bestimmte die Stadtzürcher Aristokratie «väterlich» und «fürsorglich» das Geschehen im Kanton. Die gebildete und unruhige Jugend von 1830 bezeichnete dieses patriarchalische Regime als «Willkürherrschaft». Neu und vermehrt sollten rechtliche und politische Gleichberechtigung, Verfassung und Gesetz als bindende Normen gelten.

Der Umsturz und völlige Bruch mit der Vergangenheit kündigte sich 1830 an. In Paris war Revolution. In Zürich geisselte die gebildete Jugend die «unwissenschaftliche und altmodische» Staatsführung ihrer Väter. Das Volk demonstrierte zu tausenden in Uster und begehrte Souveränität und gleiche Rechte für alle. Die Stadt Winterthur setzte sich an die Spitze der Bewegung und kündigte der Stadt Zürich die Gefolgschaft. Die Forderungen des Volkes wurden dem Bürgermeister (Regierungspräsidenten) persönlich in einer Denkschrift überreicht. Ende 1830 kapitulierte die Regierung. Das Parlament löste sich auf. Ein neuer Kantonsrat wurde gewählt nach demokratischeren Regeln als zuvor.

In wenigen Wochen entstand eine neue, totalrevidierte Kantonsverfassung, datiert vom 10. März 1831. Diese wurde vom Volk am 20. März 1831 - in der ersten kantonalen Volksabstimmung überhaupt - mit 40'503 Ja gegen 1721 Nein angenommen.

Am 10. April 1831 legten sämtliche Kantonsbürger in ihren Kirchen den Eid auf die neue Verfassung ab. Sie schwuren vor Gott dem Allwissenden: «Wir Bürger des Kantons Zürich schwören Treue der Schweizerischen Eidgenossenschaft und unserm Kanton; wir schwören, die Unabhängigkeit, Rechte und Freiheiten unsers teuren Vaterlandes zu schützen und zu schirmen, mit Gut und Blut, wo es die Not erfordert.»

Die Verfassung von 1831 bildete die institutionelle Grundlage für den Eintritt des Kantons Zürich in die Moderne. Vieles, was heute selbstverständlich ist, stammt aus jener Zeit vor 175 Jahren. Eine Zäsur stellte die Verfassung von 1831 für die politische Kultur dar: Herrschte zuvor Apathie und Desinteresse für kantonalen Angelegenheiten, so setzte die neue Zeit «alle Fibern in Bewegung» und weckte im Volk «Selbstgefühl und eigenen Willen», konstatierte ein Zeitgenosse. Seit 1830/31 gehören Parteien, Versammlungen, Kundgebungen, Volksfeste und Öffentlichkeit zum politischen Leben im Kanton Zürich.

Im übrigen Europa hatten die Volksbewegungen von 1830/31 wenig Erfolg - im Gegensatz zu Zürich und einigen anderen schweizerischen Kantonen. Der gegenwärtige Jahrgang der Zürcher Gesetzessammlung jedenfalls trägt nicht ohne Grund den Titel: «61. Band der offiziellen Sammlung der seit 10. März 1831 erlassenen Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Eidgenössischen Standes Zürich»!
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Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Nur noch dies:

Der Thurgau ist nicht die Schweiz

Die Thurgauer mögen ja glauben, ihre am 25. April 1831 vom Volk angenommene liberale Verfassung sei die erste in der Schweiz gewesen (vgl. diesen Blog-Artikel). Da sind sie aber auf dem Holzweg. Wenn die Zürcher Verfassung auch nur um wenige Wochen älter ist, so ist sie halt doch älter. Sorry, liebe Mostinder!

Quellen

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