Dienstag, 16. Mai 2006

Der Grabstein in der Kirchenmauer

Nur ein einziger Grabstein hat heute das Privileg, direkt in die Aussenmauer der Kirche von Weiach eingelassen die Zeiten zu überdauern: der Stein des Pfarrers mit dem Amtszeitrekord.

Wolf, 34) Hans Rudolf (1672-1747). Ord. 1695, seit 1696 Katechet in Wiedikon, 1698 Pfr. in Wipkingen, 1708 in Weiach, 1715 Dekan.

So lautet der Eintrag im Pfarrerbuch von Dejung/Wuhrmann. Das bedeutet also, dass Wolf beinahe 40 Jahre Pfarrer von Weiach war - und ausserdem jahrzehntelang auch noch Leiter des Eglisauer Kapitels.

Die Zahl 34 zeigt, dass es noch eine ganze Reihe von weiteren Pfarrern mit diesem Nachnamen gab. Das ist nicht weiter verwunderlich: Pfarrer werden konnten damals nur Söhne von Stadtzürcher Bürgergeschlechtern. Sie waren quasi der geistliche Teil der Verwaltung des Stadtstaates, Amtsträger wie die Landvögte und Obervögte.

Dulcissime Domine

Unter der Ägide der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich wurden in den 1940er- und 50er-Jahren im ganzen Kanton alte Inschriften gesammelt, auf Karteikarten katalogisiert und meist auch fotografiert. Der Leiter dieses Projekts, Heinrich Hedinger, veröffentlichte 1958 einen Übersichtsartikel.

Dort schreibt er im Abschnitt über Grabtafeln u.a., aus dem Jahre 1747 stamme «eine Platte im einst befestigten Friedhof der Grenzgemeinde Weiach. Sie wurde dem Dekan Joh. Rudolf Wolf gewidmet und enthält diesen, merkwürdigerweise in Fraktur geschriebenen lateinischen Text:

Dulcissime Domine
Jesu, ultimum Verbum
tuum in Cruce sit
in ultimum Verbum
meum in hac luce,
et cum amplius
fari non possum,
exaude finale
cordis mei de-
siderium

Das heißt: "Süssester Herr Jesu, Dein letztes Wort am Kreuz sei mein letztes Wort in diesem Licht, und wenn ich es nicht mehr sagen kann, so erhöre schließlich den Wunsch meines Herzens." (Übersetzung von Herrn Dr. Hans Glinz in Rümlang)
».

Die Platte lag früher am Boden

Sekundarlehrer Glinz war es auch, der die Daten dieser in Sandstein gehauenen Grabplatte am 14. Oktober 1948 für die Kartei der Antiquarischen Gesellschaft erfasste.

Als Standort der Inschrift vermerkte er: «Grabplatte am Boden». Damals lag der Stein also offenbar noch! Wo genau (ob in der Kirche oder ausserhalb) ist bisher unbekannt.

Zum Zustand schrieb Glinz: «defekt, wird Nov. 1948 renoviert mit 200 Fr. Beitrag v. Heimatschutzvereinigung». Ob diese Restaurierung tatsächlich 1948 durchgeführt wurde ist mir nicht bekannt. Heute ist die Grabplatte jedenfalls bis auf eine Beschädigung der Umschrift ganz unten links und ein paar rote Farbspritzer (unten rechts) in sehr gutem Zustand.

Wie alt wurde Pfarrer Wolf?

Der oben zitierte fromme Spruch ist nur der Text im zentralen Feld. Die Umschrift findet man in Hedingers Artikel nicht, die steht nur auf der Karteikarte (und natürlich auf dem Original im alten Friedhofsteil):

«Herr Johann Růdolf Wolf, Pfarrer allhier zů Weÿach und Decanus eines Ehrwürdigen Eglisauer Cap: Starb den 14. Nov. A°. 1747, Æt. 77. Jahr 2. M:».

Was dann doch ein paar Fragen aufwirft. Dejung/Wuhrmann scheint in ihren Quellen ein anderes Geburtsdatum vorgelegen zu haben als dem Steinmetz. Denn 1747 minus 77 Jahre ergäbe eigentlich einen Geburtstag im September 1670, allenfalls noch korrigiert um die Schalttage bei der Umstellung vom Julianischen auf den Gregorianischen Kalender im Jahre 1701 (das reformierte Zürich liess die Tage vom 1.– 11. Januar 1701 ausfallen).

Ob 1672 oder 1670 als Geburtsjahr festzusetzen ist, kann hier nicht entschieden werden. Auch die Auftraggeber dieser Grabplatte können sich schliesslich geirrt haben.

Quellen

  • Emanuel Dejung und Willy Wuhrmann: Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952. Zürich, 1953
  • Heinrich Hedinger: Inschriften im Kanton Zürich. Veröffentlicht als: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Band 40, Heft 1 (122. Neujahrsblatt). Zürich 1958. - S. 58 [II. Grabinschriften, b) Grabtafeln, 13. (813)]

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