Die Alamannen würden Städte meiden, als ob sie mit Netzen umspannte Gräber seien, schrieb Ammianus Marcellinus in einem Bericht über das Jahr 356 (vgl. WeiachBlog Nr. 1818).
Autoren wie Ammian schreiben für ihre Leserschaft und bedienen deren Erwartungen. Das war in der Antike nicht anders als heutzutage. Wer die Leser (oder Zuhörer) waren, ist auch klar: Sicher keine eingefleischten Germanen, sondern gebildete römische Bürger aus der Oberschicht.
Für diese Eliten stand ausser Frage, dass ihre eigene Zivilisation die einzig wahre sei. Und dass das Imperium Romanum die Zivilisation den Barbaren nahezubringen habe (wenn nötig mit brachialer Gewalt), gehörte in diesen Kreisen ebenfalls zum Kanon der unhinterfragbaren Glaubenssätze.
Zementiert wurden Herrschaftsformen und Raubzüge des Imperiums durch superreiche Führungseliten aus Oligarchen, die primär nach Gewinnaussichten entschieden und die Geschicke des Römischen Reichs wie eine Investmentfirma aus dem Hintergrund steuerten.
Nur vorsichtige Kritik ist erlaubt
Natürlich mag es den einen oder anderen gegeben haben, der an diesen Zuständen Kritik geübt hat. Leute also, die diese grosse Erzählung als das entlarvt haben, was sie im Kern ist, nämlich Propaganda zur Bemäntelung imperialer Herrschaftspraxis.
Die Texte dieser Autoren sind uns nicht überliefert. Angesichts des Umfelds, in dem sie sich im römischen Machtbereich hätten durchsetzen müssen, ist das kein Wunder. Denn die römische Kaiserzeit war keine von wirklicher Meinungsfreiheit geprägte Periode. Da musste man seine Kritik gut verpacken, wollte man nicht ins Visier von Denunzianten geraten und danach bei den Herrschenden in Ungnade fallen, was oft genug mit Vermögenskonfiskation, Verbannung oder gar dem Tod endete. Schliesslich wurde das römische Imperium spätestens seit Octavianus Augustus von machtbewussten Autokraten regiert und war zumindest zeitweise und in Teilen eine Militärdiktatur.
Städte sind der Barbaren Zähmung...
Ammian brachte mit dem Nebensatz über das aus Sicht von Römern bizarre Verhalten der Alamannen seine Leser zum Schmunzeln. «Ach ja», konnten sie sich denken, «so sind sie halt, diese Barbaren – Ein bisschen dumm im Minimum.» Diese Art von Elitendiskurs zieht sich quer durch die Literatur und beginnt spätestens bei Tacitus (58-120), einem römischen Politiker und Geschichtsschreiber:
«Nach Tacitus bezeichneten Gesandte der Tenkterer Stadtmauern als «Bollwerke der Knechtschaft» (Tac. hist. 4, 64).», schreibt Christian Heitz in Fussnote 67 seines Artikel Des Kaisers neue Kinder. Romanitas und Barbarentum am Trajansbogen von Benevent. (Der Bogen in Benevento stammt aus dem Jahre 114. Kaiser Trajan war also ein Zeitgenosse von Tacitus.)
Dann zitiert Heitz die eingangs erwähnte Textstelle von Ammian (Amm. 16,2,12) und erwähnt, dass «nach demselben Grundgedanken die Hunnen sogar schon Häuser ablehnten (Amm. 31, 2, 4). Das grundsätzlich nomadische und auf (Roh-)Fleischverzehr beruhende Wesen der Nordbarbaren ist vielfach überliefert, s. z. B. Cass. Dio 27, 94, 2; Diod. 5, 28, 4 etc. Vgl. auch die von E. Mayer, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 62, 1925, 227f. zusammengetragenen Merkmale, die bei den antiken Autoren für die «Naturvölker» des Nordens charakteristisch sind.»
Die Tenkterer waren so ein Naturvolk, ein germanischer Stamm, der nordöstlich des Rheins nahe der von den Römern eroberten linksrheinischen Gebiete Germaniens ansässig war und in der Spätantike im Reich der Frankenkönige aufging. Hier haben wir einen Hinweis, dass in der frühen Kaiserzeit offenbar auch noch andere Germanenstämme nicht viel von der Ansiedlung in Gemäuern hielten.
Und in dieser Aussage wird auch der Grund deutlich: Städte machten nicht etwa frei – wie man im Mittelalter sagte – sondern das Gegenteil: Sie galten den Germanen im 1. Jahrhundert als Orte der Unfreiheit, der Knechtschaft und Unterwerfung unter das Joch des Imperiums.
... denn Urbanisierung fördert die Einrömerung
Diese Einschätzung von Städten kommt nicht von ungefähr, wie man ebenfalls dem genannten Artikel von Heitz entnehmen kann: «Besonders für Trajan ist ein vitales Interesse an der zunehmenden Urbanisierung (und damit Verwaltbarkeit) des Reiches belegt. Schwerpunkte seiner Urbanisierungsmaßnahmen scheinen vor allem die beiden Germanien [...]» (Heitz, S. 220, Fn-64)
Gemeint sind die Provinzen Germania superior (Obergermanien) am Hoch- und Oberrhein sowie Germania inferior westlich des Niederrheins, wo die Tenkterer seine Nachbarn waren. Was die Germanen da mit scharfem Blick beobachtet haben, ist eine Politik, wie sie im 1. Jh. v. Chr. bereits Julius Cäsar in Gallien verfolgt hat (vgl. Heinz, Mediaevistik, S. 71-72):
«Für die Römer hatten städtische Strukturen, welcher Art auch immer, durchaus Vorteile. Die politische Führung einzelner Stämme oder Volksgruppen – hier sei die von Caesar beschriebenen keltischen oppida der späten Eisenzeit erinnert, die man auch als die frühesten Städte in Mitteleuropa ansieht (z.B. Besançon,...) – konnte in einem städtischen Gemeinwesen in unterworfenen Gebieten besser kontrolliert werden. Somit war der Einfluss Roms in den Städten deutlich größer als auf dem Lande, und der Prozess der Romanisierung verlief dementsprechend intensiver.
Darüber amüsierte sich schon Tacitus [Tacitus, Agricola 21]: Die Menschen, die gerade noch die römische Sprache abgelehnt hätten, wollten nun die Redekunst erlernen; sie trügen die Toga und gäben sich den Lockmitteln der Laster wie Bädern und Gelagen hin; und alles das wäre bei diesen Unerfahrenen noch feiner Umgang (humanitas), wohingegen es doch Teil der Knechtschaft (pars servitutis) sei.»
Überlegene Kultiviertheit oder versteckte Unterwürfigkeit?
Hier verweist Heinz auf das Werk De vita Iulii Agricolae, das Tacitus dem Andenken an seinen Schwiegervater Gnaeus Iulius Agricola gewidmet hat. Dieser stammte aus gallischem Adel (also selber aus einer römischen Provinz) und war 77-84 als Statthalter von Britannien tätig, kannte die Inselprovinz aber auch vorher schon aus eigener Erfahrung. Insbesondere dürfte er den Boudicca-Aufstand des Jahres 60/61 mitbekommen haben, eine heftige Volkserhebung, welche die Römer weitgehend selbst verschuldet hatten (u.a. durch Vergewaltigung der Töchter der Stammeskönigin Boudicca, was selbst nach römischen Vorstellungen ein Kriegsverbrechen war). Von den Aufständischen wurden ganze Städte wie Londinium (London) niedergebrannt und die Bewohner gnadenlos massakriert.
Das war die Ausgangslage. Wie Agricola vorgegangen ist, zeigt Kapitel 21, das Friedrich Reinhard Ricklefs (Oldenburg 1827, S. 158-159) wie folgt übersetzt und kommentiert hat:
«Denn damit die zerstreuten und rohen, und deshalb im Kriege leicht aufgeregten Menschen sich unter Lebensgenuss an Ruhe und Frieden gewöhnten, ermahnte er [Agricola] sie persönlich, unterstützte von Staatswegen, dass sie Tempel, Märkte, Wohnungen bauten [Fn-1], die Thätigen lobend, die Säumenden scheltend. So diente Ehreneifer statt Zwang.
Ferner ließ er die Söhne der Großen in den freyen Künsten [Fn-2] unterrichten, und zog die Geistesfähigkeiten der Britannen den Bestrebungen der Gallier vor, so dass sie, die vor Kurzem der Römischen Sprache sich weigerten [gemeint ist wohl der oben erwähnte Boudicca-Aufstand 60/61 n. Chr.], nach Beredsamkeit begehrten.
Von da an auch Achtung unsrer Tracht [Tunica statt Hosen] und häufig die Toga: und allmälig wich man ab zu den Lockungen der Laster, Hallen, und geschmackvollen Gastmählern: und dieß hieß bey den Unerfahrenen feine Bildung, da es doch ein Theil der Knechtschaft war [Fn-3]
Fn-1: Um den Anbau von Flecken und Städten, und Liebe zum häuslichen Heerde zu erwirken.
Fn-2: In allen den Wissenschaften und Künsten, worin der freygeborne Römer unterrichtet ward.
Fn-3: Indem man auf diese Weise ein Volk allmälig verrömerte, und ihm seine Volksthümlichkeit nahm.»
Die Stammeseliten werden eingeseift
Das Herrschaftsprinzip, das Tacitus hier am Beispiel Britanniens überliefert, ist also ganz einfach. Es beruht auf derselben Art von «soft power», wie sie bspw. das US-Imperium seit Jahrzehnten anwendet. Man verführt die Führungsschicht eines Volkes mit den Annehmlichkeiten der römischen Lebensart, gibt ihnen vielfältige Verdienstmöglichkeiten in der römischen Hierarchie. Auf diese Weise verleugnen diese Leute nach einiger Zeit ganz von allein alle bisher hochgehaltenen Traditionen ihres Volkes. Und das Beispiel dieser Stammes-Eliten färbte natürlich in vielen Fällen auf niedriger Gestellte ab. Das war ja auch Sinn und Zweck der ganzen Übung.
Einige Stämme aber durchschauten diese Strategie und Tacitus lobt ihre Eigenständigkeit in seinem Werk über die Germanen sogar indirekt (mögliche Gründe für diese vorsichtige Haltung sind eingangs dieses Beitrags erläutert). Wo der oben beschriebene und im Süden Britanniens erfolgreiche Ansatz nicht funktioniert hat (aus welchen Gründen im Einzelfall auch immer und sei es durch die Manifestierung einer Art von Volkswillen an Landsgemeinden und dergleichen), da sah man dann Lebensformen, die bewusst abseits der römischen Kulturparadigmata existieren wollten.
So schreibt Tacitus in seinem Werk über die Germanen: «sie bauen ihre dörfer nicht nach unserer sitte, haus an haus gereiht, sondern jeder umgiebt seine wohnung mit einem freien raum, seis um der feuersgefahr vorzubeugen, seis weil sie sich aufs bauen nicht verstehen.» (Tacit. Germ. 16, übersetzt von Albert Schott 1842)
Auch wenn Tacitus mit diesen Ausführungen für seine Leserschaft andeutet, dass ihre Baumeister halt denen der Barbaren überlegen seien (was denn sonst?), so lässt er doch einen Ausweg offen, indem er auch die Interpretationsmöglichkeit von Brandschutzüberlegungen anbietet. Völlig zu Recht, denn intellektuell und von der technischen Begabung her wären die Germanen durchaus in der Lage gewesen, sich von der Holzbaukunst abzuwenden und in die Kunst des Bauens mit Steinen einzuarbeiten und sie zu praktizieren. Im Bereich militärischer Strategie und Taktik hatten sie ja bei direkten Konfrontationen mehrfach bewiesen, dass sie den Römern das Wasser reichen konnten. Mit der Annahme von deren Sitten hätten sie sich jedoch (um mit Ricklefs zu sprechen) freiwillig «verrömern» lassen.
Städte sind bis heute ein Herrschaftsinstrument
Städtegründungen, wie die von Kaiser Trajan im ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. besonders in Germanien forcierten, eignen sich hervorragend zur Kontrolle der Bevölkerung. Je grösser der Anteil einer Gesamtpopulation, der in Städten aus eng aneinander gebauten Steinhäusern römischen Zuschnitts lebt, desto besser. Das Eintreiben der Steuern ist einfacher und Aufstände können eher im Keim erstickt werden. Diesen Herrschaftsansatz der Konzentration der Bevölkerung in kasernenartigen Neusiedlungen hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert übrigens auch der rumänische Autokrat Nicolae Ceaucescu verfolgt. Und im 21. Jahrhundert? Da werden wir mit sogenannten «Smart Cities» beglückt, wo jedes Objekt (also auch jeder Mensch) ein im Internet der Dinge in Echtzeit dauernd überwachtes und prognostierbar gehaltenes Asset ist. Oder sein soll, wenn es nach den Vorstellungen der Eliten geht, die so etwas pushen.
Und was ist jetzt mit der Behauptung im Titel, unbelehrbare Barbaren seien schlimmer als unbeschulte Kinder? Dafür muss man etwas ausholen. Landet aber am Schluss wieder bei der Frage, was denn Zivilisation sei und was sie leisten soll.
Kinder und Barbaren sind irrational und zügellos
Weiter oben in diesem Beitrag ist der Trajansbogen von Benevent erwähnt, ein in Stein gemeisseltes Zeichen für das Selbstverständnis der römischen Herrschaftsphilosophie. Heitz erläutert in seinem Artikel (S. 218-219), was die abgebildeten Figuren bedeuten:
«Warum finden sich aber nun gerade barbarische Kinder in dieser prominenten Position auf dem trajanischen Staatsrelief? Nach römischer Aufassung war der Unterschied zwischen Kind und Erwachsenem in erster Linie qualitativ: Kinder sind irrational, dabei moralisch weder gut noch schlecht, Erwachsene dagegen sind rational und daher moralisch bewertbar. Kindern fehlt das Urteilsvermögen, sie können nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden, und folgen eher der Freude als der Pflicht. Ihnen wird in diesem Zusammenhang auch ein flatterhaftes Wesen bescheinigt; sie sind in ihren Stimmungen exaltiert, dem Augenblick verhaftet und kaum zu Mäßigung, Geduld und Ausdauer fähig. Genau diese Eigenschaften finden sich auch immer wieder in der Charakterisierung von Barbaren. Im Barbarenkontext ist das oft gebrauchte Schlagwort die Libertas im negativen Sinne: Man tut nur das, was einem paßt, und handelt nach Lust und Laune, ohne Gesetzen zu folgen. Im Grunde ist also das Fehlen von Ratio den Barbaren und den Kindern gemeinsam. Kinder aber gelten als natürlich unschuldig, weil ihnen (noch) die Befähigung zur Ratio fehlt; bei Erwachsenen gilt diese Entschuldigung nicht mehr und fehlendes rationales Verhalten wird moralisch verurteilt. Während jedoch im römischen Kontext Ratio durch Erziehung nach den richtigen Werten und Normen gelernt werden kann, haben Barbaren keine Möglichkeit, ihren Kindern die richtigen, römischen Werte zu vermitteln.»
Barbarische Libertas vs. Römische Disciplina
Bei einem erwachsenen Barbaren ist also Hopfen und Malz verloren? Nicht zwingend. Aber das oben Gesagte ist (in römischen Augen) natürlich eine schwere Hypothek. Heitz führt zu dieser abgehobenen Form des Kulturimperialismus weiter aus:
«Das zeigt, daß Barbaren diese römische Schule, in der die ‹richtigen› Werte und Normen vermittelt werden, nicht besitzen und Barbarenkinder insofern per se zu andauernder Barbarenschaft verurteilt sind, denn die barbarische Libertas ist mit der Ratio unvereinbar, die zusammen mit der Disciplina das Kennzeichen des zivilisierten Menschen ist.»
Zivilisiertes Togatragen vs. barbarischer Waffenkult
Weiter oben wird von Tacitus beschrieben, wie die Britannier die Zivilisation in Form der Toga angenommen hätten. Warum ausgerechnet dieses Kleidungsstück? Dazu wieder Heitz:
«Eine typische Gegenüberstellung der Wertesysteme barbarischer Völker und der römischen Kultur findet sich in den Symbolen, die in den unterschiedlichen Gesellschaften den Eintritt ins Erwachsenenalter verdeutlichen: Für Cicero, Plinius und sogar noch für Tertullian zu Beginn des dritten Jahrhunderts war das Anlegen der Toga als Symbol des zivilen Bürgers das, was einen Knaben zum Mann und, nach Marcian, einem Juristen und Zeitgenossen des Tertullian, auch zum Römer macht. Dem steht die Verleihung von Waffen [...] als Mannbarkeitsritus bei den Germanen in Tacitus’ Germania gegenüber.»
Dass sich hier eine Oberschicht kulturell selber beweihräuchert und ihre eigenen Existenzbedingungen elegant ausblendet, ist bemerkenswert. Denn ohne die reale Existenz stehender dauernd kampfbereit gehaltener Heere drohte seit spätestens der Zeit des Octavianus Augustus jederzeit die «dissolutio imperii», also die Auflösung des Imperium Romanum und damit der Geschäftsgrundlage für die römische Art von Zivilsation. Der Führungsschicht im Senat war sehr wohl bewusst, dass die jederzeit in jeden Winkel des Reiches verlegbaren Legionen (mit ständig steigendem Anteil an barbarischen Söldnern!) die eigentliche conditio sine qua non des Imperiums darstellten. Wenn das Geld aus den Steuereinnahmen der Provinzen fehlt, um diese Legionen zu besolden und Heerführer wie Veteranen mit Pensionen ausstatten zu können, dann ist das Spiel aus.
Am römischen Wesen soll die Welt genesen
All das konnte diese von sich selbst Überzeugten nicht davon abhalten, einen Exzeptionalismus zu kultivieren, wie ihn heutzutage die US-Eliten für ihr zeitgenössisches Imperium pflegen:
«Für den Barbaren gibt es diesem Gedanken zufolge keinen eigenen Weg zur Kultur. Rom habe daher den gleichsam gottgegebenen Zivilisierungsauftrag, den Kindern der kulturlosen Völker kulturelle Werte zu vermitteln, eine Vorstellung, die sich schon früh in der römischen Literatur findet. Roms Weltherrschaftsanspruch, verschmolzen mit einem ehrlich empfundenen und zugleich legitimierenden zivilisatorischen ‹Sendungsbewußtsein›, findet sich deutlich artikuliert bei Vergil [im 1. Jh. v. Chr.] und Plinius.
Auf dem Relief des Trajansbogens bekommt der in der Literatur schon lange geläufige Topos vom Barbaren als dem zu zivilisierenden, einem Kind gleichen Unwissenden eine bildliche Ausprägung. Damit ist natürlich zugleich der Anspruch erhoben, daß diese Ex-Barbaren dem Reich nützen und seinen Ruhm mehren werden, sie also nicht nur «materia vincendi» [zu besiegende Materie] sind, sondern als eingegliederte Völker dem Reich dienlich sein sollen.»
Der Trajansbogen von Benevent (von 114 n. Chr.) ist nur eines von vielen solchen Beispielen für kaiserliche Propaganda. Auch auf der 112/113 n. Chr. errichteten Trajansäule in Rom konnte jedermann auf einem sich um die Säule windenden Fries eine schier endlose Zahl von Begebenheiten, Völkern und Objekten sehen, die alle von den Grosstaten des Trajan ab dem Jahre 98 erzählen. Einen Bildausschnitt davon, der einen römischen Wachtturm zeigt, findet man auch in der Monographie über die Weiacher Ortsgeschichte (V 6.48, April 2022; PDF, 2.94 MB; S. 12).
Die kleidgewordene Bankrotterklärung der Eliten
Damit dürfte der Sinn des Titels dieses Beitrags klar sein. Erwachsene Barbaren sollten eigentlich über die Ratio verfügen, wie sie zivilisierten Römern in ihrer Toga zugeschrieben wird. Wenn diese Barbaren sich dann auch noch rundheraus weigern, auch nur anzuerkennen, dass ihre Kulturart an inferiorer Zügellosigkeit leidet (so wie die Alamannen mit ihrer lächerlichen Ablehnung von Städten), dann sind sie moralisch gesehen minderwertig. Sie müssen bekämpft werden. Und sei es in Form des Verbots ihrer Hosen (vgl. WeiachBlog Nr. 1647). So der römische Standpunkt.
Dieses Hosenverbot von 397 ist allerdings bereits die ultimative Form einer kulturellen Bankrotterklärung. Wer das Kleidungsstück der Barbaren verbieten muss, der hat offensichtlich Angst vor dessen Symbolkraft, bzw. den Ideen, Lebensentwürfen und Weltanschauungen, die seine Träger mit sich führen. Eine solche Leitkultur macht sich zum Gespött. Dagegen helfen auch keine Legionen. Schon gar nicht, wenn diese eigentlich nur noch aus Barbaren bestehen.
Quellen
- Ricklefs, F. R.: Des C. Cornelius Tacitus sämmtliche Werke. Vierter Band: Germania [etc.]. Oldenburg 1827 – S. 158-159.
- Schott, A.: Die deutschen Colonien in Piemont. Stuttgart 1842 – S. 121 [Signatur: ETH-BIB Rar 38503]
- Heitz, Ch.: Des Kaisers neue Kinder. Romanitas und Barbarentum am Trajansbogen von Benevent. In: Römische Mitteilungen (RM) Vol. 112 (2005/2006) – S. 207-224.
- Heinz, W.: Von der Antike zum Mittelalter: Grundstrukturen der Geschichte, Siedlungen und Wirtschaft zwischen 300 und 600. In: Mediaevistik, Vol. 20 (2007) – S. 49-139.