Montag, 18. Oktober 2010

Ein Häftling versucht, sich umzubringen

Vor rund 150 Jahren nahm man es mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte noch nicht so genau wie heute. Da wurden Namen und Wohnorte in amtlichen Jahresberichten und öffentlichen Zeitungen offen genannt. Dass Delinquenten dadurch an den Pranger gestellt wurden, nahm man in Kauf - vielleicht auch weil diesem Umstand eine generalpräventive Wirkung zuschrieben wurde.

Nachfolgend ein Beispiel: Nichts von «U. R. aus W.»! 1865 konnte jedermann aus dem «Jahresbericht des Arztes an der Kantonal-Strafanstalt» entnehmen, dass Ulrich Rüdlinger aus Weiach nicht nur im Gefängnis war, sondern dies offensichtlich auch schlecht ertrug.

Eine erfolgreiche Selbsttötung, zwei Suizidversuche

Dr. Zwicky, der Arzt der kantonalen Strafanstalt, ging im Jahresbericht 1864 über die Verwaltung des Medizinalwesens auf folgende ungewöhnlicheren Fälle aus seinem Bereich ein: «Außerdem wurden von 3 männlichen Sträflingen Selbstmordsversuche gemacht, von denen aber nur einer mit dem Tode endigte.»

Unter den drei Genannten ist auch ein Weiacher: «Ulrich Rüedlinger von Weiach, 47 Jahre alt, brachte sich mit einem ziemlich stumpfen Brodmesser am 22. März eine oberflächliche Wunde seitlich am Halse bei, die keinen bedeutenden Blutverlust herbeiführte und nach einigen Wochen ganz geheilt war.»

Was genau Ulrich Rüedlinger, geb. 1817, zu diesem Selbstmordversuch veranlasste, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Was ihn ins Gefängnis gebracht hatte, müsste man in den Gerichtsakten nachlesen können. Weitere Angaben zu seinem Leben, Eltern, allfällige Heirat und Kinder sind den Kirchenbüchern zu entnehmen. Alles Stoff für weitere Nachforschungen genealogisch Interessierter.

Weniger Gefängnis-Insassen

Interessant sind übrigens Zwickys Angaben zur Anzahl der Insassen in der Kantonal-Strafanstalt: 249 seien «am 31. Dezember 1863 verblieben und 229 im folgenden Jahre neu eingetreten». Und weiter: «Der höchste Stand der Gefangenen war am 24. November 1864: 265, der niedrigste am 26. Juni: 237. Die tägliche Durchschnittszahl betrug 251.»

Vor rund 150 Jahren sassen etwa 0.1 Prozent der Kantonsbevölkerung von ca. 275'000 Personen in der kantonalen Strafanstalt (1860: 266'265 Einwohner; 1870: 284'047 Einwohner, vgl. Statistische Berichte 1/1992). Zum Vergleich: Ende 2009 lag dieser Wert bei rund 0.06 Prozent. Der Kanton Zürich hatte nämlich 1'344'900 Einwohner und verfügt über rund 850 Vollzugsplätze. Prozentual also tendentiell weniger.

Quelle
  • Jahresbericht über die Verwaltung des Medizinalwesens. Die öffentlichen Krankenanstalten und den allgemeinen Gesundheitszustand des Kantons Zürich im Jahr 1864 nebst Mittheilungen aus der Praxis der Aerzte und Thierärzte erstattet von der Direktion der Medizinalangelegenheiten. Zürich, Druck von Zürcher und Furrer. 1865 - S. 78-79. (Jahresbericht des Arztes an der Kantonal-Strafanstalt; von Herrn Dr. Zwicky).
  • Die Bevölkerungsentwicklung des Kantons Zürich 1850-1990, und wie geht es weiter? Statistische Berichte des Kantons Zürich Heft 1/1992 - S. 8.

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