Sonntag, 30. April 2017

Bürgerort entscheidet über anzuwendendes Erbrecht

Das sogenannte «alte Harkommen» war im Mittelalter und der Neuzeit bis zum Ende des Ancien Régime ein sehr wichtiges Kriterium wenn es darum ging das geltende Recht zu eruieren. Da kam es nicht so sehr darauf an, welcher Staat gerade die Oberhoheit über ein bestimmtes Gebiet (z.B. das der Gemeinde Weyach) hatte. Sondern auf die - teils über Jahrhunderte gewachsene Rechtstradition.

So bezog beispielsweise die Stadt Zürich in der Stadt Kaiserstuhl bei bestimmten Kategorien von Verstorbenen die Erbschaftsteuer. Und nicht etwa die Grafschaft Baden oder der Fürstbischof von Konstanz. Und das obwohl die Zürcher weder die hohe noch die niedere Gerichtsbarkeit über Kaiserstuhl innehatten.

Aus diesem Umstand leitet Naumann ab, dass vor der Stadtgründung ein Teil von Kaiserstuhl (der östlich der Hauptgasse gelegene) noch zur Grafschaft Kyburg gehört habe. Das wäre in der Tat eine plausible Begründung für das Recht der Zürcher auf den Steuerbezug. Denn die waren erst ab 1424 die Hochgerichtsherren der Grafschaft Kyburg, wogegen die Eidgenossen bereits 1415 in den Besitz der Grafschaft Baden und damit der Stadt Kaiserstuhl gelangt waren.

Einfluss über das Dorfgericht

In einem anderen Erbrechtsthema hat das Recht der Stadt Kaiserstuhl Wirkungen auf Zürcher Staatsgebiet entfaltet. Weyach gehörte seit der Gründung des Städtchens Kaiserstuhl zu dessen direktem Einzugsgebiet, war wirtschaftlich eng mit ihm verflochten und es gab etliche Kaiserstuhler, die auf Weiacher Gebiet über Grundbesitz verfügten.

Darüber hinaus war das Fürstbistum Konstanz ab 1295 immer mindestens zur Hälfte (ab 1605 vollständig) Inhaber der Niederen Gerichtsbarkeit über Weiach. Damit hatte der Fürstbischof auch die Kontrolle über das Dorfgericht. Dessen Vorsitzender (genannt «Stabhalter») war in der Regel ein Kaiserstuhler Bürger.

Welches Erbrecht gilt für die Witwe Waser?

Und so verwundert es nicht im Geringsten, dass in Weiach (als offenbar einziger Zürcher Gemeinde) das Kaiserstuhler Erbrecht in Gebrauch war. Dass dem wirklich so war, überliefert der Fürsprecher (Rechtsanwalt) Dr. Jakob Pestalutz im zweiten Band seiner «Vollständigen Sammlung der Statute des Eidsgenößischen Cantons Zürich».

Das Kapitel XVII umfasst das «Erbrecht der Stadt Kaiserstuhl d.d. 23sten Juli 1680». Nach Ingress und Präambel folgt auf den Seiten 6-24 in 19 Artikeln was im Städtchen Gültigkeit hatte. Auch die 1687 durch den Fürstbischof von Konstanz erfolgte, offizielle Bestätigung des Kaiserstuhler Erbrechts (vgl. S. 24) hat Pestalutz für seine Sammlung transkribiert.

Am Schluss des Kapitels (S. 26-27) erklärt er dem geneigten Leser schliesslich, was ein Kaiserstuhler Erlass in einer Zürcher Gesetzessammlung verloren hat:

«Das Erbrecht der Stadt Kaiserstuhl mußte darum in diese Sammlung aufgenommen werden, weil dasselbe in der angränzenden Zürcherischen Gemeinde Weyach recipirt ist, was sich aus dem vom H. Obergerichte am 15. Februar 1833 beurtheilten Processe des Schleifer Rudolf Waser von Zürich und Streitgenossen gegen Frau Salomea Waser, geb. Weißhaupt von Weyach, ergab. Die hierauf bezügliche Erwägung dieses Urtheils lautet wörtlich folgendermaßen: "7) daß aus dem Berichte des Gemeindrathes von Weyach, in Verbindung mit den darin angeführten Beyspielen, an deren Wahrheit zu zweifeln keine irgend zureichenden Gründe vorhanden sind, zur Ueberzeugung des Richters hervorgeht, daß das Erbrecht von Kaiserstuhl das in Weyach geltende sey."; und wurde daher der fragliche das Erbrecht der Wittwe an dem Vermögen ihres verstorbenen Mannes betreffende Proceß nicht nach den Bestimmungen des Erbrechtes der Stadt Zürich, sondern nach denjenigen des Erbrechtes der Stadt Kaiserstuhl entschieden.»

So ungewohnt das nun tönt, so gibt es doch gerade auch heute vermehrt ähnliche Fragestellungen. Wie dabei vorzugehen ist, regelt das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987 im Kapitel 6 über das Erbrecht (Art. 86-96).

Quellen
  • Vollständige Sammlung der Statute des Eidsgenößischen Cantons Zürich mit Ausnahme der bereits gedruckten "Saz- und Ordnungen Eines Frey-Loblichen Stadt-Gerichts von A°. 1715, und des Erbrechts der Stadt Zürich von A°. 1716." Von Dr. Jakob Pestaluz, Zürich. Band 2, Zürich 1839.
  • Naumann, Helmut: Der Kaiserstuhler Efaden. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 1967, S. 213-236. Hier: S. 217 u. 219.
  • Brandenberger, Ulrich: Grenzen der Stadt Kaiserstuhl gestern und heute. Vortrag vor der Generalversammlung Pro Kaiserstuhl, 26. Februar 2016 - S. 30-31.

[Veröffentlicht am 2. Januar 2019 um 03:15 MEZ]

Sonntag, 9. April 2017

Der Pfarrer erhielt gleich drei Wasserhahnen

Im Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 37, publiziert in den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach im Dezember 2002, wurde als Beispiel für die im 19. Jahrhundert noch ausreichende Assekuranznummerierung der Gebäude auf Gemeindegebiet folgende Gegebenheit kolportiert:

«Als es 1876 um die Finanzierung der ersten Haus- und Löschwasserversorgung ging, wollte man das «Staatsgebäude No. 46» nicht anschliessen «insofern nicht für das letztere entsprechender Ersatz geleistet wird». Bei diesem Gebäude handelte es sich um – das Pfarrhaus! Unbekannt ist mir derzeit, ob der Kanton für den Anschluss bezahlt hat und falls nicht, ob die Weiacher ihren Pfarrherrn, Johannes Stünzi, tatsächlich haben auf dem Trockenen sitzen lassen.»

Der erste Teil der damals formulierten Fragen kann mittlerweile beantwortet werden. Wie man einem Regierungsratsbeschluss aus dem Mai 1877 unter dem Titel «Pfrundlokalität Weiach; Wasserversorgung.» entnehmen kann, wurden die behördlichen Abklärungen in geradezu rekordverdächtiger Zeit von weniger als einem Monat entscheidreif vorangetrieben.

«Die Direktion der öffentlichen Arbeiten berichtet:

Da die Gemeinde Weiach damit beschäftigt ist, im Laufe dieses Frühjahres eine Wasserversorgung zu Haus- & Löschzwecken einzuführen, sucht Hr. Pfarrer Stünzi daselbst mit Zuschrift vom 24. April darum nach, es möchte auch in dortiger Pfrundlokalität die Wasserversorgung eingerichtet werden.
Da nun einerseits die ziemliche Entfernung des zunächst gelegenen Brunnens vom Pfarr- und Waschhause in jeder Hinsicht eine solche Einrichtung als wünschenswerth erscheinen läßt, anderseits der von dem Uebernehmer der ganzen Anlage, Hr. Ingenieur Weinmann in Winterthur, für den die Pfrundlokalität treffenden Theil der Einrichtung verlangte Preis von Frk. 250
// [p.390] verhältnißmäßig gering erscheint, – wobei ein Hahn in der Küche, einer im Waschhaus und einer im Keller sammt aller nöthigen Zubehör [sic!], Zuleitung, Hauptabstellhahn, Grabarbeit u.s.w. inbegriffen wäre – so erscheint es geboten, diesen Anlaß zu benutzen.
Ein allfälliger Wasserzins wäre durch den jeweiligen Nutznießer zu tragen.

Der Regierungsrath,
nach Einsicht eines Antrages der Direktion der öffentlichen Arbeiten,
beschließt:
1. Herr Ingenieur Weinmann in Winterthur wird beauftragt, in Verbindung mit der Wasserversorgung in der Gemeinde Weiach, dieselbe auch in dortiger Pfrundlokalität im Sinne des Berichtes der Direktion einzurichten um den von ihm anerbotenen Preis von Frk. 250.
2. Der jeweilige Nutznießer der Pfrundlokalität hat einen allfälligen Wasserzins zu bestreiten.
3. Mittheilung an die Direktion der öffentlichen Arbeiten zur Vollziehung.
»

Pfarrer Stünzi wurde also nicht auf dem Trockenen sitzengelassen. Über den zweiten Teil der eingangs stehenden Frage mussten sich weder er noch die Weiacher Gedanken machen. Und wir tun es nun auch nicht mehr.

Quelle
[Veröffentlicht am 4. November 2018 um 20:08 MEZ]