Samstag, 28. April 2012

Kaiserstuhl von den Zürchern besetzt!

Heute vor 300 Jahren waren Weiach und seine Umgebung Schauplatz einer der ersten militärischen Aktionen des Toggenburgerkrieges (nach der Entscheidungsschlacht auch Zweiter Villmergerkrieg genannt), der vom 12. April bis 11. August 1712 dauerte. Rund zwei Wochen nach der Kriegserklärung von Bern und Zürich an die Innerschweizer Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden trafen die Kriegsparteien im Norden der damaligen Grafschaft Baden bereits mit militärischen Mitteln aufeinander.

Schnelle Besetzung der Grenzstadt Kaiserstuhl

Darüber, was sich am 28. April 1712 vor den Toren des Städtchens Kaiserstuhl abspielte, berichtet Godefroy de Charrière in seinem 58-seitigen Werk «L'armée zuricoise dans la guerre du Toggenbourg: appendice à "La campagne de 1712"» aus dem Jahre 1868:

«Vers la même époque les cantons catholiques subirent un autre échec. Le commandant Hirzel, commandant du corps concentré autour de Regensberg, se porta, le 28 avril, sur Weyach, d'où il fit sommer la ville de Kaiserstuhl, défendue par le capitaine Imfeld d'Unterwalden. Ce dernier chercha à gagner du temps en négociant. Mais on fit avancer le matériel de siège et commencer les préparatifs du bombardement. Kaiserstuhl se rendit alors et fut occupée par une garnison placée sous les ordres du major Meier de Knonau. Le même jour, Zurzach qui était commandée par le capitaine Fr.-Louis de Reding-Biberegg, se rendit sans résistance et le lendemain, 29 avril, Klingnau ouvrit de même ses portes et reçut une garnison commandée par un officier bernois». (de Charrière, S. 22)

Der Kommandant der Zürcher Truppen im Bereich des heutigen Zürcher Unterlandes forderte also den Unterwaldner Hauptmann Imfeld auf, die Stadt Kaiserstuhl zu übergeben. Dieser versuchte mit Verhandlungen auf Zeit zu spielen. Als die Zürcher aber das Belagerungsmaterial in Stellung brachten und mit den Vorbereitungen zum Bombardement begannen ergab sich Kaiserstuhl und wurde durch eine Zürcher Garnison unter dem Kommando eines Major Meyer von Knonau besetzt. Ähnliches spielte sich wohl auch in Zurzach und Klingnau ab. Damit hatte die reformierte Koalition den Norden der Grafschaft unter Kontrolle.

Der Fürstbischof wollte Kaiserstuhl aus dem Krieg heraushalten

Nun war Kaiserstuhl allerdings von seiner rechtlichen Zugehörigkeit her mit der Niedergerichtsbarkeit auch eine Besitzung des Fürstbischofs von Konstanz, der über diesen Handstreich gar nicht erfreut war. Dies erläutert Otto Mittler 1943 in seiner Schrift Geschichte der Stadt Klingnau 1239-1939 (Argovia Bd. 55):

«Wegen eines Streites zwischen dem Abt von St. Gallen und seinen durch Zürich und Bern unterstützten Untertanen im Toggenburg prallten die konfessionellen Gegensätze 1712 im zweiten Villmergerkrieg neuerdings zusammen. Es war der letzte und zugleich blutigste der schweizerischen Religionskämpfe. Bern und Zürich drängten mit überlegener Macht und Strategie die viel schwächern Kräfte der katholischen Orte bald in eine hoffnungslose Lage.

Wohl suchten diese durch Besetzung der Grafschaft Baden die Verbindung der beiden reformierten Stände zu durchschneiden. Die Mannschaften von Würenlingen, Tegerfelden und Endingen wurden aufgeboten, in aller Eile bei Stilli an der Aare gegen die Berner Schanzen aufzuwerfen. Der Bischof von Konstanz versicherte am 16. April den Zürchern, er habe seinen Untertanen auf Schweizerboden Befehl gegeben, bei einem allfälligen Kriege stille zu sitzen, d.h. neutral zu sein. Er gab der Erwartung Ausdruck, daß auch im Kriegsfall die Angehörigen des Konstanzer Domstifts unangefochten blieben. Die Ereignisse schritten aber sehr rasch über diese Vorbehalte hinweg.
» [Fn-18]

(Fn-18: «1695 war wegen der Bildung einer kleinen katholischen Gruppe in der reformierten, zur Landvogtei Sargans gehörenden Gemeinde Wartau ein Konflikt ausgebrochen. Damals berieten die Kriegsräte der V innern Orte über einen Offensivplan gegen Zürich und Bern sowie über die Besetzung der Grafschaft Baden, wobei nach Kaiserstuhl 200 Mann aus der Grafschaft unter einem Unterwaldner Hauptmann gelegt werden sollten, während Klingnau durch 200 Bürger und Zuzüger von Leuggern und Zurzach zu verteidigen war. E.A. VI. 2b, 560.»)

Ob die Innerschweizer Garnison im April 1712 aus 200 Mann bestand, ist mir nicht bekannt. Immerhin war aber getreu den Beschlüssen von 1695 ein Unterwaldner Kommandant der Garnison.

Reformierte befürchten habsburgische Intervention

«Zürich und Bern war an einer raschen Vereinigung ihrer Truppen wegen der militärischen Operationen gegen den Abt von St. Gallen viel gelegen. Die zürcherischen Hauptleute in Weiach und Niederweningen berichteten, daß von deutscher Seite die Absicht bestünde, die bischöflichen Grenzorte, vorab Kaiserstuhl und Meersburg sowie andere Gebiete, zu besetzen. Sie ihrerseits erklärten, man sollte unverzüglich eigene Truppen nach Kaiserstuhl und Klingnau, ebenso ins Dorf und Kloster Wettingen legen.»

Diese Gerüchte hatten ihre Ursache in den diplomatischen Aktivitäten des Fürstabts von St. Gallen, der schon 1702 ein Schirmbündnis mit Kaiser Leopold I. von Habsburg abgeschlossen und von diesem 1706 sogar die Investitur als Reichsfürst empfangen hatte (vgl. vierten Absatz zur Vorgeschichte im Wikipedia-Artikel). Deshalb befürchtete man eine Intervention aus dem deutschen Gebiet. Diese Befürchtungen erklären auch, weshalb der Fürstbischof von Konstanz bereits wenige Stunden nach der Kriegserklärung mitteilte, er habe seine Untertanen in der Grafschaft Baden zur Neutralität verpflichtet. Trotzdem holten die Reformierten zum Präventivschlag aus:

«Am 23. April überschritt Oberst Hackbrett mit 2000 Bernern die Aare bei Stilli und vereinigte sich mit den Zürchern bei Niederweningen und Regensberg. Drei Tage später wurde Kaiserstuhl durch die Zürcher, am 28. April Klingnau durch die Berner unter Oberstlieutenant Samuel Tscharner besetzt. Der förmlichen Übergabe der Stadt durch den Rat folgte einige Tage später die Huldigung der Bürgerschaft.» [Fn-19]

(Fn-19:  «Über die Vorgänge unterrichtet besonders einläßlich der mehrere tausend Stücke umfassende Aktenbestand des Zürcher Staatsarchivs A 236, der in 24 voluminösen Mappen das gefamte, den Toggenburger Krieg betreffende Material chronologisch enthält.[...]»).

Interessanterweise sind sich Mittler (26. April) und de Charrière (28. April) bezüglich des genauen Zeitpunktes der Besetzung von Kaiserstuhl nicht einig. Mittler erwähnt auch nichts von Zurzach.

Besetzung mit Samthandschuhen

Die Besetzung verlief in jeder Hinsicht glimpflich. Die Okkupationsbehörden hatten wohl damals schon den festen Willen, die Grafschaft Baden nach Abschluß des Krieges, dessen Ausgang für sie keinem Zweifel unterlag, ganz an sich zu ziehen. Deshalb wäre es sinnlos gewesen, das Einvernehmen mit der Bevölkerung der besetzten Ortschaften durch rigorose Strenge zu trüben. Die Klagschriften des Bischofs gegen die Okkupation wissen darum wenig oder nichts von Gewalttaten in Klingnau und Kaiserstuhl anzuführen. Die Verzeichnisse von Kontributionen und Proviantlieferungen gehen nicht über das hinaus, was die Stadt im ersten Villmerger Krieg hatte leisten müssen. Die Berner Mannschaften scheinen die Verpflegung selbst besorgt oder dann bezahlt zu haben. So gestattete der Kommandant Tscharner am 10. Mai dem Seckelmeister Hans Georg Schliniger, den Truppen Speise und Trank zu verabfolgen, da die Wirtshäuser der Stadt dem Bedarf doch nicht zu genügen vermöchten.»

Ähnlich wie in Klingnau dürfte es auch in Kaiserstuhl gewesen sein, eine Annahme, die aber anhand der Quellen noch überprüft werden müsste.

Worum ging es in diesem Krieg überhaupt?

Die Historische Gesellschaft des Kantons Aargau organisiert am Samstag, 2. Juni 2012, 9.00 bis 18.00 Uhr eine Tagung zum Thema Der Zweite Villmergerkrieg im Aargau: Schauplätze und Hintergründe und schreibt dazu:

«2012 jähren sich die kriegerischen Ereignisse vom Sommer 1712. Deren Beurteilung ist bis heute kontrovers. War es in erster Linie eine konfessionelle Auseinandersetzung in der Tradition von Kappel, war es der alte Konflikt zwischen Städten und Länderorten oder nicht vielmehr ein Kampf um die Vormacht in der Eidgenossenschaft, der in den Gemeinen Herrschaften – im allen gehörenden «Niemandsland» – ausgetragen wurde? Sicher ist, dass es eine der blutigsten Auseinandersetzungen war, die in der heutigen Schweiz stattgefunden hat. Wir möchten deshalb unter kundiger Leitung einige der aargauischen Schauplätze dieser Auseinandersetzung aufsuchen und uns neben militärhistorischen Aspekten insbesondere der Frage nach den Auswirkungen des Zweiten Villmergerkriegs auf die Grafschaft Baden und die Freien Ämter und deren Bevölkerung widmen.»

Quellen

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