Samstag, 15. April 2006

Männer: «Alles wurmstichigi Cheibe!»

Jaja, ich geb's ja zu. Dieser Titel ist darauf angelegt Sie dazu zu animieren, den Artikel überhaupt erst anzuklicken. Er ist auf das blog.ch-Umfeld und weitere Aggregator-Sites zugeschnitten. Auf Menschen. Und nicht auf Google-Algorithmen, denn: «Überraschend, geistreich, ironisch - so wünscht sich mancher Leser eine gute Überschrift. Doch Nachrichten-Suchmaschinen haben andere Kriterien, um Headlines zu gewichten. Für sie zählen nur Schlüsselwörter.» (Holger Dambeck im Spiegel).

Für Menschen schweizerdeutscher Muttersprache ist der obige Kraftausdruck ein solches Schlüsselwort. Er stammt - wie könnte es anders sein - von einer Frau, dem Gränicher Mareili. Die dazu gehörende Geschichte wurde mir ebenfalls von einer Frau erzählt: Hedwig Hugener. Mit Jahrgang 1911 ist sie eine der ältesten Einwohnerinnen von Weiach. Und führt trotz ihres hohen Alters nach wie vor einen eigenen Haushalt - in einer gemeindeeigenen Alterswohnung auf dem Platz des früheren Nepfer-Hauses beim Alten Gemeindehaus. Wo nötig helfen ihr die Nachbarn.

Vom Bettler vor der Migros zu Kindheitserinnerungen

Kurz zuvor hatten wir noch den grossen März-Schnee (ca. 40 cm in Weiach). Hugener bedauerte sehr, dass der Schnee schon wieder geschmolzen sei. Er hätte ihretwegen ruhig noch etwas liegen bleiben können. Das sei so schön gewesen in den Nächten, richtig «märlihaft», wenn die Strassenlaternen brannten.

Irgendwie kam dann die Rede auf einen Bettler vor der Migros (wahrsch. in Bülach). Der habe innert kürzester Zeit viel Geld bekommen, meinte sie. Und von diesem Erlebnis war es nicht mehr weit zu einer Jugenderinnerung.

Hedwig Hugener wuchs in Uerkheim, im aargauischen Bezirk Zofingen auf. Damals habe es viele Landstreicher gegeben, die den abgelegenen Höfen nachgezogen seien. In die Dörfer seien die selten gekommen, da sie «nur ja keini Polizischte» antreffen wollten. Normalerweise seien diese Vaganten harmlos gewesen, Säufer zwar, die wenn sie nichts bekommen hätten, auch einmal gedroht hätten, das Haus anzuzünden. Aber eigentlich sei da nie wirklich etwas passiert. [Eigentlich erstaunlich: heute würde man bei einer solchen Drohung gleich die Polizei rufen]

s'Gränicher Mareili

Am lebhaftesten ist ihre Erinnerung an das Gränicher Mareili, eine Frau die damals, also im 1. Weltkrieg, schon zwischen 50 und 60 Jahre alt gewesen sei. Die habe ein ganzes Mostglas voll 42%igen Schnaps vertragen können. Und fluchen habe die gekonnt, heieiei! Vor allem über die Männer: «Alles wurmstichigi Cheibe!» seien das für sie gewesen. Was angesichts ihrer Erfahrungen mit ihnen nicht verwundert. Sie wurde mehrmals sitzen gelassen. Und hatte danach keine Chance mehr auf eine Ehe. Hugener liess durchblicken, damals hätten die Männer halt nicht vorher bezahlen müssen wie heute. Mit anderen Worten: das Mareili schlug sich in horizontalen Jobs durch und wurde von ihren Freiern betrogen.

Wenn sie auf einem Hof Unterschlupf bekommen habe, sei das Marili wegen ihren Flüchen am Abend so etwas wie später ein Fernseher gewesen. Aber nur für die Männer; die Frauen hätten da nie zuhören dürfen. Bei solch' wüsten Flüchen kein Wunder.

Das Mareili habe auch gut singen können und so manchen Franken verdient. Meist sei sie zufrieden gewesen, wenn sie in der Stube auf der Couch habe schlafen können, wenn sie aber keine Unterkunft gefunden habe, dann habe sie auch schon einmal bei minus 4° im Wald übernachtet, «go blettere" habe man dem in Uerkheim gesagt.

Ehrlich, gschaffig und suuber

Das Vertrauen in sie sei auch gerechtfertigt gewesen: das Mareili habe nie etwas entwendet, da habe man des Tags oder Nachts Taschen voll Wertsachen in der Stube lassen können.

Und «schaffe» habe sie können. Aber nicht im Haus, nur auf dem Feld, beim «Herdöpfle und Mischt zette». Einmal habe sie beim Mistzetten gerufen, jetzt falle ihr dann der Bauch herunter. Sie habe das als Kind natürlich wörtlich genommen und immer überlegt, wie das denn aussehe, wenn der Bauch am Boden liege. Es seien dann aber nur ein paar Unterröcke gewesen, die ihr heruntergerutscht seien.

Das Mareili sei auch immer sauber gewesen, habe am Bach die Kleider gewaschen. Am Morgen habe sie jeweils ein Beckeli warmes Wasser verlangt und sei danach hinters Haus gegangen um sich zu waschen. Da habe man aber «bigoscht» [verballhornt von: «bei Gott»] nicht zusehen dürfen. Einen Buben der ein paar Blicke zu erhaschen versuchte, habe sie mit Zetern und Geschrei zum Teufel gejagt.

Natürlich sei das Mareili für die Kinder eine Attraktion gewesen. Mutter habe aber immer Mitleid mit ihr gehabt. Nie habe man über das Mareili lachen dürfen in Anwesenheit ihrer Mutter.

Nach wenigen Tagen sei sie jeweils wieder fortgezogen - zum nächsten Hof.

Was aus dem Mareili geworden ist weiss Hedwig Hugener nicht. Aber die Erinnerungen an sie sind ihr geblieben. Bis heute.

Quellen

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