Donnerstag, 31. Dezember 2009

Selbstmord nach Streit in der Kirche

In unserer Kirche ist über die letzten 300 Jahre viel passiert. Freude, Trauer, Besinnlichkeit. Feierliche Stunden, wie der Schwur auf die erste liberale Kantonsverfassung am 10. April 1831, die der Landbevölkerung wirtschaftliche Freiheiten gab und so den Aufschwung beflügelte. Aber auch regelrechte Tragödien.

Nachfolgend soll eine Episode ins Zentrum gestellt werden, die sich Anfang September 1734 in der Kirche zu Weyach zugetragen hat: ein tödlich endender, öffentlicher verbaler Schlagabtausch zwischen zwei Protagonisten: dem damaligen Pfarrer Hans Rudolf Wolf, dessen Grabplatte heute die Aussenmauer unserer Kirche ziert, sowie dem Weyacher Mathis Meyerhofer. Weitere Akteure sind: der Untervogt Bersinger, der Schulmeister sowie ein Hund.

Der Herr Pfarrer fühlt sich gestört

Über den Verlauf wissen wir dank alten Unterlagen im Staatsarchiv (StAZH A 17.5) recht gut Bescheid. An einem Sonntag im Jahr 1734 fühlte sich der Herr Pfarrer, der zugleich Dekan des Eglisauer Kapitels war, beim Katechisieren, d.h. dem Abfragen des Katechismus von den noch nicht Konfirmierten, gestört.

Er gab den Ermittlungsbehörden folgendes zu Protokoll: «Er Hr. Decan habe die Manier, dass er in den Kinderlehren bey dem Taufstein stehe zu actionieren, wie es dann auch dermahlen beschehen; da seye des Heinrich Willis Hund in dem Chor nebent ihme dem Pfarrer gelegen, er habe ihm lang zugesehen und nichts gesagt, entlich ohngefahr mitten in der Kinderlehr rufe er dem Schulmeister und sage er soll den Hund do hinweg thun, er lige so mähr draussen an der Sonnen, als darinnen am Schatten; der Schulmeister habe den Hund aufgewekt, und ihn wollen zur Kirchen hinausjagen, der sich aber widersezt zu seinem Meister geloffen und nicht hinauswollen; entlich sey der Schulmeister seiner Meister geworden, und habe ihn hinaus thun können, indem aber sey hinder ihme dem Pfarrer ein Gelächter entstanden, er habe sich umbgekehrt, die Leüthe beschelkt, und gefraget wer lache, under denen seye der ohnglükhafte Mathys Meyerhofer gewesen, der selber gesagt er lache, ander Leüth lachind auch.»

Eigentlich eine lustige Sache, welche die etwas langweilige Kinderlehre aufheiterte. Dem Pfarrer geriet das aber in den falschen Hals. Ihm war dieser Mathys Meyerhofer schon länger ein Dorn im Auge. Er galt ihm als «einfaltiger, ohnwüssender Mensch [...] in der Haushaltung habe er zu allen Zeiten so gelebet, dass er alles wollen verthun, und es deswegen mit seiner Frauen sel. und dem Sohn oft grosse Händel gesetzt; alles Zusprechen habe nichts an ihme verfangen, wann es fründtlich beschehen habe er nur darüber gelachet, wann man aber ernstlich mit ihm geredet habe er grad getrohet, er wolle sich selbst erhenken oder ersäufen», berichtete Pfarrer Wolf gemäss Protokoll.

Der Untervogt versucht den Konflikt zu entschärfen

Der Weiacher Untervogt Bersinger, den der Pfarrer im Verlaufe der Auseinandersetzung an diesem Sonntag öffentlich aufforderte, Meyerhofer bei der Obrigkeit anzuzeigen, sieht ihn in einem günstigeren Licht. Er habe «allezeit gern gewerchet, und die Werch auch wohl verstanden».

Bersinger über den weiteren Verlauf des Zwischenfalls in der Kirche: «Hr. Decan habe vermeindt der verohnglükte Meyerhofer lache auch, seye gar nach zu ihm zugestanden, und hab ihm gesagt du Pflegel, Lümmel, du kannst auch mit dem Hund hinaus gehen; Meyerhofer hab darüber gesagt, ich bin kein Hund, wann ich ein Hund bin, so will dann auch hinaus, habe auch noch lang im Stuhl brauen und brummet ... er Vogt habe ihm dem Meyerhofer auch zugeredt er solle schweigen, der aber nach immer zubrummen fortgefahren, entlich aufgestanden und zur Kirchen hinaus gegangen, da im Hinausgehen Hr. Decan zu ihm gesagt er solle nur gehen gehöre nicht hierin, soll auch nicht mehr hineinkommen, darauf Meyerhofer under der Kirchenthüren gesagt, er woll gehen dem Heeren Plaz machen.»

Diese öffentliche Blossstellung als Flegel und Lümmel, schliesslich gar die Gleichstellung mit einem Hund, war Mathis Meyerhofer zu viel. Er verliess die sonntägliche Gemeinschaft, lief zum Rhein hinunter, stürzte sich in die Fluten – und ertrank.

Der plötzliche Entschluss, den bisher nur angedrohten Selbstmord in die Tat umzusetzen, wurde direkt durch das verdammende Urteil des Pfarrherrn Wolf ausgelöst. So sahen das jedenfalls die Weyacherinnen und Weyacher. Sie waren empört und sollen gar geplant haben, den Pfarrer «umb sein Dienst, Ehr und gute Nammen zubringen» (wie sich Wolf beklagte). Ohne Erfolg: der damals 62-jährige Wolf blieb noch bis zu seinem Tode 1747 im Amt.

Den Zugang zu dieser Szene verdanke ich dem Thurgauer Historiker und Journalisten Markus Schär.

Quellen und Literatur

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