Sonntag, 3. Dezember 2023

Gemeindeversammlungstermin. Trennung von Kirche und Staat

Die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich war über Jahrhunderte hinweg eine Staatskirche. Religionsidentität und Staatsräson wurden eng miteinander verschränkt gehalten. Behördliche Erlasse wurden von der Kanzel verkündet. Und in Kirchenpflege, Armenpflege und Gemeindepolitik waren Ämterkumulationen eher die Regel als die Ausnahme. Mit der Einwanderung vieler Katholiken ab dem 19. Jahrhundert wurde diese Praxis aufgeweicht und mit der zunehmenden Säkularisierung im 20. Jahrhundert komplett aufgegeben.

Das Ende der Trinität

Bislang war es in Weiach Usus, dass die drei Gemeindeversammlungen von Politischer Gemeinde, Primarschulgemeinde und Evang.-ref. Kirchgemeinde am selben Abend und im selben Saal angesetzt werden (vgl. WeiachBlog Nr. 41Nr. 231 und Nr. 341). Die letzten Reste dieser zumindest terminlichen Kooperation sind nun auch bei uns aufgegeben worden.

Gerade «Budgetgemeinden» haben es besonders schwer gegen viele andere Veranstaltungen, die unbedingt auch noch in die Adventszeit gepackt werden wollen.

Werben um die Nichtamtsträger

Was die Terminplanungsverantwortlichen zur Frage führt: Wann und wo sollen wir die Gemeindeversammlung ansetzen, damit wenigstens eine Handvoll Stimmberechtigte Zeit und Musse finden, um uns gewählten Amtsträgern das nötige Plazet zu geben? 

Antwort der Politischen Gemeinde: «Donnerstag, 7. Dezember 2023, 19.30 Uhr, Gemeindesaal Weiach.» -- Antwort der Kirchgemeinde: «Samstag, 2. Dezember, 16:00 bis 16:30 Uhr. Ort: In der Pfarrscheune, Weiach».

Die Kirchgemeinde konnte da einen kleinen Achtungserfolg verbuchen. Wenige Anwesende – wie zu erwarten – aber einer davon war ein erst dieses Jahr Konfirmierter, sozusagen ein Jungbürger.

Das Religion-Kultur-Kombi

Jede der beiden Organisationen bevorzugt nun also denjenigen Saal, der in ihrem Eigentum steht. Und bei der Kirchenpflege kamen noch zwei Überlegungen dazu, um den Samstag zum Tag der Wahl werden zu lassen. Erstens sei am Samstag weniger los, war von einem Mitglied der Pflege zu erfahren, und zweitens habe man den Anlass auch auf einen der raren Öffnungstermine des Ortsmuseums abgestimmt: Das Museumsfondue, das am selben Abend ab 17 Uhr für Geselligkeit in warmer Stube sorgte (vgl. MGW, Dezember 2023, S. 27 der Online-Ausgabe).

Diese Aussage wird durch die Einladung zur Versammlung schriftlich untermauert: «Anschliessend sind sie [sic!] herzlich zum gemeinsamen Anstossen eingeladen. Vielleicht sieht man sich noch beim Museumsfondue.» (MGW, Dezember 2023, S. 22 der Online-Ausgabe)

Print und Online nicht identisch

Und wenn Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, sich jetzt wundern, warum ich explizit auf die Online-Ausgabe verweise, dann zählen Sie einmal die Seiten Ihres gedruckten Exemplars. Dort fehlen nämlich viele Adventsveranstaltungen der Kirche, ja man könnte fast meinen, sie beschränkten sich auf den Heiligabend. Dieser Lapsus auf der Redaktion des Blattes blieb bei der Kirchgemeinde nicht unbemerkt, was dann auch den unüblich späten Veröffentlichungstermin für die Online-Ausgabe erklärt. 

Literatur und Quelle

Mittwoch, 29. November 2023

Massive Erhöhung der Einbürgerungsgebühren

Nach den turbulenten Jahren der Helvetischen Republik, die die Weyacher als Privatleute und in Form ihrer Gemeinde in grösste Schwierigkeiten gestürzt hatten, da konnte man sich spätestens ab 1813 der Konsolidierung der Gemeindefinanzen und dem Wiederaufstocken der Waldungen widmen. Denn der im öffentlichen Eigentum stehende Wald, das war und ist die Trumpfkarte, mit der über viele Jahre hinweg die Lebenserhaltung für eine recht grosse Bevölkerung gesichert werden konnte. Auch für solche, die nicht wirklich viel Landwirtschaftsland und holzreichen Privatwald ihr Eigen nennen konnten. 

Wertvolles Weyacher Bürgerrecht

Das Bürgerrecht der Gemeinde Weyach war entsprechend begehrt. Der Bürgernutzen (umfassend Gratisbezüge für Bau- und Brennholz, Weiderechte (Ackaret) für Schweine im Eichenwald, etc.), war derart wertvoll, dass kaum jemand sein Bürgerrecht freiwillig aufgab. 

Damals zählte auch nicht der zivilrechtliche Wohnsitz, wenn es darum ging, mit Sozialhilfe unterstützt zu werden, sondern das Gemeindebürgerrecht und dessen Exklusivität. Spätestens zum Ende des 16. Jahrhunderts sicherte sich Wyach daher bereits das Privileg, den sogenannten Einzug (d.h. die Verleihung des Bürgerrechts) mit namhaften Einkaufssummen abgelten lassen zu dürfen. Dasselbe machte übrigens auch der Staat, wenn er das Kantonsbürgerrecht (damals «Landrecht» genannt) verliehen hat.

Gesuch um Bewilligung höherer Gebühren

Im Sommer vor 200 Jahren fand der damalige Gemeinderat, es sei an der Zeit, den gestiegenen Wert von Gemeindegut und Bürgernutzen mit einer höheren Einzugsgebühr absichern zu können, worauf er sich an den Oberamtmann auf Schloss Regensberg (so hiess der Nachfolger der Landvögte) wandte. Dort fand man Gehör und das Gesuch ging an den Regierungsrat (damals Kleiner Rat genannt):

«Ein von dem Lbl. Oberamte Regensperg mit empfehlendem Berichte d. d. 4ten hujus einbegleitetes Petitum der Gemeinde Weyach um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren, wird der Lbl. Commißion des Innern zu näherer Prüfung und Einbringung eines gutächtlichen Berichts und Antrags überwiesen.»

Das hatte der Kleine Rat am 14. Oktober 1823 entschieden und nachdem die löbliche Kommission des Innern ihren Bericht eingereicht hatte, konnte die Regierung heute vor 200 Jahren über das Weyacher Gesuch befinden. 

Ausdrückliches obrigkeitliches Lob für Gemeinderat und Kirchenpflege

Der Ratsschreiber formuliert den Entscheid wie folgt:

«Es hat der Kleine Rath, nach Anhörung und in Genehmigung eines gutächtlichen Berichts und Antrags der Lbl. Commißion des Innern d. d. 12. hujus [12. November 1823], betreffend die ehrerbietige Bitte der Gemeinde Weyach um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren, da sich bey näherer Untersuchung ergeben, daß ihr Gemeindsgut seit Ertheilung des letzten Einzugsbriefes durch sorgfältige Haushaltung und lobenswerthe Verwaltung der Vorsteherschaft, bedeutend vermehrt wurde, erkennt, diesem gegründeten Ersuchen mittels einer angemeßenen Erhöhung zu entsprechen, und daher ihren Einzug in das Gemeindgut von Frk[en]. 220. auf Frk[en]. 360., sowie in das Kirchengut von Frk[en]. 24. auf Frk[en]. 48. gesetzt, wogegen es bey der bestehenden Bestimmung der Gebühr in das Armengut u. in den Viehfond sein Bewenden haben soll.

Gegenwärtiger Beschluß wird dem Lbl. Oberamte Regensperg, unter Beylage eines neuen Einzugsbriefes (gegen welchen der alte zu beziehen und der Staatskanzley einzusenden ist) zu Handen der Gemeinde Weyach, unter Äußerung der Hochobrigkeitlichen Zufriedenheit mit der Verwaltung ihres Gemeindgutes, zugestellt.»

Wie man lesen kann, halten sich gewisse Begriffe hartnäckig. In diesem Fall «hochobrigkeitlich», was vor der Revolution den Inhaber der Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit bezeichnete und diesen vom Niedergerichtsherren unterschied. Letztere gab es nach den Revolutionskriegen nicht mehr.

Happige Beträge

Nun, was war die Kaufkraft dieser Frankenbeträge vor 200 Jahren umgerechnet auf heutige Verhältnisse? Zieht man den Historischen Lohnindex (HLI) von Swistoval heran, dann ergibt sich in Geldwerten von 2009 eine Erhöhung von 25'714.- auf 42'077.- für das Gemeindegut und eine von 2'805.- auf 5'610.- für das mit wesentlich weniger Grundbesitz ausgestattete Kirchengut.

Daraus kann man ableiten, dass ein Zugezogener, der ins hiesige Bürgerrecht aufgenommen werden wollte, umgerechnet auf unsere Zeit auf der kommunalen Ebene mehr als 48'000 CHF hinblättern musste. Denn die Einzugsgebühr für Armengut und Viehfonds (deren Erhöhung vom Kleinen Rat abgelehnt wurde) ist da ja noch nicht eingerechnet.

Verglichen mit dem Stand zwölf Jahre später ist das umgerechnet auf die Kaufkraft noch vergleichsweise günstig. Denn 1835 verlangte man bereits 500 Franken, allein für das Gemeindegut (vgl. WeiachBlog Nr. 1642)!

Quellen und Literatur
  • Die Gemeinde Weyach bittet um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren. Protokoll des Kleinen Rats (Regierungsrat) vom 14. Oktober 1823, S. 20. Signatur: StAZH MM 1.85 RRB 1823/0845.
  • Der Gemeinde Weyach wird eine Erhöhung des Einzugs bewilligt. Protokoll des Kleinen Rats (Regierungsrat) vom 29. November 1823, S. 213−214. Signatur: StAZH MM 1.85 RRB 1823/1001.
  • Brandenberger, U.: Können Sie sich Weyach leisten? WeiachBlog Nr. 1642 v. 19. April 2021.
  • Historischer Lohnindex (HLI), vgl.: SWISTOVAL. Swiss Historical Monetary Value Converter des Historischen Instituts der Universität Bern.
[Veröffentlicht am 30. November 2023 um 00:16 MEZ]

Samstag, 25. November 2023

Griesser seit über 500 Jahren in Weiach

Vor rund zweieinhalb Jahren hat sich eine Neuzuzügerin über meine Unterscheidung zwischen Alteingesessenen und Neo-Weiachern echauffiert (vgl. Quellen). Bei einem solchen Thema kommt es natürlich auf die Begriffsdefinitionen an. Wann gilt jemand als Alteingesessener?

Ohne jetzt eine fixe Grenze festlegen zu wollen: diejenigen Familien, deren Weiacher Bürgerrecht auf die Zeit vor 1798 zurückgeht, gehören aus Sicht des Ortshistorikers mit Sicherheit dazu. Wenn das Bürgerrecht bis heute besteht, sowie land- und forstwirtschaftliches Grundeigentum gehalten wird, dann muss man diese Geschlechter mit Fug und Recht als Alteingesessene bezeichnen. Zumal dann, wenn überdies Abkömmlinge in direkter Linie zivilrechtlichen Wohnsitz in Weiach haben. Diese Leute sind sozusagen der Kernbestand der Weiacher Wohnbevölkerung – ein mittlerweile ziemlich kleiner Prozentsatz.

Alamannischer Migrationshintergrund

Natürlich hat jeder hier Lebende letztlich eine Art Migrationshintergrund. Dazu muss man nur genügend weit zurückgehen. Denn auch die Alamannen, zu deren Abstammungs- und Kulturkreis die überwiegende Mehrheit der Deutschschweizer Stammbevölkerung gehört, sind in grösserer Zahl erst ab dem 7. Jahrhundert südlich des Rheins sesshaft geworden. Samt der über die Jahrhunderte unvermeidlichen familiären Vermischung mit den Restbeständen des römischen Reichs, der galloromanischen Provinzialbevölkerung.

Eins dieser Geschlechter nach meiner obigen Definition sind die Griesser. Dieser Familienname ist seit mindestens einem halben Jahrtausend mit Weiach verbunden. Der schweizweit wohl bekannteste Namensträger, der noch in Weiach wohnt, ist der Herdöpfel- und Tomaten-Experte Stefan Griesser (vgl. Quellen).

Wurzeln im Klettgau

In Deutschland findet man den Namen Grießer an 279 Orten, in der Schreibweise Griesser in der Schweiz an 119. Man beachte insbesondere den Cluster im baden-württembergischen Klettgau (heute: Südostteil des Landkreises Waldshut) und den grossen roten Kreis im Nordwesten des Kantons Zürich, der für Weiach steht. Der süddeutsche Cluster hat exakt die Ausmasse der früheren Landgrafschaft Klettgau (in den Grenzen von 1657 bis 1806):

Der Marktflecken Grießen im Klettgau ist sozusagen nur einen Katzensprung von uns entfernt. Er liegt am Nordfuss des Kalter Wangen, dessen Südflanke wir von Weiach aus sehen können. Wenn man den Familiennamen als Herkunftsbezeichnung versteht, dann liegt die alte Heimat der Griesser also gleich hinter dem Berg.

Dieser Hügelzug, der sich von Kadelburg (nahe Bad Zurzach) über die Küssaburg (634 m ü.M.), den Wannenberg (690 m ü.M.), den Kalter Wangen (671 m ü.M.) und den Gnüll (589 m ü.M. oberhalb Wasterkingen) bis nach Lottstetten erstreckt, ist altes Klettgauer Gebiet, das Rafzerfeld eingeschlossen.

Der Klettgau wird teilverschweizert

Den Grafen von Sulz fiel dank ihrer ehelichen Verbindung mit einer Tochter des Hauses Habsburg-Laufenberg im Jahre 1408 die Landgrafschaft Klettgau zu (inkl. der nach 1521 zu schaffhausischen Gebieten gewordenen Teile). Die Zürcher erwarben sich 1409 die Herrschaften Regensberg und Bülach, 1424 die Grafschaft Kyburg, wozu auch Weiach gehörte.

Derjenige Teil des Landgrafschaft Klettgaus, zu dem Hohentengen am Hochrhein, Stetten, Günzgen und Griessen gehörten, blieb auch nach 1657 Reichsboden, gehörte also staatsrechtlich weiterhin zum Heiligen römischen Reich deutscher Nation. Kurz nach dem 30-jährigen Krieg änderte sich das hingegen für die Gebiete nördlich des Eglisauer Brückenkopfs, weil die Grafen von Sulz in Geldnöten waren und daher den Städten Zürich resp. Schaffhausen ihre landesherrlichen Hoheitsrechte über das Rafzerfeld (1651) bzw. Buchberg und Rüdlingen (1657 zusammen mit weiteren Teilen des nordöstlichen Klettgau) verkaufen mussten. Die beiden eidgenössischen Städte waren bekanntlich mit dem Westfälischen Frieden von 1648 staatsrechtlich auch de jure unabhängig vom Reich geworden (de facto bereits seit dem Schwabenkrieg 1499; das älteste Bündnis der Schaffhauser mit den Eidgenossen datiert auf 1454).

Sulzische Untertanen werden auf eigene Faust Zürcher

Der Ort Griessen hat übrigens schon 1468 versucht, eidgenössisch zu werden, was aber misslang. Wenn jedoch ihre Landesherren 1488 in eigener Person Schweizer werden konnten, nämlich durch den Erwerb des Landrechts der Stadt Zürich, liessen sich dies auch einige sulzische Untertanen nicht entgehen. Sie konnten sich in Weiach niederlassen und erwarben das dortige Bürgerrecht. 

Laut Familiennamenbuch der Schweiz ist Weiach die einzige Schweizer Gemeinde, in der die Griesser vor Ende des Ancien Régime das Bürgerrecht erwarben.

In welchem Jahr dies der Fall war, liegt bisher im Dunkeln. Der älteste dem hier Schreibenden bislang bekanntgewordene Nachweis datiert auf das 1517.

Heini Griesser muss Geld aufnehmen

Und wie so oft handelt es sich um ein Finanzinstrument, beschrieben in einer Urkunde, die im Kaiserstuhler Stadtarchiv liegt. Konkret: um eine am 28. Januar 1517 besiegelte Gült, die in diesem Fall auf einem Ertragsanteil eines bestimmten Weiacher Landwirtschaftsbetriebs lastete.

Das Regest im Aargauer Urkundenbuch (AU XIII, Nr. 150) lautet wie folgt:

«1517 I. 28. (uff mitwoch nechst nach Pauli bekerung)

Heini Griesser von Wiach verkauft Hanssen Stollen, burger und des rats zuo Keyserstuol, die Gülte von 1 mütt guotz subers und wolgelutrotz vesen kernes Keyserstuoler meß, die jährlich auf sant Martistag zu entrichten ist, ab minem halben teyl deß güttlis zu Wiach gelegen, daß man nempte deß Schmidlis güttly, und gienge vorhin järlich darab ab minem teyl 6 stuck und l fiertel, sust fry ledig eygen. Der Kaufpreis beträgt 12 Gl. an guotter Schaffhuser müntz

Bürgen: Heini Brem, Hanß Aberly, Welti Fust und Cleuwi Kung, all vier von Wiach. Fertigung; Währschaftsversprechen; der Verkäufer behält sich das Wiederablösungsrecht vor. 

Erbetner Siegler: Barthlome Rösle, burger und des ratz zuo Keyserstuol. - Orig. Perg. StAK Urk. 133, besch. S. hängt.»

«Vesen» ist ein alter Begriff für die Getreideart Dinkel (vgl. Wikipedia sowie Idiotikon I, 1069, Bedeutung 2). Sauber und wohlgeläutert bedeutet, dass es sich um entspelzten Dinkel handeln muss.

Unklar ist, ob wir eine Privaturkunde vor uns haben, oder das Geschäft vor einem Gericht (Stadtgericht Kaiserstuhl oder Dorfgericht Weiach) gefertigt wurde. Aufgrund des Sieglers (eines Ratskollegen von Stoll) und der fehlenden Angabe des Gerichtsvorsitzenden tendiere ich auf ersteres.

Nachrangige Forderung

Hans Stoll von Kaiserstuhl investierte also 12 Gulden in Schaffhauser Währung (die örtlich übliche Geldeinheit, vgl. WeiachBlog Nr. 1601) in ein Wertpapier. Sein Wertanteil war 1 Mütt Kernen ab derjenigen Hälfte des Schmidlis Güetly, das dem Heini Griesser gehörte. Und wie das heute bei einer Hypothek ist: festgehalten ist auch der Rang dieser Forderung. Sie kommt nämlich nach Bezahlung der bereits darauf lastenden 6 Stuck 1 Viertel zur Auszahlung, wobei 1 Stuck = 1 Mütt. Total belasteten Heini Griessers Ackerland nun also Abgaben im Wert von 7.25 Mütt. 

Nach den in Kaiserstuhl geltenden Hohlmassen für entspelztes Getreide (vgl. WeiachBlog Nr. 117) fasste ein sog. Viertel 22.42 Liter, d.h. pro Mütt rund 90 Liter entspelztes Getreide. Jährlich an Martini (11. November) wurde somit ein Betrag fällig, der einem bestimmten Prozentsatz des Handelswerts dieses Mütt Kernen entsprach (üblich waren 5 Prozent).

Quellen und Literatur

  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955.
  • Entspelzt oder unentspelzt? (Mass und Gewicht 4). WeiachBlog Nr. 117 v. 1. März 2006.
  • Als Weiach zum Schaffhauser Wirtschaftsgebiet gehörte. WeiachBlog Nr. 1601 v. 13. Oktober 2020.
  • Tina Pilla, Neuzuzügerin: Beitrag vom 16. März 2021 in der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...».
  • Hinweis vom 25. Juli 2021 auf ZU-Bericht über Stefan Griesser, Alteingesessener und Kartoffelsaatgutexperte. [Gasser, B.: Kartoffeln aus aller Welt in Weiach. 1000 verschiedene Härdöpfel von Gelb über Rot bis Violett. In: Zürcher Unterländer Online, 24. Juli 2021, 11:32]
  • Stefano Ravara (ed.): Projekt «Mappa Dei Cognomi» 2017-2023. URL: www.kartezumnamen.eu

Dienstag, 21. November 2023

Leiacher. Einmal Verschlimmbesserung und zurück.

Was da im Dezember 2015 genau passiert ist? Eine versehentliche Löschung bei der Modernisierung der Zollinger'schen Flurbezeichnungen, die er seinem blauen Büchlein als letztes Kapitel zwischen Ausklang und Anhang beigegeben hat, war's wohl nicht. Eher eine Fehlinterpretation, ohne einen Blick auf die Flurnamenkarte von Boesch (vgl. WeiachBlog Nr. 86) geworfen zu haben.

Jedenfalls wurde beim Eintrag Leiacher, Im (Zollinger verwendete noch -ai-) aus der Erklärung «Wiese am Weg von der Sägestrasse zur Buhalde» (mit bereits an den heutigen Sprachgebrauch angepasster Bauhalde; vgl. Version November 2015) der Text «frühere Bezeichnung; Wiese am Weg von der Säge zur Buhalde». Damit wird impliziert, die Flur im Leiacher sei früher um einiges südwestlicher zu finden gewesen, als es die heutigen Bezeichnungen nahelegen.

Die Sägestrasse ist nicht die Säge

Zwischen einem eher punktförmigen Objekt wie der ehemaligen Säge (Bachserstrasse 20) und einem linearen Objekt wie der «Sägestrasse» ist jedoch ein grosser Unterschied.

Mit der «Sägestrasse» kann Zollinger nur die heutige Bachserstrasse gemeint haben, denn der heute Gartenweg genannte Fussweg qualifiziert nicht als Strasse. Dieser Weg von der Sägestrasse zur Buhalde kann also nicht der heutige Panoramaweg sein, der erst nach der Säge links von der Bachserstrasse abzweigt. Wohl aber einer der beiden Bewirtschaftungswege, die Richtung Südosten von ihr abgehen. Der dem Dorfzentrum nähere (Parzelle 892) trägt heute (aus mir unerfindlichen Gründen) den Namen Bachtelweg, der der Säge nähere (Parzelle 896) ist unbenannt geblieben.

Diese Verschlimmbesserung ist jetzt nach fast acht Jahren in der neuesten Ausgabe der 6. Auflage korrigiert worden.


Wo sind die Leiächer?

Folgt man der von Prof. Bruno Boesch 1958 erstellten Karte, dann beginnt die Flur Leiacher (bei Swisstopo in der Pluralform Leiächer) – abweichend von Zollinger – erst etwa 70 Meter nordöstlich des Bachtelwegs, erstreckt sich jedoch über den heutigen Leiacherweg (einen ungeteerten Feldweg) hinweg auf den grössten Teil des heute mehrheitlich überbauten Gebiets Obstgartenstrasse bis an die alte Bebauungslinie Schulweg–Lindenweg–ehem. Haus Bergstr. 2 (jetzt: Ersatzbau Obstgartenstrasse 1).

Diese Interpretation der Situierung im Raum wurde auf den Karten der Landestopographie (Swisstopo) übernommen, wie man beim entsprechenden Eintrag auf ortsnamen.ch sehen kann.

Neben Leiacher und Leiächer findet man dort auch die von Boesch notierte Mundartform Läiächere (phonetisch: læiæχərə)

Wo war der Leimacher?

Im selben Eintrag auf ortsnamen.ch wird die Flurbezeichnung «am Leimacher» aus der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgeführt und damit mit dem Leiacher direkt verknüpft.

Diese historische Fundstelle ist dem sog. Kelleramtsurbar des Fraumünsters (StAZH G I 142) entnommen. Das Kelleramt war eine Verwaltungseinheit, die 1548 (also kurz nach der Reformation) aufgelöst und ins Obmann- bzw. Almosenamt überführt wurde, wo weitere Weiacher Grundstücke steuerpflichtig waren.

Ohne genaue Analyse des wirtschaftlichen Zusammenhangs dieses Flurstücks (insbesondere die Angabe, in welcher Zelge es gelegen war) kann nicht entschieden werden, ob diese faktische Gleichsetzung zulässig ist oder nicht, zumal es auch noch an anderen Orten auf Gemeindegebiet Flächen mit lehmigem Boden gibt, die diese und ähnliche Bezeichnungen getragen haben. 

Zu nennen sind folgende in Urkunden im Kaiserstuhler Stadtarchiv erwähnte Flurnamen, alle ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert: Leimgrůb (AU XIII, Nr. 282), Letten vorm Stein (AU XIII, Nr. 132), Letten, Lätten (AU XIII Nr. 270 u. 282), Lätten vor dem Stein (AU XIII, Nr. 282); Lättenwisli (AU XIII, Nr. 282), Lettenacker (AU XIII, Nr. 227) sowie Lettenwiß im Berg (AU XIII, Nr. 282). 

Ob letztere beiden identisch mit den späteren Läiächere sein können? Immerhin befindet sich die sog. Zelg am Berg (vgl. auch den Flurnamen oben auf Boeschs Karte) in exakt dieser Geländekammer (und nicht Richtung Kaiserstuhl bzw. Hardwald wie die beiden anderen Zelgen).

Lett und Lei sind zweierlei

Aber auch hier muss man genau unterscheiden zwischen Lei und Lett. Denn das ist durchaus nicht dasselbe, wie man dem Idiotikon, dem Schweizerdeutschen Wörterbuch, entnehmen kann (vgl. Id. 3, 1448): Letten, heisst es da, bezeichne eine «fette (blaue) Tonerde, tonartiger Mergel» oder auch «gemeiner Ton, der für Töpferarbeit untauglich ist, Lehm, wie er aus der Erde gegraben wird», bzw. «breiartiger Strassenkot, Schlamm, mergelartiger Sand», im Gegensatz zum «Leim» oder «Lei»«dem zur Töpferarbeit zubereiteten Ton». 

Quellen und Literatur
  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955.
  • Brandenberger, U.: Flurnamenkarte 1958 quo vadis? WeiachBlog Nr. 86 v. 29. Januar 2006.
  • Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 5. Aufl., Ausgabe Nov. bzw. Dez. 2015.
  • Eintrag Leiächer (Weiach ZH). In: ortsnamen.ch - Das Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung.
[Neuer letzter Abschnitt hinzugefügt am 22. November 2023 um 10:05 MEZ]

Montag, 20. November 2023

Wirtstochter an anderen Betrieb abzugeben

Am heutigen Tag vor genau 100 Jahren war in der NZZ das nachstehende Inserat eingerückt: ein Stellengesuch. Für eine Stelle als Wirtstochter? Nein.

Berta Wagner (22), eine Tochter der Sternenwirtin, suchte eine «Stelle in gangbares Restaurant od. bessere Wirtschaft». Und gibt bekannt, sie sei jederzeit verfügbar: «Eintritt nach Belieben».


Dass der Gasthof zum Sternen damals einer Frau gehörte und daher der Begriff Sternenwirtin mehr als berechtigt ist, geht aus dem zweitältesten Lagerbuch der Gebäudeversicherung (PGA Weiach IV.B.06.02) hervor.

Dort ist beim ehaften Wirtshaus (Assekuranznummer 178 nach System 1895) im Jahre 1915 als Eigentümerin eingetragen: «Maria Wagner, geb. Kramer». Seit diesem Zeitpunkt gehört der «Sternen» nun ununterbrochen dieser Wirtefamilie, nachdem er ab 1860 nicht weniger als achtmal die Hand gewechselt hatte.

Quellen

  • Neue Zürcher Zeitung, Nummer 1599, 20. November 1923
  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. PGA Weiach IV.B.06.01.
  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1895-1954. PGA Weiach IV.B.06.02.

Sonntag, 19. November 2023

Keine Rechtsgrundlage für Geheimhaltung des Resultats

Heute ging ja die Ausmarchung um den zweiten Zürcher Ständeratssitz über die Bühne. Und wie nach dem woke-links-grünen Propaganda-Stahlgewitter gegen den SVP-Kandidaten Rutz nicht anders zu erwarten, war nach dem Rückzug aller anderen aussichtsreichen Kandidierenden, die ihr hätten Stimmen kosten können, die GLP-Kandidatin Moser sozusagen gewählt. Dasselbe Muster wie in Deutschland (Alle gegen die AfD): Hauptsache kein SVP-ler, was man an seiner Stelle wählt, ist egal. Denn die SVP ist «Nazi». 

Das focht die Weiacher wie gehabt auch diesmal nicht an. Bei einer wie gewohnt tiefen Stimmbeteiligung von 27 % (nur 344 von 1264 Stimmberechtigten reichten ihren Wahlzettel ein) holte Rutz 227 Stimmen, Moser 102. Dieses Resultat wurde heute um 12:44 publiziert. Das war, wie wir uns erinnern, am 18. Juni diesen Jahres anders. 

Bezirksratspräsident spricht Publikationsverbot aus

Der Bezirksratspräsident hatte aufgrund des Stimmrechtsrekurses in Sachen «Zukunft 8187» dem Wahlbüro explizit verboten, die Resultate der Öffentlichkeit bekanntzugeben (vgl. WeiachBlog Nr. 1936). Abstimmungsprotokoll und Wahlzettel seien zu siegeln und lediglich dem Bezirksrat zur Kenntnis zu bringen. Über die Gründe für dieses Publikationsverbot war beim Bezirksrat auch auf Anfrage nichts zu erfahren. Mehr als einige Hinweise konnte auch das Aufsichtsorgan beim Kanton nicht geben.

Der Bezirksrat wies die Stimmrechtsbeschwerde in der Folge ab, wie die Gemeinde am 30. August per Medienmitteilung verlauten liess. Eine weitere Medienmitteilung gab am 12. September bekannt, dass der Beschwerdeführer den Entscheid ans kantonale Verwaltungsgericht weitergezogen habe. Und bereits am 14. September lag der erste Zwischenentscheid des neu für das Verfahren zuständigen Richters vor. Er ordnete an, die Resultate der Abstimmung seien umgehend zu veröffentlichen! Wie kam es dazu?

Zwischenentscheid vom 14. September ist publiziert

Da dieser sogenannte Zwischenentscheid in der Sache VB.2023.00508 nun in der öffentlich für jedermann zugänglichen Datenbank publiziert ist (vgl. Quellen unten), kann auch problemlos daraus zitiert werden.

Geheimhaltungsbefehl rekapituliert

In Ziff. II wird der Geheimhaltungsbefehl durch den Vorsitzenden Reto Häggi Furrer und seinen Gerichtsschreiber David Henseler wie folgt beschrieben:

 «Der Präsident des Bezirksrats wies "[d]as Wahlbüro" der Gemeinde Weiach mit Verfügung vom 6. Juni 2023 an, die Abstimmung durchzuführen und die Stimmen auszuzählen, jedoch das Abstimmungsresultat einstweilen nur dem Bezirksrat Dielsdorf mitzuteilen und nicht zu publizieren; die Stimmzettel und das unterschriebene Abstimmungsprotokoll seien "ordnungsgemäss zu versiegeln".

Mit Beschluss vom 28. August 2023 wies der Bezirksrat den Stimmrechtrekurs ab, soweit er darauf eintrat (Dispositiv-Ziff. I). In Dispositiv-Ziff. II wies er den Gemeinderat Weiach an, das Abstimmungsresultat vom 18. Juni 2023 "nach Rechtskraft dieses Entscheids mit Rechtsmittelbelehrung zu publizieren"

Mit dem Weiterzug, so das Verwaltungsgericht weiter, sei die Zuständigkeit für sog. prozessleitende Anordnungen (wie es eine solche Geheimhaltungsverfügung darstellt) vom Bezirksrat auf das Gericht übergegangen. So weit, so klar. 

Nachvollziehbarkeit? Fehlanzeige!

Was nun folgt, ist einigermassen ernüchternd. Zuerst wird festgehalten, der Entscheid sei in keiner Art und Weise nachvollziehbar: «Weder der Präsidialverfügung vom 6. Juni 2023 noch dem Endentscheid vom 28. August 2023 lässt sich eine Begründung entnehmen, weshalb die Vorinstanz dem Beschwerdegegner verbot, das Ergebnis der Abstimmung vom 18. Juni 2023 vor Rechtskraft des Rekursentscheids zu publizieren.»

Umgehende Veröffentlichung ist ein Gebot der Demokratie

Dann kommt es knüppeldick, denn da heisst es weiter: «Das vorinstanzliche Vorgehen ist denn auch nicht nachvollziehbar. Nach § 13 des Gemeindegesetzes vom 20. April 2015 (LS 131.1) in Verbindung mit § 81 Abs. 2 des Gesetzes über die politischen Rechte (GPR, LS 161) veröffentlicht die wahlleitende Behörde das Ergebnis der Abstimmung mit der entsprechenden Rechtsmittelbehörde; bei kommunalen Abstimmungen kann sie diese Aufgabe an das Wahlbüro übertragen (§ 81 Abs. 3 GPR). 

Weder diese noch eine andere Bestimmung des Gesetzes über die politischen Rechte berechtigen die wahlleitende Behörde, die Publikation des Abstimmungsergebnisses wegen eines Rechtsmittelverfahrens gegen die Abstimmung aufzuschieben. Es entspricht vielmehr einem Gebot der Demokratie, dass das Abstimmungsergebnis umgehend öffentlich bekannt gemacht wird.

Dementsprechend fehlt auch dem Bezirskrat [sic!] eine Rechtsgrundlage, um die Publikation des Abstimmungsergebnisses zu untersagen.»

Der letzte Satz ist eine – man kann es nicht anders sagen – juristische Ohrfeige an die Adresse des Bezirksratspräsidenten. Denn ohne Rechtsgrundlage darf ein Staatsangestellter überspitzt formuliert nicht einmal einen Bleistift in die Hand nehmen. Fazit: Eine überaus deutlich formulierte Rüge!

Denkfehler: Abstimmungsresultat erst am St. Nimmerleinstag rechtskräftig

Mit diesem Vorwurf der mangelnden Rechtsgrundlage für eine Geheimhaltung ist die Standpauke aber noch nicht beendet. Der Vorsitzende setzte noch eins drauf, indem er auf einen folgenschweren Denkfehler des Bezirksratspräsidenten hinweist:

«Es kommt hinzu, dass aufgrund des vorinstanzlichen Vorgehens [Anm. WeiachBlog: der Geheimhaltungsbefehl] das Abstimmungsergebnis mit dem Abschluss des vorliegenden Verfahrens [der Schlussentscheid des Verwaltungsgericht] gar nicht in Rechtskraft erwachsen könnte, weil die Rechtsmittelfrist gegen das Abstimmungsergebnis mangels Publikation gar noch nicht zu laufen begonnen hat.»

Denn erst mit der Publikation (für den zweiten Wahlgang der Ständeratswahlen 2023 also heute um 12:44) beginnt eine kurze Frist zu laufen, innerhalb derer Stimmberechtigte Beschwerde gegen das Protokoll einreichen können, z.B. zur Art und Weise, wie das Ergebnis ausgezählt wurde.

Und deshalb ordnete das Verwaltungsgericht an, die Ergebnisse seien umgehend zu publizieren, was die Gemeindeverwaltung auch tat.

Bezirksratspräsident behält Gründe für Geheimhaltung für sich

Gegenüber WeiachBlog hat sich der Herr Bezirksratspräsident auch in einem persönlichen Gespräch nicht materiell zur Frage geäussert, aus welchen Gründen er im konkreten Fall die Geheimhaltung des Resultats angeordnet hat. Er akzeptiere aber die Verfügung des Verwaltungsgerichts und dessen Rechtsauffassung. Jetzt sei es wichtig, dass man nach vorne schaue und zu einem Entscheid komme, damit die Angelegenheit einer Lösung zugeführt werden könne. 

Hinweis: «Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.» Da dieser Satz auch zwei Monate nach dem oben diskutierten Zwischenentscheid noch so in der Datenbank steht, ist nicht auszuschliessen, dass der Bezirksrat Dielsdorf Beschwerde beim Bundesgericht in Lausanne erhoben hat.

Quellen

[Veröffentlicht am 20. November 2023 um 00:30 MEZ]

Donnerstag, 16. November 2023

Spöitz-Verbot wegen den Wallisellern?

Wenn Gemeinden ihre Polizeiorgane zwecks besserer Effektivität und Erhöhung der Interventionsdichte zusammenlegen, wie das im Raum Bassersdorf, Dietlikon, Kloten, Opfikon, Wallisellen unter dem Label Polizeiverbund Hardwald gerade gemacht wird, dann verbindet man das sinnvollerweise damit, eine «gemeinsame, gleichlautende, harmonisierte Polizeiverordnung» zu erlassen.

Das Zitat findet sich heute im «Zürcher Unterländer», der bereits im Titel darauf aufmerksam macht, dass das Spuckverbot vor noch nicht allzulanger Zeit sozusagen out of Wallisellen über die Schweiz gekommen sei.

No spitting, please!

Redaktor Alexander Lanner bringt auch das Anti-Spuck-Gesetz von Singapur aus dem Jahre 1992 aufs Tapet, vor dem die Reisehinweise des Eidg. Aussendepartements warnen. 

Was den hier Schreibenden daran erinnert, wie er 1989 auf Besuch in der damals noch britischen Kronkolonie Hongkong mit Staunen die entsprechenden drakonischen Bussgeld-Androhungen in der U-Bahn zur Kenntnis genommen hat. Das Spuckverbot muss also wie so ein ostasiatischer Käfer auf dem Luftweg zu uns gekommen sein.

Doch Spass beiseite. Der «Unterländer» erwähnt zwar, dass ein solches Verbot auch in Glattfelden und Dielsdorf in Kraft ist, verschweigt seinen Leserinnen und Lesern aber, dass die Weiacher Regelung noch wesentlich schärfer ist als die in unserer östlichen Nachbargemeinde.

In Weiach ist Spucken auch im Wald verboten

Auch in Weiach kann Spöitze seit zwölf Jahren mit 50 CHF bestraft werden: «Das Spucken auf öffentlichem Grund und auf öffentlich zugänglichem Grund ohne Not ist untersagt.» (Art. 30 Abs. 4 PolVo Weiach 2011), derselbe Wortlaut wie in Wallisellen (Art. 50 Abs. 4 PolVo Wallisellen 2007). Das heisst: Es ist nur im eigenen Garten erlaubt. Wenn man beim Spucken im Wald erwischt wird (egal ob Staats-, Gemeindewald oder Privatwald), dann ist die Busse fällig.

Das Verrichten der Notdurft ist übrigens «an anderen als den dafür bestimmten Orten» untersagt. Heisst: nicht nur Wildpinkeln oder -sch...en im Wald ist verboten, das wird auch im eigenen Garten gebüsst (vgl. Art. 31 derselben Polizeiverordnung).

Wasserlassen im Wald ist in Glattfelden explizit nicht verboten, darüber haben sogar die Medien berichtet (vgl. WeiachBlog Nr. 1004, s. unten).

Falls Sie sich vorsehen und wissen wollen, was unsere kommunale Polizeiverordnung sonst noch alles verbietet, dann sollten Sie sich die 22 Seiten sehr genau durchlesen. Der Ortspolizist (Förster Alexander Good) und der Gemeinderat können natürlich durch die Finger sehen, aber wenn ihnen nicht danach ist (und im Falle einer Anzeige mit unwiderlegbaren Beweisen) kann es schon mal ziemlich teuer werden. Denn Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor Strafe.

Quellen und Literatur

Dienstag, 14. November 2023

Il Piccolo di Trieste. Weiacher Stimmen zum Alitalia-Absturz

«Il Piccolo» ist die wichtigste Tageszeitung der bis 1918 habsburgisch-österreichischen Hafenstadt Triest an der Adria. Das 1881 gegründete Blatt erreicht eine Auflage von rund 40'000. 

Am 16. November 1990 war das Flugzeugunglück am Weiacher Haggenberg in dieser Zeitung mit ganz grossen Lettern auf der Titelseite (abrufbar bei archive.org):


Bereits am Tag nach der Katastrophe galt in der Redaktion des «Piccolo» als wahrscheinlichste Hypothese: Diese DC-9 ist zu tief angeflogen. Das sieht man an der Schlagzeile und ihren Untertiteln. Ebenfalls fett wird die Betroffenheit der eigenen Region herausgestrichen, denn: der zweite Pilot (d.h. Copilot Massimo Defraia; oft «De Fraia» geschrieben) stammte aus der Region Triest (vgl. dazu den letzten Abschnitt).

Augenzeugin Ryffel

Am 15. November muss sich ein Korrespondent des «Piccolo» in Weiach mit hier Ansässigen unterhalten haben. Er hat Aussagen eingefangen, die ich so in anderen Zeitungen bisher nicht gefunden habe:

Che qualcosa non funzionasse in quell’atterraggio risulta anche dalle testimonianze degli abitanti dei paesi vicini al luogo della sciagura: «Il mio bambino era alla finestra. Ha visto l'aereo e si è impaurito; "Mamma, mamma! C’è un aereo che casca sulla casa!”». Ursula Riffel, custode della scuola elementare di Weiach è subito corsa alla finestra. «L'aereo è passato a pochi metri sopra di noi — racconta la donna — abbiamo visto distintamente tutte le sue luci. Poi è scomparso dietro un costone. Ma qualche secondo più tardi c'è stato un grande scoppio e una luce rossastra si è diffusa sulla collina».

Übersetzung (mit maschineller Unterstützung durch Google Translate und DeepL): Dass bei dieser Landung etwas nicht funktioniert hat, zeigen auch die Aussagen der Bewohner der Dörfer in der Nähe des Unglücksortes: «Mein Kind stand am Fenster. Es sah das Flugzeug und bekam Angst; "Mama, Mama! Da stürzt ein Flugzeug auf das Haus!"». Ursula Riffel, Hauswartin der Volksschule Weiach, rannte sofort zum Fenster. «Das Flugzeug flog ein paar Meter über uns vorbei», erzählt die Frau, «Wir sahen deutlich alle seine Lichter. Dann verschwand es hinter einer Kuppe. Doch ein paar Sekunden später gab es einen grossen Knall und ein rötliches Licht breitete sich über den Hügel aus.»

Das Ehepaar Ursula und Paul Ryffel waren die Schulhausabwarte und wohnten in der Abwartswohnung im Südwestteil des Mehrzweckgebäudes Hofwies (Schulweg 4, heutige Büroräume der Verwaltung der Schule Weiach).

Augenzeuge Mederle

Anche Enrico Mederle, 42 anni, originario di Bolzano, ma in Svizzera da 25 anni, abita a Weiach: «Qui ogni due minuti ci passa un aereo sulla testa. Li riconosciamo dagli orari e dal rumore che fanno, ieri sera mi sono subito accorto che qualcosa non andava in quel volo. Quel-l'aereo sembrava troppo silenzioso ma a tratti faceva invece un rumore gracchiante, inconsueto. Pochi secondi dopo averlo visto passare, ho sentito la scoppio, poi lo schianto».

Übersetzung (mit maschineller Unterstützung durch Google Translate und DeepL): Enrico Mederle, 42, ursprünglich aus Bozen, aber seit 25 Jahren in der Schweiz, wohnt ebenfalls in Weiach: «Hier fliegt alle zwei Minuten ein Flugzeug über unsere Köpfe hinweg. Wir erkennen sie am Flugplan und dem Lärm, den sie machen, und gestern Abend habe ich sofort gemerkt, dass mit diesem Flug etwas nicht stimmt. Das Flugzeug schien zu leise zu sein, aber zeitweise gab es stattdessen ein ungewöhnlich [wörtlich:] krächzendes Geräusch von sich. Sekunden nachdem ich es vorbeifliegen sah, habe ich die Explosion gehört und dann den Absturz

Mederle wohnte im Chalet Stockistrasse 8, gleich unterhalb der Einmündung der Weinbergstrasse. Von diesem Standort aus ist es sehr gut möglich, dass das Flugzeug – da es viel zu tief angeflogen ist – zuerst zu leise war (weil von dort aus gesehen hinter dem Wingert) und dann ungewöhnlichen Lärm gemacht hat. In diesem Moment versuchte Copilot Massimo Defraia laut dem Untersuchungsbericht nämlich noch, ein Durchstartmanöver einzuleiten, was die Triebwerke aufheulen liess (vgl. WeiachBlog Nr. 1610).

Angst vor dem Flughafen Zürich

Der Titel des Kastens über den Copiloten rückt allerdings nicht den Anflugpfad in den Mittelpunkt: «Diese Piste war schlecht für ihn», heisst es da im Piccolo di Trieste (s. Bild unten). Zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nicht, was die eigentliche Unglücksursache war, nämlich die Fehlfunktion der Höhenmesser. In der Erinnerung seiner Angehörigen zählt etwas anderes: Massimo habe vor dem Flughafen Zürich Angst gehabt, weil der Anflug besonders schwierig sei.

Diese Angst scheint bei Raffaele Liberti, laut der Zeitung La Repubblica der Kommandant auf dem Flug Alitalia 404, eher zu wenig ausgeprägt gewesen zu sein. Zu selbstsicher wirkt er, wenn man sich die Transkripte der Cockpit-Kommunikation durchliest. 

Und hätte Liberti das Durchstartmanöver (Go around) seines Copiloten nicht abgebrochen, dann, wer weiss, wäre es vielleicht nicht zum Aufprall am Haggenberg gekommen. Nicht umsonst gilt in der Pilotenausbildung: Ein Go Around wird durchgezogen. Er darf nicht abgebrochen werden.

Quelle und Literatur

Montag, 13. November 2023

Wie kam der Flurname «Damast» zustande?

Er ist der wohl exklusivste Flurname auf Weiacher Boden überhaupt: Damast. Den findet man – laut der Datenbank ortsnamen.ch (Stand Mitte Oktober 2023) – nur bei uns. Und sonst nirgendwo in der Schweiz.

Wie alt ist die Ortsbezeichnung? 

Dazu führt der Eintrag bei Ortsnamen.ch keine historischen Belege auf. Die bislang älteste Nennung, die ich finden konnte, datiert auf das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der von Willi Baumgartner-Thut der Nachwelt zur Kenntnis gebrachte Plan des Rebstrassenprojekts (1909-1911) weist ihn in der heutigen Schreibweise auf.

In der Flurnamenliste von Lehrer Adolf Pfister (mutmasslich 1941 erstellt; Teil des sog. Ortsgeschichte-Ordners) findet man den Namen auch. Seltsamerweise fehlt von ihm aber im blauen Büchlein von Walter Zollinger (1972/84) jede Spur.

Auf dem parzellenscharf gezeichneten Plan von Prof. Bruno Boesch aus dem Jahre 1958 (d.h. vor der Güterzusammenlegung) sieht man die Verortung der Flur Damast unterhalb der Fasnachtflue, wo sie bis knapp unter die oberste Rebstrasse reicht. Von diesem heute Rebbergstrasse genannten Weg bis zur Trottenstrasse bildet der Damast das Mittelstück, nordwestlich begrenzt durch die Flur Im Bruch/Im Luppen sowie südöstlich durch den Chabis.

Der heutige Damaststieg (eine Treppe in zwei Teilstücken, die von der Winkelstrasse in die Trottenstrasse und weiter in die Leestrasse führt) befindet sich somit am nordwestlichen Rand dieser Flur. Auf aktuellen Karten ist die Bezeichnung aus darstellungstechnischen Gründen ausserhalb des Einfamilienhausquartiers oberhalb der Leestrasse in der Nordecke der 1958 veranschlagten Fläche platziert, mit Schwerpunkt auf der heutigen landwirtschaftlichen Parzelle 322.

Eine Eigentümerbezeichnung?

In der Praxis brauchbar ist ein Flurname, wenn er einen hohen Wiedererkennungswert hat. Für Fluren ohne besondere topographische oder bewirtschaftungstechnische Merkmale werden dann gern Personennamen beigezogen, vorzugsweise solche, die eher selten sind. Denn was soll man mit einer Bezeichnung wie Des Meyerhoffers Wisli anfangen? Es gab (und gibt) schlicht zu viele Familien mit diesem Namen in Weiach. 

Anders sieht es aus, wenn eine Familie Valdey ein Stück Wald in Brandrodung urbar gemacht hat. Diesen Namen gibt es hier selten und daher wusste im 16. Jahrhundert wohl jeder, was mit «der Faldeyen Brand» an der Gemeindegrenze zu Raat gemeint war (vgl. RQNA Nr. 178, S. 386, Z. 33 und Weiacher Geschichte(n) Nr. 103, S. 406/407).

Aus einer Amts- bzw. Berufsbezeichnung, aber auch aus Vornamen konnte jedoch einer der vielen Übernamen entstehen, mittels derer man die Familienzweige der Baumgartner, Meier, Meierhofer, Schenkel, etc. voneinander zu unterscheiden vermochte.

Das Kind einer Leibeigenen

In einem undatierten Verzeichnis der Leibeigenen in Wyach, das mutmasslich aus dem Ende des 16. Jahrhunderts stammt, wird u.a. eine «Anna, verh. mit Hans Meyerhoffer, und ihr Sohn Damast» aufgeführt. (Zit. n. Regest zu StAZH C II 6 Konstanz, nr. 495).

Und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ebendieser Sohn namens Damast auch in einem Protokoll des Dorfgerichts vom 9. Mai 1612 (nach gregorianischem Kalender) auftaucht, weil seine Ehefrau dort als Beklagte erscheinen musste: die Verhandlung in Sachen «Gebhard Boumbgarter» gegen «Anna Glattfelderin, Damast Meyerhoffers fraw, unnd Kleinanna Müllerin, deß Cuonrad Trüllingers fraw» (vgl. RQNA Nr. 190, S. 421, Z. 29 und WeiachBlog Nr. 738).

Diese Anna Glattfelderin scheint spätestens in den 1620ern gestorben zu sein, jedenfalls findet man im ältesten Weiacher Kirchenbuch unter dem 9. November 1630 einen Eintrag über die Verehelichung eines Damast Meierhofer (im Original «Dammast») mit Adelheid Kissling von Rickenbach (vgl. StAZH E III 136.1, EDB 87).

Wiederum wenige Jahre danach, am 26. Juli 1638, ist erneut ein Dammast mit dem Familiennamen Meierhofer als Bräutigam vermerkt. Als neue Ehefrau: Dorothea Frei von Dachsen (nahe dem Rheinfall; vgl. StAZH E III 136.1, EDB 132).

Auch in Kaiserstuhl gibt es den Vornamen

Damast mag in Weiach ein exklusiver Vorname gewesen sein, aber auch im benachbarten Rheinstädtchen gab es ihn in diesen Jahren:

Am 26. Oktober 1565 werden in einer Urkunde zwecks Verortung eines mit einer Gült belegten Grundstücks am Kaiserstuhler Rebberg (d.h. auf der Reichsseite im heutigen Hohentengen gelegen) die Eigentümer der benachbarten Parzellen genannt (AU XIII, Nr. 231), darunter Damast Buol, ein Kaiserstuhler. Wohl derselbe Damast Buol wird 1570 (AU XIII, Nr. 242) erwähnt. 

Am 9. Februar 1620 (st. n.) wird Damast Lieneman, Bürger zu Kaiserstuhl als Verkäufer einer Gült beurkundet (AU XIII, Nr. 391) und 1627 erscheint ein Damast Enngler in einem weiteren Schriftstück, das im Kaiserstuhler Stadtarchiv liegt (AU XIII, Nr. 418).

Eine Gült ist ein Wertpapier, bei dem das Grundstück selber und nicht sein Eigentümer für Kapital und Zins haften (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 112, S. 455/456).

Was bedeutet der Name?

Dass unser Weyacher Damast etwas mit dem hochwertigen Stoff gleichen Namens oder gar dem Damaststahl, eines vom Namen der heutigen syrischen Hauptstadt Damaskus abgeleiteten Schweissverbundstahls, zu tun hat, ist zwar denkbar, erscheint jedoch angesichts des Auftauchens der oben belegten Vornamen doch wesentlich weniger plausibel.

Was dieser Vorname allerdings zu bedeuten hat, ist dem hier Schreibenden noch nicht klar. Wenn er sich von Tamás, der ungarischen Version des Namens Thomas ableitet, dann wäre er immerhin mit dem reformierten Bekenntnis besser vereinbar, als wenn er von Damasus oder Damasius (der Diamantene) stammen sollte. Denn dies war der Name zweier (katholischer) Päpste, was dann in Weiach schon einiges Aufsehen erregt haben dürfte.

Dammast (in der Schreibweise, wie in den Weiacher Kirchenbüchern überliefert) ist überdies ein Familienname aus Deutschland, den einige Quellen mit dem Namen Damaschke in Verbindung bringen.

Waren Damast und seine Mutter Blesier?

Wenn die oben entwickelte These stimmt, dann wäre der Flurname Damast vom Namen eines Leibeigenen abgeleitet. Denn da sich die Leibeigenschaft von der Mutter auf das Kind vererbte, so war auch Damast Meierhofer ein Leibeigener. Offen wäre dann noch, von welcher Institution. 

Aufgrund der Einordnung des Leibeigenenverzeichnisses unter den Akten des Konstanzeramtes dürfte es sich entweder um das Domstift Konstanz, den Fürstbischof von Konstanz oder um das Kloster St. Blasien im Schwarzwald gehandelt haben. 

Letzteres ist deshalb am wahrscheinlichsten, weil noch im ausgehenden Mittelalter in unserer Gegend viele sog. Blesier anzutreffen waren, also Gotteshausleute, die zum Kloster St. Blasien gehörten und auch unter dessen Schutz standen. Dann allerdings wäre ein katholischer Vorname in Weyach in der Frühen Neuzeit zwar unüblich, aber immerhin als ein deutliches Zeichen der Zugehörigkeit zu werten.

Quellen und Literatur

  • Pfister, A.: Flurnamenliste; erstellt zwischen 1936 und 1942; Teil des sog. Ortsgeschichtlichen Ordners im Archiv des Ortsmuseums Weiach (noch ohne Signatur).
  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955.
  • Sammlung der Orts- und Flurnamen des Kantons Zürich, 1943-2000 (Signatur: StAZH O 471). Datenerfassung für Weiach durch Prof. Bruno Boesch mit dem Gewährsmann Alb. Meierhofer im Jahre 1958.
  • Eintrag Damast. In: ortsnamen.ch. Das Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung (Stand vom 13. November 2023).

Sonntag, 12. November 2023

Zollingers allzu uniforme Archivverweise

Seit der Publikation der auf den neuesten Stand gebrachten 3. Auflage der Weiacher Ortsgeschichte in der Tradition Walter Zollingers sind nun bereits 20 Jahre vergangen. Mittlerweile steht das Werk auf der 6. Auflage, wobei es für diese seit 2018 mehrere Dutzend Monatsversionen gibt. Bis in heutige Tage sind einige Eigenheiten Zollingers erhalten geblieben, vor allem dort, wo es dem hier Schreibenden bisher zeitlich nicht möglich war, den Verweisen im Detail nachzuspüren.

Welcher Band ist gemeint?

Vier Anmerkungen in Zollingers blauem Büchlein Weiach 1271-1971 referenzieren jeweils einen der im Archivkeller des Gemeindehauses an der Stadlerstrasse 7 stehende Bände mit ein und derselben Angabe: «Gemeindearchiv Weiach, Band IV, B IIa». Gemeint ist das PGA, das Archiv der politischen Gemeinde Weiach.

Wenn man sich ansieht, welche unterschiedlichen Zeiträume von den Kapiteln in Zollingers «Chronik» abgedeckt werden, zu denen diese Anmerkungen gehören, nämlich die gesamte erste Hälfte des 19. Jh., dann wird noch deutlicher, dass es mit dieser Signaturangabe ein Problem gibt. 

Bei einem Abgleich mit den Verzeichnissen von Weiacher Archivbeständen, die im Fonds GA Gemeindearchive des Staatsarchivs des Kantons Zürich unter der Klassengruppe StAZH GA 157 verfügbar sind, bestätigt sich diese Ahnung zur Gewissheit.

Alle nachstehenden Zitate?

Die erste Anmerkung (Anm-50) erhebt auch noch den Anspruch «für alle nachstehenden Zitate». Das ist nicht gerade hilfreich, weil nicht klar ist, bis wohin diese Angabe reicht. Wir nehmen einmal an: bis zum Ende des Kapitels. 

Auszug aus GA 157.14 
Verzeichnis des Archivs der POLITISCHEN Gemeinde WEIACH. Angefertigt von Paul Roesler, Rorbas. 1935. Exemplar des Staatsarchivs

Die Angabe «Band IV, B IIa» kann sich, wie man in StAZH GA 157.14 aus dem Jahre 1935 sieht (die zu Zeiten Zollingers gültige Archivstrukturierung), eigentlich nur auf  «IV.B 2a» (Protokoll des Gemeinderates 1803-1807) beziehen. Und für Anm-50 ist das auch völlig plausibel, denn im Text geht es ums Jahr 1803.

Für Anm-59 und Anm-65 kann das aber nicht gelten, denn diese betreffen wieder andere Zeiträume. Und damit auch andere Bände im Gemeindearchiv.

Keine Seitenangaben

Anm-72, die letzte der vier kryptischen Verweisstellen, erhielt von Zollinger als einzige noch eine Zusatzangabe: «1834 bis 1849». Wenn man nun diesen Zeitraum in den Bandbeschreibungen sucht, dann stellt man eine Übereinstimmung einzig bei den Gemeindeversammlungsprotokollen fest. Das wäre dann aber eine Referenzierung nach dem Muster «Band IV, B I ...».

Da zudem keinerlei Seitenangaben gemacht werden, bleibt nichts anderes übrig, als in den noch vorhandenen Bänden des PGA Weiach mit den heutigen Signaturen IV.B.01.xx sowie IV.B.02.xx (wobei xx ein Platzhalter für die Bandlaufnummer innerhalb der Serie ist) auf die Suche zu gehen. 

Für die Anm-72 kann jetzt schon gesagt werden, dass das leider sinnlos ist. Denn dieser Band ist schon seit vielen Jahren verschollen.

Nachtrag vom 16. November

Gerade diese Diskrepanz zwischen Zusatzangabe «[...] bis 1849» verglichen mit «[...] -1850» im Verzeichnis von 1935 könnte dadurch bedingt sein, dass Zollingers Quelle (Pfr. Kilchsperger? Pfr. Wipf?) den verschollenen Band noch physisch vor sich hatte.