Sonntag, 30. Juni 2024

Wie Kilchsperger junior in den Polizei-Anzeiger kam

Nein, der langjährige Weiacher Pfarrer Albert Kilchsperger (1883-1947, vgl. seine Grabplatte in der nordöstlichen Friedhofsmauer) wurde nicht von der Polizei gesucht. Und trotzdem erscheint sein Name 1937 im Schweizerischen Polizei-Anzeiger (SPA). Wie kam es dazu?

Der SPA diente (wie bspw. in WeiachBlog Nr. 2108 schon erklärt) u.a. der offiziellen Ungültigerklärung von vermissten Ausweisschriften, vor allem von Reisepässen. In früheren Zeiten, als noch keine Lichtbilder die Pässe zierten, da waren die Signalemente der einzige Hinweis auf Missbrauch eines Ausweises. 1937 war das schon länger anders. In Schweizer Pässen, die ab 1915 ausgestellt wurden, ist nämlich eine Fotografie des Passinhabers enthalten.

Ein Albert musste es sein

Kilchsperger kam 1908 als Seelsorger nach Weiach und heiratete 1914 Elisa Meierhofer, eine Tochter des hiesigen Posthalters. Im folgenden Jahr, am Weihnachtstag, kam der Stammhalter des Herrn Pfarrer zur Welt, welcher der Familientradition folgend denselben Namen wie sein Vater und seine Grossväter erhielt. Plural, denn auf der Vaterseite steht in männlicher Linie Albert Kilchsperger (1847-1907) und mütterlicherseits Albert Meierhofer (1860-1940).

Und ebendieser Albert junior (21) hatte nun seinen Schweizerpass unauffindbar verlegt oder er ist ihm sonstwie abhandengekommen. Via die Zürcher Staatskanzlei wurde der Vorgang in die Publikation geschickt.

Viele Jahrzehnte später sind im Bundesarchiv alle Bände des SPA gescannt worden und deshalb findet man heute die damalige Verlustmeldung bequem vom heimischen Schreibtisch aus:

Quelle und Literatur

  • Schweizerischer Polizei-Anzeiger Nr. 117, 26. Mai 1937, S. 1319 (SPA 1937 Bd. I, S. 1-1680). Schweizerisches Bundesarchiv; Signatur: CH-BAR E4260D-01#1000/838#26*
  • Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.
  • Brandenberger, U.:  Fahrausweisentzug, eine gestohlene Goldkette und ein Lederriemen. WeiachBlog Nr. 2108, 31. Mai 2024.

Freitag, 28. Juni 2024

Weiach gehört jetzt zur USPAT2-Region Neerach

Fertig lustig. Heute hat das Bundesamt für Statistik (BFS) die Katze aus dem Sack gelassen: Weiach gehört ab sofort in zweiter Linie zu Neerach. In erster Linie aber immer noch sich selber. Das nur zur Beruhigung. Aber so rein statistisch gesehen werden wir mit folgender Einteilung leben müssen: 


Diese USPAT2-Region Nr. 2401094 umfasst die Gebiete der drei politischen Gemeinden Weiach, Stadel und Neerach. 

Und sie beinhaltet insgesamt 5 USPAT1-Einheiten: Weiach, Windlach, Stadel, Neerach und Riedt:


Eine Flut an Gemeindefusionen macht die Statistiker konfus

Wie kommen diese Beamten in Neuenburg (dort ist der Sitz des BFS) auf solche Ideen? Eine Medienmitteilung erklärt die Intention:

«Bei räumlichen Analysen ist die Gemeinde oft die kleinste verfügbare statistische Einheit. Dieser Detaillierungsgrad ist für aussagekräftige Ergebnisse zu vielen Themen differenziert genug, stellt die Nutzenden regionaler Statistiken aber vor Schwierigkeiten, da die räumliche Gliederung durch die seit Beginn der 2000er-Jahre immer zahlreicheren Gemeindefusionen zunehmend instabil wird und an Genauigkeit einbüsst. Darüber hinaus erschweren die sehr unterschiedlichen Einwohnerzahlen der Gemeinden und die stark variierende Struktur der Kantone räumliche Vergleiche. Um diese Schwierigkeiten zu beheben, bietet das BFS zwei neue Regionalisierungsstufen an.
 
Zeitlich stabile Raumeinheiten für detailliertere Analysen
 
Auf der Basis einheitlicher statistischer Kriterien wurden für die ganze Schweiz 3607 raumbezogene statistische Grundeinheiten der ersten Stufe (USPAT1 für «unités spatiales statistiques de base de premier niveau») festgelegt. Damit lassen sich detaillierte regionale Analysen erstellen. Ausserhalb der grossen Städte umfassen diese Grundeinheiten folgende Siedlungsgebiete: Wohngebiete (kleine Städte, Dörfer, Weiler), grosse Gewerbe- oder Tourismusgebiete. In den grossen Städten umfassen sie Quartiere mit einer Einwohnerzahl zwischen 7500 und 15 000 Personen.
 
Gemeindefusionen haben keinen Einfluss auf diese Gliederung. Einzig Gebietsabtausche können unter Umständen eine Anpassung des Perimeters erfordern. Die Unterteilung der Gemeinden in USPAT1 richtet sich zum Beispiel nach bestehenden Grenzen ehemaliger Gemeinden oder nach Postleitzahlen. Diese neuen Raumeinheiten können so gruppiert werden, dass sie den aktuellen Gemeindegrenzen entsprechen. Die Ergebnisse wurden mit Unterstützung der Statistikstellen der Kantone und der Grossstädte konsolidiert.
 
Gliederung in Raumeinheiten mit rund 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern
 
Zusätzlich zu den USPAT1 wurden 751 raumbezogene statistische Grundeinheiten der zweiten Stufe (USPAT2) mit je rund 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern definiert. Ihre vergleichbare Grösse bietet neue Nutzungsmöglichkeiten für Statistiken. Ihre Abgrenzung deckt sich mit jenen der USPAT1 und den aktuellen Gemeindegrenzen.»

Warum gerade Neerach?

Die Wahl des Namens dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bei plurizentrischen Gebilden jeweils die Siedlung (bzw. Gemeinde) mit der grössten Bevölkerungszahl namensgebend wird.

Neerach zählte per Ende letzten Jahres 3314 Einwohner, Stadel 2359  und Weiach 2116. Das sind nach Strübis Rächnigsbüechli also nur etwas weniger als 7800 Einwohner in der USPAT2 Neerach.

So erklärt sich auch der Name Zweidlen-Station für die östlich von Weiach gelegene USPAT-1-Einheit, die politisch bekanntlich zu Glattfelden gehört. Denn das Stationsquartier weist dank der starken Bautätigkeit der letzten Jahre mittlerweile die meisten Einwohner auf und hat Zweidlen-Dorf und Rheinsfelden den Rang abgelaufen.

Interessante Reminiszenz

USPAT-1 ist in unserer Gegend auch eine Art Wiederauferstehung der alten, teils längst untergegangenen Zivilgemeinden. Zweidlen war so eine, Windlach ebenfalls. Auch Riedt b. Neerach. 

Lediglich für Raat und Schüpfheim geht das nicht ganz auf. Die werden – der Postleitzahl folgend – zu Windlach gezählt werden. Der Zürcher Verkehrsverbund handhabt das ja auch nach demselben Muster: Die Raater müssen an der Postautohaltestelle «Windlach, Raat» ein- und aussteigen.

Weiach hingegen war auch historisch gesehen immer eine Einheit. Die Gebiete der Zivilgemeinde, der Politischen Gemeinde, der Schulgemeinde und der evang.-ref. Kirchgemeinde waren deckungsgleich.

Quellen

Donnerstag, 27. Juni 2024

Die Vier-Kantone-Rundfahrt vor 75 Jahren

Von Zürich über Schindellegi und die Menzinger Höhe an den Zugersee. Dann quer durch den Aargau über Lenzburg, die Staffelegg, den Bözberg und die Stadt Baden wieder an den Ausgangspunkt zurück. Das sind ein paar Stichworte zur Rennstrecke der Vier-Kantone-Rundfahrt 1949, am gestrigen Datum vor 75 Jahren.

Der 621 m hohe Staffelegg-Pass zwischen Aarau und dem Fricktal war nur eine der Stellen, an denen der grosse Sieger des Tages, Ferdinand Kübler (1919-2016), genannt Ferdy National, einer der bekanntesten Schweizer Velorennfahrer aller Zeiten, seine «Glanzform» (O-Ton NZZ) nach Belieben ausspielen konnte. Er war der grosse Dominator bei den 35 gestarteten Professionals: Platz 1 mit fast zweieinhalb Minuten Vorsprung nach 231 Kilometern, zurückgelegt in 6 Stunden 6 Minuten und 40 Sekunden. D.h. 37.8 Stundenkilometer im Schnitt.

Für Amateure im Zweiten Weltkrieg geschaffen

Die Vier-Kantone-Rundfahrt wurde von 1941 bis 1972 durchgeführt. In der Zeitung Die Tat vom Montag, 27. Juni 1949 wird der Rennbericht mit folgendem Abschnitt eingeleitet:

«In den ersten Jahren des zweiten Weltkrieges aus der Taufe gehoben, hat sich das vom Velo- und Moto-Club Industriequartier Zürich geschaffene Rennen, die Vier-Kantone-Rundfahrt, innert einem knappen Jahrzehnt zu einem der bedeutendsten Ueberlandstraßenrennen des schweizerischen Radsportes entwickelt. Die diesjährige Auflage stand allerdings vorerst unter keinem besonders glücklichen Stern, denn ursprünglich wollte man die Ankunft, des Rennens mit einem Bahnrennen auf der offenen Rennbahn Oerlikon verbinden wie in den Vorjahren. Da platzten die Fußballer mit ihrem Länderspiel gegen Luxemburg dazwischen, und die wohlvorbereitete Organisation mußte vollständig umgeorgelt werden. Gleichwohl ließen sich die Männer um OK-Präsident Gusti Schmid nicht verdrießen und nahmen willig die Mehrarbeit auf sich. Die sportliche Ausbeute hat ihnen recht gegeben. Dagegen hätten auf der Zielstrecke am Sihlquai noch bedeutend mehr Zuschauer Platz gehabt. — Die Koordinierung der zürcherischen Sportanlässe scheint ein frommer Wunsch zu bleiben. — An der Organisation war einmal mehr nichts auszusetzen; nicht umsonst hatten sich gegen tausend Rennfahrer in allen Kategorien eingefunden. Die Industrieler verdienen das Vertrauen der Aktiven.»

Die Rollen der Weiacher

Gleich zwei Weiacher sind in diesem Artikel erwähnt: P. Grießer und Gusti Schmid. Der in Weiach aufgewachsene Fahrer Paul Grießer (*1930), der sich im Wehntal niederliess und von dort per Velo nach Oerlikon zur Arbeit fuhr. Und OK-Präsident Schmid höchstselbst (ohne Benennung seines Weiacher Bürgerrechts), der von derselben Tat 1971 anerkennend als «der grösste Velofritze Zürichs» bezeichnet wurde.

Grießer startete bei den Junioren im 2. Feld. In dieser Kategorie mussten 150 km zurückgelegt werden. Nach 4 Stunden 7 Minuten und 20 Sekunden musste er sich einzig einem Stadtzürcher namens Ruckstuhl geschlagen geben. Platz 2 also mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 36.4 km/h. Eine Topplatzierung in seiner Altersgruppe.

Quellen und Literatur

Mittwoch, 26. Juni 2024

Bei Vaterschaftsklagen musste ein Mann allein seinen Mann stehen

«Wenn eine Geschwängerte einen Unbekannten als Vater angiebt, und ihre Schwangerschaft nicht vor der fünf und zwanzigsten Woche angezeigt hat, so wird sie, neben ausschließlicher Ernährung des Kindes, mit einer Busse von vier und sechszig Franken, und mit Stellung vor den Stillstand ihrer Gemeinde, bestraft; falls die Busse nicht bezahlt werden kann, tritt an ihre Statt vierwöchentliche Zuchthausstrafe und damit verbundene zweckmäßige Arbeit im Innern des Zuchthauses, oder, wenn es den Umständen angemessen ist, sechsmonatliche Eingränzung auf Haus und Güter.»

Das ist der Wortlaut von § 198 im Revidierten Matrimonial-Gesetzbuch für den Kanton Zürich vom 25. Mai 1811. Dieses Ehegesetzgebungswerk regelt bis ins Detail, wie vorgegangen werden muss, wenn eine uneheliche Schwangerschaft festgestellt wird, bzw. welche Sanktionen drohen, wenn eine solche zu spät an zuständiger Stelle (i.d.R. dem Pfarrer) gemeldet wird.

Der als Vater Genannte wird konfrontiert

Den Vater des Kindes nicht anzugeben, war also eine Straftat. Gleichzeitig ging der Zürcher Staat aber auch konsequent gegen Männer vor, die man der Vaterschaft bezichtigte. Man musste ja schliesslich herausfinden, wer nun für das Kind unterhaltspflichtig ist.

«Vom unehelichen Beyschlaf». So lautet denn auch der unmissverständliche Titel des II. Theil des obgenannten Gesetzestextes. Und in dessen I. Abschnitt geht es in den §§ 148-173 um den «Paternitäts-Prozeß», also das Verfahren bei Vaterschaftsklagen:

«§. 168. Ein im Lande befindlicher einheimischer Beklagter wird zwey Mahl, je zu acht oder vierzehn Tagen, vorgeladen. Ist derselbe außer Landes, und sein Aufenthaltsort bekannt, so wird ihm die Klage, und nachher die Aussage bey der Niederkunft, mitgetheilt, und zu derselben Beantwortung eine hinlängliche Frist bestimmt. 

Ist er der Klage nicht geständig, so soll er selbst vor Ehegericht berufen werden; es wäre dann, daß ihm zu erscheinen erweislich unmöglich wäre, in welchem Falle von der Obrigkeit seines Aufenthaltsortes seine Verantwortung mit allen Umständen dem Ehegericht einberichtet, und hierauf nach den Gesetzen gesprochen werden soll. 

Falls aber von dem Ehegericht eine Eydesleistung verfügt würde, so soll er vor demselben zu erscheinen pflichtig seyn; nur wenn die persönliche Erscheinung physischer Hindernisse wegen unmöglich wäre, mag die Eydesleistung auf besondere Einleitung des Ehegerichts, in Gegenwart der Vollziehungs-Beamten, des Orts-Pfarrers, und abgeordneter Mitglieder des Stillstandes, geschehen.

Den Angehörigen anderer Cantone kann die persönliche Stellung nur in so fern nachgesehen werden, als zwischen ihrem Canton und dem hiesigen Reciprocität statt hat.»  

Man erinnere sich daran, dass damals jeder Kanton ein souveräner Staat war (ähnlich den heutigen Staaten der EU).

Wenn der Aufenthaltsort nicht bekannt ist

«§. 169. Ist der Aufenthalt des Beklagten unbekannt, so wird er auf zwey verschiedene Rechtstage, je zu vier bis sechs Wochen, durch zwey öffentliche Blätter, und von der Kanzel seiner Heimath sowohl als seines zuletzt bekannt gewordenen Aufenthaltsortes aufgerufen.

§. 170. Die letzte Vorladung ist peremtorisch, und hat beym Ausbleiben das Contumaz-Urtheil zur Folge.»

Wenn nach den §§ 169 und 170 verfahren werden musste, dann erfolgte peremtorisch (endgültig) die «Edictal-Vorladung», also die öffentlich publizierte Aufforderung, sich bei einer Behörde zu melden. In einem Paternitätsfall war das das Ehegericht:

«Johannes Huber von Zweidlen, Pfarre Glattfelden, welchen die Barbara Willi von Weyach als Schwängerer und Vater eines den 18. November 1825 gebornen Kindes angiebt - wird, in Folge Beschlusses des Ehegerichts des Cantons Zürich, auf den 20. Aprill und zum Tag des Abspruchs auf den 11. May nächstkünftig ediktaliter vorgeladen, um sich über diese Klage zu verantworten, indem ausbleibenden Falls per Contumaciam abgesprochen und in dieser Sache nach Form Rechtens verfügt würde.
Actum Zürich den 30. Merz 1826
Canzley des Ehegerichts.
»

Urteil in Abwesenheit

Im Fall des Zweidlemers Huber haben wir es eindeutig mit so einem Fall unbekannten Aufenthalts zu tun. Mit der Formel Per Contumaciam wird nämlich die Androhung ausgesprochen, dass das Urteil in Abwesenheit gefällt wird, wenn man als Beklagter nicht erscheint. Immerhin gab es da noch einen Ausweg:

«§. 172. Gegen ein solches Contumaz-Urtheil kann nur dann Revision statt haben, wenn der Verurtheilte bewiesen hat, daß es ihm aus rechtmäßigen Gründen unmöglich gewesen sey, sich zu verantworten.»

In allen solchen Vaterschaftsfällen galt aber seit der Verordnung des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 13. Merz 1817, «daß bey Paternitäts-Processen keine Advocaten zugelassen werden sollen.»

Ein Mann musste also seinen Mann allein stehen. Nicht nur beim Beischlaf. Sondern auch vor Gericht.

Quelle

  • Zürcherisches Wochen-Blatt, Nro. 29, Montag Den 10. Aprill 1826. Avertissements Nr. 2

Montag, 24. Juni 2024

Aufschiebende Wirkung? Unwürdiges Geschacher hinter Kulissen

Einer der wichtigsten Führungsgrundsätze für jeden militärischen Vorgesetzten ist: Verliere niemals die Zeit Deines Unterstellten. Das gilt besonders dann, wenn diese Unterstellten selbstständig denkend und handelnd ein von übergeordneter Stelle definiertes Ziel im Kampfgeschehen zu erfüllen haben. Hält man dieses Prinzip namens Auftragstaktik hoch, dann muss an höherer Stelle speditiv entschieden werden, um den eigentlichen Akteuren möglichst grosse Handlungsfreiheit gewähren zu können.

In einem letzten Donnerstag, 20. Juni, entschiedenen Stimmrechtsrekurs, bei dem es um die neu hinzuzubauenden Weiacher Schul-Container geht, hat der Bezirksrat Dielsdorf den eben genannten Grundsatz in eklatanter Weise verletzt. Und fast die Hälfte der Zeit des Rechtsunterworfenen (in diesem Fall die Gemeinde Weiach) schlicht verplempert.

Zu lange untätig gebliebener Gemeinderat

Worum geht es? Dass die Gemeinde für neuen Schulraum sorgen muss, das ist eigentlich unbestritten. Zweieinhalb zusätzliche Schulzimmer werden benötigt. Gegenüber WeiachBlog betont ein Schulpfleger, dass dieser Bedarf bereits im Sommer 2023, also schon vor rund einem Jahr (!), klar gewesen sei. Man habe ihn dem Gemeinderat damals mündlich kommuniziert und die Bedarfsanforderung Mitte September auch schriftlich untermauert. Heisst: das Gemeinderatsprotokoll muss das dokumentiert haben.

Was man in der Gemeindeexekutive mit diesem Wissen gemacht hat? Die Angelegenheit verschlampt?  So könnte es gewesen sein. Denn immerhin wusste das Gremium, dass die Schule diesen Raumbedarf ganz unabhängig davon haben würde, ob nun das Projekt «Zukunft8187» früher, später oder gar nie grünes Licht erhalten wird. Bis das Neubauprojekt bezugsbereit ist, vergehen nämlich so oder so noch Jahre, Bundesgerichtsentscheid hin oder her.

Die zu erwartenden Schülerzahlen waren und sind hingegen einigermassen gut abschätzbar, schliesslich gibt es in Fisibach, Kaiserstuhl und Weiach weder grössere Neubauten, die erstmals vermietet würden, noch wurden diesen Orten überraschend Asylbewerber-Familien mit vielen primarschulpflichtigen Kindern aufs Auge gedrückt. Regelmässig die Daten der Einwohnerkontrollen für die beteiligten Ortschaften abfragen, reicht für die Planung völlig aus.

Absichtlich selbst produzierte zeitliche Ausweglosigkeit?

Die vorbehaltenen Entschlüsse hätten also spätestens im Herbst letzten Jahres in Form gegossen werden können. Trotzdem hat der Gemeinderat erst am 4. März 2024 entschieden. Und das auch noch auf der Basis einer für den Stimmberechtigten kaum nachvollziehbaren Berechnungsweise (vgl. WeiachBlog Nr. 2100).

Anstatt diesen Entscheid speditiv der Gemeindeversammlung zu unterstellen, wie dies die Gemeindeordnung (GO 2022) vorsieht, kaprizierte sich der Gemeinderat darauf, ihn als «gebundene Ausgabe» zu deklarieren und ihn so am Souverän vorbeizuschmuggeln. 

Am 11. April testete der Gemeinderat an einer Informationsveranstaltung die Wassertemperatur und liess dann schliesslich am 2. Mai 2024 per amtlicher Publikation die Katze aus dem Sack (vgl. WeiachBlog Nr. 2094). Bis dahin war auch die Rechnungsprüfungskommission nicht im Bilde, denn obwohl der Gemeinderatsbeschluss vom 4. März vorsieht, den Präsidenten der RPK per E-Mail mit dem Entscheid zu bedienen (was spätestens am 18. März mit dem Versand an alle Beteiligten hätte erfolgen müssen), wurde dieser Auftrag nicht ausgeführt. Angeblich, weil noch Abklärungen hätten getroffen werden müssen.

Zwischenentscheidunwilliger Bezirksrat

Dann erhöhte sich der Druck im Kessel schlagartig. Am 6. Mai wurde nämlich beim Bezirksrat Dielsdorf fristgerecht ein Stimmrechtsrekurs eingereicht, der die Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses und die Zuweisung des Geschäftes an eine umgehend einzuberufende Gemeindeversammlung verlangte.

Bereits in der Vernehmlassungsantwort auf dieses Begehren sprach der Rechtsvertreter der Gemeinde die Frage der aufschiebenden Wirkung des Rekurses an und beantragte sinngemäss, diese sei zu entziehen. Die Begründung ist angesichts der zeitlichen Nähe zum Schuljahresbeginn 2024/25 nur allzu verständlich. Denn dann (also Mitte August) müssen die zweieinhalb zusätzlichen Schulzimmer spätestens zur Verfügung stehen. Bei drei Monaten Vorlaufzeit ist logischerweise höchste Eisenbahn.

Und was macht der Bezirksrat Dielsdorf? Er entscheidet sich, sich erst einmal nicht entscheiden zu wollen. Damit ist faktisch eine aufschiebende Wirkung gegeben und die Gemeinde darf mit Vorbereitungsarbeiten und dem Platzieren der Container nicht beginnen.

Wochenlang verspielt der Bezirksrat so die Zeit des Rechtsunterworfenen, spult seelenruhig den ordentlichen Schriftwechsel zwischen den Kontrahenten ab, wie wenn nicht der geringste Zeitdruck bestehen würde.

Kein Wunder wurde man da im Gemeindehaus Weiach langsam mehr als nur nervös. Und es ist anzunehmen, dass auch telefonische Demarchen beim Bezirksratspräsidenten daraus resultiert haben. Was dabei besprochen, entschieden und genehmigt wurde? Wissen wir nicht.

Ein eines Rechtsstaates unwürdiges Schauspiel

Die Öffentlichkeit kann es nur vermuten. Es ist fast wie beim berühmten Platonischen Höhlengleichnis: Die Stimmberechtigten sitzen wie in einem Kino und können nur am Schattenspiel an den Höhlenwänden abzulesen versuchen, was sich hinter den Kulissen gerade abspielt. 

Auf der Bühne selber sieht man nämlich lediglich Motorsägen, betrieben von Angestellten der Gemeinde (vgl. WeiachBlog Nr. 2115) sowie in der Folgewoche einen Bagger und weiteres Tiefbaugerät mit Arbeitern eines Bauunternehmens, die Vorbereitungshandlungen für die Containerplatzierung vornehmen.

Hat der Bezirksrat der Gemeinde bereits am 10. Juni signalisiert, dass man mit dem in Kürze spruchreifen Beschluss die aufschiebende Wirkung zu entziehen gedenke? 

Irgendwie passt der Umstand, dass der Bezirksratspräsident dem Rekurrenten noch am 18. Juni mündlich versichert hat, seine Behörde gehe von aufschiebender Wirkung aus, dann aber schlecht zur mutmasslichen Absprache mit dem Gemeinderat (oder seinem Rechtsvertreter). 

Die dürfte es nämlich gegeben haben. Denn wie sonst käme die Gemeinde in die Lage, rund vier Wochen nach der Rekurseingabe einfach mal eben mit den Vorbereitungen für das Containerstellen loszulegen? Alles andere würde nämlich bedeuten, dass der Gemeinderat den Bezirksrat sozusagen am Nasenring durch die Manege geführt hat.

Jeder private Bauherr würde für so ein eigenmächtiges Verhalten von denselben Behörden mit Fug und Recht geteert und gefedert. Mit Zeitdruck bräuchte er da nicht zu kommen. Er müsse halt frühzeitig beginnen, hiesse es dann. Und das auch völlig zu Recht, denn das hätte er ja gekonnt, wie nicht nur die Aussage der Schulpflege, sondern auch die Plausibilität der Sache an sich nahelegen.

Nur in der Welt des Gemeinderates Weiach sieht das ganz anders aus? Da ist es wie bei George Orwells Farm der Tiere: Einige sind gleicher als die anderen?

Offen entscheiden ist allemal besser

Dass der Bezirksrat keine Lust hatte, nur wegen einer (so muss man vermuten) dem Gemeinderat Weiach nicht ganz unwillkommenen zeitlichen Dringlichkeit, zwischen Hammer und Amboss zweier Streitparteien zu geraten, kann man ihm nicht verdenken. 

Klar ist: Ein früher Zwischenentscheid, dem Rekurs die aufschiebende Wirkung zu entziehen, hätte zu einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht (oder anderer zuständiger Stelle) führen können. Damit muss ein Bezirksrat aber umgehen können. 

Mehr Entscheidungskraft (und damit das Schaffen von Rechtssicherheit) wäre mehr als nur wünschenswert. Besser als den Verdacht zu erwecken, man habe hinter den Kulissen gekungelt. Denn sonst leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat. Und so einen Kollateralschaden kann nun wirklich niemand ernsthaft gut finden.

Mittwoch, 19. Juni 2024

Als der Dorfbach unter die Sternenkreuzung musste

Dass der Weiacher Dorfbach in seiner heutigen Form gerade einmal 50 Jahre alt ist, das würden wohl viele, die ihn sehen, nicht auf Anhieb vermuten. 

Sein rund 1 Kilometer messender Verlauf von der Sternenkreuzung bis zur Mündung in den Rhein ist über weite Strecken ein von Ingenieuren im Detail durchgeplanter. Da ist alles genau berechnet, sämtliche Tosbecken, der Querschnitt und natürlich auch die Sohlenausgestaltung. Die Planung dauerte denn auch einiges länger als die eigentliche Bauzeit. 

Auf der Nordseite des Rheins sieht man übrigens noch die alte Hohentengener Mühle, die mittlerweile verschwunden ist.

Besondere Aufmerksamkeit verlangten die ersten Meter nach der Vereinigung von Mülibach und Sagibach unmittelbar bei der Sternenkreuzung: 

Auf dem Plan sieht man, wie genau die Geometer die Situation aufgenommen haben: Nicht nur jeden einzelnen Obstbaum, nein auch, ob es sich um einen Apfelbaum, einen Pflaumenbaum oder einen Zwetschgenbaum gehandelt hat. 

Prominent auch das Gemeindeschlachthaus auf der kleinen «Gmde»-Parzelle. Und in der Kurve der Hauptstrasse die grosse Fahrzeugwaage samt Waaghäuschen, vis-à-vis die Kreuzungslinde. Am unteren Bildrand der Gasthof Sternen.

Zentral für das Bauprojekt und eingeklemmt zwischen dem heutigen Bachweg und der Glattfelderstrasse: vier Miniparzellen. Die hatten bis dahin Anstoss an den offenen Dorfbach.
 
Unter den Boden mit ihm!

Unsere Bäche waren nämlich noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nur dort unter den Boden verlegt, wo das wirklich unumgänglich war, nämlich an den Stellen, wo sie unter Strassen durchgeleitet werden mussten. 

Für die Ausführung der ersten Meter des Dorfbachs entschieden sich die Planer, diesen nicht nur nach Nordwesten zu versetzen, sondern ihn auch komplett unter dem Terrain verschwinden zu lassen. Deshalb taucht unser Dorfbach erst nördlich der Glattfelderstrasse aus seiner unterirdischen Streckenführung wieder auf.

Quelle
  • Dorfbach Weiach. Gde. Weiach DB 207 M 106a. Entstehungszeitraum: 1965 - 1973. Signatur: CH-BAR E3210A#1995/19#464*. Ablieferung: 1995/00019 Bundesamt für Wasserwirtschaft.

Sonntag, 16. Juni 2024

Wegen liederlichem Lebenswandel unter Bevogtigung gesetzt

Ende Mai und Mitte Juni 1815. In diesem Zeitraum kam der sogenannte Wiener Kongress zum Abschluss, der zwischen dem 18. September 1814 und dem 9. Juni 1815 die Neuordnung Europas nach einem Vierteljahrhundert kriegerischer Auseinandersetzung quer über den Kontinent besiegelt hat. Für die Schweiz bedeutete dies eine Gebietskompensation für den Kanton Bern (Jura als Ersatz für Waadt und Aargau) sowie die neu als Kantone vollberechtigten Genf, Neuenburg und Wallis.

Sozialhilfe-Alarm. Es ist Gefahr im Verzug

In derselben Zeit lief im nach konservativen Grundsätzen wiederhergestellten Kanton Zürich vieles wieder nach alten Mustern wie zu Zeiten des Ancien Régime. 

Und einiges lief wie immer. Ob vor, während oder nach der Helvetischen Republik: Die Gemeindekassen mussten immer gut geschützt werden. Besonders die der nicht auf Rosen gebetteten Armengüter.

Unter der Rubrik Avertissements findet man im Zürcherischen Wochen-Blatt vom 29. May 1815 denn auch die Mitteilung eines rigoros durchgreifenden Bezirksgerichts. Damals wurden die beiden Bezirke Bülach und Dielsdorf noch unter einem Dach von Bülach aus geführt, weshalb der nachstehende Entscheid auch dort gefällt wurde: 

«Da der Felix Hauser und dessen Tochtermann [d.h. Schwiegersohn] Jakob Schneider von Weyach, durch das Waisenamt der Bezirksabtheilung Regensperg, wegen liederlichem Lebenswandel unter Bevogtigung gesetzt und von dem Bezirksgericht Bülach öffentliche Verrufung über dieselben erkennt worden; so ergehet hiemit an Jedermann, besonders Gastwirthe und Weinschenken, die Warnung: sich mit den benannten Felix Hauser und Jakob Schneider in keinerley Verkehr einzulassen, sondern statt ihrer an den geordneten Vogt Friedensrichter und Schulmeister Heinrich Willi in Weyach zu wenden; Jeder hiegegen Handelnde würde Schaden und Verantwortung sich selbst beyzumeßen haben. - Ferner werden alle diejenigen welche an benannte Felix Hauser und Jakob Schneider etwas zu fordern haben oder ihnen schuldig sind, hiemit peremtorisch aufgefordert, ihre Forderungen und Schulden innert vier Wochen von Dato schriftlich und specificiert an den E. Gemeindrath Weyach einzugeben.

Actum den 25 May 1815. Im Namen des Bezirksgerichts Bülach: Die Canzley.»

Der Fachbegriff «peremtorisch» bedeutet, dass es sich bei diesem Schuldenruf um eine einmalige Angelegenheit handelt und keine weitere Publikation erfolgen werde (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 11). Seltsamerweise hat die Canzley den Text aber trotzdem in (mind.) zwei Ausgaben des Zürcherischen Wochen-Blatts einrücken lassen (vgl. Quelle unten).

Steckte der Pfarrer dahinter?

Die beiden Genannten gerieten also qua Gerichtsbeschluss buchstäblich öffentlich in Verruf. Mit einer Bevogtigung samt einem Schuldenruf. Heute würde man das eine Beistandschaft für finanzielle Belange nennen. Indirekt war damit faktisch auch eine Wirtshaussperre verbunden, sofern die beiden unter Vormundschaft Gestellten nicht bar bezahlen konnten.

Wer die treibende Kraft hinter diesem Gerichtsurteil gewesen ist, muss in allenfalls noch vorhandenen Gerichtsakten näher abgeklärt werden. Infrage kommen sowohl der obgenannte Ehrenwerte (das bedeutet das E. nämlich) Gemeindrath Weyach als auch der damalige Weiacher Pfarrer Johann Heinrich Burkhard, kraft seines Amtes Vorsitzender des Stillstands (Kirchenpflege) wie der Armenpflege.

Quelle

  • Zürcherisches Wochen-Blatt [Erscheinungsvermerk: bey Joh. Jakob Ulrich, im Berichthaus neben der Post]. Text abgedruckt in: Nro. 43 v. Montag Den 29. May 1815, S. 4; sowie Nro. 47 v. Donnstag Den 12. Brachmonat 1815, S. 4.

Freitag, 14. Juni 2024

Die Hauptstadt lag 441 Kilometer entfernt

Unser Dorf gehörte einst zu Belgien? La Suisse n'existe pas? Sozusagen, ja. Es kommt immer darauf, von welcher Zeit wir reden.

Blenden wir zweitausend Jahre zurück, ins Imperium Romanum. Von ca. 16 v. Chr. bis ca. 85 n. Chr., also während rund 100 Jahren, wurde das Gebiet, zu dem Weiach heute gehört, von Durocortorum aus regiert. 

Diese Provinzhauptstadt ist besser bekannt unter dem Namen Reims und liegt ca. 130 km nordöstlich der heutigen französischen Metropole Paris. Oder eben, wie im Titel erwähnt, rund 440 Kilometer oder 100 Stunden zu Fuss von Weiach entfernt.

Die Provinz nannten die Römer Gallia Belgica oder eben kurz Belgica, die belgische Provinz. Sie erstreckte sich vom Genfersee bis an den Ärmelkanal. 

In Droysens Historischem Handatlas sind die damaligen Verhältnisse kartographisch abgebildet. So gut man das halt aufgrund der noch verfügbaren Informationen rekonstruieren kann:

Bildquelle: Gustav Droysens Allgemeiner historischer Handatlas in 96 Karten mit erläuterndem Text Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing 1886, S. 17

Die Provinzgrenzen der Belgica sind grün hervorgehoben. Die Provinzhauptstadt Durocortorum ist in diesem Ausschnitt oben links zu finden. Am Rhein war (wie heute) eine Grenze, nördlich des Stromes befand sich die Provinz Agri Decumates. Und grosse Teile der heutigen Schweiz (Westschweiz, Zentralschweiz und Zürich) gehörten zur Belgica

Östlich davon lag die Provinz Raetia, die sich bis an die Donau erstreckte (nördlich darüber hinaus) und beim heutigen Regensburg bzw. Passau ihre Grenze fand. Was heute Bayern, Tirol und Südtirol sind, das gehörte alles zur Raetia. Die Grenze zwischen Belgica und Raetia lag vor Schleitheim SH (damals Juliomagus) bzw. bei Pfyn TG (damals Ad Fines), ein sprechender Name, der auf die Grenze hinweist.

Zugehörigkeit zur Gallia Lugdunensis ungewiss

Zur Geschichte der Provinz Belgica schreibt Regula Frei-Stolba im Historischen Lexikon der Schweiz: 

Römische Provinz (heutiges Nordfrankreich, Belgien, südlicher Teil der Niederlande), welcher im 1. Jh. n. Chr. der grösste Teil des schweizerischen Mittellandes und des Juras zugeordnet war (Provincia). 

Bereits Julius Caesar unterschied in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg (58-52 v. Chr.) die Belgae von den Galli oder Celtae und den Aquitani. 

Kaiser Augustus trennte 22 v. Chr. von der bisher ungeteilten Gallia Transalpina die Provinz Gallia Narbonensis [im heutigen Südfrankreich] ab und bildete wohl 16-13 v. Chr. aus dem restlichen Gallien drei kaiserliche Provinzen: Aquitania, Lugdunensis und Belgica, die indes nicht mit den vorrömischen Sprach- und Volksgruppen übereinstimmten. 

Ob die Helvetier, die Rauriker, die beiden römischen Kolonien Iulia Equestris (Nyon [VD]) und Augusta Raurica (Augst [BL]) sowie die Lingonen und Sequaner anfänglich zur Provinz Lugdunensis gehörten, ist ungewiss. 

Später, noch z.Z. des Augustus, zählten sie jedenfalls zur Belgica. Diese umfasste ca. 35 Civitates [eine Art Unterprovinzen], Provinzhauptort war Durocortorum (Reims), Sitz des Finanzprokurators Augusta Treverorum (Trier). 

Um 85 n. Chr. wurden die beiden Heeresbezirke am Rhein zu den selbstständigen Provinzen Germania Inferior (Hauptstadt Colonia Agrippinensis, heute Köln) und Germania Superior.

Machtzentren überdauern den Zusammenbruch des Imperiums

Man sieht hier, wie stark die gesamte römische Staatsorganisation auch in relativen Friedenszeiten (wie unter Kaiser Augustus) auf der Macht des Militärs beruhte. Ohne seine Legionen war das Römische Weltreich ganz einfach nicht zusammenzuhalten. Weder im Inneren noch gegen Aussen.

Die Stadt Reims war übrigens auch nach dem definitiven Zusammenbruch der Römerherrschaft im 5. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Dort gab es einen Bischofssitz sowie eine ausgebaute Verwaltung mit den entsprechenden Spezialisten. Die wurden von den neuen Herren im Land, den Franken, sozusagen übernommen. So kam es dann, dass Reims auch unter den Merowinger-Königen (ca. 460 bis 751) eine wichtige Stellung einnahm.

Quellen

  • Professor G. Droysens Allgemeiner Historischer Handatlas in sechsundneunzig Karten, mit erläuterndem Text. Ausgeführt von der Geographischen Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig unter Leitung von Dr. Richard Andree. Velhagen & Klasing, Bielefeld/Leipzig 1886.
  • Frei-Stolba, R.: Belgica. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19. Juni 2002.

Donnerstag, 13. Juni 2024

Die Wässerwiesen im Wiesenthal im Jahre 1847

«Sonntags den 3. Okt. 1847» fanden sich einige im Bereich der Landwirtschaft des Kantons Zürich führende Köpfe im Löwen zu Regensberg ein. 

Dort, am Eingang zum Städtchen und dem Kulminationspunkt der Strasse von Sünikon über den Regensberger wieder hinunter nach Dielsdorf, hielt die «landwirthschaftliche Sektion» des «Vereines für Landwirthschaft und Gartenbau im Kanton Zürich» eine Versammlung ab.

Wenige Tage später, im November 1847, folgten die militärischen Auseinandersetzungen des Sonderbundskriegs zwischen den katholischen Kantonen der Innerschweiz samt Fribourg und Wallis gegen alle übrigen Kantone. Die Niederlage des Sonderbunds führte 1848 zur Gründung des Bundesstaats.

Dank Vereinszeitschrift erhalten geblieben

In der Schweizerischen Zeitschrift für Landwirthschaft, dem Organ obgenannten Vereins, erschien im Januar 1848, unbeeindruckt von diesen Wirren, ein Bericht über das auf dem Lägernsporn Besprochene.

Wild-Karte. Topographische Karte des Kantons Zürich, Blatt IX, StAZH PLAN A 4.9 (Stand 1846-1848)

In Regensberg hatte sich Johannes Baumgartner, einer der einflussreichsten Weiacher des 19. Jahrhunderts, zur Bewirtschaftung der Wässerwiesen in seiner Gemeinde geäussert. Seine Ausführungen sind uns in Form des folgenden Berichts überliefert (daher auch in indirekter Rede verfasst):

«In Weiach bestehen Wässerungs-Einrichtungen aus zwei Bächen, wovon die eine nur in ganz trockenen Zeiten Vortheil gewähre, sonst aber sowohl auf die Quantität als Qualität nur nachtheilig einwirke und daher nicht zu empfehlen sei; dagegen seien etwa 100 Mannwerk Wiesen unterhalb dem Dorfe, welche eine leichte Halde bilden, in diesen zeige sich die Wässerung zu jeder Zeit vortheilhaft, weil das Wasser mitten durch das Dorf fließe und sich sowohl das Brunnenwasser als viel Abfluß aus den Miststätten damit vereinige; das Wasser erzeuge zwar sogenannte Bangen, allein dessen ungeachtet werde die Wässerung fortgesetzt und wo der Boden eine Unterlage von Kies habe, so zeige sich die Wässerung auch als sehr vortheilhaft, während in Lagen wo dieses nicht der Fall, die Wässerung nur schade; es gebe namentlich Wiesenbesitzer, welche darauf keine Rücksicht nehmen und daher mehr als Nutzen hätten. Die bestehende Wässerung sei geregelt; von Martini bis April könne zwar jeder Besitzer wässern wie er wolle, dann aber trete Kehrordnung ein, und zwar so, daß ein Mannwerk Wiesen den ganzen Bach eine Stunde zu benutzen habe; Verbesserungen in den Einrichtungen noch viele möglich, ohne daß jedoch dazu ein Rieselmeister nöthig sei.» (Auszug aus: Schweiz. Z. Landw., Jan. 1848, S. 17-18.)

Wiesenthal? Welche Fläche umfassten die 100 Mannwerk Wiesen?

Mit den zwei Bächen sind, das ist klar, der Sagibach und der Mülibach gemeint. 

Was Baumgartner unter derjenigen Wässerungseinrichtung verstanden hat, die nur in ganz trockenen Zeiten von Vorteil sei, darüber können wir nur mutmassen. Ist damit derjenige Arm des Dorfbachs gemeint, der nach der Unterquerung der Glattfelderstrasse (vgl. Ausschnitt aus der Wild-Karte oben) geradeaus weiterlief, nach rund 150 Metern nach Norden geleitet wurde und schliesslich nahe dem Gebiet Leebern in den Äckern versickerte? 

Eher nicht. Gemeint sind vielleicht Gebiete oberhalb des Ortskerns («hinter dem Dorf»), für welche die Wässerordnung von 1828 spezielle Vorschriften erliess, die von denen für Gebiete «unter dem Dorf» (also im Wiesenthal) verschieden waren (vgl. Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, S. 59).

Was wir heute als Wiesenthal verstehen, ist auf der Wildkarte wie ein Sumpf dargestellt, in den das Wasser von Südosten her hinein und nach Nordosten wieder aus ihm hinaus fliesse. In Tat und Wahrheit waren das aber wohl auch Wässerwiesen.

Das Problem: diese Signatur ist wesentlich kleiner, als die angegebenen 100 Mannwerk. Das war ein anderer Begriff für die Jucharte, die mit dem interkantonalen Konkordat über eine gemeinsame schweizerische Mass- und Gewichtsordnung ab 1838 auf 36 Aren festgelegt worden war. Es geht hier also um ein Gebiet von rund 36 Hektar. Und was das bedeutet, zeigt die nachstehende Karte:

Die rote Fläche umfasst lediglich eine Fläche von 31 ha. Für 100 Jucharten müssten es 36 ha sein. 
Die beschriebenen Wässerwiesen waren also noch ca. 1/6 umfangreicher als hier dargestellt.

Diese andere Wässerungseinrichtung, die von Baumgartner ausführlicher beschrieben wurde, muss also sämtliche Flächen umfasst haben, die nach den topografischen Verhältnissen von den beiden zum Dorfbach vereinigten Bächen bewässert werden können. Denn nimmt man nur einen Arm an (nämlich den an obgenannter Stelle nach links abzweigenden), dann kommt man nie und nimmer auf 36 Hektaren, nur auf rund die Hälfte.

Die genannte Wiesenlandschaft muss also wesentlich umfangreicher gewesen sein, als das, was wir heute als Wiesental bezeichnen würden und in dem Gebiet finden, das vom Dorfbach, der Bahnlinie, dem Rhihofweg und der Hauptstrasse Koblenz-Winterthur begrenzt wird (rund 5.7 ha).

Bezirksrichter Johannes Baumgartner

Nun noch zur Frage, wer dieser Johannes Baumgartner war. Es handelt sich um den Namensgeber der sog. Amtsrichters-Zweige der Baumgartner zu Weiach (Oberdorfstr. 2 & Büelstr. 20):

Geboren 1786, Gemeindammann (d. h. Gemeindepräsident) von 1816 bis 1828; Amtsrichter seit 11. März 1828, Umbenennung zu Bezirksrichter (aufgrund der Staatsumwälzung von 1831), Rücktritt 1852 (StAZH MM 2.117 RRB 1852/1168); Mitglied des Grossen Rates (d. h. Kantonsrat) vom 18. Dezember 1830 bis 29. September 1832. URL: https://www.wahlen.zh.ch/krdaten_staatsarchiv/abfrage.php?id=15269.

Dienstag, 11. Juni 2024

Kriegerische Aktion des Gemeinderats gegen markanten Laubbaum

Wir halten fest: 

  1. Es liegt keine rechtskräftige Baubewilligung für die Platzierung der Schulcontainer vor. [Nachtrag vom 28. Juni 2024: Dieser erste Punkt dürfte eine Falschbehauptung sein. Die Frist der Bauausschreibung ist am 5. Juni abgelaufen. Seitens des vom Parkplatzbau hauptbetroffenen Anstössers der Parzelle 352 ist keine Einsprache erfolgt. Von weiteren Einsprachen ist der Redaktion nichts bekannt]
  2. Es besteht ein laufendes Verfahren vor dem Bezirksrat Dielsdorf (Rekurs in Stimmrechtssachen vom 6. Mai 2024).

In letztgenanntem Verfahren hat der Anwalt der Gemeinde (der einschlägig bekannte Herr Lorenzo Marazzotta) den Entzug einer aufschiebenden Wirkung für das Schulcontainerprojekt beantragt, obwohl der Rekurrent dies ursprünglich gar nicht verlangt hatte.

Bislang keine Antwort seitens des Bezirksrats Dielsdorf. 

Und trotzdem schafft die Gemeinde am 11. Juni 2024 zwischen 06:45 bis 08:00 Uhr beim Kiesparkplatz am Roten Schulhaus vollendete, nicht wiedergutzumachende Tatsachen. 

Alexander Good, Förster, und Marco Denzler, Werkangestellter mbA, haben sich an einem (geschätzt) 48 Jahre alten Baum vergriffen.

Musste dieser – soweit ersichtlich kerngesunde – Laubbaum (in der Bildmitte) umgelegt werden, um im Hinblick auf die Gemeindeversammlung vom 11. Juni 2024 um 19:30 Uhr ein Exempel zu statuieren?

Welches rechtsstaatliche Verständnis hat dieser eigenmächtig handelnde Gemeinderat eigentlich?

Klarstellung (Nachtrag vom 13. Juni, 13:25)

Es sei «sehr sehr heikel», Namen von Gemeindeangestellten in einem solchen Artikel zu nennen, wurde dem Verfasser der obigen Zeilen heute per Facebook-DM mitgeteilt. Das kann man so sehen. 

Aus dem Kontext – und insbesondere dem Titel – geht seines Erachtens aber klar hervor, dass die Genannten diese Fällaktion nicht aus eigenem Antrieb durchgezogen haben. Sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Auftrag ihrer Vorgesetzten. Kritisiert wird einzig die Vorgehensweise der Behörde, bei der sie angestellt sind.

Dass die beiden Gemeindemitarbeiter namentlich benannt werden, hat mit Authentizität zu tun, mit «die Anwohner haben das genau beobachtet». Es ist damit kein Vorwurf in Richtung eines persönlichen Fehlverhaltens in dieser Sache verbunden. 

Montag, 10. Juni 2024

Kommunalfahrzeug als Ausgaben-Trojaner

Was die Gemeindeoberen der Gemeindeversammlung morgen Dienstag verkaufen wollen? Ein trojanisches Pferd? Könnte sein. Denn mit dem Basisgerät (das man offenbar bei der Firma Meili zu beschaffen gedenkt) ist es noch längst nicht getan. 

Die 211'000 Franken, über die der Gemeinderat abstimmen lässt (dass es eigentlich rund 260'000 sind, vgl. WeiachBlog Nr. 2112), sind lediglich der Türöffner, mit dem sich unsere Exekutive in Eigenregie alles genehmigen kann, was sie will. Denn steht dieses Trojanische Pferd erst einmal im Werkhof – hat man also das Basis-Fahrzeug – dann muss man das auch nutzen, oder?

Was das alles beinhaltet, bzw. umfassen könnte? Im Beleuchtenden Bericht (S. 21, datiert auf den 13. Mai 2024) gibt's dazu nur Hinweise. Zum Beispiel den hier: «Hydraulik- und Elektroanschlüsse für Anbaumöglichkeiten von diversen Geräten hinten und vorne (z.B. grosses Laubgebläse für Waldstrassenreinigung, Böschungsmulcher, Astschere, Schneepflug und Salzstreuer)».

Der Wunschzettel

Am 15. Mai gab Gemeinderat Wunderlin gegenüber dem Präsidenten der Rechnungsprüfungskommission Lamprecht bekannt, was man sich bei den «Werkhof-Planern» an Einsatzmöglichkeiten sonst noch so vorstellt:

«[...] eine nicht abschliessende Auflistung mit geplanten Einsatzgebieten für das Kommunalfahrzeug:

  • Unterhalt neues Schwemmholzrückhaltebecken und bestehende Schlammsammler Bäche
  • Strassenunterhalt Forststrassen (Laub freimachen mit Gebläse) Gebläse wurde im Forst Budget 2024 bereits erwähnt
  • Gewässerunterhalt (Entfernen von Holz / Ästen und Mähgut) mit Greiferkran
  • Diverse Aufräumarbeiten mit Greiferkran für z.B. Forst (besonderst nach Sturm)
  • Diverse Transportarbeiten für z.B. Kiestransport für Stassenunterhalt, Schnitzel, Laube, Äste und Holz, Schule, etc.
  • Unterhalt von Strassenrändern und Rückschnitte von Hecken entlang der Strassen mit Seitenmulcher und Astschere  (Mulcher und Astschere wären weitere Anschaffungen für Später)
  • Diverse Hebe-Arbeiten mit Kran welche jetzt von 2-3 Personen durchgeführt werdem müssen / werden (somit entfallen teuere Personenstunden)
  • Des Weiteren besteht die Möglichkeit, das Fahrzeug für den Winterdienst einzusetzen (Salzen und Schneeräumung der Strassen) 

Diese Liste ist nicht abschliessend, weitere Arbeiten und Einsatzmöglichkeiten werden sich auch erst im Betrieb zeigen.»

Es braucht also sogenannte Anbaugeräte. Und die sind natürlich auch nicht gratis. Aber eben doch so günstig, dass der Gemeinderat sie sich dann in Eigenkompetenz am Volk vorbei genehmigen kann, wie es ihn gerade gelüstet (siehe das oben erwähnte Gebläse für den Forstbetrieb).

Eine Frage der Strategie

Dank besagtem Gebläse kann man nun einen der wenigen noch übriggebliebenen Weiacher Landwirte als Auftragnehmer hinauskomplimentieren. Die Tendenz geht eindeutig in die Richtung, das Korps der Werkangestellten aufzustocken und sukzessive von Drittunternehmern wegzukommen.

Also genau das Gegenteil dessen, was etliche andere Gemeinden gerade machen. Uitikon beispielsweise kommt zunehmend davon ab, den Werkhof mit eigenen Maschinen und Personal bestücken zu wollen. Sie kaufen die Dienstleistungen ein, denn – so der dortige Verantwortliche – die Angestellten dieser Firmen hätten wesentlich mehr Erfahrung mit ihren Geräten und seien daher effektiver und schneller. Ausserdem spare er sich damit die Wartungskosten für Kommunalfahrzeug und Anbaugerät.

In Weiach sieht es eher danach aus, dass man bald einmal beim Werkpersonal wird aufstocken wollen. Und das wären dann erneute Fixkosten der besonders teuren Art.

Der Vorfall mit der ungemähten Wiese auf dem Friedhofsareal, grad jüngst bei der Beerdigung von alt Vizepräsident Fritz Baltisser, könnte dem noch Vorschub leisten. Sollte er aber nicht. Im Gegenteil.

Mehr Milizpersonal!

Denn eigentlich braucht es einen intelligenten Mix aus wenigen eigenen Werkhof-Angestellten und vielen anderen, die als Minijobber wie ein Friedhofsgärtner oder (wie Landwirte das nennen) als «Lohnunternehmer» die nötigen Einsätze übernehmen (wie in Uitikon). Die Friedhofswiese ist ja noch eines. Aber man stelle sich den Fall vor, dass in kürzester Zeit Dutzende Zentimeter Schnee fallen. Die Werkhof-Mitarbeiter können sich nicht multiplizieren. Dann braucht man Landwirte mit starken Traktoren und die nötigen bereits vorgängig eingepassten Schneepflüge. Sonst ertrinkt die Gemeinde in den Schneemassen.

Erstaunlicher Stichentscheid pro Gemeinderat

Nur so am Rande sei noch angefügt, dass die RPK das Geschäft Nr. 3 für ein neues Kommunalfahrzeug lediglich in Viererbesetzung beraten hat (ein Mitglied abwesend). Der Präsident war einer der beiden, die der Gemeindeversammlung eine Zurückweisung des Geschäfts empfehlen wollten. Wohl im Sinne einer konzilianten Geste war es dann aber auch der Präsident, der mit seinem Stichentscheid PRO Geschäft Nr. 3 das Zünglein an der Waage spielte. Nur deshalb empfiehlt die RPK offiziell den Verpflichtungskredit zur Annahme.

Sonntag, 9. Juni 2024

Weiacher Privatwald. Dutzende Eigentümer, kleine Parzellen

Eigenen Holzboden zu haben, das war in früheren Zeiten ein Vorteil. Auch wenn man sich mit den Eigentümern der Nachbarparzellen gut absprechen musste, wenn man Holz schlagen und rücken wollte. Denn dafür musste man unter Umständen über weite Strecken durch fremden Wald. Bis zur nächsten Waldstrasse, von denen es damals nicht allzu viele gegeben hat.

Laut einem Parzellenplan des Oberforstamts des Kantons Zürich sah es vor 1960 im Gebiet Surgen-Haggenberg an der Grenze zur Gemeinde Stadel so aus (vgl. untere Hälfte des Ausschnitts):

Ganz oben links der Hof Hinder Berg (heute: Bergstrasse 40), oben in der Mitte an der Strasse der Felsenhof (Bergstrasse 59). 

Man beachte die vielen Hecken und anderen Kleinstrukturen, die es damals im Gebiet des Haggenberg-Maas gab. Und man beachte die damals noch vorhandene Fortführung der Bergstrasse über den Felsenhof hinaus. Das war die alte Zürichstrasse, bevor 1845/46 die auf dem Reissbrett geplante heutige Stadlerstrasse gebaut wurde.

Quelle

Samstag, 8. Juni 2024

Kommunales Elektrofahrzeug-Debakel

Am nächsten Dienstagabend ist Gemeindeversammlung und das Geschäft Nr. 3 hat (neben der Gemeinderechnung 2023 und den Asylantencontainern) schon eine Art Mauerblümchenstatus. Es geht um die Anschaffung eines neuen Kommunalfahrzeugs (vgl. Beleuchtender Bericht, S. 20-22).

Weil der nur schon für das Basisgerät erforderliche Finanzbedarf von 260'000 Franken die Finanzkompetenz des Gemeinderats übersteigt, muss das Geschäft vor den Souverän. Moment mal, werden Sie jetzt einwenden, es geht doch nur um 211'000 Franken.

Nach zwei Jahren will man schon wieder etwas Neues

Dem ist tatsächlich so. Günstiger wird es nur, weil die Rücknahme des bisherigen Fahrzeugs mit rund 33'000 Franken berechnet wird. 

Eigentlich glaubte sich der Gemeinderat ja auf der sicheren Seite, damals 2022, als er das Elektrofahrzeug Elion T-Modell, eine 2020 erstmals in Dienst gestellte Occasion, angeschafft hat. Für den in der Steiermark (nahe Graz) hergestellten E-Transporter aus dem Hause MUP Technologies GmbH wird ja auch vollmundig geworben:

Nullemission! Kostenkiller!! Und überhaupt: Elektro ist doch voll angesagt. Muss man haben. Also hat sich der Gemeinderat kurzerhand rund 77'000 Franken bewilligt.

Nullemission? Bei Kälte eine Nullnummer!

Dass die Emissionen beim europäischen Strommix, wie er nun einmal aus der Steckdose kommt, halt anderwärts entstehen, geschenkt. Selbst beim Laden mit eigener Photovoltaikanlage auf dem Dach sind die Emissionen (über den Lebenszyklus des Fahrzeugs, Stichwort: Akkus!) keineswegs vernachlässigbar. Im Gegenteil. Aber das soll jetzt nicht weiter diskutiert werden.

Bedenklich ist die Aussage im Beleuchtenden Bericht: «Im Weiteren fällt das Fahrzeug im Winter bei tiefen Temperaturen immer wieder gänzlich aus.» Was genau ist das Problem? War schon der Vorbesitzer damit nicht zufrieden? Hat sich die Gemeinde ein Montagsauto andrehen lassen? Jedenfalls wurden auf diese Weise mindestens 44'000 Franken Steuergelder verheizt.

Was im Beleuchtenden Bericht auch noch drinsteht, ist, dass es bei diesem E-Fahrzeug offenbar auch noch weitere Probleme mit dem Antrieb und den Bremsen gibt. Nicht aber, welche Folgekosten das verursacht hat.

Und nun dieses Geschäft Nr. 3. Die gleichen Akteure, die vor zwei Jahren ein punkto Nutz- und Anhängelast völlig ungenügendes Fahrzeug beschafft haben, sollen jetzt also befähigt sein, diesmal nicht erneut einen Missgriff zu machen? Jetzt einfach mit dem Segen der Gemeindeversammlung?

Häufig in Nachbargemeinde anzutreffen

Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass besagtes Fahrzeug in den letzten Monaten um die Mittagszeit regelmässig auf den Strassen einer Nachbargemeinde gesehen wird. 

Wie dem WeiachBlog-Redaktor zugetragen wurde und von ihm verifiziert werden konnte, erfolgen diese Fahrten (wir reden da geschätzt von rund 1500 zusätzlichen Strassenkilometern) nicht in einem dienstlichen Zusammenhang. 

Ob diese zusätzlichen Kilometer durch den Gemeinderat bewilligt worden sind oder nicht: diese Zusatzbelastung hat dem elektrischen Löwen (e-Lion) wohl nicht gerade gut getan. Bei einem landwirtschaftlichen Fahrzeug mit Allrad-Antrieb und -Lenkung wäre eine solche Laufleistung jedenfalls zumindest punkto Pneu-Abrieb ein Thema. 

Donnerstag, 6. Juni 2024

Pferdegespann für den Bischof landet in Güllengrube

Der Papst, das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche mit Sitz im Vatikan zu Rom, hat bekanntlich eine ganz besondere Eigenschaft, nämlich seine Unfehlbarkeit. Nun ist der Pontifex als Mensch genauso fehlerhaft wie wir alle. Diese infallibilitas, wie man sie in der Amtssprache der Kirche nennt, kommt ihm auch nur dann zu, wenn er einen Entscheid in einer Glaubens- oder Sittenfrage als Lehrer der Christenheit im übertragenen Sinne ex cathedra, also von seinem herausgehobenen Sitz aus, verkündet. 

Der Kulturkampf nach dem Vatikanum

Das gilt auch noch nicht seit grauer Vorzeit, sondern erst seit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870). Dieses Vatikanum I löste den sogenannten Kulturkampf aus und führte in der Schweiz unter anderem zu vier konfessionellen Ausnahmeartikeln in der Bundesverfassung von 1874, darunter das Jesuitenverbot.

Innerhalb der römisch-katholischen Kirche selber gab es ebenfalls Aufruhr, was zu einer Abspaltung von Klerikern und Laien führte, die mit den Neuerungen des Vatikanums nicht einverstanden waren. In Deutschland kam es zur Gründung der Altkatholischen Kirche und in der Schweiz derjenigen der Christkatholischen Kirche.

Sticheleien zwischen den katholischen Glaubensrichtungen

Auch in unserer Nachbargemeinde Hohentengen gab und gibt es bis heute Altkatholiken. Und natürlich kam es besonders zu Beginn zu etlichen Spannungen zwischen Gläubigen der beiden Richtungen. 

So ist denn auch der bissige Unterton zu verstehen, den man im folgenden Kurzbericht in einer stramm römisch-katholischen Zeitung, der Freien Stimme aus Radolfzell am Bodensee, lesen konnte. Geschrieben wohl von einem in Hohentengen ansässigen Papsttreuen:

«Hohenthengen, 27. Juni. Heute war hier Firmung durch den altkathol. Bischof. 23 Firmlinge wurden gezählt. Bischof Reinkens kam gestern Abend halb 6 Uhr hier an. Er hätte mit einer zweispännigen Chaise am Bahnhofe in Weiach-Kaiserstuhl abgeholt werden sollen. Aber die beiden Pferde fielen vor Abgang mit ihrem sauber geputzten Geschirr in die Güllengrube, an ein Abholen des Bischofs war nun nicht mehr zu denken. Die Riemen mußten abgeschnitten und die Thiere aus ihrem schmutzigen Bade herausgezogen werden. Der blinde Gaul des Herrn Müller-Müller soll die ganze Verlegenheit veranlaßt haben. Der Herr Bischof machte den halbstündigen Weg nun zu Fuß hierher.»

Ein landwirtschaftliches Missgeschick mit geistlichen Folgen und schriftlichem Niederschlag. Ohne die Animositäten gegenüber den Altkatholiken hätte es die Geschichte nicht in die Zeitung geschafft.

Per pedes apostolorum

Bei diesem Herrn Bischof, der offensichtlich gut zu Fuss war und das nun auch unter Beweis stellen konnte, handelt es sich um Joseph Hubert Reinkens (* 1. März 1821 in Burtscheid; † 4. Januar 1896 in Bonn). Er gehörte zu den Gründern der Altkatholischen Kirche in Deutschland und war ihr erster Bischof.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Joseph_Hubert_Reinkens.png

Quelle

  • Freie Stimme, Jg. 22 (1886), No. 78, 6. Juli 1886, S. 2

Montag, 3. Juni 2024

Out of Rottweil: der Weiacher «Stuhl für Hochwassergeschädigte»

Der grosse Regen der letzten Tage hat einstweilen aufgehört und die Pegelstände am Zürcher Rhein gehen wieder zurück. Auch die Website naturgefahren.ch des Bundes sieht an diesem Flussabschnitt nicht mehr orange (erhebliche Gefahr, Stufe 3), sondern nur noch gelb (mässige Gefahr, Stufe 2). 

Der knietief überschwemmte Feuerstellenplatz an der Mündung des Weiacher Dorfbaches wird somit wohl bald wieder trockenen Fusses begehbar sein. Für Bilder der diesjährigen Überflutung siehe den Beitrag von Thomas Rüeger vom 1. Juni auf «Du bisch vo Weiach, wenn...». In einem Kommentar zu diesem Beitrag habe ich den sog. Hochwasserstuhl erwähnt. Ob der auch nasse Füsse bekommen hat? Wahrscheinlich nicht.

Skulpturenweg.de

Mit Kaiserstuhl hat dieser Stuhl für Hochwassergeschädigte, wie ihn sein Erschaffer benannt hat, insofern etwas zu tun, als die Initianten des grenzüberschreitenden Skulpturenwegs «Übers Wasser - übers Land» auch zu grossen Teilen aus dem Städtchen stammen.

Das Kunstwerk ist wenige Meter rheinaufwärts von der eben erwähnten Dorfbachmündung entfernt aufgestellt worden. Und befindet sich dort seit bald 25 Jahren (auf dem Plänchen unten bei der Ziffer 9, bzw. etliche Meter westlich von ihrer Platzierung).


Der sechs Meter hohe Stuhl aus massivem Stahl, mit einer schiefen Sitzfläche versehen, ist im direkten Zusammenhang mit einer anderen Überschwemmung entstanden, nämlich der vom Mai 1999.

Nicht der einzige Stuhl aus der Werkstatt dieses Künstlers

Jürgen Knubben (*1955) aus der süddeutschen Stadt Rottweil (einst ein Zugewandter Ort der Alten Eidgenossenschaft) hat sein Opus 170 unter dem Eindruck der noch sichtbaren Schäden dieses Hochwassers konzipiert und es als Teil des Skulpturenwegs beigesteuert. Er schreibt zum genius loci:

«Widersprüchlichkeit einer Landschaft: Flussidylle und Fluglärm. Und überall Spuren und Reste des Hochwassers vom Mai 1999. Welche Kraft kann der Wasserlauf bei einem Naturereignis entwickeln?

Wie sehr sind die Menschen in der Nähe des Flusses bedroht? Ein Stuhl, der hoch und stabil genug ist, kann Abhilfe schaffen. Übersicht garantieren. Leben retten.

Der hohe Stuhl: Ein Hochsitz, wie er vielfach zu sehen ist in den Wäldern rundum. Ein Hochsitz, um die im Fluss Badenden im Auge zu behalten. Der Stuhl ist überdimensioniert. Roh, massiv, archaisch. Die Sitzfläche fällt schräg ab. Hier sitzt es sich unsicher, gefährlich. Übersicht und Beherrschung sind ausgeschlossen.

Vielleicht gibt es gar keine Möglichkeit, sich den Gefahren des Flusses, des Lebens gänzlich zu entziehen.»

Quelle: https://www.skulpturenweg.de/sknubben.html

Weitere Stühle ähnlicher Bauart aus der Werkstatt des Herrn Knubben, gefertigt aus Cortenstahl und mit einer höchst unkonventionell-unbequemen «Sitzfläche», kann man in den baden-württembergischen Orten Balingen (Zollernalbkreis) und Erbach (Alb-Donau-Kreis) besichtigen. 

In Balingen stand der sogenannte Stuhl V (Opus 245) sogar zuerst mitten im Flüsschen Eyach (!) bis er von einem Hochwasser weggespült wurde und nun am NeckarAlbKunstweg platziert ist. Interessante Ähnlichkeit von Eyach zu Weyach, finden Sie nicht auch?

Sonntag, 2. Juni 2024

Griffiger formuliertes Nein zu teurer Barackensiedlung

Von viel Prosa auf die kürzer gefassten Argumente abgespeckt. So sieht das neue Flugblatt der Eigentümergemeinschaft Dammweg 4 aus, das mir ein Mitglied hat zukommen lassen (vgl. WeiachBlog Nr 2106 für die erste Version). Die Stossrichtung ist dieselbe. Die Kernelemente sind aber plakativer und mit Farbelementen präsentiert.


Kurz: die Anliegen sind griffig, aber nicht angriffig formuliert. Man könnte seinen Unmut gegenüber Bund, Kanton und Gemeinde ja auch mit Döp-Dö-Dö-Döp-Varianten zum Ausdruck bringen, wie man das vermehrt hinter vorgehaltener Hand von Weycher Einwohnern hört.

Letzteres macht allerdings wenig Sinn. Schliesslich ist die aktuelle Bevölkerung punkto Herkunft noch wilder zusammengewürfelt als weiland die Alamannen. Und die waren – vertraut man auf die Etymologie des Namens – ja bereits ein Völkergemisch.