Montag, 24. März 2025

Verhasster Förster von Gemeindeversammlung abgesetzt

Wer in den Weiacher Wäldern als Förster die Aufsicht zu halten hatte, der musste Ende des 18. Jahrhunderts ein besonders robustes Gemüt haben. 

Viele Dorfbewohnerinnen und -bewohner sahen sich nämlich durch diese Amtsperson daran gehindert, für genügend Brennholz und Einstreu für ihre Tiere sorgen zu können. Dementsprechend unbeliebt, ja geradezu verhasst war ihnen der Amtsinhaber, wenn der seinen Pflichten nachlebte. 

Gemeinderat gegen Dorfbevölkerung

Am 18. März 1796 wurden der Weiacher Untervogt Bersinger (entspricht in etwa dem heutigen Gemeindepräsidenten) und der ehemalige Förster Schurter von den Obervögten des Neuamts vorgeladen und zu dieser leidigen Angelegenheit befragt. Das Protokoll hält zur Begründung fest:

«Da von dem Untervogt zu Weÿach im Namen sämtlicher Vorgesezten allda über das höchstschädliche und alle Schranken übersteigende Freflen und Verderben der dortigen Gemeind- und Privathölzer die stärksten Klagen geführt worden, zudem Ende auch getrachtet worden, den alten Forster, der seinen Dienst meist mit aller Treue und zum allgemeinen Nuzen versehen, beÿzubehalten, ohngeachtet von der Gemeind, durch das Mehr, wozu eben die Frefler das meiste Übergewicht gegeben, ein neuer Forster erwählt worden,…» (StAZH B VII 28.22, S. 139; Transkription n. Hürlimann, Anm-81)

Dem Förster die Fenster eingeschlagen

Der Gemeinderat (der wäre mit den sämtlichen Vorgesezten nach heutiger Auffassung gemeint) hatte also versucht, den Förster weiterhin im Amt zu behalten, um dem Raubbau an den Waldungen Einhalt zu gebieten. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch faktisch an einer Gemeindeversammlung, weil die Mehrheit der Stimmberechtigten (darunter vor allem auch solche, die im Wald Illegales getan hatten) einen anderen Förster wählte.

«Altforster Felix Schurter erzählte, daß er 2 J. Forster gewesen, und gesucht, seine Pflicht zuerfüllen, den Schaden in Holz und Feld zuwenden, es seÿen ihm hierauf die Fenster eingeschlagen worden, wovon er aber die Thäter nicht wiße, durch diesen u. andere solche Beleidigungen habe er sich endlich gezwungen gesehen, den Posten aufzugeben.» (StAZH B VII 28.22, S. 140; Transkription n. Hürlimann, Anm-79.)

Der Untervogt sah sich also genötigt, der Gewalt zu weichen und den Rücktritt des bisherigen Amtsinhabers zu akzeptieren. So etwas konnten die Gnädigen Herren aus der Stadt, die im Auftrag des Zürcher Rats die Obervogtei Neuamt führten, natürlich in keiner Weise durchgehen lassen. 

Neue Holzordnung erlassen

So kam es, dass sie an diesem Verhandlungstag zur bisherigen Holzordnung von 1567 auch gleich eine neue Verordnung erliessen, die sich im Wesentlichen an das erneuerte zürcherische Waldungs-Mandat von 1773 anlehnte (veröffentlicht in: Sammlung der bürgerlichen- und Polizei-Geseze und Ordnungen löbl. Stadt und Landschaft Zürich, Zürich 1779, 5. Bd., S. 271 ff.).

Die Herren Obervögte begründeten dies damit, dass «viele dortige Bürger durch frevlen, schneiden, lauben, grasen und dergleichen dem Holz äuserst schädlichen handlungen selbige [d.h. die Waldungen] in zusehenden Abgang bringen…». (Hürlimann, Anm-59 u. 60; für die Abschrift des Weiacher Mandats siehe StAZH A 199.7 Fasz. 2454.)

Damit hatte der Weiacher Untervogt nun eine aktualisierte Rechtsgrundlage in der Hand, mittels der er den Machenschaften seiner Dorfgenossen den Riegel schieben konnte, indem er sie bei der Obervogtei anzeigte, was im darauffolgenden Jahr zu einem ganzen Strauss an Strafverfahren führte.

Quelle und Literatur

  • Obervogtei Neuamt. Urteilsprotokoll des Obervogts, 1794-1797 – S. 139 & 140. Signatur: StAZH B VII 28.22.
  • Weibel, Th.: Holzordnung. Nr. 180 Weiach, Bemerkungen 3. In: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge, Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 1: Das Neuamt. Aarau 1996 – S. 392.
  • Hürlimann, K.: Offences against forest regulations in early modern times in the Canton of Zürich: Deviant behaviour or a sublimation of Conflict? Intensity Land Use Areas. In: News of Forst History, Nr. III/(36/37)-2/2005. International IUFRO Conference „Woodlands - Cultural Heritage“.

Donnerstag, 20. März 2025

Wird der neue Spielplatz jetzt zum Juristenfutter?

Vor einer Woche, am 13. März, ist der neue Spielplatz mit dem Leitthema «Biberburg» an der Gemeindeversammlung mit 51 Ja gegen 3 Nein-Stimmen bei 0 Enthaltungen durchgereicht worden. 

Ein Resultat, das in seiner Deutlichkeit für sich genommen zwar beeindruckend scheint, jedoch angesichts der jahrelangen Zermürbungstaktik gegen jede Art von kritischen Geistern gegenüber den Vorhaben des Gemeinderates nicht weiter verwundert: 

«Viele Gegner werden heute gar nicht erst an die Gemeindeversammlung kommen. [...] Es ist in den letzten fünf Jahren zu oft vorgekommen, dass ihnen das Wort abgeschnitten wurde, man sie lächerlich gemacht, ausgebuht hat, etc. Und all das wurde durch das Gemeindepräsidium zugelassen und teilweise sogar selber praktiziert.» (FB-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... am 13. März)

Der in diesem Zitat explizit Genannte mag das anders sehen. Exakt in solchen Erlebnissen aber liegt das grosse, die Zukunft bedrohende Problem dieser Gemeinde. Zumal es – zumindest auf offener Bühne – im altbekannten Fahrwasser weitergeht, als ob nichts geschehen wäre: keine Abstimmungsniederlage in Sachen «Balance», kein Bundesgerichtsentscheid in Sachen «Zukunft 8187», kein sang- und klanglos beerdigtes Projekt «The Bridge», kein Defizit beim Dorffest 750+1. Egal was passiert: Vom Gemeinderat hört man keinerlei selbstkritische Betrachtungen, rein gar nichts. Getreu dem Soundtrack: «Hier gibt es keine Probleme! Gehen Sie weiter, Bürger!!». Und das Bild, das Sie sich dazu vorstellen müssen, ist das eines römischen Legionärs mit gezogenem Kurzschwert und ebenso unmissverständlicher Gestik wie Mimik.

Sicherheitsfragen Nebensache: Huschhusch, schnell zur Abstimmung!

Ok, das Bild trägt vielleicht zu dick auf. Nur gibt es halt auch in jüngster Zeit immer wieder Signale, die in diese Richtung weisen. 

Wie seitens der an der eingangs erwähnten Versammlung anwesenden Mitglieder der Rechnungsprüfungskommission verlautet, wollte der Gemeindepräsident nach dem Hinweis auf den RPK-Abschied (letzte Seite im Beleuchtenden Bericht) so rasch als möglich und ohne Diskussion zur Abstimmung schreiten.

Dem Vernehmen nach wurden somit weder die in der vorgängigen Diskussion auf der oben zitierten Facebook-Seite aufgekommenen Fragen aufgenommen, noch die implizite Kritik an der Formulierung der Abstimmungsfrage adressiert.

Zu diesen Fragen gehört, ob die Sicherheitseinrichtungen, namentlich Videoüberwachung, etc. Teil des Verpflichtungskredites seien, bzw. warum sie es nicht sind. Diese Frage ist angesichts des Brandes am Jahresende 2020, bei dem das ursprüngliche Spielhaus abgefackelt wurde, mehr als berechtigt. Weiter wurde gefragt, wie man das grassierende Littering-Problem angehen wolle. Sind die vorhandenen Abfallkübel zu klein oder werden sie nur nicht genügend auf Leerungsbedürftigkeit kontrolliert? Und das sind nur die beiden prominentesten Problemfelder.

Wie hoch werden die Unterhaltskosten wirklich?

Wenn man überdies liest, es werde mit gerade einmal 1500 Franken Unterhaltskosten pro Jahr gerechnet, dann fragt sich schon, für wie dumm und blauäugig die Verfasser des Beleuchtenden Berichts den Weiacher Stimmberechtigten eigentlich halten. 

Auch die Fragen zu diesem Problemfeld wabern wie dicker Weycher Herbstnebel durch den Raum. Eine davon wäre: Wie hoch ist der Aufwand der Gemeindearbeiter und wie viele Stunden werden allein damit bereits beim aktuellen Spielplatz verbraten? Der Zuständige mit besonderem Aufgabenbereich soll ja laut der für Hochbau verantwortlichen Gemeinderätin punkto Spielplatz sehr engagiert sein. Er tut das mit seinen Mannen aber gewiss nicht gratis, jedenfalls nicht vollständig. Wo ist hier die realistische Vollkostenrechnung? Im Beleuchtenden Bericht steht sie nicht.

Trick 77 mit versteckter Defizitgarantie

Das Hauptproblem liegt indes in der Art und Weise, wie dieser Verpflichtungskredit den Stimmberechtigten vorgelegt wurde. Konkret: in der gestellten Abstimmungsfrage. 

Die Gemeindeexekutive hat sich wohl auf eine Bestimmung im Gemeindegesetz verlassen (4. Teil: Finanzhaushalt;  3. Abschnitt: Ausgaben und Anlagen; A. Bewilligung von Ausgaben). Dort heisst es: 

«Der Verpflichtungskredit kann als Saldo zwischen Ausgaben und Einnahmen beschlossen werden, wenn die Beiträge Dritter in ihrer Höhe rechtskräftig feststehen oder wenn er unter dem Vorbehalt bestimmter Leistungen Dritter bewilligt wird.»  (§ 110 Abs. 2 ZH-GG)

Diese Beiträge Dritter sind in unserem Fall die Eigenleistungen der Arbeitsgruppe Spielplatz und ihrer Mitarbeiter im Umfang von geschätzten 45'000 Franken, die fix zugesagten Sponsoringbeträge (ausgewiesen mit 35'000 Franken), sowie die Sportfondsbeiträge (mit 2000 CHF veranschlagt).

Stolperstein: Sportfondsbeiträge

Diese letzteren sind ein möglicher Stolperstein. Wie die Rechtsabteilung des kantonalen Gemeindeamtes gegenüber der Rechnungsprüfungskommission zu verstehen gab, sei es heikel, einen Nettokredit zu beantragen, wenn die erwarteten Kantonsbeiträge (im Beleuchtenden Bericht ausgewiesen!) nicht bereits rechtskräftig zugesprochen worden seien. 

Diese Zusprechung könne aber erst NACH Abschluss aller Arbeiten und Einreichung der Rechnung erfolgen. Sollten also die Förderbeiträge von Kanton und Bund im Beleuchtenden Bericht nicht explizit als noch offen deklariert sein, dann handle es sich um eine Irreführung der Stimmberechtigten. 

Im vorliegenden Fall ist das zwar eher nicht so (O-Ton: «Zudem werden Förderbeiträge aus den Sportfonds von Kanton und Bund beantragt»), es wird allerdings auch nicht explizit erwähnt, dass diese im Verweigerungsfall somit durch die Gemeinde zu tragen wären. Bei lediglich 2000 Franken muss man aber auch nicht wirklich «ein Büro aufmachen», denn dieser Betrag liegt in der normalen Schwankungsbreite eines Bauprojekts dieses Umfangs.

Wie würde ein Gericht urteilen?

Gravierender wird es, wenn nicht deutlicher deklariert wird, dass es sich bei diesem Kredit um eine Differenzrechnung und damit faktisch um eine viel höhere Defizitgarantie handelt. 

Zwei Fragen stehen im Raum: 

1. Würde ein Gericht zum Schluss kommen, dass die Finanzierung – für jedermann deutlich erkennbar – explizit unter dem Vorbehalt der aufgeführten Leistungen Dritter bewilligt wird? 

2. Wird ein Richter aus dem Text des Beleuchtenden Berichts auch herauslesen, dass unmissverständlich klargemacht wird, welche Folgen beim Ausfall der genannten Leistungen eintreten, mithin, bis zu welchem Betrag die Gemeinde Risikokapitalgeberin ist?

Denn wohlverstanden: Wenn etwas schiefgeht, dann muss ja letztlich doch die Gemeinde finanziell geradestehen, bei allen höchst lobenswerten Leistungen Dritter, d.h. Fronarbeiten von Freiwilligen, wie Geldleistungen von Sponsoren, die mittlerweile bereits 55'000 Franken zugesagt haben (laut Protokoll vom 14. März und mdl. Mitteilung des RPK-Präsidenten nach Einsicht in die Unterlagen).

Wichtigkeit von Sponsoren und Freiwilligen unter Tisch gewischt

Der Autor dieser Zeilen hat ja angesichts eines Beitrags des Zueriunterland24.ch-Journalisten Jäggi zum Spielplatz-Projekt die Bemerkung fallen lassen, der Titel könnte ganz nach dem Gusto des Gemeinderates ausgefallen sein. Denn für den flüchtigen Leser, der nicht bis zum letzten Satz des Beitrags vordringt und erst dort feststellt, dass da noch Sponsoringbeiträge und Eigenleistungen dazukommen, stellt sich die Angelegenheit so dar, dass Weiach für 130'000 Franken Gesamtkosten einen Spielplatz bauen kann. In Tat und Wahrheit kostet er aber rund 210'000 Franken. 

Dieser Betrag von 130 kCHF ist jedoch (wie einen Abschnitt weiter oben ausgeführt) lediglich die Defizitgarantie für das unter der Ägide der Arbeitsgruppe Spielplatz durchzuziehende Projekt. Dass man eine solche Berechnung angestellt hat, geht aus dem Beleuchtenden Bericht auch ohne grosse gedankliche Verrenkungen hervor.

Warum nicht einfach einen Bruttokredit beantragen?

Warum um alles in der Welt beantragt der Gemeinderat keinen Bruttokredit über die Gesamtsumme? Bei diesem Vorgehen hätte nämlich auch transparenter kommuniziert werden können, dass die Gemeinde eine Defizitgarantie bis zu dieser Summe trägt. Nämlich dann, wenn die Sponsoringbeiträge nicht in der zugesagten Höhe fliessen, die Baukosten sich ungünstig entwickeln oder der Umfang der Eigenleistungen der freiwilligen Helfer durch das projektverfassende Planungsbüro zu optimistisch eingeschätzt worden sein sollten.

So aber spekulierte der Gemeinderat faktisch damit, dass er ja (von der Gemeindeordnung dazu autorisiert) notfalls noch schnell bis zu 50'000 Franken in eigener Kompetenz würde hinterherwerfen können, ohne mit einem Nachtragskredit nochmals vor die Gemeindeversammlung gehen zu müssen.

Wäre es nicht komfortabler (und beeindruckender!) nach getaner Arbeit stolz verkünden zu können, dass die Gemeinde nun um einen zweistelligen Prozentsatz weniger berappen muss als beantragt?

Da dem jetzt aber nicht so gewesen ist, riskiert der Gemeinderat aus lauter Angst vor Kritik erneut, dass Beschwerde eingereicht worden ist und sich letztlich wieder einmal das Verwaltungsgericht mit einer Weiacher Angelegenheit befassen muss.

Dieser Spielplatz geht doch Zürich einen alten Hut an! Weshalb also wird nicht von vornherein alles dafür getan, dass sich nicht Juristen im Zuge eines Verfahrens über eine Angelegenheit beugen, die die Gemeindeoberen in guten Treuen und mit offenem Visier der Gemeindeversammlung hätten vorlegen können? 

Damit wären sie nämlich – bei der eingangs geschilderten Lage – auch problemlos durchgekommen.

Montag, 27. Januar 2025

Bundesgerichtsentscheid: Ein vorhersehbarer Rohrkrepierer?

In seiner Medienmitteilung vom 23. Januar 2025 über den Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts in der Beschwerdesache 1C_43/2024 schreibt der Gemeinderat Weiach:

«Im Rahmen der Beschwerde wurde vor allem die Verletzung der Gemeindeautonomie geltend gemacht. Das Bundesgericht entschied jedoch, dass die Gemeinde im Bereich des Informationshandelns zu einem kommunalen Ausgabenbeschluss, der dem Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt wurde, keine Autonomie besitzt. Das Bundesgericht stellte klar, dass die Anforderungen an Abstimmungserläuterungen abschliessend im kantonalen Recht geregelt sind. Daher sei die Gemeinde Weiach nicht berechtigt, einen Entscheid des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht anzufechten, selbst dann nicht, wenn dadurch eine kommunale Abstimmung aufgehoben wird.

Zu dieser Rechtsfrage hat sich das Bundesgericht bislang nicht geäussert gehabt, weshalb dieser Entscheid für die Gemeinde nicht vorhersehbar war.»

Würden die in dieser Sache entscheidenden Bundesrichter Kneubühler, Chaix und Müller sowie ihr Gerichtsschreiber Vonlanthen von der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das ebenso sehen? Oder geht es etwa gar nicht um diese Frage?

In den Erwägungen zum Urteil 1C_43/2024 vom 9. Dezember 2024 lassen die Richter nämlich keinen Zweifel daran aufkommen, woran die Beschwerde tatsächlich gescheitert ist, nämlich daran, dass das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich lediglich eine Verletzung der politischen Rechte der Weiacher Stimmbevölkerung gerügt hatte und die Beschwerde von Anwalt Marazzotta nicht an exakt diesem Punkt angeknüpft hat.

Marazzottas Problem: Wo soll man ansetzen?

Fangen wir beim Beschwerderecht als solchem an, wie es im Bundesgerichtsgesetz vom Parlament festgelegt wurde:

«Zur Beschwerde [in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten] sind ferner berechtigt: [...] Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt;» (Art. 89 Abs. 2 Bst. c BGG)

Anwalt Marazzotta und die Gemeinde Weiach mussten also eine geeignete Verfassungsbestimmung finden. Und sie haben sich bekanntlich dazu entschieden, auf die Karte Gemeindeautonomie zu setzen. Sticht diese Karte?

Magere Erfolgsaussichten

Das Richtergremium rekapituliert die entsprechende Rechtslage wie folgt (E 1.3):

«1.3 Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Auf kantonaler Ebene ist die Gemeindeautonomie in Art. 85 KV/ZH (SR 131.211) festgehalten. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale oder eidgenössische Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. (...)

Die Erwägung schliesst mit dem entscheidenden Satz: «Im Bereich der politischen Rechte ist die den Gemeinden eingeräumte Autonomie im Allgemeinen gering (Steinmann/Mattle, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 73a zu Art. 89).»

Es zeigt sich hier, dass die Erfolgsaussichten offenbar nicht allzu gross sind, wenn man eine Gemeinde einen Entscheid im Bereich der politischen Rechte ihrer Stimmbürger anfechten lässt!

Von vornherein an der Sache vorbei...

Das zeigt sich dann auch weiter unten im Urteil (E 1.6.1): 

«1.6.1 Soweit die Beschwerdeführerin [Gemeinde, vertreten durch den Gemeinderat Weiach] geltend macht, dass der Ausgabenbeschluss [über die rd. 28 Mio. CHF] eine rein kommunale Angelegenheit sei und die Aufhebung dieser kommunalen Abstimmung einen Eingriff in die Gemeindeautonomie darstelle, geht ihr Vorbringen von vornherein an der Sache vorbei. 

Ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin nicht näher darlegt, inwieweit ihr in diesem Zusammenhang eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt, ist für das vorliegende Verfahren ohnehin nicht entscheidend, ob der Beschwerdeführerin im Allgemeinen hinsichtlich Ausgabenbeschlüssen Autonomie zukommt.» 

... denn massgeblich ist, was das Verwaltungsgericht im Visier hatte

«Es ging im vorinstanzlichen Verfahren [VB.2023.00508] gerade nicht um eine inhaltliche Überprüfung des kommunalen Beschlusses [heisst: der Abstimmung vom 18. Juni 2023], im Rahmen derer die Vorinstanz die Prüfungsbefugnis in einem allfälligen Gemeindeautonomiebereich überhaupt hätte überschreiten können. 

Vielmehr war durch die Vorinstanz zu prüfen, ob der Ausgabenbeschluss ohne Verletzung der politischen Rechte der Stimmbevölkerung formell korrekt zustande gekommen ist (vgl. auch Urteil 1C_465/2015 vom 7. Dezember 2015 E. 3.3 in fine). Einer allfälligen Autonomie hinsichtlich Ausgabenbeschlüssen kommt daher für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung zu.»

Es geht also gar nicht darum, ob das Bundesgericht die Frage der Gemeindeautonomie schon behandelt hat oder nicht. Nein, es geht offensichtlich allein um den Anknüpfungspunkt.

Leichtfertiger Ausflug nach Lausanne?

Da stellt sich die Frage, worauf der Entschluss des Gemeinderats Weiach, den Entscheid des Verwaltungsgerichts anzufechten, eigentlich basiert hat.

Am 14. Dezember 2023 liess das Gemeindehaus die Öffentlichkeit wissen: «Der Gemeinderat Weiach wird nach sorgfältiger Analyse des Urteils entscheiden, ob eine Beschwerde ergriffen wird.» Und schon am 20. Dezember wurde verlautbart: «Der Gemeinderat Weiach hat das Urteil analysiert und nach Rücksprache mit dem Rechtsvertreter beschlossen, das Urteil an das Bundesgericht weiterzuziehen.»

Davon, dass der eigene Rechtsvertreter gemeinsam mit dem Gemeinderat zu diesem Entschluss gelangt sei, steht da rein gar nichts. War es gar so, dass Marazzotta sich erst einen Anküpfungspunkt zurechtlegen musste, nachdem der Gemeinderat den Sturm auf den Mon-Repos proklamiert hatte?

Und wenn dem nicht so war und man mit Anwalt Marazzotta konferiert hatte: Wusste der Gemeinderat, wie klein die Erfolgschance sein würde? Oder hat er in Unkenntnis von N. 73a zu Art. 89 BGG entschieden?

Ging es nur um Gesichtswahrung?

Letztlich ist die Frage, ob das ein frivolous lawsuit war, der Gemeinderat also trotz miserablen Erfolgsaussichten aus rein politischen Gründen leichtsinnig wertvolle Zeit verloren und Steuergelder verpulvert hat, nur um jetzt (in der eingangs zitierten Medienmitteilung) etwas von «Rechtssicherheit» daherschwadronieren zu können. Die hätte er nämlich schon Ende 2023 haben können.

Aktuell scheint ja die Lage nicht anders als vor 13 Monaten: Da steh' ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor. (J. W. von Goethe, Faust)

* * *

Anhang: N. 73a zu Art. 89 BGG von Gerold Steinmann & Adrian Mattle

«Gemeinden sind wie andere öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht Träger politischer Rechte und daher nicht zur Beschwerde in Stimmrechtssachen legitimiert. [Anm-496] Ihnen steht grundsätzlich die Beschwerde im Sinne von Art. 82 lit. a wegen Verletzung ihrer Autonomie gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. c offen, wenn sie durch einen kantonalen Akt hoheitlich betroffen sind. [Anm-497] Entsprechende Fragen können sich stellen, wenn ihnen eine ­Intervention in einem Abstimmungskampf untersagt wird [Anm-498] oder die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit einer kommunalen Initiative in Frage steht. [Anm-499] Die den Gemeinden eingeräumte Autonomie im Bereich der politischen Rechte ist im Allgemeinen gering. [Anm-500]»

Anm-500: «Vgl. immerhin VerwGer BE, 10. 3. 2017, 100.2016.371, 100.2017.2, BVR 2017, 437 (mit Kommentar von G. Steinmann).» (Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler (Hrsg.): Bundesgerichtsgesetz. Basler Kommentar. 3. Auflage. Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2018.)

Dieses «immerhin» bezieht sich auf einen Fall aus dem Berner Oberland, wo eine Stimmberechtigte monierte, die Regularien der Gemeinde Spiez zur Wahl des Gemeindepräsidiums würden übergeordnetem (insbesondere kantonalem) Recht widersprechen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern verneinte dies, worauf die Stimmberechtigte ans Bundesgericht gelangte und dort unter Kostenfolge abblitzte, da sich die Beschwerde als «offensichtlich unbegründet» erwies (BGer 1C_218/2017). Hier wurde also die Rechtsetzungskompetenz einer Gemeinde geschützt, wo ihr diese vom übergeordneten Recht tatsächlich zugestanden wird.

Mittwoch, 8. Januar 2025

Wirtschaft zur Post schon 1909 eingegangen

In WeiachBlog Nr. 2070 habe ich die Auffassung vertreten, in der Wirtschaft zur Post (Alte Post-Strasse 2) sei im Jahre 1911 Schluss mit Wirten gewesen, sodass ab diesem Zeitpunkt nur noch das Postlokal ein öffentlich zugänglicher Ort war.

Dabei habe ich mich auf ein Flugblatt der letzten Posthalter aus der Meierhofer-Dynastie gestützt, das auf den 5. Oktober 1991 datiert ist und anlässlich der Übergabe der Post an das Ehepaar Junker-Näf erschienen ist. O-Ton:

«In der "alten Post" wurde nebst Landwirtschaft bis zum Jahre 1911 auch eine Wirtschaft geführt.» 

Verbandszeitung neu im «Sternen», nicht mehr in der «Post»

Nun ist mir jedoch vergangenen November bei der Durchsicht meiner über zwei Jahrzehnte alten Exzerpte aus den Protokollbänden der Schützengesellschaft Weiach ein Eintrag aufgefallen, der ein anderes Bild vermittelt.

Unter «Vereinsjahr 1909   März 28» habe ich bei der Vorbereitung der beiden Weiacher Geschichte(n) über die Schützengesellschaft (vgl. Literatur unten) das Folgende abgeschrieben:

«Da bis jetzt die Schweiz. Schützen Zeitung auf der Post aufgelegt war und nachdem nun die Wirtschaft eingegangen wurde beschlossen, dieselbe im Sternen aufzulegen.» [sic!]

Diese Notiz steht wohl im Zusammenhang mit der Vereinsversammlung vom 28. März 1909, jedenfalls ist sie eindeutig vor 1911 anzusiedeln.

Die Schweizerische Schützenzeitung war ab 1882 das offizielle Verbandsorgan des 1824 gegründeten Schweizerischen Schützenvereins (laut Historischem Lexikon der Schweiz: «Eidgenössischer Schützenverein»), heute Schweizer Schiesssportverband (SSV).

Albert Meierhofer war Vereinsmitglied

Einem weiteren Protokolleintrag entnimmt man, dass am 12. Mai 1907 ein «Meierhofer Albert zur Post» in die 1904 als leistungsorientierter Verein gegründete Schützengesellschaft aufgenommen wurde.

Das neue Mitglied dürfte der damals 20-jährige Albert junior gewesen sein, der schon 1910 zum Präsidenten der SG Weiach avancierte, später selber Posthalter wurde und als Gemeindepräsident die Geschicke des Dorfes Weiach massgeblich geprägt hat (vgl. WeiachBlog Nr. 426).

Sein Vater, Albert Meierhofer senior, war Beizer und Posthalter in einer Person. Er und sein Sohn (vgl. WeiachBlog Nr. 1897) waren bei einer Information wie der oben zitierten so nah an der Quelle wie nur irgend möglich.

Es ist also höchstwahrscheinlich so, dass der Wirtschaftsbetrieb in der Alten Post im ersten Quartal 1909 eingestellt wurde.

Quellen und Literatur
  • Protokoll der Schützengesellschaft Weiach, Bd. 1, 1904-1913.
  • Brandenberger, U.: «Übt Aug und Hand für’s Vaterland !». Die ersten Jahre der Schützengesellschaft Weiach, 1904-1913. Weiacher Geschichte(n) Nr. 60. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), November 2004.
  • Brandenberger, U.: Die Stürme der Zeit überstanden. 100 Jahre Schützengesellschaft Weiach – die Jahre 1914 bis heute. Weiacher Geschichte(n) Nr. 61. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), Dezember 2004.
  • Brandenberger, U.: Wer war Albert Meierhofer? WeiachBlog Nr. 426, 14. April 2007.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.
  • Brandenberger, U.: In der Kürze liegt die Würze? Gepfefferter Irrtum auch! WeiachBlog Nr. 2070, 2. April 2024.

Dienstag, 7. Januar 2025

Bezirksratsschreiber sorgt für Streisand-Effekt, Anno 1840

Wer auf seinem hohen Ross sitzen bleibt und einen Fehler partout nicht zugeben will, der sollte sich wenigstens gut überlegen, ob er den Fall auch noch vor Gericht ziehen will. 

Es kann leicht passieren, dass eine missliebige Sache, die sonst kaum jemand zur Kenntnis genommen hätte, schlussendlich öffentlich in den Zeitungen besprochen wird. Ein ähnliches Phänomen wird seit zwanzig Jahren als Streisand-Effekt bezeichnet. 

In diesem Fall aus dem Jahre 1840 in der Unterländer Provinz ging es um gegenseitige Überempfindlichkeit, die schlussendlich und letztinstanzlich zu einer Quelle der Belustigung des Publikums in der Stadt Zürich wurde.

Die Streithähne in dieser Posse: der 1837 als erster von der Gemeinde selbst gewählte Weiacher Pfarrer Johann Heinrich Keller sowie der Bezirksratsschreiber Heinrich Duttweiler auf Schloss Regensberg, ein Oberweninger (vgl. Regierungs-Etat).

Ist der Vorwurf «Unverantwortliche Fahrlässigkeit» ehrabschneidend?

In der Freitagszeitung wurde der Fall wie folgt rapportiert: «Letzten Donnerstag erschien Herr Pfarrer Keller von Weyach vor Obergericht. Derselbe hatte nemlich, um den Vorwurf wegen verspäteter Stellung der Armengutsrechnung von 1838 von sich abzuwenden, in dem Berichte für 1839 sich darauf berufen, daß die Rechnung von 1837 nach der Abnahme noch sehr lange in der Bezirksrathskanzlei liegen geblieben sei, und hatte hiebei den Ausdruck „unverantwortliche Fahrläßigkeit" gebraucht. Hr. Bezirksrathschreiber Duttweiler erhob wegen dieses Ausdrucks Klage über Verletzung der Amtsehre; das Bezirksgericht Regensberg fand sie begründet, und verurtheilte den Hrn. Pfarrer Keller zu Strafe; das Obergericht dagegen sprach den Hrn. Kellee [sic!] einmüthig frei, zumal sich aus der Untersuchung zeigte, daß es von der Abnahme der Rechnung an sehr lange gedauert hatte, bis dieselbe nach Weyach kam, und der Ausdruck in einer Beschwerdeschrift an die vorgesetzte Behörde gebraucht war.»

Autsch. Diese Blamage vor der letzten Instanz des Zürcher Staates (damals gab es den Bundesstaat und damit das Bundesgericht noch nicht) war für den Bezirksrat Regensberg wohl ziemlich schmerzhaft. 

Auch das Bezirksgericht dürfte nicht gerade erfreut gewesen sein. Ob sein Mitglied Richter Johannes Baumgartner, eine in der Weiacher Dorfpolitik höchst gewichtige Person, in dieser Angelegenheit in den Ausstand getreten ist, wissen wir bislang nicht. 

Dem Ansehen des Pfarrers in der Gemeinde (und insbesondere beim Stillstand, d.h. der Kirchen- und Armenpflege) war diese Streitsache jedenfalls eher abträglich. Näheres dazu kann dem Stillstandsprotokoll (ERKGA Weiach IV.B.6.2) entnommen werden.

Quellen
  • Regierungs-Etat des Kantons Zürich für das Jahr 1840, S. 153.
  • Züricher Freitagszeitung, Nummer 50, 11. Dezember 1840, S. 3.

Sonntag, 5. Januar 2025

«Respektlose Vollidioten!» – Silvester-Böllern auf der Pferdeweide

Am Abend des Neujahrstages stachen einem gleich zwei Mitteilungen auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn ...» ins Auge. Thema: Grosser Ärger über rücksichtslose Freunde der Silvesterknallerei.

So nahe an Kriegszuständen wie in Berlin (mit Kugelbomben, entglasten Häusern, Toten und Verletzten) war es bei uns glücklicherweise nicht. Aber an hirnlosen Idioten ist offensichtlich auch in Weych kein Mangel.

Auf der Pferdeweide am hinteren Teil der Seerenstrasse steckten und lagen am Morgen danach kreuz und quer die Hinterlassenschaften der Feuerwerkskörper. Klassisches Littering, das die Betreiber der dortigen Stallungen selber zusammenlesen durften. Hier das bedenkliche Resultat der Aufräumaktion:

Bildquelle (Mit freundl. Genehmigung der Verfasserin)

Tierhalter haben die Nase gestrichen voll

Der Kommentar zu den Bildern: «Happy new year!!!! Absoluti Saueri und e Frechheit uf PRIVATGRUND ztrampe und uf de ROSSWEID de mischt ablah. So öpis astand und respäcktloses isch unglaublich. Und mir hend euche Mischt chönne zämerume das sich eusi Ross ned verletzed und vergiftet.»

Ein weiterer Beitrag stösst ins selbe Horn. Die Reaktionen zu beiden Beiträgen sind an Deutlichkeit und Empörungsintensität kaum zu überbieten. Erwähnung finden nicht nur die Angstzustände von Haus- und Nutztieren ob der Knallerei (schon im Vorfeld auf der Gruppe thematisiert). Auch die Gefahr, dass sich eine dieser Raketen in eine Pferdebox verirren und dort zu einem Brand führen könnte, wurde explizit aufs Tapet gebracht. 

Fazit einer Mitdiskutierenden: «ich dänke es wird Zeit dass mir Unterschrifte Sammler und de Gmeind vorlegen das chans eifach nöd si … und ja chönd au de Stall abfackle…»

Die Frage ist nun, wie man das am besten bewerkstelligt, damit die Unterschriftenaktion auch das Gewünschte bewirkt.

Auf die Eidgenössische Volksinitiative hoffen?

Die im Spätherbst 2023 bei der Bundeskanzlei eingereichte Feuerwerksinitiative verlangt ein schweizweites Verbot der Knalleffekte. Die Bundesverfassung soll um einen Artikel 74a ergänzt werden, dessen Absatz 1 lautet: «Der Verkauf und die Verwendung von Feuerwerkskörpern, die Lärm erzeugen, sind verboten.»

Der Bundesrat hat am 24. Januar 2024 beschlossen, sie ohne jeden Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Begründung: «Die Kantone und Gemeinden verfügen bereits über die erforderlichen Rechtsgrundlagen, um Feuerwerke einzuschränken. Davon machen heute viele Städte und Gemeinden Gebrauch; sie schränken die Verwendung von Feuerwerkskörpern zeitlich und/oder örtlich ein oder setzen eine Bewilligung voraus.»  Diese Rechtsgrundlage findet sich im Polizeirecht.

Das Recht liegt direkt in unserer Hand!

Das Wort «Policey» war schon zu Zeiten der Landvögte vor über 200 Jahren in Gebrauch, wenn es um die Gefahrenabwehr und das ordentliche Zusammenleben ging. Gute Policey nannte man es, wenn die Vorschriften so formuliert und kontrolliert wurden, dass sie auch greifen konnten.

Im Kanton Zürich ist daher auch heute noch ein guter Teil der Gefahrenabwehr bis auf Gemeindeebene delegiert. Bei uns in die Polizeiverordnung der Politischen Gemeinde Weiach vom 16. Juni 2011. Dieser Erlass äussert sich sowohl zum eigentlichen Feuerwerk wie zum Liegenlassen von Raketenresten:

Art. 22 PolVo-Weiach    Feuerwerk

[Abs. 1] Das Abbrennen von Feuerwerk mit Explosivwirkung ist nur am Tag der örtlichen Bundesfeier, am 1. August und beim Jahreswechsel (31. Dezember / 1. Januar) gestattet. Personen, Tiere oder Sachen dürfen dabei nicht gefährdet werden. Für besondere Veranstaltungen kann der Gemeinderat Ausnahmen bewilligen. 

[Abs. 2] Lagerung und Verkauf von Feuerwerk bedarf einer Bewilligung der kommunalen Feuerpolizei. Die gesetzlichen Bestimmungen müssen an den Verkaufsstellen angeschlagen werden.

[Abs. 3] Feuerwerk darf nicht an Kinder unter 15 Jahren verkauft oder abgegeben werden. Kinder unter 15 Jahren dürfen Feuerwerk nur unter Aufsicht von Erwachsenen abbrennen. Die Haftung von Eltern bleibt in jedem Fall vorbehalten.

[Abs. 4] In besonderen Fällen (Trockenheit usw.) kann der Gemeinderat für das gesamte Gemeindegebiet das Feuermachen und das Abbrennen von Feuerwerk verbieten.

Art. 30 PolVo-Weiach   [Littering]

[Abs. 1 Satz 1 u. 2] «Unfug an öffentlichen Sachen oder privatem Eigentum ist verboten. Insbesondere ist es untersagt, öffentliche Sachen oder privates Eigentum zu verunreinigen oder zu verändern.»

[Abs. 2] «Kleinabfälle [...] dürfen ausserhalb der dafür bestimmten Abfallbehälter weder zurückgelassen, weggeworfen noch abgelagert werden.»

Carte blanche am 1. August, 31. Dezember und 1. Januar

Fazit aus Art. 22 Abs. 1: Lärmiges Feuerwerk ist zwar heute schon nur an maximal vier Tagen im Jahr erlaubt (Sonderbewilligungen durch den Gemeinderat vorbehalten). Die Formulierung ist jedoch so gehalten, dass man bereits am 31. Dezember um 00:01 und bis am 1. Januar kurz vor Mitternacht böllern dürfte, ohne dass der Wortlaut dieser Bestimmung verletzt wäre. Und von einer örtlichen Einschränkung oder verbotenen Zonen (z.B. in der Nähe von Tierstallungen) ist im Verordnungstext auch keine Rede.

Zu überlegen ist also, was Sinn macht. Eine örtliche und/oder zeitlich explizitere Einschränkung der Knallerei? Oder gleich ein Totalverbot, wie es die Volksinitiative auf Bundesebene verlangt?

Wie Daniel Gerny in der NZZ vom 3.1. 2025 schreibt, gibt es Gemeinden, die für sich bereits ein Verbot von lärmendem Feuerwerk beschlossen und 2024 in ihre Rechtssammlung aufgenommen haben: namentlich Allschwil BL, Arosa GR und Hombrechtikon ZH.

Nur noch Wunderkerzen, Vulkane und bengalische Hölzer

Der Hombrechtiker Gemeinderat informiert dazu wie folgt: «An der Gemeindeversammlung vom 25. September 2024 wurde die Einzelinitiative «Verbot von lärmendem Feuerwerk» angenommen. Dieses Verbot trat per 1. November 2024 in Hombrechtikon in Kraft. Ausgenommen vom Verbot ist nicht lärmendes Feuerwerk (Wunderkerzen, Vulkane, bengalisches Feuer etc.).»

Was diese Einzelinitiative konkret verlangt und wie der Gemeinderat darauf reagiert hat, kann in vollem Wortlaut dem Gemeinderatsprotokoll-Auszug entnommen werden, hier ein Ausschnitt:


Was die Hombrechtiker zustande gebracht haben, das können die Weiacher auch, wenn sie es denn wollen. Bei uns ist das Feuerwerk zwar in Art. 22 geregelt, aber ansonsten sind die Vorgaben des Kantons und die Bestimmungen in der Gemeindeordnung (GO) dieselben wie in der obersten Goldküstengemeinde.

Unsere Gemeindeversammlung ist eine kleine Hürde

Art. 13 Ziff. 3 GO Weiach 2022 sieht vor, dass die Gemeindeversammlung über Änderungen der Polizeiverordnung befinden darf. Wenn also Weiacher Stimmberechtigte – wie vor knapp einem Jahr Heidi Alder und Mitunterzeichnende in Hombrechtikon – an der Stadlerstrasse 7 eine Einzelinitiative einreichen, dann muss der Gemeinderat innert 3 Monaten über das Begehren entscheiden und es anschliessend der Gemeindeversammlung vorlegen.

Auf diese Weise kann auch Weiach ganz unabhängig von Abstimmungstermin und einer allfälligen Annahme der nationalen Feuerwerksinitiative handeln. Und völlig im Einklang mit den Vorstellungen des Bundesrates zur Autonomie von Kantonen und Gemeinden in dieser Rechtsmaterie die Feuerwerksknallerei bereits per Silvester 2025 abstellen. Vorausgesetzt, die Gemeindeversammlung stimmt dem wie in Hombrechtikon zu.

Art. 22 Abs. 1 PolVo-Weiach (neu) ?

Das Abbrennen von Feuerwerk mit Explosivwirkung ist verboten. Für besondere Veranstaltungen kann der Gemeinderat Ausnahmen bewilligen.

Die Hürde für das Inkrafttreten dieser Bestimmung ist in Weiach angesichts der in aller Regel doch recht bescheidenen Beteiligung nicht allzu hoch. Man muss nur rund 30 bis 40 Stimmberechtigte davon überzeugen, an dieser Versammlung teilzunehmen und im richtigen Moment die Hand zu heben.

Quellen und Literatur

Dienstag, 31. Dezember 2024

An Silvester 1824 brannten zwei Haushalte lichterloh

Vor 200 Jahren genehmigte sich der Zürcher Kleine Rath (heute wäre das der Regierungsrat des Kantons Zürich) einen verlängerten Neujahrsurlaub. Die Herren Räte trafen sich erst am 6. Januar zur ersten Sitzung des neuen Jahres.

Ihr allererstes Geschäft war dann gleich ein recht unerfreuliches aus der Nordwestecke des Staatsgebiets. Ein auf den 1. Januar datiertes Schreiben des Oberamtmanns auf Schloss Regensberg (heute wäre das der Bezirksstatthalter), das über einen Grossbrand an Silvester 1824 berichtet:

«Das Lbl. Oberamt Regensperg erstattet der hohen Regierung sub dato 1sten hujus den Bericht, daß Tags vorher die mit No. 17. und 18. bezeichneten, zusammen für fl 1500. aßecurirten Wohnungen der Jacob Baumgartnerschen und Heinrich Bersingerischen Haushaltung zu Weyach gänzlich abgebrannt seyen. Dieser Bericht wird, in Gewärtigung des hierüber abzufaßenden Gutachtens der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, einstweilen ad acta gelegt.»

Ein versicherter Schaden von 1500 Gulden also. Von der (wohl nicht versicherten) ebenfalls verbrannten Fahrhabe und persönlichen Effekten der nun ohne Häuser dastehenden Familien ist hier keine Rede. Die Regierung nahm die Angelegenheit erst einmal lediglich zur Kenntnis und liess die löbliche (das bedeutet Lbl. nämlich) Gebäudeversicherungskommission ihres Amtes walten.

Gutachten der Brandassekuranz innert 10 Tagen erstellt

Und diese Kommission hat sich wohl schon kurz nach dem Eintreffen des Schreibens aus Regensberg vor Ort begeben, hat die Akten durchgesehen und sich ein eigenes Bild verschafft. 

Bereits am 11. Januar behandelte die Regierung die traurige Angelegenheit erneut, denn am Vortag hatte die Kommission ihren Antrag formuliert und das am 6. Januar offiziell bestellte Gutachten eingereicht. 

Diesmal geht das Protokoll tiefer und erwähnt (wohl basierend auf dem Bericht) die Versicherungssummen der beiden Gebäude:

«Mit einer Weisung d. d. 10ten hujus hinterbrachte die Lbl. Brandaßecuranz-Commißion der hohen Behörde des Kleinen Rathes ihren gutächtlichen Bericht und Antrag, betreffend das am 31sten passati zu Weyach Statt gehabte Brandunglück, durch welches die zwey Behausungen, No. 17. für fl 1000. aßecurirt, den Erben des Heinrich Bersinger, und No. 18. für fl 500. eingeschrieben, dem Jacob Baumgartner zugehörig, gänzlich eingeäschert wurden.»

Die Abkürzung «d.d.» steht für lateinisch «de dato»: «vom Datum» oder «datiert vom»; «hujus» (abgekürzt für «huius mensis») bedeutet «dieses Monats», also desselben, auf den der vorliegende Eintrag datiert ist. Diese Formulierung war insbesondere in der Verwaltungssprache und in juristischen Texten bis ins 19. Jahrhundert verbreitet. «Passati» steht entsprechend für den vorangehenden Monat, also hier den Dezember.

Wieder einmal vernachlässigte Feuerstellen!

Die Ermittlungen der Kommission zur Brandursache ergaben laut dem Regierungsratsprotokoll vom 11. Januar 1825 ein durchzogenes Bild:

«Da die Ursache des Brandes, dieser in ihrer Feuereinrichtung sehr übel bestellt gewesenen Gebäude, nicht ausgemittelt ist, die erstbenannte Haushaltung aber, welche ein ungetheilt gutes Zeugniß genießt, alles Verdachtes entschlagen ist, und gegen die zweyte, die sich zwar auch schon die Ahndung für Fahrläßigkeit mit dem Feuer zugezogen hat, keinerley Indicien vorhanden sind, auch beyde Parteyen alle ihre Fahrnuß verloren haben und sehr dürftig sind, so haben UHHerren und Obern erkennt, denselben den ganzen Ersatz der obbemeldten Aßecuranz-Summe, nebst der gewohnten Obrigkeitlichen Steuer an Frucht und Geld verabfolgen zu laßen.

Hievon wird der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, der Lbl. Finanz-Commißion, und dem Lbl. Oberamte Regensperg Kenntniß gegeben.
»

UHHerren (Unsere Hohen Herren) zeigten sich angesichts des Umstandes, dass im Gutachten keine Brandursache direkt angesprochen werden konnte (ausser dem generell schlechten Zustand der Feuerstellen) sowie aufgrund der Armut der beiden vom Brand betroffenen Weyacher Haushalte also gnädig. Und das, obwohl die Familie von Jacob Baumgartner punkto Feuersicherheit bereits mindestens einen Tolggen im Reinheft hatte!

Es wurde also erkannt (d.h. beschlossen), die volle Versicherungssumme zur Auszahlung bringen zu lassen und den Betroffenen auch die üblichen Leistungen des Staates zugesprochen.

In welchem Dorfteil standen Nr. 17 und 18?

Aufgrund des Umstandes, dass die Nummerierung nach dem ältesten System bei der Mühle im Oberdorf begonnen wurde, kann man direkt ableiten, dass es sich um Häuser am Fuss der Fasnachtflue gehandelt hat. Und das ist auch so, wie man dem im Gemeindearchiv liegenden Lagerbuch der Brandassekuranz (PGA Weiach IV.B.06.01) entnehmen kann:



Aus diesen beiden im Jahre 1834 mutmasslich aus einem älteren Lagerbuch kopierten Einträgen ersieht man, dass die Nr. 18 (versichert für 500 Gulden) nicht wiederaufgebaut wurde. Wohl aber die Nr. 17 (ursprünglich assekuriert für 1000 Gulden). 1834 gehörte das neu erstellte Gebäude Hans Ulrich Bersinger (wohl einer der Erben des Heinrich Bersinger sel.) und war für 1550 Gulden versichert.

Diese Assekuranzsumme entspricht fast exakt der 1825 ausbezahlten Entschädigung. Aufgrund dieser Angaben könnte man nun annehmen, dass das neue Gebäude im Verhältnis 2:1 unter den beiden brandgeschädigten Familien aufgeteilt wurde, schliesslich waren ja beide Parteien mittellos. Fragt sich nur, weshalb dann das Eigentum nun zu 100 % bei Hs. Ulrich Bersinger lag. Waren die Baumgartner ausgewandert? Und woher wäre dann das Geld gekommen, mit dem sie ausbezahlt wurden?

Abgebrannt war ein Strohdachhaus

Nicht allzu viel weiter kommt man mit dem 1812 erstellten Lagerbuch, das mittlerweile im Staatsarchiv (allerdings nur noch in Form der Negative der Mikroverfilmung) einsehbar ist (Original: StAZH RR I 575.1):

Die beiden versicherten Objekte sind auf ein und derselben Seite des Lagerbuchs eingetragen und die Versicherungssummen beider Parteien werden zusammengezählt, sodass man annehmen muss, sie seien zusammengebaut gewesen. Zudem ist bei beiden Parteien ein Strohdach eingetragen. Brannte eins der beiden Objekte ab, dann war es unvermeidlich auch um das andere geschehen. 

Bereits der Eintrag für den Neubau nach dem Brandunglück, datiert auf das Jahr 1825, weist als Eigentümer einzig den oben erwähnten Hs. Ulrich Bersinger aus! Der Neubau hatte ein Ziegeldach erhalten und als Versicherungssumme wurde offenbar der bisherige Gesamtbetrag für beide Objekte (1500 Gulden) übernommen. Und: Der Zuname dieses Zweiges der Bersinger war Weibelrudis (wenn ich das ab der leider ziemlich verschwommenen Aufnahme richtig entziffert habe).

Von der zweiten brandgeschädigten Partei findet man aber in den Eigentümereinträgen keine Spur mehr. Dieses Rätsel harrt also noch der Auflösung.

Nummer 17 (1809) ist jetzt Oberdorfstrasse 13 (1992)

Aus der Gebäudenummernkonkordanz geht hervor, dass die wiederaufgebaute Liegenschaft Nr. 17 im Jahre 1895 die Nummer 33 und im Jahr 1955 die Assekuranznummer 265 zugeteilt erhalten hat und heute immer noch steht. 

Es handelt sich um das einzige Gebäude, das zurückversetzt von der Oberdorfstrasse gelegen ist (hinter der Nr. 11) und nach den offiziellen Richtlinien eigentlich die Adresse Rebweg 1 tragen müsste.

Laut Gebäudeversicherung ist das Baujahr (technisches Gebäudealter) 1826. Auf welche Angaben sich diese Verschiebung um ein Jahr bezieht (Fertigstellungsjahr?), ist derzeit noch offen. 


Als Eigentümer der Parzelle 293 firmierten noch im Oktober letzten Jahres Roger und Nadja Kappeler. Aktuell sind es Daniel und Kathrin Rimensberger.

Quellen 
  • Das Lbl. Oberamt Regensperg berichtet, daß in Weyach 2. Wohnungen abgebrannt. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 6. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0001
  • Aßecuranzvergütung des Brandunglückes zu Weyach an die Haushaltungen Bersinger und Baumgartner. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 11. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0028.
  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01.
  • Brandenberger, U. (Bearb.): Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach 1809-1895-1955-1992, nachgeführt bis 31.12.2024; in Verbindung mit der Gebäudealterkarte sowie der Eigentümerauskunft des Geoportals des Kantons Zürich (maps.zh.ch).

Samstag, 28. Dezember 2024

Elsässischer Wehrmachtsoldat desertiert in die Schweiz

Die Grenzfüsilierkompanie V/269, bei welcher der Weiacher Lehrer und Ortschronist Walter Zollinger als Wachtmeister seinen Aktivdienst geleistet hat, war um den Jahreswechsel 1944/45 nicht mehr im angestammten Kaiserstuhl, sondern am Kraftwerk Rheinsfelden und bei Eglisau stationiert.

Am 27. Dezember musste die Kompanie in Stadel mobilisieren. Der langjährige Bataillonskommandant Grossmann verabschiedete sich an diesem Tag von der Kompanie und übergab sein Kommando an den Generalstabshauptmann Pfenninger. 

Kaum eingerückt, schon Ernstfall

Am nächsten Tag war die V. Kompanie dann bereits im Grenzschutzeinsatz. Unter dem 28. Dezember 1944 – also heute vor 80 Jahren – schrieb ihr Kompaniekommandant folgenden Tagebucheintrag:


Bestand: 3 Of, 101 Uof + Soldaten, 6 HD  [HD = Hilfsdienst]

Wetter: kalt, sehr schön.

Arbeit nach Tagesbefehl. Die Arbeit an den Waffen hat gezeigt, dass die Mannschaft solche bis auf wenige Ausnahmen noch gut beherrscht.  [Anmerkung: Hoffentlich auch, sie wurde ja erst am 12. Oktober desselben Jahres aus einem Ablösungsdienst entlassen und nun folgte schon der nächste.]

Hr. Hptm. Pfenninger besucht die Kp. [gehört sich so für einen neuen Bataillonskommandanten]

Die Kp. V/269 nimmt Verbindung auf mit der Flabgruppe 108. [Das war also das für den Raum Eglisau/Hüntwangen zuständige Flab-Detachement. In Weiach stand zur selben Zeit die Schwestereinheit mit der Nr. 104, vgl. WeiachBlog vom 26. Dezember]

Brückenköpfe wurden streng bewacht

1515 meldet sich auf der Wache ein deutscher Wehrmachtsangehöriger. [Elsässer]. Er wird verpflegt und in Verwahr genommen. Übergabe an die Kantonspolizei.

Die zu diesem Satz gehörende Randbemerkung «Viadukt Nord» ist besonders wertvoll. Sie zeigt nämlich an, wo genau sich dieser Wehrmachtssoldat gestellt hat. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am nördlichen Ende der Eisenbahnbrücke über den Rhein, die Teil der 1895-97 erstellten Linie Eglisau-Neuhausen ist. Also in unmittelbarer Nähe der Station Hüntwangen-Wil und der Wagendecken- und Wachstuch-Fabrik Stamm & Co (mehrheitlich auf Eglisauer Boden).


Ein Malgré-nous setzt sich ab

Dieser letzte Eintrag zum 28.12. steht für eine Tragödie der besonderen Art. Hier ist nicht ein Deutscher desertiert, sondern ein Soldat in deutscher Uniform, der sich mutmasslich von Hohentengen her durch den Wald über die Grenze ins Rafzerfeld geschlagen hat. 

Dieser Elsässer war ein Malgré-nous. Das ist die Bezeichnung für rund 130'000 zwangsweise in die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogene deutschsprachige Franzosen aus Elsass-Lothringen, die sich nach dem Krieg dem Verdacht ausgesetzt sahen, mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht zu haben. Es gab aber nur wenige Freiwillige. Die überwiegende Mehrheit sahen sich als Soldat wider Willen, malgré-nous eben.

Gegen die Haager Landkriegsordnung

Das Gebiet Elsass-Lothringen war zwar im Mai 1940 von den Deutschen besetzt, jedoch nicht per Annexion ins Deutsche Reich integriert worden. Dagegen sprach der Umstand, dass der deutsche Aussenminister von Ribbentrop noch 1938 eine Vereinbarung mit den Franzosen getroffen hatte, wonach Deutschland keine territorialen Ansprüche an Frankreich habe (also insbesondere nicht das von 1871 bis 1918 zum Reich gehörende Reichsland Elsaß-Lothringen).

Aus diesem Grund war auch die Rekrutierung rechtlich unzulässig. Dies kann man aus der Internationalen Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (sog. Haager Landkriegsordnung) vom 29. Juli 1899, ableiten: 

Art. 44: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen.

Art. 45: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten.

Und deutsche Soldaten wurden ja bekanntlich auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Für elsässische Zwangsrekrutierte also auf den Führer der Besatzungsmacht.

Umkämpftes Elsass

Am 23. November hatte die 1. Französische Armee Strassburg erreicht, am 25. November Mülhausen (Mulhouse; vgl. die Karten zum Artikel Kämpfe um Elsass und Lothringen (1944). Diese Vorstösse dürfte der Deserteur mitbekommen haben. 

Man kann ihm nicht verdenken, dass er nicht gegen die Franzosen (und damit gegen Elsässer, die auf der anderen Seite mitkämpften) in den Einsatz geschickt werden wollte. Das machte seinen Entscheid leichter, das Risiko auf sich zu nehmen, als Deserteur gefangengenommen und erschossen zu werden.

Den Deutschen gelang es zwar zwischen dem 31. Dezember 1944 und 25. Januar 1945 (sozusagen als Nebenkriegsschauplatz der Ardennenoffensive) noch einmal, rund 40 % des Elsass einzunehmen. Von langer Dauer waren diese Geländegewinne allerdings nicht.

Quelle und Literatur
  • Tagebuch Gz Füs Kp V/269. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*.
  • Tagebuch Flab Bttr 108, 1942-1945. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3119*.
  • Neukom, Th.: Eisenbahnviadukt (Eglisau, 1897). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 88-89.
  • Kunz Bolt, Ch.: NOK-Kraftwerk Rheinsfelden-Eglisau (Glattfelden 1915/20). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 116-117.

Donnerstag, 26. Dezember 2024

Irrtümlich auf eine eigene C-36 geschossen

In den Zeiten des Kalten Kriegs war man als männlicher Jugendlicher gut beraten, sich auf die Rekrutierung vorzubereiten. Nicht nur mit physischem Training. Auch geistig. Dafür gab es etliche vom EMD geförderte Abendkursangebote. 

Kleine Auswahl gefällig? Der Erste-Hilfe-Kurs des Militärsanitätsvereins (besser als jede heutige Nothelferkurs-Schnellbleiche), Morsekurse für Funkbegeisterte und Flugzeugerkennungskurse, wo man anhand von Modellen, Silhouetten und Filmaufnahmen lernte. Der Absolvent solcher Kurse konnte sich sein Spezialwissen in einem rosafarbenen Büchlein bescheinigen lassen. Das konnte helfen, den Aushebungsoffizier davon abzuhalten, einen als Füsilier einzuteilen.

Fensterplatz beim Flugzeugerkennungsunterricht?

Dass solche Theorie sehr praktischen Nutzen haben kann, das belegt der Nachmittag des zweiten Weihnachtstages 1944, heute vor 80 Jahren. Damals donnerten auf Leebern nördlich des Dorfes Weiach und nahe dem Rhein nämlich die Geschütze der Schweizer Fliegerabwehr, wie man dem Tagebuch des Kommandanten der Flab-Batterie 104, Hauptmann Kissling, entnehmen kann:


Unter dem rationalen Telegrammstil der Pflichtberichtspunkte findet sich unter 8. Besondere Vorkommnisse die Prosa einer mehr als peinlichen Schussabgabe:

«Die Bttr. eröffnet um 1530 auf als fremdes Flz. angesprochene C 36 irrtümlicherweise das Feuer, glücklicherweise ohne Erfolg. Bestrafung der "Schuldigen" durch Abt. Kdt.»

Wie hoch die Strafe ausgefallen ist, das schreibt Hptm Kissling hier leider nicht. Bislang war es dem Verfasser dieses Artikels auch nicht möglich, in die Tagebücher der vorgesetzten Stellen (Flab Rgt 22 oder 23?) Einsicht zu nehmen.

Was ist eine C-36?

Der Mehrzahl der geneigten heutigen Leserschaft ist der Begriff C-36 und das Aussehen dieses Flugzeugs wohl ein böhmisches Dorf.

Den damaligen Angehörigen des in Weiach stationierten Flab-Detachements hätte das aber nicht passieren dürfen.

Ironie der Geschichte: Noch am Vortag, dem 25. Dezember 1944, hatte Leutnant Kummer als Stellvertreter des Kommandanten auf ebendiesen Stephanstag für das Alarm-Det. von 16:30 bis 17:30 eine Lektion «Flz.-Erkennungsdienst» anberaumt. Das geht aus dem von ihm unterzeichneten Tagesbefehl hervor. Als Einsatzbesprechung war diese Sequenz wohl nicht gedacht. Trotzdem sozusagen perfektes Timing.

Die C-36 war ein ureigenes Schweizer Gewächs. Gebaut von der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte (K+W), 1942 in Dienst gestellt und nach dem Krieg noch lange als Zielschleppflugzeug verwendet. Da durfte man dann drauf schiessen. Aber nur auf das Ziel im Schlepptau!

Quellen und Literatur

  • Tagebuch Flab.-Det. 104, Bd. 6, 8.5.1944 bis 13.2.1945 (Elektronische Version: Dok 8, S. 24; bzw. Dok 9, S. 86 für den Tagesbefehl). Schweizerisches Bundesarchiv. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3115*.
  • Bild C-36 von ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05035-197 / Public Domain Mark - http://doi.org/10.3932/ethz-a-000031934.
  • Brandenberger, U.: Fliegerabwehrgeschütze standen monatelang auf der Leebern. WeiachBlog Nr. 1839, 2. Juli 2022.

Dienstag, 24. Dezember 2024

Maikäferbekämpfungsbeiträge an Heiligabend gesprochen

Am heutigen Datum vor 100 Jahren war der Zürcher Regierungsrat nicht etwa weihnächtlich gestimmt. Er widmete sich unter anderem einer geradezu kriegerischen Angelegenheit: der Maikäferbekämpfung. In ihrem Antrag an die Regierung schrieb die zuständige Volkswirtschaftsdirektion: 

«Das Jahr 1924 war ein sogenanntes «Bernerflugjahr»; ein massenhaftes Erscheinen der Käfer im größten Teile des Kantons war erfahrungsgemäß mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten. Nach der von der Volkswirtschaftsdirektion vorgenommenen Zusammenstellung der gemeinderätlichen Berichte wurden denn auch in 144 Gemeinden mit einem sammelpflichtigen Areal von 73,024 ha im ganzen 1,112,549 Liter Maikäfer eingesammelt und vernichtet, trotzdem der Käferflug durch die vorwiegend kühle und regnerische Witterung der letzten Aprilwoche und der ersten Dekade des Monates Mai ziemlich beeinträchtigt war.»

Es galt Ablieferungspflicht

Damals waren noch alle Eigentümer, Pächter, etc. von Liegenschaften (unüberbaute Flächen und Laubwald) verpflichtet, nach Aufforderung durch Beauftragte des örtlich zuständigen Gemeinderats bestimmte Mengen an Käfern pro Flächeneinheit abzuliefern, um die Schäden einzudämmen, die diese gefrässigen Insekten sonst verursacht hätten:

«§ 3. Das Minimum der abzuliefernden Käfer beträgt für jeden Inhaber eines Grundstückes bis auf 10 Aren Flächeninhalt 2 Liter, für je weitere 10 Aren Grundbesitz 1/2 Liter. Die Gemeindräte sind befugt, bei starkem Auftreten der Käfer dieses Pflichtmass bis auf das Vierfache zu erhöhen.»

Diese Bestimmung findet man in der Verordnung betreffend die Einsammlung und Vertilgung der Maikäfer und Engerlinge vom 4. April 1901 (vgl. StAZH OS 26 (S. 283-286)). Dieser Erlass hatte etliche Vorgänger. Der älteste wurde noch zu Zeiten erlassen, als die Schweiz nach napoleonischer Pfeife tanzen musste: die Polizeyverordnung vom 5ten Merz 1807, betreffend die Ausrottung der Laub- oder Mayen-Käfer (vgl. StAZH OS AF 3 (S. 286-292)).

Aber auch schon die Gnädigen Herren zur Zeit des Ancien Régime sahen die Jagd auf diese Krabbeltiere als auf ihrem Staatsgebiet zu befördernde Aufgabe an. Das zeigt sich in der Mandatesammlung des Staatsarchivs des Kantons Zürich: Erinnerung für die Landschaft betreffend Bekämpfung der Laubkäfer oder Meienkäfer, 1771 (vgl. StAZH III AAb 1.13, Nr. 84).

Finanzieller Anreiz für freiwillige Mehrmengen

Die Verordnung von 1901 sah explizit monetäre Förderung vor: «§ 6. Auch die nichtpflichtigen Gemeindeeinwohner sind zur Einsammlung und Ablieferung von Maikäfern einzuladen. Für die abgelieferten Käfer erhalten sie aus der Gemeindekasse eine Entschädigung, welche für die erste Flugwoche 20 Rp., für die folgenden Wochen 10 Rp. per Liter betragen soll. Die gleiche Entschädigung erhalten diejenigen Pflichtigen, welche über ihr Pflichtmass hinaus Käfer abliefern.»

Das konnte also für eine Gemeinde ziemlich teuer werden, wenn (wie 1924: Bernerflugjahr) gerade besonders viele Maikäfer auftraten. In diesem Jahr blieben aber die Gemeinden im Bezirk Dielsdorf verglichen mit etlichen Gebieten am Zürichsee verschont.

Damit die Gemeindekassen nicht überstrapaziert würden, sah der Erlass Staatsbeiträge vor und lobte gar Prämien aus:

«§ 10. Für die von den Gemeinden gemäss den §§ 6 und 9 dieser Verordnung bezahlten Entschädigungen ist in erster Linie der Ertrag der allfällig nach § 5 erhobenen Bussen zu verwenden; an den Rest trägt der Kanton zur Hälfte bei; überdies werden vom Staate an Gemeinden, welche in rationeller und intensiver Weise den Maikäfer- und Engerlingfang betrieben oder im Sinne der Verordnung aus Gemeindemitteln dafür namhafte Opfer gebracht haben, angemessene Prämien verabreicht. Die zuständige Direktion des Regierungsrates kann von Gemeinden, welche bei Ermittlung des Staatsbeitrages in Betracht fallen, die nötigen Kontrollen, wie Grundbesitzkataster, Einsammlungslisten und Bussenverzeichnisse, zur Einsicht herbeiziehen.»

Nur ordentliche Staatsbeiträge, keine Prämien

Und um die Festsetzung der Beiträge ging es im Regierungsratszimmer an diesem Heiligabend vor 100 Jahren. Die Gemeinde Weiach hat 17 Franken und 85 Rappen ausbezahlt erhalten. Unsere direkten Nachbargemeinden Bachs, Glattfelden und Stadel tauchen in dieser Liste des Regierungsrates erst gar nicht auf.

Prämien gab es keine, obwohl beispielsweise die Gemeinde Gossau in den höchsten Tönen gelobt wurde. Erklärt wird das im Regierungsratsbeschluss so:

«Obschon einzelne Gemeinden unter Aufwendung bedeutender Mittel in der Durchführung des Käferfanges anerkennenswerter Weise zum Teil außerordentliche Leistungen zu verzeichnen haben, muß doch von der Ausrichtung von Prämien mit Rücksicht auf die starke Überschreitung des bewilligten Kredites durch die ordentlichen Staatsbeiträge und angesichts der immer noch ungünstigen finanziellen Lage des Staates, welche in den Ausgaben größte Zurückhaltung erfordert, Umgang genommen werden.»

Nichts mit Bescherung für die Gemeindekassen! 

Quelle