Montag, 9. Dezember 2024

Das Sechspfarrerjahr 1566

Ein Dreikaiserjahr erlebten die Untertanen des Deutschen Reichs 1888, Dreipäpstejahre waren auf dem Stuhl Petri keine Seltenheit (letztmals 1978) und 1276 verzeichnete die katholische Christenheit gar ein Vierpäpstejahr.

Weiach toppt das alles locker. Unsere Vorfahren mussten 1566 nämlich als Sechspfarrerjahr abbuchen. Weshalb? In der Stadt Chur war die Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr hoch, an der Pest zu sterben. Und auch sonst war das Leben damals durchaus nicht ungefährlich. 

Nach kurzer Zeit wegbefördert

Aber im Gegensatz zu den obgenannten Fällen hochgestellter Herren und auch den zwei Vierkaiserjahren der Römerzeit (69 und 193 n. Chr.) kam kein einziger dieser sechs Pfarrer bei uns ums Leben. Sie wurden alle durch den Zürcher Rat, der sie eingesetzt hatte, bereits nach wenigen Wochen auf eine andere Stelle verschoben.

Das Jahr 1566 zeigt besonders eindrücklich, wie damals unsere Pfarrstelle sozusagen als erste Bewährungsprobe für junge Absolventen angesehen wurde. Fünf dieser sechs wurden im selben Jahr 1566 als Pfarrer ordiniert. Und Weiach war ihre erste Pfarrstelle überhaupt. 

Im Telegramm-Stil des älteren der beiden gedruckten Zürcher Pfarrerverzeichnisse, dem Etat von 1890, liest sich die Abfolge so:

1565. Jesaias Wecker, ordin. 65. - Er wurde Pfr. in Kirchberg (St. Gl.)

1566. Leonhard Hofmeister, ordin. 66. - Er wurde Diakon in Stein, 67 Pfr. in Steckborn, später in Männedorf.

1566. Joh. Wilhelm Brennwald, geb. 42, ordin. 66, Sohn des Schaffners Jost B. in Embrach. - Er wurde Diakon zu Kappel.

1566. Rudolf Bräm v. Zürich, geb. 40, ordin. 66. - Er wurde Diakon zu Küsnacht.

1566. Kaspar Zurlinden v. Zürich, geb. 41, ordin. 66. - Er kam nach Hombrechtikon.

1566. Georg Boßhardt v. Zürich, geb. 40, ordin. 66. - Er wurde Pfr. in Balgach (St.Gl.) später in Niederhasle.

Nach der Weiacher Pfarrerzählung WPZ24 sind das die Nummern 36 bis 41.

Aus anderen Quellen wissen wir, dass Wecker (auch Wegger geschrieben) vom Zürcher Rat am 13. März 1566 auf die Stelle im Untertoggenburg gewählt wurde. Und weiter, dass Zurlinden im Dezember 1566 nach Hombrechtikon kam. Also sechs Amtsträger in rund neun Monaten.

Miserabler Praktikantenlohn

Dass keiner länger als unbedingt nötig Pfarrer für die Weiacher bleiben wollte, hatte einen einfachen Grund: Schlechter bezahlt war kaum eine andere Pfarrstelle im Zürcher Gebiet. 

Die Jahresbesoldung aus der Staatskasse betrug gerade einmal 10 Gulden! Davon konnte man selbst als Einzelperson kaum überleben. Und ein Pfarrhaus gab es in diesen ersten Jahren nach der Reformation in Weiach auch noch nicht.

Selbst eine Stelle als Assistenzpfarrer (Diakon), wie sie Hofmeister, Brennwald und Bräm erhielten, war offensichtlich einiges besser dotiert.

Quelle

  • Wirz, K.: Etat des Zürcher Ministeriums von der Reformation bis zur Gegenwart. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen zusammengestellt und nach Kirchgemeinden geordnet. Zürich 1890.

Sonntag, 8. Dezember 2024

Verrauchter Kirchenraum kommt teuer zu stehen

Die Reformierten hätten «kilchen glych den rossställen». So oder ähnlich tönten katholische Schmähreden im ersten und zweiten Jahrhundert nach der Reformation. 

Vielleicht sprach aus solchen spitzen Bemerkungen auch ganz einfach der bare Neid. Denn wenn man nur glatte weisse Wände hat, ohne jegliche Verzierung, dann ist auch die Renovation ähnlich billig wie das regelmässige Kalken der Wände von Viehställen. 

In aufwändig verzierten und opulent mit Malereien ausgestatteten Kirchen geht das nicht. Da wird eine Renovation schnell zur superteuren Restauration oder führt gleich zu einer kompletten Neugestaltung. Wenn man berücksichtigt, dass in katholischen Kirchen wesentlich häufiger Kerzen brennen, dann schlägt sich pro Zeiteinheit auch viel mehr Russ an den Wänden nieder.

Exakteste Reinigungsarbeit erforderlich

Ganz so teuer wurde es in der evangelisch-reformierten Weiacher Kirche bei der letzten Renovation 2019/2020 nicht. Denn die Innenwände präsentieren sich so schlicht, wie es das zwinglianische Glaubensbekenntnis verlangt. Mit einer einzigen Ausnahme: dem Bibelzitat (Jer 17, 12-14) an der Nordwestmauer. Gemalt im April 1968 von Otto Rüger.

Im Bild sieht man die Initiale E im Verlauf der Arbeiten. Die beauftragte Firma Fontana tastete Rügers Werk nicht an. Ihre Spezialistin entfernte in minutiöser Präzisionsarbeit den Schmutz, der sich in einem halben Jahrhundert auf den weissen Stellen rundherum festgesetzt hatte.

Quelle

  • Aufnahme Gregor Trachsel, 29. April 2020, 09:10 (IMG_7598.jpg).

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Budgetversammlung: Des öffentlichen Schaukampfs zweite Auflage

Heute vor einem Jahr wurden auf diesem Blog die Differenzen zwischen RPK und Gemeinderat bezüglich des diesjährigen Budgets beleuchtet (vgl. WeiachBlog Nr. 2018).

Die weitestgehende Absenz von Budgetkritikern an der Gemeindeversammlung vom 7. Dezember 2023 hat dann zuverlässig dazu geführt, dass der Gemeinderat mit seiner Auffassung, man dürfe auch auf Vorrat Steuern erheben, um das Budget mittelfristig ausgeglichen zu gestalten, per Handmehr in der Versammlung durchgedrungen ist.

Der diesjährige Abschied der RPK zum Budget ist sozusagen eine Neuauflage, ein ceterum censeo, was das beim Bundesgericht zu Lausanne schlummernde Infrastrukturprojekt betrifft. Die RPK lehnt zwar das Budget 2025 nicht in globo ab, macht aber erneut zwei Anträge, um die Diskussion an der Versammlung anzukurbeln:

«Das Budget wird einstimmig unter Berücksichtigung der untenstehenden Änderungsanträge verabschiedet und der Gemeindeversammlung zur Annahme empfohlen.

Änderungsantrag 1: Vollständige Streichung des Betrages über CHF 5'000'000.00 der Budgetposition 5040.04, Gemeindeinfrastrukturprojekt

o Begründung: Ein Budget hat die Ist-Situation im kommenden Jahr abzubilden. Da der Abstimmungsentscheid vor dem Bundesgericht hängig ist, ist mit einem Baustart 2025 nicht zu rechnen. Damit werden auch keine Mittel benötigt und deshalb ist die Budgetposition zu streichen.

Änderungsantrag 2: Rückabwicklung der Steuererhöhung von 67% auf 73% wieder auf 67%

o Begründung: Die Steuererhöhung auf Vorrat war weder notwendig (Asylantenunterkunft von CHF 400'000.00 ist nicht gebaut worden), noch erlaubt (Art. 92, Abs. 1 Gemeindegesetz des Kantons Zürich) und deshalb ist der Steuersatz wieder auf 67% zu senken. Es können trotzdem noch 140'000.00 in die finanzpolitische Reserve eingebracht werden.»

Ebenso sicher wie das Amen in der Kirche war natürlich, dass sich die Rechtsauffassung des Gemeinderates ebenfalls um kein Iota verändert hat.

Da von einer fristgerechten Beschwerde gegen den Beleuchtenden Bericht nichts bekannt ist – und nur dieses Vorgehen auf dem Rechtsweg würde zur Klärung der Frage führen, wer von beiden denn nun tatsächlich im Recht ist – wird sich heute Abend wohl lediglich eine Neuauflage des Schaukampfes zwischen dem Gemeindepräsidenten und dem Präsidenten der RPK abspielen. 

Amüsant, ärgerlich, wie auch immer man das Spektakel dann einstufen will. Nur halt nicht wirklich zielführend. Im Gegenteil. Doch dazu mehr am morgigen Samichlaustag.

Finanzunterlagen auf den letzten Drücker vorgelegt

Eine andere Beobachtung im Zusammenhang mit dieser Budgetversammlung soll hier noch Erwähnung finden. 

Da hat doch die Gemeindeverwaltung die amtliche Publikation des Budgets 2025 samt Beleuchtendem Bericht erst auf den letzten Drücker hinbekommen: am 21. November um exakt 10:00 Uhr, d.h. wenige Stunden vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von zwei Wochen! 

Immerhin so, dass die Stimmberechtigten, die den Newsletter abonniert haben, das auch mitbekommen haben. Die Push-Benachrichtigung funktioniert. Aber man fragt sich schon, weshalb das nicht speditiver ging. Warum man dem Souverän nicht mehr Zeit lässt, um sich das Budget genauer anzusehen.

Eine Spurensuche beim Präsidenten RPK ergibt: 

Der Gemeindeschreiber forderte eine Antwort per spätestens 4. November 2024 abends. Und erhielt den Beschluss von der RPK auch fristgerecht. 

Dann schaute er sich das Protokoll der RPK-Sitzung aber offenbar nicht an, merkte daher erst eine Woche später, dass der RPK-Aktuar den Titel des Traktandums 2 «Beschlussfassung Budget 2024» (noch vom Vorjahr her) auf «Beschlussfassung Budget 2025» zu ändern vergessen hatte.

Am 12. November monierte jedenfalls die Gemeindeverwaltung besagten Fehler bei der RPK, den diese am 13. durch Einreichung eines korrigierten Protokolls richtigstellte. 

Daraus kann man jetzt folgendes Fazit ziehen:

Die Stimmberechtigten hätten die entscheidenden Unterlagen für die Gemeindeversammlung von heute Abend also eigentlich bereits vor vier Wochen erhalten können! Oder zumindest vor drei Wochen erhalten sollen. Denn was hat bitteschön höhere Priorität als die Bedenkzeit des Souveräns?

Eigentlich möchte ich die Frage nicht stellen, ob der Finanzvorstand dem Gemeindeschreiber den Auftrag erteilt hat, dem Souverän möglichst wenig Zeit zu lassen, um die Unterlagen zu sichten. Sie drängt sich aber leider ob dieser Art von Fristenlösung mit Macht in den Vordergrund.

Donnerstag, 28. November 2024

Der Damast liegt oberhalb der mittleren Rebstrasse

In WeiachBlog Nr. 2009 steht zum Flurnamen «Damast» u.a.: «Die bislang älteste Nennung, die ich finden konnte, datiert auf das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der von Willi Baumgartner-Thut der Nachwelt zur Kenntnis gebrachte Plan des Rebstrassenprojekts (1909-1911) weist ihn in der heutigen Schreibweise auf.» Dabei wurde aber sowohl die Beigabe des Plans versäumt, aus dem die konkrete Verortung des Flurnamens «Damast» hervorgeht, wie auch die Referenzierung der angesprochenen Unterlage unterlassen.

Wichtig ist das, weil eine Diskrepanz zwischen der Auffassung des Planes «Rebweganlagen Weiach» von 1909 und dem Flurnamenplan von Boesch von 1958 besteht. Gewährsmann für Boesch war mutmasslich der damalige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer.

Herr Professor, wo ist die Flur «Im Lee»?

Laut dem rund ein halbes Jahrhundert älteren Rebweganlagen-Plan ist der Damast ausschliesslich oberhalb der heutigen Leestrasse zu verorten. Und zwar vom Oberdorf her gesehen im Abschnitt zwischen der Verzweigung Winkelstr./Oberdorfstr. und der Einmündung des Rebwegs in die Trottenstrasse, was wiederum der horizontalen Ausdehnung nach Boesch entspricht. Am selben Abschnitt ist zwischen Trottenstrasse und Leestrasse der Flurname «Im Lee» eingezeichnet.

Bei Boesch hingegen fehlt diese Flurbezeichnung «Im Lee» völlig (vgl. WeiachBlog Nr. 2009)! Nach seiner Auffassung umfasst die Flur Damast auch dieses Lee und ist damit rund doppelt so gross. Zollinger andererseits unterschlägt zwar in seiner Flurbezeichnungen-Liste die Flur Damast, führt dort jedoch den Namen «Im Lee» auf, mit der Erläuterung: «Hang zwischen unterer und mittlerer Rebstrasse» (vgl. Zollinger 1972, S. 88). Er folgt in diesem Punkt also dem Rebweganlagen-Plan.

Man erkennt aus dieser kurzen Auslegeordnung erneut, wie fluide solche Flurnamen in der Landschaft sein können. Und was die Wahl der Gewährsperson und/oder der Verzicht auf den systematischen Beizug bereits bestehender lokaler Pläne und Karten anrichten können.

Quellen und Literatur

  • Boesch, B.: Orts- und Flurnamen-Karte Gemeinde Weiach. Erfassungen der Jahre 1943-2000 (Signatur: StAZH O 471). Datenerfassung für Weiach durch Prof. Bruno Boesch mit dem Gewährsmann Alb. Meierhofer, 1958.
  • Zollinger, W.: Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. Rückentitel "Chronik Weiach", 1. Aufl. Weiach 1972, S. 88.
  • Baumgartner-Thut, W.: Der Rebberg von Weiach im 20. Jahrhundert. Weiach 2023. -- Reb- und Wiesland um 1910 gemäss Landabtretungstabelle, S. 4; Junge Obstbäume, S. 39 sowie Rutschverbauung im Rebberg, S. 67.
  • Brandenberger, U.: Wie kam der Flurname «Damast» zustande? WeiachBlog Nr. 2009, 13. November 2023.

Mittwoch, 20. November 2024

Si tacuisses... Vorlauter Gemeindepräsident

Manchmal ist es besser zu schweigen und gegenüber seinem Hofjournalisten kein Statement abzugeben. Denn hättest Du geschwiegen (so die Bedeutung des lateinischen Titelbeginns) wärst Du zwar nicht Philosoph geblieben (wie das geflügelte Wort im Original weitergeht), aber zumindest ein souveränerer Präsident, besserer Teamspieler und ausgefuchsterer künftiger Verhandler. 

Was ist vorgefallen? Gestern hat die Nagra unter erheblichen Begleitgeräuschen und Rascheln im Zeitungswald das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch für das Tiefenlager Nördlich Lägern beim Bundesrat eingereicht.

Die einen halten sich bedeckt... 

Astrit Abazi, seines Zeichens Journalist des Zürcher Unterländer, hat dazu am letzten Samstag in der Online-Ausgabe, am Montag auch in Print-Form einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel «Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region». Und fasst die Angelegenheit im Untertitel so zusammen: «Der Entscheid, wo das Lager für radioaktive Abfälle hinkommt, soll vors Volk. Das fordern Kritikerinnen und Kritiker. Die Standortgemeinden sehen es anders.» 

Liest man dann den Beitrag, dann sieht das allerdings so aus: Der Stadler Gemeindepräsident Schaltegger äussert sich zur Referendumsfrage nur indirekt und betont, der Gemeinderat werde die «spezifischen Interessen von Stadel» vertreten sowie «zeitnah und transparent» informieren. Abazi weiter: «Auch der Glattfelder Gemeindepräsident Marco Dindo möchte sich nicht dazu äussern.» 

Bei den politischen Exponenten unserer Nachbarn kann man da also nicht sagen, was sie denken. Ganz anders bei unserem eigenen Häuptling. 

... die andern fallen mit der Tür ins Haus

«Weiachs Gemeindepräsident Stefan Arnold wiederum macht klar: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.» Die politischen Behörden seien seit Jahren intensiv in den Prozess um das geologische Tiefenlager involviert worden. «Diese jahrelange, sachlich-kritische Auseinandersetzung mit allen relevanten Parteien und Organisationen basiert auf einer soliden Vertrauensbasis. Es gibt ein hohes Vertrauen in die bis heute involvierten Institutionen und in die unabhängige Prüfbehörde, welche den Prozess überwacht», sagt Arnold. [WeiachBlog: Er meint wohl das ENSI, eine Bundesstelle] 

Dass Gegner des Projekts ein Referendum ergreifen würden, sei klar gewesen, sagt Arnold. «Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, dass viele der Gegner grundsätzlich Bedenken gegenüber dem Konzept eines Tiefenlagers haben, ohne bisher konkrete und konstruktive Alternativvorschläge zu unterbreiten.» Das erschwert es, den Diskurs auf eine sachliche und lösungsorientierte Ebene zu bringen. Arnold betont ausserdem, dass erst jetzt überhaupt die Prüfung und die Machbarkelt eines Tiefenlagers am besagten Standort beginnen. «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten», sagt er. «Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»»

Kommentar WeiachBlog 

Angesichts dieses Zitatefüllhorns weiss der Kommentator kaum, wo er anfangen soll... 

O-Ton Abazi: «Die Standortgemeinden sehen es anders».

Wirklich? Herr Abazi, ist Monsieur Arnold der Mediensprecher der Tiefenlager-Gemeindepräsidentenkonferenz GlaStaWei? Vielleicht sind ja Schaltegger und Dindo ganz anderer Meinung.

Oder ist Weiach allein massgebend? Genauer gesagt: nur der Weiacher Gemeinderat? Wir wissen ja nicht einmal, ob es sich bei dieser Auffassung um einen Gemeinderatsbeschluss, oder zumindest einen begründeten Konsens der Gemeinderäte und -innen handelt. Oder ob das nur die Privatmeinung des Herrn Präsidenten ist.

Was ist der Wille des Volkes?

O-Ton Arnold 1: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.»

La commune, c'est moi? Hat der Präsident je einmal Anstalten gemacht, herauszufinden, wie die Weiacher in ihrer Gesamtheit darüber denken? Und da geht es nicht nur um die Stimmberechtigten.

Ein solches Stimmungsbild wäre für ihn als – selbsternannten? – Verhandlungsführer in der Entschädigungsfrage dann doch von grosser Bedeutung. Läge eine repräsentative Meinungsumfrage vor, dann ist es egal, ob sie zugunsten der Nagra oder gegen das Projekt ausfällt. In den Verhandlungen mit der Atomlobby kann man das so oder so in klingende Münze umsetzen. Sind die Leute mehrheitlich positiv, dann braucht es Finanzspritzen, damit das so bleibt. Sind sie negativ eingestellt, dann kann man darauf pochen, dass man den Ortsansässigen zumindest mit möglichst viel Geld den Schneid abkauft.

Wo läge das Problem, wenn die Stimmung so ist, wie vor der ersten NAGRA-Bohrung, als die Gemeindeversammlung am 17. September 1980 mit 104 gegen 2 Stimmen konsultativ gegen das Vorhaben war? Auch dann ist es nur eine Frage des Verhandlungsgeschicks, die Haut der Weycher so teuer wie möglich zu verkaufen. Denn wenn die Atomlobby eines nicht brauchen kann, dann sind es unschöne Bilder, die in die Stuben von Herrn und Frau Schweizer flimmern. Bilder mit einer ihr ablehnend gegenüberstehenden Lokalbevölkerung, die auf die Barrikaden geht. Ob dann Mistgabeln und Traktoren mit von der Partie sind oder nicht.

Ungelegte Eier, aber vorsorglich kräftig gackern? 

O-Ton Arnold 2: «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten. Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»
 
Richtig. Das wäre es. Und erst in ca. sechs Jahren werden wir wissen, wie ein allfälliges Referendum ausfällt. Es kann ja durchaus sein, dass bei den Hiesigen bis dahin aus Passivität offene Ablehnung wird. Oder die Technologieschiene sich in eine andere Richtung entwickelt hat, daran arbeiten ja u.a. die Chinesen mit Hochdruck (Stichwort: Vierte Generation and beyond). Wenn aus Abfällen begehrte Rohstoffe werden, dann redet von Verlochen kein Mensch mehr. 

Da fragt man sich erst recht, wieso der Herr Präsident bei dieser Ausgangslage überhaupt nur schon von einer Verhandlungsführung mit den Atömlern zu träumen begonnen hat. 

Das geneigte Publikum darf sich seinen Reim darauf selber machen.

Quelle
  • Abazi, A.: Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region. In: Zürcher Unterländer, 18. November 2024, S. 3.

Dienstag, 19. November 2024

Gemeinderat gesteht: Schuldenobergrenze bleibt ein Luftschloss

«Im aktuellen Plan werden die finanzpolitischen Ziele mehrheitlich erreicht. Mit dem Infrastrukturneubau kann die Verschuldung allerdings während mehrerer Jahre nicht bei den gewünschten 5'000 Franken je Einwohner begrenzt werden. Dies ist dem Gemeinderat bewusst – als langfristiges Ziel wird die Obergrenze dennoch beibehalten.

Der Gemeinderat hat den Finanzplan 2024-2028 genehmigt. Dieser wird der Gemeindeversammlung vom 5. Dezember 2024 zur Kenntnisnahme vorgelegt.» (MGW, November 2024, S. 6)

Wie hoch sie denn nun wirklich sein wird, das verschweigt der Gemeinderat in seiner Berichterstattung im Mitteilungsblatt. Wird es bei den 9000 Franken liegen, von denen in früheren Finanzplänen die Rede ist (vgl. WeiachBlog Nr. 2000)? Wir wissen es nicht, denn der neue Finanzplan 2024-2028 ist immer noch nicht veröffentlicht.

Nur der Beleuchtende Bericht ist Pflicht

Muss der Gemeinderat aber auch nicht. Laut dem Gemeindegesetz (§ 19 Abs. 2 GG-ZH) hat der Gemeindevorstand lediglich den Beleuchtenden Bericht zum Budget spätestens zwei Wochen vor der Gemeindeversammlung den Stimmberechtigten zur Verfügung zu stellen, d.h. im Fall der Gemeinde Weiach auf der Gemeindewebsite aufschalten oder im Gemeindehaus auflegen zu lassen. Als Randnotiz sei erwähnt: Immerhin steht in besagtem Gesetzesartikel auch, dass die Gemeinde verpflichtet ist, den Beleuchtenden Bericht jedem Stimmberechtigten auf dessen Verlangen kostenlos zuzustellen.

Doch zurück zur Hauptsache: In welche Richtung sich das Weltfinanzsystem bei einem nicht unwahrscheinlichen Zusammenbruch der US-Überschuldungswirtschaft entwickeln wird, wissen wir nicht. Ein Zusammenbruch liegt durchaus im Rahmen des Möglichen. Der in früheren Zeiten normalerweise übliche Zins belief sich auf 5 % vom aufgenommenen Kapital. Bei den 20 Millionen CHF Schulden (9000 CHF x 2200 Einwohner) wären das nur schon für den Schuldendienst 1 Mio. Franken pro Jahr, entsprechend mind. 25 Steuerprozenten. 

Wie man das neben allen anderen Ausgaben künftig stemmen will, wenn die Kiesentschädigungen wegbrechen (und das werden sie mit Sicherheit) und falls die Tiefenlagermillionen ausbleiben, auf die man die Stimmberechtigten in verantwortungsloser Manier hoffen lässt (vgl. Beleuchtender Bericht zu Zukunft8187), darüber schweigt der Finanzvorstand lieber. Und versucht stattdessen, Kritiker seines Hazardspiels durch öffentliche Herabsetzung zum Schweigen zu bringen.

Sonntag, 17. November 2024

«Daudapf!!!» – Am Anfang war das Schimpfwort

Was war das erste Wort, das aus Ihrem Mund kam? Ich weiss ja nicht, was Ihnen Ihre Eltern erzählt haben. Laut meiner Mutter – Gott hab' sie selig – war es bei mir jedenfalls «Daudapf». Nicht etwa «Mamma» oder «Pappa», wie das sonst so üblich zu sein scheint. Nein. Für mich waren mit Nachdruck geäusserte Worte offenbar schon in ganz jungen Jahren von höchster Wichtigkeit.

Als mein Vater sich am Abend erkundigte, was denn dieses in Dauerschleife wiederholte Wort bedeuten könnte, musste meine Mutter eingestehen, dass sie sich lautstark über einen landenden Jet enerviert habe. Und das mit dem Ausruf: «Scho wieder so en SAUCHLAPF!!!».

Als die Flugzeugmechaniker noch keine Mantelstromtechnik warten mussten

Dazu muss man wissen, dass ich ein Flughafenkind bin. Eines, das seine ersten Monate sozusagen umwabert von Kerosindämpfen erlebt hat: In einem mehrstöckigen mittlerweile längst wieder abgerissenen Wohnhaus an der Schaffhauserstrasse mitten im aufstrebenden Flughafendorf Kloten.

Wer vor über einem halben Jahrhundert im Zürcher Unterland wohnhaft war, der kann sich noch lebhaft an vibrierende Fensterscheiben und klirrende Gläser im Chuchichäschtli erinnern. Wie alt Regierungsrat Markus Kägi in seiner Weiacher 1. August-Rede im Jahre 2007 (vgl. WeiachBlog Nr. 498). Das war damals völlig normal, wenn die Tupolevs und Caravelles aus aller Herren Ländern gestartet sind. Viele davon noch mit Militärtriebwerken. Ohne jede Mantelstromtechnik.

Was dieses erste Wort des Stammhalters in der Paarbeziehung meiner Eltern angerichtet hat? Versetzen Sie sich in den Haushaltsvorstand. Mein Vater war ein stolzer Swissair-Angestellter. Bei der nationalen Airline als gelernter Flugzeugmechaniker direkt an der Wartung dieser «Daudäpfe» beteiligt. Von seiner Warte aus betrachtet könnte in dieser pädagogischen Meisterleistung der Kindsmutter – einer ausgebildeten Primarlehrerin mit mehrjähriger Berufserfahrung – doch eine recht bittersüsse Note mitschwingen.

Die Kraft der Kraftausdrücke

Falls Sie sich je gefragt haben sollten, woher eine gewisse Faszination für die Kraft der Kraftausdrücke, die Tendenz des Redaktors zum verbalen Zweihänder oder seine zuweilen nicht nur als subtiles Stilmittel verwendete Provokation mit Worten stammen, dann haben Sie jetzt zumindest einen Erklärungsansatz zur Hand.

P.S.: Mein Vater erinnert sich nicht mehr an diese Daudapf-Geschichte. Dafür an das Interesse seines kleinen Buben für Baukräne. «Graaanä!» sei ein Wort gewesen, das man von mir immer wieder gehört habe. Verbunden mit «düllätä, düllätä!». Nicht so überraschend, dass in der Hochkonjunktur im Zürichbiet signifikante Bautätigkeit geherrscht hat. Sein Sohn werde Bauingenieur oder Architekt, habe er damals gedacht. Wurde der dann aber nicht.

[Veröffentlicht am 26. September 2024 um 22:46 MEZ]

Freitag, 25. Oktober 2024

Margareta Kurz-Meierhofer: Stille Schafferin an der Heimatfront

Die im Ersten Weltkrieg geborene Generation wurde auch gleich im nächsten Weltkrieg zum Opfer. Das galt besonders für junge Frauen aus dem ländlich-bäuerlichen Umfeld. Pflichterfüllung stand über Selbstverwirklichung. Auch Sekundarschulabschlüsse, im nachstehend geschilderten Fall an der Bezirksschule Kaiserstuhl, halfen da wenig, wie dieser heute vor 50 Jahren publizierte Nachruf aus dem Thurgau zeigt:

«Klingenberg. Margareta Kurz-Meierhofer †. Margareta Kurz wurde 1915 in Weiach im Kanton Zürich geboren. Dort wuchs sie im Kreise ihrer sechs Geschwister auf, besuchte die Primar- und Bezirksschule und half daneben fleissig auf dem elterlichen Gehöft. Nach der Schulzeit trat sie in die Haushaltschule Wülflingen ein, nahm danach manche Stellen in Privathäusern an und half daneben weiterhin ihren Eltern. 1939 vermählte sie sich mit Hans Kurz. Bald danach brach der Krieg aus, und ihr Gatte musste einrücken. Sie selbst besorgte allein den Landwirtschaftsbetrieb im Klingenberg. Ihrer Ehe entsprossen 6 Kinder, vier Knaben und 2 Mädchen, denen sie eine treubesorgte Mutter war. Oft und gerne empfing sie Besuch. Manch einem von Sorgen Niedergedrückten konnte sie helfen. Das Geheimnis ihrer stillen Seelsorgetätigkeit bestand im geduldigen Zuhören und Mitfühlen. Wenn es die Zeit erlaubte, griff sie gerne zu einem guten Buch; ihre Lieblingsdichter waren die beiden Sänger des Bauerntums, Gotthelf und Huggenberger. Während einiger Zeit erteilte Margareta Kurz auch Sonntagsschule in Müllheim. 1966 musste sich die Verstorbene erstmals einer schweren Operation unterziehen. Später verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand wieder, und seit Mitte Januar dieses Jahres durfte sie nicht mehr aufstehen. Am 1. Oktober konnte sie ihr Leben im Kreise ihrer Angehörigen in ihrem Heim beschliessen. Wer sie gekannt hat, wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren.»

Aus welchem Zweig der zahlreichen Meierhofer sie stammt, ist WeiachBlog bislang nicht bekannt, das wissen vielleicht noch einige Alteingesessene.

Klar ist aber, dass die allzu früh Verstorbene einst eine Schülerin des Weiacher Lehrers Walter Zollinger war. Der führte ab 1919 die 4. bis 8. Klasse und hatte damit bspw. im Schuljahr 1922 insgesamt 70 (!) Schülerinnen und Schüler zu betreuen. Wohlverstanden: in EINEM Schulzimmer des Alten Schulhauses...

Wer weiss, vielleicht hat Margareta den Bauerndichter Alfred Huggenberger (1867-1960) ja dank Zollinger kennengelernt, der ihn in seinen Schriften zitiert (vgl. WeiachBlog Nr. 741). Oder dank der Jugend- und Volksbibliothek Weiach. Die wurde 1862 explizit zum Zweck der Vermittlung guter Bücher eröffnet.

Quelle

[Veröffentlicht am 13. November 2024 um 00:43 MEZ]

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Tierarzt lieferte «Waare für das Mädchen». 6 Monate Gefängnis!

Liebe, Verzweiflung, Krankheit, Tod und Verbrechen. Der perfekte Mix für eine saftige Geschichte in der Zeitung. Ein Fall wie geschaffen für einen Gerichtsberichterstatter.

Heute vor 150 Jahren begann im zürcherischen Pfäffikon ein Schwurgerichtsprozess, über den auch in der Neuen Zürcher Zeitung ausführlich berichtet wurde. WeiachBlog bringt hier Auszüge:

«Auf der Anklagebank erscheinen

1) Die seit 1870 verwittwete Frau Barbara Fisler, geborne Peier von Berg [am Irchel], geboren 1834, deren Ehemann beim Schlitten verunglückt ist, Mutter von 2 Kindern;

2) Konrad Peter von Berg, bis zum Beginn des gegenwärtigen Prozesses Gemeindammann [d.h. der Betreibungsbeamte] in Berg, verheirathet, Vater von 2 Kindern, unter der Anklage der Abtreibung durch innere und äußere Mittel;

3) Jakob Meier von Dättlikon, Thierarzt in Hüntwangen, geboren 1798, Wittwer, angeklagt, Räthe, Anweisungen und Mittel zu dieser Abtreibung gegeben und dadurch dieses gleichen Vergehens sich schuldig gemacht zu haben.»

In Weyach die Ausbildung zum Tierarzt begonnen

Letzterer soll uns hier besonders interessieren, denn er gab, da als einziger von den dreien nicht geständig, die eigentliche Veranlassung für diesen Prozess:

«Am Ende des vorigen Jahrhunderts, der Sohn eines Thierarztes, in Dättlikon geboren, kam der Angeklagte, 20 Jahre alt, zu Thierarzt Willi in Weiach und nach Verfluß eines Jahres in die Thierarzneischule in Zürich, wo er 1/2 Jahre verblieb. Nachdem er im Examen durchgefallen war, bildete er sich praktisch aus bei einem Thierarzt in Flaach, erstand dann das Examen und ließ sich selbständig nieder in Dättlikon.»

In den Jahren 1818 und 1819 war der junge Meier also Tierarztlehrling in Weyach. Wie er sich bei uns gehalten hat, ist in der NZZ nicht weiter dokumentiert, darüber finden sich eventuell noch Angaben in alten Weiacher Protokollen, beispielsweise denen des Stillstandes (Kirchenpflege und kommunale Sittenaufsicht).

Wahrlich kein unbeschriebenes Blatt

Dass ich das hier so explizit erwähne, kommt nicht von ungefähr, denn im Verlauf seines Lebens geriet Meier immer wieder mit seinen Zeitgenossen, den Obrigkeiten und den Gesetzen ins Gehege und wurde überdies gar verbeiständet.

So wurde vor Gericht ausgeführt, der Angeklagte habe zwar in Hüntwangen einen guten Ruf, sei aber in seiner alten Heimat Dättlikon (nördlich der Töss, zwischen Embrach und Neftenbach), wo er bis 1869 wohnte, wegen «Beschimpfung, Körperverletzung, falscher Zeugnisse, Ehebruchs und sehr oft wegen Verfehlung gegen das Medizinalgesetz bestraft worden. Vor 5 Jahren stand er in Untersuchung wegen Abtreibung, die Untersuchung wurde sistirt, der Angeklagte aber wegen wiederholter Pfuscherei mit Fr. 150 Buße belegt. 1857 wurde er wegen Verschwendung bevogtet

Da gab es also eine ganze Reihe von Warnsignalen und sogar bereits ein einschlägiges, wenn auch eingestelltes Strafverfahren, was natürlich aufhorchen lässt.

Der Gerichtsreporter zitiert den Staatsanwalt, der den Meier in seinem Schlussplädoyer als «gewerbsmäßigen Abtreiber» und «alten Sünder» bezeichnete, «dem seine Haushälterin treulich sekundire».

Viele Hilfesuchende landeten bei diesem Alternativpraktiker

Wobei ihm seine Lebenspartnerin in Hüntwangen geholfen hat, machte der Ankläger allen Anwesenden deutlich. Barbara Fisler war nämlich kurz nach dem Unfalltod ihres Mannes im Spätjahr 1870 mit dem seit kurzem getrennt lebenden Gemeindeammann zusammengekommen. Der habe sie darauf wie ein Sperber bewacht vor lauter Eifersucht und sie dann – weil immer noch verheiratet und damit als Ehebrecher strafbar – gezwungen, das Kind, das sie seit Dezember 1873 von ihm erwartete, abzutreiben. Hier kommt nun wieder Tierarzt Meier ins Spiel. In den Worten des NZZ-Journalisten:

«Der Angeklagte ist weithin bekannt als „Doktor Meier“ und er erfreut sich einer ganz ausgezeichneten Praxis, nicht bloß als Thierarzt, sondern vorzugsweise als Arzt gegen menschliche Gebrechen aller Art. Er beschaut „das Wasser“ der Patienten, erkennt daraus den Grund ihrer Leiden und receptirt, obwohl er eine geradezu gräuliche Orthographie schreibt, wie ein Professor. Als Frau Fisler ihn das erste Mal aufsuchte, traf sie ungefähr 25 Personen in seiner Wohnung, die auf den „Herrn Doktor“ warteten. Sie brachte das Wasser ihres unpäßlichen Knaben mit, der Doktor untersuchte dasselbe, fand, der Knabe leide am Herz und gab der Mutter Thee für ihn, später auch Tropfen. Gleichzeitig trug sie ihr persönliches Anliegen vor.»

Schwunghafter Handel mit Heilmitteln

Bei einer Hausdurchsuchung seien bei ihm «geradezu massenhaft [...] Briefe Hülfesuchender aus dem Kanton Zürich, Schaffhausen, Thurgau, Aargau; ja bis in's aufgeklärte deutsche Reich hinein» gefunden worden.» So habe unter anderen «eine Mutter von 14 Kindern» den «Doktor» angefleht, ihr «eine Mixtur gegen einen Krebs im Unterleib» zu geben, eine andere Frau wollte ein Mittel gegen «eine Geschwulst am Hals, die der Hausarzt nicht heilen kann; ein Gemeinderathschreiber will ein Mittel gegen Bangigkeit, ein Waisengerichtsschreiber ein solches gegen Lungenschwindsucht; gegen Magenleiden und Flechten, gegen Blasenleiden, Kopfschmerzen». Und so weiter. Ein wahrer Wunderdoktor also, der sich überdies als sehr guter Kunde diverser Apotheken erwies und seinerseits «Händlern ganze Kisten voll Güldenbalsam» lieferte.

Besonders begehrt: Mittel für danach...

«Zahlreich sind die Briefe um „die bekannte Waare für das Mädchen“ oder gar „für meine Frau“ und es sind diese Briefe theilweise mit ganz besonderen Artigkeiten ausgestellt. Der eine „ist der Kenntnisse des Herrn Doktors in der medizinischen Fakultät gewiß“, der andere fleht den „hochgeehrtesten Herrn Doktor“ um Zusendung weiterer stärkerer Mittel an, und zwar „auf mein Gewissen, nicht auf Ihr Gewissen, da ich eine Wittwe von 2 Kindern bin, während der Vater 5 Kinder hat“, und man bekommt durch den Einblick in diesen Theil der Praxis des „Herrn Doktor“ eigenthümliche Begriffe von der Sittlichkeit des Volkes.» Den letzten Satzteil würde man heute wohl als journalistische Einordnung bezeichnen.

Die Untersuchungsbehörden hätten sich gar veranlasst gesehen, «in einzelnen, besonders anstößigen Fällen gegen die Besteller solcher Waaren für ihre Frauen in Winterthur und Frauenfeld vorzugehen; die Untersuchung führte aber nicht zu förmlichen Anklagen

Sassafras und Tausendgüldenkraut

Aus medizin- und kulturhistorischer Sicht interessant ist, was Tierarzt Meier seinen menschlichen Patienten zu verordnen pflegte. Die NZZ bringt das erstaunlicherweise in aller Ausführlichkeit: «Gegen Brustleiden Franzosenholz, Sassafras und Bittersüß; Tisanenholz gegen Geschlechtskrankheiten; als Abführmittel gab er Glaubersalz und Salpeter; Frauen verordnete er gegen gewisse Leiden Turmentibwurzel und Tausendgüldenkraut. Daß er sehr häufig um Abtreibmittel angegangen werde, gab der Angeklagte zu, aber er will nie solchen Begehren entsprochen, die Leute entweder rund abgewiesen oder, „um sie los zu werden“, ihnen unschädliche Mittel gegeben haben. Auch Frau Fisler habe mehrere Mal und stürmisch Abtreibungsmittel verlangt, unter der Drohung, sonst werde sie sich das Leben nehmen u.s.w. Aber auch ihr, so behauptete er schon in der Voruntersuchung, habe er nur unschädliche Mittel gegeben: Sandelholz, Süßholz, Bittersüß, Fenchel, Calmiswurzel, Sassafras, Argemoniankraut, Tausendgüldenkraut, Lindenblüthen und Glaubersalz.»

Dass diese Mittel allesamt ungefährlich seien, konnte Meier vor Gericht zwar nicht bekräftigen, wies aber dennoch jede Schuld von sich:

«Der Angeklagte Meyer, ein robuster breitschultriger Greis mit starkem grauem Haar und Backenbart, gibt zu, daß er seit 55 Jahren „Menschen und Vieh praktizirt habe“, „wenn es gefährlich war, wies ich die Patienten zum Menschenarzt“. Mit Abtreiben habe er sich nie abgegeben. Die inkriminirten Briefe habe er nie gelesen, nur seine Haushälterin, die Regula, die den Leuten aber auch nichts gegeben habe. Frau Fisler habe Mittel „gegen den andern Stand“ verlangt, aber nichts als unschädliche Mittel, später einmal Mutterkorn erhalten; er habe sie gewarnt.»

Allzu erdrückende Indizien

Da auch der Bezirksarzt sich vor Gericht überzeugt zeigte, dass «die Frucht der Frau Fisler abgetrieben worden» sei, nützte auch der Einwand des Verteidigers, der «Beweis des Causalzusammenhanges zwischen den von dem Angeklagten verabreichten Mitteln und der Frühgeburt der Frau Fisler» sei nicht gegeben, nichts mehr: Barbara Fisler wurde zu 5 Monaten, Konrad Peter zu 9 Monaten und der Wunderdoktor zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Die vollständige Berichterstattung können Sie auf e-newspaperarchives.ch nachlesen, siehe die Links in den Quellen.

Quellen

[Veröffentlicht am 12. November 2024 um 23:45 MEZ]

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Wenn der Präsident des Ehegerichts Deine Hochzeit bewilligt

Im Zusammenhang mit dem sog. Krieghof gibt es dieses Jahr nicht nur ein 250-Jahr-Ereignis, dessen gedacht werden sollte, sondern ebenso ein 300-jähriges. Auch in diesem Fall handelt es sich um den Hochzeitstag eines Baumgartners im Krieg.

Die älteste erhalten gebliebene und uns bekannte Erwähnung «der Bomgartern vnd Krieghof zue Wiach» datiert auf 1635 (vgl. WeiachBlog Nr. 2097; dort auch die Jahre 1672 und 1774).

Der Weiacher Pfarrer machte nur die Buchhaltung ...

Unter dem heutigen Datum vor 300 Jahren notierte der Weiacher Pfarrer im Ehebuch die Trauung von Jakob Baumgartner mit Anna Meierhofer, beide aus unserer Gemeinde, und zum Bräutigam die Erläuterung: «Jacob Baumgartners Schneiders im Krieg».

Speziell an dieser Hochzeit ist, dass es unter demselben Datum auch einen Eintrag in einem Ehebuch in der Stadt Zürich gibt. Und zwar mit dem Vermerk «perm. Ampl. Praeside Cons. Matrim.». Heisst: Mit Genehmigung durch den Vorsitzenden des Ehegerichts. Diese Behörde war die oberste Instanz des Zürcher Stadtstaates in familien- und unterhaltsrechtlichen Angelegenheiten. 

... die Kasualie wurde in der Stadt vollzogen

Angesichts des Doppeleintrags und insbesondere des Bewilligungsvermerks darf angenommen werden, dass die kirchliche Zeremonie in einer der Zürcher Stadtkirchen stattfand.

Was genau vorgelegen hat, dass der Präsident des Ehegerichts sein Plazet geben musste? Dazu wäre in den Akten des Ehegerichts nachzusehen. Vielleicht steht dort etwas Sachdienliches. 

Am wahrscheinlichsten ist ein näherer Verwandtschaftsgrad, als er in der Gesetzgebung vorgesehen war. Die Zürcher Regierung wollte damit der Inzucht vorbeugen, eine Gefahr, die beim sog. «Heiraten über den Miststock» regelmässig drohte. Diese Praxis bestand nicht zuletzt wegen der fiskalischen Hürden beim Umzug von Frauengut selbst zwischen zürcherischen Land- und Obervogteien (vgl. WeiachBlog Nr. 2079).

Quellen und Literatur

  • Baumgartner, Jakob, getraut mit Meierhofer, Anna, 1724.10.23. Signatur: StAZH E III 136.1, EDB 658.
  • Baumgartner, Jakob, Weiach, getraut mit Meierhofer, Anna, Weiach, 1724.10.23. Signaturen: StAZH TAI 1.740 (Teil 1); StadtAZH VIII.C.6., EDB 1795.
  • Brandenberger, U.: Eine Frau aus dem falschen Nachbarort kam teuer zu stehen. WeiachBlog Nr. 2079, 12. April 2024.
  • Brandenberger, U. «Im Chrieg». Zu den Ursprüngen eines Weiacher Siedlungsnamens. WeiachBlog Nr. 2097, 10. Mai 2024. 

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname», Teil 5