Montag, 29. März 2021

Politikabstinenz. Eine Mitteilung des Wiachiana-Verlags

Heute um 14:22 wurde die nachstehende Mitteilung in eigener Sache auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...» veröffentlicht:

In den letzten Monaten sind auf WeiachBlog mehrere Beiträge erschienen, die als unzulässige einseitige Einmischung in innere Angelegenheiten der in Weiach Wohnenden empfunden werden können. 

Es wurde der Vorwurf laut, der Chronist lasse es an der für diese Funktion nötigen Neutralität mangeln. Ja, es wurde ihm Spalterei und Hetze vorgehalten.

Damit sich die Wogen wieder glätten können und Drittpersonen nicht in Schwierigkeiten geraten, habe ich mich entschieden, ab sofort keine aktuellen politischen Themen mehr aufzugreifen, weder auf WeiachBlog noch in dieser Facebook-Gruppe.

So ist garantiert, dass sich niemand über mangelnde Neutralität ärgern muss.

Ich wünsche der Gemeinde bei der Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen (Einheitsgemeinde, Bauvorhaben auf dem Campus Hofwies, Weiterentwicklung, etc. pp.) viel Glück und Gottes Segen.

Ulrich Brandenberger

Freitag, 26. März 2021

Ein Zebra einsperren?

Derzeit kursiert in den Social Media ein regierungskritischer Witz in einem Stil, wie er weiland zu Zeiten der DDR oder der Sowjetunion hinter vorgehaltener Hand gepflegt wurde:

Parmelin und Berset sitzen im Bundeshaus-Restaurant und haben es sichtlich lustig. Ein Journalist, der das mitbekommt, geht auf die beiden zu und fragt, was sie denn so erheitere. «Wir planen die Massnahmen für die nächste Welle», erklärt Berset. «Darf man fragen, wie die aussehen?», antwortet der Journalist. «Mais bien sûr», antwortet Parmelin, «wir werden 8,5 Millionen Menschen und ein Zebra einsperren!» -- «Aber warum denn ein Zebra?», fragt der Journi entgeistert. Da klopft Berset dem Parmelin auf die Schulter und sagt: «Siehst Du, es funktioniert! Keiner interessiert sich für die 8,5 Millionen!»

In Abwandlungen mit angepassten Zahlen und anderen politischen Akteuren gibt es den Witz gegen die Corona-Massnahmen auch für Deutschland (mit Spahn und Lauterbach) und Österreich (mit Anschober und Kurz). Eine Schweizer Variante findet man auf dem Twitter-Auftritt des Weiacher Imageberaters Hanspeter Bühler.

Aufmerksamkeitssteuerung

Die Promoter der Campus Hofwies-Ideologie wenden im Kern genau diese Zebra-Taktik an. Die Aufmerksamkeit wird gezielt umgelenkt. Beispiel gefällig?

Von den Steuerzahlern in Kaiserstuhl und Fisibach, die nicht ihren fairen Anteil an den Kosten der Weiacher tragen müssen (nur maximal 85% der Vollkosten, vgl. WeiachBlog Nr. 1631), wird geschickt abgelenkt. Wie? Indem man ein grosses Geschrei erhebt, es sei unfair, die Kaiserstuhler und Fisibacher Kinder (!) für die höheren Kosten des Schulbetriebs in Weiach verantwortlich zu machen. 

Warum man nicht die Erklärung brachte, die am Gemeindeversammlungsabend im Ebianum gegeben wurde? [Die war, nur damit das hier festgehalten ist, dass die massive Erhöhung des Steuerfusses der Primarschulgemeinde um 12% auf die vor Abschluss des Schulanschlussvertrags angefallenen Kosten der Schulhaussanierung (weinrote Hülle des Schulhauses von 1976) und den Neubau des Kindergartens Farbtupf zurückzuführen sei.] 

Ganz einfach: diese Erklärung hat keinen emotionalen Wert. Kinder hingegen (oder eben Zebras) wecken die Emotionen. Und werden geschickt instrumentalisiert. 

Gefühle sind das A und O

Als netter Nebeneffekt brauchte die Schulpflege auf die sachlich einzig gerechtfertigte Forderung: «Die Behauptung der Projektgegner [von Balance] bedarf einer transparenten Überprüfung», wie sie zuerst der Kaiserstuhler Stadtammann Ruedi Weiss geäussert hat (ZU, 12.9.2020, vgl. Quellen), erst gar nicht mehr einzugehen.

Denn für die in Fisibach am 16. März 2021 mehrheitlich anwesende Klientel geht es nicht um Zahlen, sondern primär um Gefühle. Die wurden an diesem Abend auch perfekt orchestriert bedient.

Als Tüpfli auf dem i musste Eusi-Schuel-Stratege Frank Lehmann nur noch die im abendlichen In-Fight im Ebianum gefallene Aussage «Das lässt mich kalt» des zum Lord Voldemort von der Fasnachtsflue hochstilisierten Hauptinitianten Werner Ebnöther emotional wirken lassen und schon war die Frontstellung klar und das Ziel der Fangemeinde deutlich vor Augen geführt.

So gesehen ist das Resultat der Abstimmung über die Kündigungsinitiative keine Überraschung, umso weniger als viele Weiacherinnen und Weiacher, die die Vorlage befürwortet hätten, der Gemeindeversammlung fernblieben. Sei es aus Protest gegen den Tagungsort, Angst vor Corona, oder aus welchen Gründen auch immer.

P.S.: Mit Zebras ist nicht zu spassen

Die Wirkmacht von Zebras kennt die Weiacher Gemeindepolitik übrigens aus jahrelanger eigener Erfahrung. 

Als der Kanton 2009 die Zebrastreifen über die Stadlerstrasse entfernte, da regte sich hartnäckiger Widerstand. Besonders die Eltern schulpflichtiger Kinder gingen auf die Barrikaden. Denn, so ihre Vorstellung: Nur auf einem Zebrastreifen ist mein Kind sicher! Da konnte der Gemeinderat argumentieren wie er wollte. Auch der Kanton und all seine Verkehrsfachleute bissen bei den Zebra-Aktivisten auf Granit. Und sie trugen den Sieg davon. Seit 2013 gibt es die Zebrastreifen wieder und der Kanton zahlte laut den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach sogar dafür! (Vgl. Weiterführende Beiträge unten)

Federführend bei diesem zähen Ringen war übrigens eine Gruppierung namens F.O.R.U.M Weiach, gegründet am 27. Oktober 2007 (vgl. WeiachBlog Nr. 551 bis 553). Sie ist so etwas wie eine ältere Schwester des Familienvereins Weiach (gegr. 2019) oder der IG Eusi Schuel (gegr. 2021). In dieser Gruppe wurde der Zebra-Kampf vorbereitet und geführt.

Mit den Zebraisten musste man rechnen. Sie als Gegner zu haben? Sehr dumme Idee, da konnte man als Gemeindepolitiker nur verlieren. Also wurden sie integriert (um es nicht gleich «kooptiert» zu nennen). Mit Andy Brüngger (Gemeinderat) und Carlo Losurdo (RPK) sitzen heute gleich zwei dem F.O.R.U.M. zuzurechnende Personen an den Schalthebeln der Macht.

Ein Zebra einsperren? Das will gut überlegt sein. Es sei denn, man will es sowieso zu Tisch bitten.

Quellen und weiterführende Beiträge
  • Brandenberger, U.: «Zebrastreifen braucht es hier nicht». WeiachBlog Nr. 750 v. 22. Januar 2010.
  • Brandenberger, U.: Wenn Volkes Stimme Fussgängerstreifen fordert. WeiachBlog Nr. 1135 v. 10. Mai 2013.
  • Abazi, A.: Schule Weiach plant grenzübergreifend. In: Zürcher Unterländer. 12. September 2020 – S. 5.

Montag, 22. März 2021

Stimmrechtsbeschwerde gegen Abstimmungen im Ebianum

Am 16. März 2021 fand die wohl erste exterritoriale Weiacher Schulgemeindeversammlung statt (vgl. WeiachBlog Nr. 1622). Coronabedingt in einem Saal, der grössere Kapazität hat als der Gemeindesaal unter der Weiacher Turnhalle oder die Turnhalle selber: dem grossen Saal des Ebianum in Fisibach.

Die nachstehenden Erörterungen enthalten Überlegungen, die letztlich auch auf andere Gemeindeversammlungen zürcherischer Gemeinden ohne Parlamentsbetrieb anwendbar sind. Sie zeigen Sicherheitslücken auf und machen Vorschläge für deren Behebung. Deshalb werden in der Folge auch Details aufgeführt, die den an dieser Gemeindeversammlung Anwesenden wohlbekannt sind.

Der Standort und die Sitzanordnung

Der erwähnte grosse Saal nimmt unter normalen Bedingungen mehr als 700 Personen auf. Mit dem von der Betreibergesellschaft aufgestellten Schutzkonzept, das einen Abstand von 1.5 Metern von Sitz zu Sitz verlangt, sind es weniger als 300. Das reichte gerade aus, um die 276 Personen aufzunehmen, die an diesem Dienstagabend nach Fisibach gekommen waren. 

Die Sitzreihen für die nach offiziellen Angaben 240 anwesenden Stimmberechtigten waren in sechs Sektoren unterteilt, für die je ein Stimmenzähler zuständig war. Dahinter sassen die Nichtstimmberechtigten in zuerst drei, danach - als es für die Stimmberechtigten nicht mehr ausreichte - noch zwei Reihen. Es gab keine Barriere welche die Nichtstimmberechtigten von Stimmberechtigten trennte.

Rechts auf der Seite waren Plätze für die Medien (nicht stimmberechtigt) ausgeschieden. Vorne links war das Schulbüro platziert, in der Mitte die Rednertribüne, rechts davon der Tisch der Schulpflege (stimmberechtigt).

Die behandelten Geschäfte

Zwei Geschäfte standen auf der Traktandenliste: 1. die Initiative zur Kündigung der RSA-Anschlussverträge mit den Aargauer Gemeinden Kaiserstuhl und Fisibach, sowie 2. ein Kredit über 395'000 Franken für die Planung und sog. Totalunternehmer-Submission neuer Schulräumlichkeiten.

Beide Geschäfte (die sachlich eng miteinander verknüpft sind) waren stark umstritten und haben Anlass zu einer in der Gemeindegeschichte bisher beispiellosen Politmarketing-Kampagne gegeben, vgl. WeiachBlog Nr. 1630. Wie man anhand der grossen Zahl an Anwesenden (die rund 20% aller Stimmberechtigten entspricht) feststellen kann, war die Mobilisierungswirkung gross.

Der Antrag der Rekurrentin

Innerhalb der für Stimmrechtssachen nach dem zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetz (Art. 19 Abs. 1 lit. c VRG) gesetzlich vorgesehenen Frist von 5 Tagen (vgl. § 22 Abs. 1 VRG) hat nun eine Stimmberechtigte Rekurs beim Bezirksrat Dielsdorf eingereicht (der zuständigen Behörde gemäss § 10 Abs. 1 BezVG). Das entsprechende Schreiben sowie eine Aufgabebestätigung der Schweizerischen Post vom Samstag liegen der Redaktion WeiachBlog in Kopie vor. 

Die Rekurrentin, welche mit den Initianten des Traktandums 1 nichts zu tun hat, beantragt die Wiederholung der Gemeindeversammlung bzw. der beiden Abstimmungen. Dies begründet sie im Wesentlichen damit, dass keine genügende Überprüfung der Stimmberechtigung stattgefunden habe.

Das Anmeldeformular

Im Vorfeld der Schulgemeindeversammlung war auf der Website der Schule ein elektronisches Anmeldeformular aufgeschaltet, das vorerst den Anschein machte, als gebe es eine Anmeldepflicht (ein Eindruck, der durch den bei solchen Formularen üblichen Hinweis auf Pflichtfelder verstärkt wurde). Nach Intervention einer Stimmberechtigten (mit der späteren Rekurrentin nicht identisch) brachte die Schulverwaltung oberhalb des Formulars einen Hinweis an, wonach Stimmberechtigte selbstverständlich auch ohne Anmeldung erscheinen dürften. Man sei einfach froh um eine Anmeldung, weil man so die Transportkapazität des eigens bestellten Shuttlebusses sowie die Zahl der zu betreuenden Kinder im Voraus planen könne.

Der Knackpunkt: Mangelhafte Einlasskontrolle

Weiach ist in den letzten zehn Jahren extrem stark gewachsen. Die Bevölkerung hat sich verdoppelt. Noch in den 80er- oder 90er-Jahren wären Nichtstimmberechtigte (auch in kleinerer Zahl) an einer Gemeindeversammlung sofort aufgefallen, zumal dort immer in etwa dieselben Personen aufzutauchen pflegen. Mit dem gewaltigen Zuwachs an neuen Stimmberechtigten ist es nun aber sehr viel schwieriger geworden, die Stimmberechtigung sozusagen per Augenschein festzustellen. Die obligate Frage des Versammlungsleiters, ob die Stimmberechtigung eines Anwesenden bestritten werde, wird daher immer illusorischer, denn es will sich ja niemand blamieren und einen Neuzuzüger zu Unrecht beschuldigen.

Die Mobilisierungswirkung der IG Eusi Schuel hat sich auf alle Eltern mit schulpflichtigen Kindern erstreckt. Auch viele tatsächlich stimmberechtigte Personen dürften in Weiach zum ersten Mal an einer Gemeindeversammlung teilgenommen haben.

Es stellt sich daher die Frage, wie die Stimmberechtigung überprüft wurde. Am Abstimmungsabend waren im Erdgeschossbereich des Ebianums zwei Tische aufgebaut, wo je eine Person anhand der Anmeldungslisten das Eintreffen der Stimmberechtigten erfasste. Wer nicht angemeldet war, wie beispielweise die Rekurrentin sowie deren Mutter, wurde lediglich nach dem Namen und einer Telefonnummer gefragt. Es fand also die in Pandemiezeiten üblich gewordene Erfassung zwecks Contact Tracing statt. Ein amtlicher Ausweis zur Identitätsüberprüfung wurde nicht verlangt.

Für die Rekurrentin (und eine weitere mit ihr nicht verwandte Person, die zu einem anderen Zeitpunkt erschienen ist) war nicht ersichtlich, dass eine eigentliche Überprüfung der Stimmberechtigung durch sofortigen Abgleich mit dem Stimmregister stattgefunden hätte. Diese konnte somit lediglich für die bereits vorgängig angemeldeten Personen erfolgt sein, wenn überhaupt. Es entstand für die Rekurrentin der Eindruck, dass hier jedermann hätte hereinspazieren und anschliessend als Stimmberechtigte(r) in den Saal gehen können.

Anders als bspw. bei Delegiertenversammlungen politischer Parteien üblich, oder wie bei einer Urnenabstimmung im Abstimmungslokal hatten die Stimmberechtigten überdies auch keine Stimmrechtskarten zur Verfügung, die ein weiteres Element der Legitimation hätten sein können.

Im oberen Stock des Ebianums, wo sich der grosse Saal befindet, wurden Nichtstimmberechtigte in den hintersten Teil des Saales verwiesen. Mangels Stimmrechtskarten o.ä. konnten die Platzanweiser am oberen Ende der Treppe jedoch nicht mit Sicherheit feststellen, welcher Kategorie die eintreffende Person zuzuweisen ist. Man vertraute ganz einfach darauf, dass sich schon niemand unlauter verhalten werde.

Es ist daher nachvollziehbar, dass die Rekurrentin den Verdacht hegt, es könnte hier einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das Ergebnis beeinflusst wurde?

Man wird sehen, wie der Bezirksrat im Falle dieses Rekurses den § 27b VRG interpretiert, der da lautet: «Die Wiederholung einer Volkswahl oder Volksabstimmung wird nur dann angeordnet, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass die Unregelmässigkeit den Ausgang der Wahl oder Abstimmung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflusst hat

Das Resultat der Abstimmung beim Traktandum 1 fiel mit 69 Ja zu 159 Nein vordergründig sehr deutlich aus (Ja-Anteil von 28.75% der anwesenden Stimmberechtigten), was die Initiativgegner zur Bemerkung veranlasst hat, die Initianten seien mit ihrem Vorhaben «kläglich gescheitert» (vgl. Website der IG Eusi Schuel).

Rechnen wir nach: Ausgehend von 240 durch die Versammlungsleitung als Stimmberechtigte ausgewiesenen Personen im Saal ergibt sich die Zahl von 12 impliziten Enthaltungen. Diese Enthaltungen können dadurch verursacht worden sein, dass die vom Wortführer der Initianten am Schluss seines Eintretensvotums verlangte Geheimabstimmung nicht die erforderliche Stimmenzahl von 25% der anwesenden Stimmberechtigten erreicht hat. 

Der Umstand, dass viele Initiativbefürworter offensichtlich nicht begriffen haben, wie wichtig eine Geheimabstimmung im Rahmen der Gemeindeversammlung für die Erzwingung einer Urnenabstimmung gewesen wäre, das war das grosse Glück der Phalanx der Initiativgegner. Mit anderen Worten: der Ausgang war wesentlich knapper als es den Anschein macht.

Denn: etliche Befürworter, die sich in Abhängigkeitsverhältnissen zur politischen Gemeinde oder der Schulgemeinde, bzw. zu Personen befinden, von denen bekannt war, dass sie Gegner der Initiative sind oder sein dürften, haben sich dadurch nicht getraut, mit JA zu stimmen oder sahen sich gar genötigt, mit NEIN zu votieren, weil sie sonst mit Schwierigkeiten bis hin zur Entlassung rechnen müssten.

[Ergänzung vom 22.3. 21:15: Seitens einer Exponentin der IG Eusi Schuel wurde der Redaktor darauf hingewiesen, dass es auch den umgekehrten Fall gebe. Stimmberechtigte, die Angst davor hatten, einem der Initianten durch ein NEIN-Votum negativ aufzufallen und von diesem in der Folge keine Aufträge mehr zu erhalten. Die hätten dann mit JA gestimmt. Auch eine Verfälschung der Willensäusserung in diese Richtung ist selbstverständlich nicht auszuschliessen.]

Die verhinderte Urnenabstimmung

Geht man nun von lediglich sechs Stimmenden aus, die entgegen ihrer eigentlichen Intention mit NEIN gestimmt haben, und zählt man die Hälfte der Enthaltungen dazu, dann wäre bereits ein Quorum von mehr als einem Drittel der anwesenden Stimmberechtigten überschritten (d.h. mind. 81). Das hinwiederum wäre die für eine Urnenabstimmung nötige Anzahl gewesen.

Es kann also sein, dass wenige Nichtstimmberechtigte im Saal, z.B. interessierte Eltern aus Fisibach, die unberechtigterweise mit NEIN gestimmt haben, den Ausgang der Abstimmung so beeinflusst haben, dass dadurch dem Wortführer der Initianten das Begehren, darüber abstimmen zu lassen, ob eine Urnenabstimmung durchgeführt werden soll, von vornherein als sinnlos erschien. 

Wie man bei der Abstimmung über das Grossbauprojekt Balance gesehen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1535), unterliegen jedoch Urnenabstimmungen insbesondere in dieser Angelegenheit nicht den bei Gemeindeversammlungen mit offenem Handmehr wirkenden Psychodynamiken. 

Ausserdem hätte die Initiative in der Urnenabstimmung mit der dort möglichen Briefwahl nur schon deshalb wesentlich grössere Chancen gehabt, weil viele als Initiativbefürworter bekannte ältere Personen sich aufgrund der Corona-Empfehlungen aktuell nicht trauen, Grossveranstaltungen zu besuchen, wie sie eine Gemeindeversammlung mit über 250 Teilnehmern nun einmal darstellt.

Da die Schulpflege dies wusste, kommt ihr Entscheid, trotz den gegebenen Umständen einer besonderen Lage durch die Pandemie, nicht nur eine Gemeindeversammlung durchzuführen, sondern sie noch dazu in Fisibach stattfinden zu lassen, einer nicht legitimen Beeinflussung der Zusammensetzung des Elektorats gleich.

Leserkommentare per e-mail

Am 23. März um 15:13 ist folgender Text eingegangen (e-mail-Adresse der Redaktion bekannt):

«Ich kann diesen Artikel nur bestätigen und wie folgt ergänzen:

Vor mir sassen mehrere Leute die im Gespräch ihre Herkunft nicht preisgeben wollten. Ebenfalls warf das Bild, bei dem Weiacher und Aargauer Kinder weinend getrennt wurden ein falsches Licht auf die Vorlage. Die von der RPK präsentierten Zahlen lassen sich für mich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Fisibach als Beispiel konnte die Steuern um 3% senken, die Zahlen von Kaiserstuhl blieben für mich unter Verschluss. Was ist die Begründung dass Weiacher Steuergeld in Millionenhöhe bisher und zukünftig in den Nachbarkanton verschleudert werden? Dass Weiach sogar finanziell durch die Nachbargemeinden Profit mache ist eine klare Lüge. Ich bin sehr gespannt auf das Resultat der Stimmrechtsbeschwerde. Eine Urnenabstimmung hätte wohl ein anderes Resultat bewirkt. Eine Überprüfung der Teilnehmerliste würde vermutlich ebenfalls Ungereimtheiten zu Tage fördern

Gruss weiacher1291»  -- Update 23.3. 17:44

Freitag, 19. März 2021

«Alles in grösster Unordnung»? Eine Ursachenforschung.

«Und unterm 18. Heumonat 1804 geht ein Schreiben des Gemeinderates Weiach an das «Justic- und Policey-Departement des Canthons Zürich», in welchem die Gemeindevorsteher bekennen: «So steht es leider überhaubt in unserer gemeind, dass sowohl in schuld- und grundzinssachen ... alles in grösster unordnung stehet, sodass unmöglich seye, die sach in ordnung zu bringen.» Und es mussten in jenen Tagen sogar zwei Gemeindeabgeordnete vor der Justiz- und Polizeikommission erscheinen «betreffend Schuld- und Grundzinsbereinigung», nämlich Gemeindeammann Ulrich Baumgartner und Kirchenpfleger Heinrich Baumgartner [...]. Wohl steht dann in einem Protokoll vom 1. Brachmonat 1809, es seien «von der Regierung die Bereinigung des Grundzinses und des Schuldenstandes in der gemeinde Weyach anerkannt» worden. Aber die oben erwähnte Unordnung reichte vermutlich bis gegen die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts.» (Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1. Auflage. Weiach 1972 – S. 45-46; Vgl. 6. Aufl. Trub 2018-2021 – S. 50)

«Bekennen»? «Alles in grösster Unordnung»? Was war da los, am 18. Juli 1804? Diese Zeilen des Weiacher Lehrers Walter Zollinger – abgedruckt in seinem blauen Büchlein, der sog. «Chronik», die heute noch in vielen Weiacher Bücherregalen steht – erwecken den Eindruck, dass da jemand ganz gewaltig versagt hatte. Und dass dieser Jemand die Weyacher Gemeindeväter seien (der Gemeindeammann war die damalige Bezeichnung für den Gemeindepräsidenten).

Hatten die ihren Laden nicht im Griff? Nein, in diesem Fall darf man die Weyacher Verantwortungsträger in Schutz nehmen. Es spricht nämlich sehr viel dafür, dass sie an diesen Zuständen nicht schuld sind.

Eine Folge des Zusammenbruchs des Ancien Régime

Weiach gehörte zwar hochgerichtlich (heute würde man sagen: politisch) seit 1442 zum Neuamt und damit zum Zürcher Stadtstaat, nicht aber was das Grundbuch anlangte. In diesem Bereich war zwischen 1295 und 1802 das Fürstbistum Konstanz, genauer: dessen «Amt Kaiserstuhl» zuständig.

Die fürstbischöflich-konstanzische Kanzlei auf Schloss Rötelen (am nördlichen Brückenkopf bei Kaiserstuhl) führte auch das Protokoll des Dorfgerichts Weiach. Vor diesem Gericht (das in der Regel an der heutigen Oberdorfstr. 7 tagte) mussten Weiacher Grundstücksgeschäfte gefertigt werden. Diese Kanzlei war es demzufolge auch, die die Akten dieser Rechtsgeschäfte bei sich archivierte.

Der Friede von Lunéville von 1801 führte zu einem tief greifenden inneren Umbau des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation. Unter dem Einfluss des siegreichen Frankreichs entstand im Südwesten aus der Markgrafschaft Baden ein Gebilde, das sich ab 1803 Kurfürstentum Baden und ab 1806 Grossherzogtum Baden nennen konnte. Es war gross genug, um im Konzert der deutschen Staaten etwas zu sagen zu haben und gleichzeitig klein genug, um Frankreich nicht gefährlich zu werden.

Mit der juristischen Auflösung des Fürstbistums Konstanz im Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 (de-facto schon im Spätherbst 1802 infolge Übernahme der Herrschaft durch badische Beamte), damit des Wegfalls des fürstbischöflich-konstanzischen Obervogts auf Schloss Rötelen – und mit ihm den dort angestellten Kanzlisten, war auch das Archiv sozusagen verwaist.

Eine Lücke von 1802 bis 1814

Mit dem faktischen Verschwinden der fürstbischöflich-konstanzischen Verwaltung, die sich bereits im Verlauf des Jahre 1802 aufzulösen begann, entstand somit eine Lücke. Die Markgrafschaft Baden war mit sich selber beschäftigt und dürfte sich um Akten, die nicht unmittelbar die neu erworbenen Territorien betrafen, kaum gekümmert haben. Aktenbestände wurden entweder in toto abtransportiert oder weiterhin vor Ort in einer Art Dornröschenschlaf belassen.

Derweil hatten die Weiacher zunehmend ein Problem mit dem Grundbuch. Schon im Zweiten Koalitionskrieg 1799/1800 war das fürstbischöfliche Archiv auf Rötelen nicht mehr zugänglich, später nur unter erschwerten Bedingungen, weil die Kaiserstuhler Brücke von einer der Kriegsparteien zur Sicherung ihres Rückzugs verbrannt worden war.

Zudem war den Weiachern in den Kriegswirren ihr Gemeindehaus abgebrannt (mutmasslich mitsamt dem alten Gemeindearchiv). Und womöglich gingen auch andere Besitztitel von Privaten verloren.

Wenn Urkunden verloren gegangen sind, dann kann man nicht mehr beweisen, wem was gehört. Das Problem ist nach Kriegen ein leider allzu bekanntes, es trat u.a. nach 1999 auch im Kosovo auf.

Erst ab 1814 wurden Grundbuchgeschäfte der Kanzlei Weiach mehr oder weniger lückenlos in der Neuamtskanzlei geführt. Schon vorher hatte man sich jedoch intensiv darum bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Das einleitende Zitat zeugt davon.

Als Notbehelf erstellt: die Hofbeschreibung von 1809/10

Zur Gerichtsherrschaft Weiach gibt es übrigens im Katalogeintrag des Staatsarchivs des Kantons Zürich eine aufschlussreiche Erläuterung, die wir nachstehend im vollen Wortlaut einrücken:

«Die Kanzlei der zur Obervogtei Neuamt gehörenden Gerichtsherrschaft Weiach befand sich ausserhalb des Zürcher Herrschaftsgebiets auf dem bischöflich-konstanzischen Schloss Rötelen. Sie ist in den gedruckten Landschreiberverzeichnissen aus der Zeit vor 1798 noch nicht aufgeführt. Auch in den Staatskalendern des frühen 19. Jahrhunderts erscheint sie nicht. 1806 fand aber eine bereits 1803/1804 thematisierte Bereinigung der Kanzlei Weiach zwischen der Zürcher und der badischen Regierung statt, bei der auch die Aushändigung von Archivalien zur Sprache kam; eine zweite Bereinigung mit Anfertigung einer Hofbeschreibung erfolgte 1809/1810, eine dritte fand 1814 statt; in diesem Jahr setzt auch die Reihe der Grundprotokolle ein. Ein formeller Beschluss zur Vereinigung mit der Kanzlei Neuamt fehlt, ist aber indirekt 1817 in der Bezeichnung (Kanzlei) Neuamt, Rümlang und Weiach dokumentiert.» (Quelle: Katalogeintrag zum Fonds B IX 26)

Die letzte Aussage ist nicht ganz richtig. Die Gründung der Kanzlei Neuamt, Rümlang und Weyach wurde bereits Mitte 1810 durch die Regierung aufgegleist: Beschluß, betreffend die Vereinigung mehrerer Notariats-Canzleyen, und die Cautionsleistung der Notarien vom 7. August 1810 (Signatur: StAZH MM 1.33 RRB 1810/0925). Die eigentliche Fusion der drei Kanzleien erfolgte jedoch erst «bey sich ergebenden Vacanzen».

Sechzehn Regierungsbeschlüsse!

Wie sich die konkrete Situation für den Weiacher Grundbesitzer entwickelt hat, kann man erahnen, wenn man sieht, dass Weyach allein wegen dieser Verwicklungen in den Jahren der Mediationszeit von 1803 bis 1813 nicht weniger als neunmal, 1814/15 sogar siebenmal Thema eines Beschlusses der Kantonsregierung (damals noch Kleiner Rat genannt) geworden ist:

MM 1.1 RRB 1803/0335
Capital- und Grundzins-Bereinigungsbegehren der Gemeinde Weyach.
18.06.1803

MM 1.2 RRB 1803/0582
Die Gemeinde Weyach verlangt eine Bereinigung ihrer Capital u. Grundzinsschulden.
18.07.1803

MM 1.5 RRB 1804/0165
Bedingniße der Gemeindsburgerrechtsertheilung in Weyach, Mißbräuche in Ansehung der dortigen Gemeindswaldungen, und verlangte Bereinigung des dortigen Schuldenzustandes.
26.01.1804

MM 1.8 RRB 1804/1124
[1.] Vorläufige Verfügungen wegen der von der Gemeinde Weyach gewünschten Capital- und Grundzins-Bereinigungen. 2. Allgemeine Verfügung wegen solchen Bereinigungen.
23.06.1804

MM 1.16 RRB 1806/0084
Récharge an die Churbadische Regierung, wegen den Erfordernißen zur Bereinigung der Capital- und Grundzins-Schulden von Weyach.
23.01.1806

MM 1.16 RRB 1806/0133
Kurfürstlich Badische Regierung zu Mörspurg antwortet, in Ansehung der verlangten Originalakten, zu Bereinigung der Canzley Weyach, zu Ausscheidung der acquirierten Constanzischen, nun Churbadischen Gefälle.
04.02.1806

MM 1.32 RRB 1810/0495
Schreiben an den Großherzoglich-Baadischen Gesandten, um Extradition der hier mangelnden Schulden-Protocolle der Gemeinde Weyach.
26.04.1810

MM 1.33 RRB 1810/0618
Recepiße des Großherzoglich Baadischen Gesandten, wegen der reclamierten Protocolle zu Bereinigung der Schuldcanzley Weyach.
24.05.1810

MM 1.34 RRB 1810/1221
Zu Weyach wird neben der Schuldenbereinigung auch eine Grundzinsbereinigung vorgenohmen.
30.10.1810

MM 1.47 RRB 1814/0017
Auftrag zu Bereinigung der Schuldcanzley Weyach.
08.01.1814

MM 1.52 RRB 1815/0041
Entscheid der Streitfrage wegen des zu beobachtenden Münzfußes bey Abbezahlung der Weyacher-Capitalbriefe.
14.01.1815

MM 1.52 RRB 1815/0093
Hülfsgesuch des Gemeindraths zu Weyach, wegen der Schuldcanzleybereinigungskosten.
02.02.1815

MM 1.53 RRB 1815/0543
Der Gemeindrath Weyach beschwert sich wegen der von dem Spitalamt und Amt St. Jacob geforderten Aufgab auf Gültbriefe bey der dortigen Schuldenbereinigung.
30.05.1815

MM 1.54 RRB 1815/0677
Unterstützung für die Gemeinde Weyach an ihre Schuldbereinigungskosten.
06.07.1815

MM 1.54 RRB 1815/0678
Abweisung des Gemeindraths von Weyach, welcher glaubte, nach der dasigen Schuldcanzleybereinigung, den Lobl. Aemtern am Spital und St. Jacob keine Gültaufgabe zahlen zu müßen.
06.07.1815

MM 1.54 RRB 1815/0797
Der Gemeindrath zu Weyach dankt für den Obrigkeitlichen Beytrag von 800 Franken an die dasigen Schuldcanzleybereinigungskosten.
19.08.1815

Montag, 15. März 2021

Regionales Schulabkommen: Kostendeckungsgrad nur 85%

Am Dienstag geht es in einer ausserordentlichen Schulgemeindeversammlung um die Frage, ob der Schulanschlussvertrag zwischen Weiach auf der einen sowie Kaiserstuhl und Fisibach auf der anderen Seite gekündigt oder beibehalten werden soll. In diesem Zusammenhang schwirrt das Kürzel «RSA» für «Regionales Schulabkommen» herum. Eine kleine Orientierungshilfe.

1. Es geht auch ohne Abkommen

Man muss unterscheiden zwischen den Verträgen und den Abkommen. Von letzteren gibt es in der Schweiz mehrere. Dem Abkommen der Nordwestschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz RSA NW EDK (um dessen Fassung 2009 es im Folgenden geht) haben sich die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Luzern, Solothurn, Wallis, Jura und Zürich angeschlossen (wobei Zürich nicht zur NW EDK gehört, sondern zur Ostschweizer Konferenz).

Dieses Abkommen für sich (ohne ergänzende Verträge) ermöglicht individuelle Lösungen, so zum Beispiel den Besuch eines weiterführenden Bildungsangebots in einem anderen Kanton durch einen einzelnen Schüler. Wenn der Wohnsitzkanton und der Standortkanton der Bildungseinrichtung diese Möglichkeit vorsehen, dann ist sie im Fall des RSA NW EDK im Anhang II zum Abkommen ersichtlich und wird auf Gesuch des betreffenden Schülers hin bewilligt.

Grundsätzlich kann eine Schulgemeinde mit einer Nachbargemeinde ennet der Kantonsgrenze auch ohne Abkommen zwischen ihren Kantonen eine Vereinbarung abschliessen, also ganz ohne RSA. Ein Beispiel für eine solche Lösung: die Gemeinden Erlinsbach SO und Erlinsbach AG in der Nähe von Aarau. Sie führen gemeinsam die Schule Erzbachtal und haben dafür einen Gemeindeverband mit eigener Rechtspersönlichkeit gegründet (vgl. dessen Satzungen).

Dass so etwas möglich ist, wird auch in der Aargauer Zeitung vom 5. Oktober 2013 explizit festgehalten:

«Gemäss Irène Richner vom kantonalen Departement Bildung, Kultur und Sport ist eine interkantonale Zusammenarbeit möglich. Diese kann von der einfachen Zuweisung von Schülern bis hin zur Bildung einer Kreisschule reichen. «Die Gemeinden könnten grundsätzlich selbstständig Schüler in ausserkantonale Schulen schicken – dann haben sie das Schulgeld jedoch selber zu bezahlen», so Richner. Weil die Kantone Aargau und Zürich jedoch dem Regionalen Schulabkommen RSA beigetreten sind, besteht die Möglichkeit, kantonsübergreifend von einzelnen Schulangeboten Gebrauch zu machen. Der Kanton übernimmt dann einen Teil der Kosten.» (Rohner 2013)

2. Die Regeln sind nicht in Stein gemeisselt

Für Fisibach und Kaiserstuhl wurden 2015 drei Verträge abgeschlossen, einer mit der Primarschulgemeinde Weiach, einer mit der Oberstufenschulgemeinde Stadel und einer mit der Kantonsschule Zürcher Unterland in Bülach. 

In diesem Fall nehmen die Verträge das Abkommen als Grundlage. Sie regeln das, was im RSA nicht enthalten ist bzw. sein kann. Oder sie ändern dort festgelegte Vorgaben ab. 

Wir halten fest: 1. Der Kanton übernimmt nur einen Teil der Vollkosten. 2. Abweichungen von den Vorgaben des RSA sind möglich.

Wenn also (wie das in der Diskussion der Situation, um die es am Dienstagabend geht) der Eindruck vermittelt wird, das Abkommen sei unabänderlich und es gebe keinen Handlungsspielraum, dann wird den Stimmberechtigten nicht reiner Wein eingeschenkt. Alles eine Frage des Willens.

3. Vollkosten-Erstattung kann vereinbart werden

Das RSA NW EDK regelt in einem Anhang I, der alle drei Jahre neu ausgehandelt wird, Standardentschädigungen pro Schülerin/Schüler für die gängigsten Kategorien von Ausbildungsgängen.

Vom 1.8.2015 bis 31.7.2017 lag der Kantonsbeitrag für Kindergärtner noch bei 8500 CHF, für Primarschüler bei 12000 CHF. In der Folgeperiode (1.8.2017-31.7.2019) wurden 9700 CHF für Kindergartenschüler und 13500 CHF für Primarschüler festgelegt. Aktuell liegen die Beiträge bis Mitte 2021 auf folgenden Niveaux: 

Wie oben erwähnt: dieser Betrag deckt nicht die Vollkosten ab! Gemäss Michael Gerber, Mitglied der Kommission Regionales Schulabkommen NW EDK für den Kanton Basel-Landschaft, liegt der Deckungsgrad bei rund 85%. 

Diese Zahl findet man auch im «Staatsvertrag Dornach Arlesheim» (offizieller Titel vgl. Quellen unten). Im Paragraphen über den Kantonsbeitrag heisst es:

«In Abweichung des ordentlichen Tarifs gemäss Anhang I zum RSA 2009 leistet der Kanton Solothurn dem Kanton Basel-Landschaft pro Schülerin oder Schüler pro Schulsemester einen Kantonsbeitrag in der Höhe der durchschnittlichen Vollkosten. Der jeweils geltende RSA Tarif entspricht 85 % der Vollkosten.» (SO 413.414, §2 Abs. 1, Stand: 1.8.2016)

Wir halten fest: Wenn diese Regelung zwischen den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft den Sinn und Geist des RSA NW EDK nicht verletzt, dann muss es auch möglich sein, eine solche Abmachung zwischen den Kantonen Aargau und Zürich einzuführen. Und zwar dergestalt, dass die Steuerzahler von Kaiserstuhl und Fisibach einen erhöhten Beitrag mitfinanzieren müssen, der 100% der Weiacher Vollkosten entspricht!

Eine solche Erhöhung im Vergleich zu den Kantonsbeiträgen nach RSA 2009 ist im Fall von Weiach umso eher gerechtfertigt, als die Anzahl der zu übernehmenden Schüler weit über das Mass hinausgeht, wofür die auf dem RSA NW EDK basierenden Entschädigungsansätze berechnet wurden. Auch hier: eine Frage des Willens.

4. Weiach subventioniert jedes Aargauer Kind mit 2200 Franken pro Jahr

Rechnen wir das einmal durch. Und zwar unter der Annahme, dass die Schülerzahlen von Fisibach und Kaiserstuhl gleichverteilt seien auf zwei Kindergarten- und sechs Primarschuljahrgänge, was dem Primarschulanteil eine Gewichtung von 75% gibt:

Kantonsbeitrag AG 2019/21


    

Kindergarten pro Kind und Jahr

10'100

25%

2'525

  

Primarstufe pro Schüler und Jahr

13'600

75%

10'200

  
   

12'725

  


Bei x Schülern

 

x=80

1'018'000

  
      

Bei Kostendeckungsgrad  gem SO 413.414 von

85%

  
      

Angemessene Entschädigung

1'197'647

  
      

Verlust pro Jahr

 

179'647

 


Verlust pro Kind u. Jahr

/80

2'191

  

Legt man einen Kostendeckungsgrad von 85% zugrunde, sind es also pro Kind aus Kaiserstuhl und Fisibach mindestens 2200 Franken, die die Weiacher Steuerzahler Jahr für Jahr subventionieren.

Mit den RSA-Ansätzen 2019/21 gerechnet ergibt dies innert 5 Jahren (unter der Annahme gleichbleibender Schülerzahlen) einen Verlust von rund CHF 900'000! 

Der durch die vielen Schüler aus dem Aargau (aktuell 50 % plus, verglichen mit der  Schülerzahl aus Weiach) ausgelöste Mehrbedarf an Schulräumen wird hier noch gar nicht berücksichtigt. Ob es sich tatsächlich nur um 10 Prozent handelt, wie die Schulpflege im Beleuchtenden Bericht behauptet, auch das darf bezweifelt werden.

Dass bauliche Mehrkosten und/oder mangelnde bauliche Entwicklungsmöglichkeiten auch bei einem Deckungsgrad von 100% nach den RSA-Ansätzen zur einer Vertragskündigung führen können, zeigt sich gerade am Beispiel vor den Toren der Stadt Basel. Die Baselbieter Schülerzahlen im Raum Arlesheim wachsen,weshalb der Kanton den Solothurnern signalisiert hat, sie müssten nun eine eigene Lösung finden (vgl. BZ vom 8. April 2019).

5. Es werden keine Freundschaften auseinandergerissen

Von den Initiativgegnern wird ja wortreich beklagt, dass durch eine Kündigung der Verträge Freundschaften (zwischen Kindern) auseinandergerissen würden. Das trifft nicht zu, wie man dem Text des RSA entnehmen kann:

«Auszubildende, die in eine ausserkantonale Schule aufgenommen werden, dürfen wegen Kündigung des RSA nicht von der Schule gewiesen werden; der zahlungspflichtige Kanton hat den Kantonsbeitrag bis zum Ende der ordentlichen Ausbildung weiter zu leisten»(RSA 2000 - Art. 20).

Im RSA 2009 ist diese Verpflichtung als Art. 19 in leicht veränderter Formulierung enthalten: «Kündigt ein Kanton das Abkommen oder streicht er die Zahlungsbereitschaft für einen Ausbildungsgang, bleiben seine Verpflichtungen aus diesem Abkommen für die zum Zeitpunkt des Austritts eingeschriebenen Auszubildenden weiter bestehen».

Quellen
  • Nordwestschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz NW EDK (ed.): Regionales Schulabkommen über die gegenseitige Aufnahme von Auszubildenden und Ausrichtung von Beiträgen (RSA 2009).
  • Rohner, N.: Fisibach/Kaiserstuhl: Primarschule muss Standorte aufheben – gehen Schüler nun in Kanton Zürich? In: Aargauer Zeitung, 5. Oktober 2013.
  • Vertrag zwischen den Kantonen Basel-Landschaft und Solothurn über die Abgeltung von Schulbesuchen von Schülerinnen und Schülern aus Dornach an der Sekundarschule, Anforderungsniveau P, im Sekundarschulkreis Birseck des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Mai 2016 (Stand 1. August 2016); SO 413.414
  • «AG 12 Gilt nur für die Gemeinden Fisibach und Kaiserstuhl (Volksschulstufe vertraglich geregelt)». Anhang II zum RSA 2009. Codeliste zur Bestimmung der Zahlungsbereitschaft im RSA 2009. s/Deklaration der Wohnsitzkantone in den Listen der beitragsberechtigten Schulen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Jura, Luzern, Solothurn Wallis und Zürich zum RSA 2009, Stand: 1.8.2016 
  • Hofer, D.: Dornachs Schüler sind im Baselbieter Progym unerwünscht. Steigende Zahlen: Der Kanton Baselland fordert von Dornach eine eigene Lösung fürs Progym. In: BZ Basel, 8. April 2019.
  • Sekretariat der Nordwestschweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz NW EDK: http://www.nwedk.ch/regionales-schulabkommen sowie http://www.nwedk.ch/komm-rsa-nw-edk

Samstag, 13. März 2021

Hände hoch! Die erste Weiacher Politmarketing-Kampagne

Weiacher Lokalpolitik ist kein Aufreger. Jedenfalls nicht im Normalfall. Wenn die Gemüter kurz erhitzt werden, wie beispielsweise bei Kampfwahlen (z.B. 2010 mit einem kurzfristig ins Rennen geschickten Kandidaten für das Gemeindepräsidium, vgl. WeiachBlog Nr. 766), dann glätten sich die Wogen rasch wieder. Zumal an der Oberfläche, wo es offensichtlich ist.

Wenn die Aufregung länger dauert

Treten solche Oberflächenphänomene über eine längere Zeit auf, dann kann man sicher sein, dass es um eine grosse Entscheidung geht. 

So anfangs der 1960er-Jahre in der Frage, ob im Hard industrieller Kiesabbau zugelassen werden soll (wobei vor allem der Kulturlandverlust für Kritik sorgte; vgl. WeiachBlog Nr. 1318). Völlig zu Recht: die Weiacher Kies AG prägt Landschaft, Gemeindekasse und Selbstverständnis nun seit Jahrzehnten.

So auch anfangs der 1980er-Jahre, als die NAGRA (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) in Weiach, Böttstein, Siblingen und anderwärts Probebohrungen abteufte, um herauszufinden, ob der Untergrund sich für ein Atomabfall-Endlager eigne (weil befürchtet wurde, die Probebohrung sei nur die Ouverture für ein tatsächliches Endlager). Ebenfalls zu Recht: Im Perimeter Nördlich Lägern wird heute wieder ein Oberflächenstandort Weiach evaluiert.

Das Thema anfangs der 20er-Jahre? Die Nachwehen einer zu schnell gewachsenen Gemeinde, sichtbar und zum Zankapfel geworden beim Raumproblem von Kindergarten und Primarschule. 

Am 28. Juni 2020 lehnten die Weiacher Stimmbürger an der Urne das Grossprojekt Balance ab (vgl. WeiachBlog Nr. 1535). Mit diesem kühnen Bauvorhaben hätten Gemeinderat und Schulpflege den mit Raumplanungs- und Schulvertragsentscheiden und nachfolgender Untätigkeit selbst verursachten gordischen Knoten durchschlagen wollen. Im Vorfeld des Urnengangs war der übliche Kampf der Flugblätter zu beobachten. Nur eine Aktion der Lehrerschaft, bei der Schulkinder als Propaganda-Briefträger eingesetzt wurde, sorgte für Aufsehen.

Eine IG für eine Abstimmung

Nicht so 2021! Im Abstimmungskampf um die von alt Gemeindepräsident Werner Ebnöther und Mitunterzeichnern eingebrachte Kündigungsinitiative, die eine Auflösung des Schulanschlussvertragswerks mit Kaiserstuhl und Fisibach verlangt (vgl. die Position der Initianten in WeiachBlog Nr. 1629), ist das ganz anders. 

Am 9. Februar machte sich die IG Eusi Schuel erstmals in der Öffentlichkeit bemerkbar. Ins Bewusstsein der an der Informationsveranstaltung der Primarschulpflege zur Initiative nicht Anwesenden gelangte die Gruppierung am 11. Februar über einen Artikel im Zürcher Unterländer. Darin kam sie mit mehreren Statements zu Wort, so u.a. von Renate Weingart, die sich bereits im Vorfeld der Balance-Abstimmung (zusammen mit Gregor Trachsel, Architekt und alt-Gemeindepräsident) für das Bauprojekt engagiert hatte.

Am 22. Februar ging die erste eigens für eine Weiacher Abstimmung geschaffene Website ans Netz:

Professionell durchgestylt bis ins Detail

Das war aber noch längst nicht alles. Erstaunt erlebten die Weiacher in den darauffolgenden Tagen das Ausrollen einer Politmarketing-Kampagne, wie sie die Gemeinde noch nicht gesehen hat. Eine, wie man sie sonst nur von der Abstimmungspropaganda auf kantonaler oder nationaler Ebene kennt. Eine derart professionell designte, auf Weiach fokussierte Kampagne ist ein absolutes Novum.

Die Aktivisten der Weiacher Aktionsgemeinschaft WAG haben die NAGRA noch mit selbst gemalten Transparenten und dergleichen bekämpft. Gemeinsamkeiten hat die heute aktive Truppe der IG Eusi Schuel in drei Aspekten. Erstens: die Protagonisten sind samt und sonders erst vor wenigen Jahren zugezogen (also keine Alteingesessenen), zweitens: sie verfolgen einen Graswurzelansatz und drittens: es treibt sie das Gefühl an, im Kampf gegen einen mächtigen Gegner zu stehen.

Die Mittel hingegen sind die des 21. Jahrhunderts: Ein Mix aus Website (eusi-schuel.ch, Startseite vgl. oben), Flyern, Kleinplakaten und grossen Strassenwerbebannern, je mit unterschiedlichen Slogans.


Diese Slogans sind ein wichtiges Element. Sie sollen die Betrachter zum Denken anregen. Und durch die unterschiedlichen Botschaften auch überraschen, sagt ihr Texter, Werber Frank Lehmann. Der obige Handzettel ist nur einer von acht. Drei weitere sind auf der Kampagnen-Seite https://www.eusi-schuel.ch/unsere-kampagne abgebildet.

Die bislang letzte Aktion war ein Meer aus grünen Luftballonen in Schulkinderhänden, deren Absender sich anhand des Designs leicht zuordnen lässt:

Ferngesteuert?

Die Ballonkinder vom Freitagmittag haben bei etlichen Weiachern die Überzeugung verfestigt, es handle sich bei der ganzen Kampagne um eine von der Schulpflege ferngesteuerte Geschichte. Zwischen die Behörden, die Schulleitung und diese Aktivisten passe kein Blatt Papier! Selbst finanzielles Engagement seitens der Behörden aus dem Aargau wird nicht ausgeschlossen. Ebenfalls zu kritischen Bemerkungen führte der Dank an die Firma Printandcut - Nicole Kessler, Fisibach auf der Website der IG. Weiter erregt Aufsehen, dass Lehmann und Weingart im OK von 750 Jahre Weiach tätig sind, wo auch weitere erklärte Gegner der Initiative Einsitz haben, so u.a. Gregor Trachsel, aber auch der ehemalige Fisibacher Gemeindeschreiber Vögele.

Dass Verschwörungstheorien kursieren, kann Frank Lehmann verstehen. Er versicherte aber im Chat mit WeiachBlog am Freitagabend, dass es keinerlei Verbindung gebe und sie völlig unabhängig seien. Auch zwei andere Aktivistinnen der IG haben unabhängig von ihm ins gleiche Horn gestossen. Ihnen gehe es nicht um Machtspiele, sondern um die Kinder. Und darum, dass Freundschaft zwischen den Gemeinden erhalten bleibe.

In wenigen Stunden entstanden

Dass die Anliegen von Schulpflege und IG so viele Gemeinsamkeiten aufweisen, lässt sich erklären: der Effekt von Copy&Paste. Sie hätten sich erst im Februar zusammengefunden und die IG in wenigen Stunden auf die Beine gestellt, sagt Lehmann. Die Kampagne sei mit etwas Hilfe von befreundeten Grafikern, etc. selber entwickelt worden. Auch die rund 2000 Franken für das Material stammten aus ihren eigenen Mitteln. Sie bräuchten und wollten auch keine Sponsoren.

Und in der Tat: Wäre die IG Eusi Schuel ferngesteuert, dann müsste man sich schon fragen, ob die Schulpflege dann wirklich so dämlich gewesen wäre, eine solche Ballonaktion zuzulassen. Und das, nachdem man ihr schon die letztjährige Briefaktion der Lehrerschaft übel genommen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1534).

Zum Abschluss des Chats gab Frank Lehmann seiner Hoffnung Ausdruck, dass am nächsten Dienstag ein Votum im Sinne der IG herauskommt: «Vielleicht gibt es ja noch Menschen die wie Menschen denken...».

[Veröffentlicht am 15. März 2021 um 00:53 MEZ]

Donnerstag, 11. März 2021

Das Flugblatt der Initianten rechnet einen massiven Verlust vor

Mittlerweile ist es geraume Zeit her, dass der WeiachBlog-Artikel Nr. 1622 mit dem Titel Vor der Zweiten Schlacht um die Balance auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...» etliche Reaktionen ausgelöst hat. Und zwar fast ausschliesslich von erklärten Gegnerinnen und Gegnern der Initiative zur Kündigung der Anschlussverträge mit Kaiserstuhl und Fisibach.

An der Informationsveranstaltung vom 9. Februar trat eine Gruppierung mit dem Namen «Eusi Schuel» auf, die dezidiert auf der Linie der amtierenden Behörden politisiert und am 11. Februar 2021 erstmals im Zürcher Unterländer erwähnt wurde. WeiachBlog wird morgen in einem Beitrag auf deren Profil, Vorgehensweise und Programm eingehen.

Die einzige Wortmeldung bis zur Gemeindeversammlung?

Heute sei das – besonders von Exponenten genannter Gruppierung beklagte – bisher fehlende Statement der Initianten aufs Tapet gebracht. Es ist bis heute das einzige schriftliche Dokument, welches das Licht der Welt erblickt hat und per Post in alle Weiacher Briefkästen verteilt wurde. 

Auf eine Konfrontation haben die Initianten bislang bewusst verzichtet. Wie in Hintergrundgesprächen zu erfahren war, insbesondere weil sie sich durch Schulpflege und Gemeinderat nicht in einer Art und Weise respektiert sehen, wie es im politischen Diskurs gerade auf Gemeindeebene eigentlich üblich sein sollte. Der Redaktor des WeiachBlog kann das nachvollziehen. Er war an der Informationsveranstaltung vom 12. Juni 2020 dabei, als es um das Bauprojekt ging. Und hat live mitbekommen, wie da von offizieller Seite versucht wurde, dem Hauptinitianten der nächste Woche zur Abstimmung gelangenden Initiative, alt Gemeindepräsident Werner Ebnöther, das Wort abzuschneiden.

Erläuterungen der Initianten zu ihrem Flugblatt wird es daher erst am 16. März geben: an der ausserordentlichen Schulgemeindeversammlung, die von der Schulpflege an einen noch ausserordentlicheren Ort verlegt wurde: in den grossen Saal des Ebianum in Fisibach. Das Baggermuseum der Firma Eberhard hat zumindest einen Anknüpfungspunkt an Weiach. Die Firmengruppe ist die Mehrheitsaktionärin der Weiacher Kies AG.

Anknüpfung an das Balance-Flugblatt

Schon allein das unverwechselbare Design zeigt, dass diese Wortmeldung aus derselben Ecke stammt, wie damals das Flugblatt vor dem Balance-Urnengang (vgl. WeiachBlog Nr. 1524). Auch die Argumentationslinien folgen ähnlichen Wegen:


Primarschulgemeinde Weiach

Gemeindeversammlung vom 16. März 2021

Ein klares Ja zur Initiative 

«Auflösung der Anschlussverträge mit Fisibach und Kaiserstuhl«

Warum ?

Die Betriebsrechnungen der Primarschule Weiach zeigen, dass wir seit 2017 jedes Jahr über 300'000 mehr Steuern einziehen mussten, seit die Kindergärtner und Primarschüler der beiden Aargauer-Gemeinden bei uns zur Schule gehen.

Wir mussten deshalb den Steuerfuss der Primarschulgemeinde seit 2016 um 12% erhöhen, damit diese Mehrkosten gedeckt werden konnten.

Was den Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung vom 10.06.2015 erklärt und versprochen wurde, traf bei weitem nicht ein:

- Keine Spur davon, dass die Primarschule Weiach auf Befehl des Kantons Zürich geschlossen würde (Falschaussage der Primarschulpflege)

- Die Zahl der Aargauerschüler stieg viel stärker an als erklärt wurde (statt 35 kamen 57 Schüler) 

- die Schulkosten stiegen massiv

- die Schulhaus-Infrastruktur platzte aus allen Nähten

Die Betriebskosten der Primarschule sind seit 2016 aus dem Ruder gelaufen. Durch den Zuzug der vielen Schüler aus Fisibach und Kaiserstuhl sind wir mit dem bestehenden Vertrag gezwungen, um einen Drittel grössere Erweiterungsbauten vorzunehmen. Die Kosten müssten voll durch die Weiacher-Steuerpflichtigen bezahlt werden. Die Aargauer zahlen da nicht mit, da für sie der RSA-Tarif gilt. Auf jeden Fall müsste der Steuerfuss infolge dieser Erweiterungen nochmals massiv erhöht werden. Vermögen besitzt die Primarschulgemeinde keines, weshalb ein solcher Ausbau zu 100% fremdfinanziert werden müsste. 

Fisibach und Kaiserstuhl zahlen einfach pro Schüler einen «Discountpreis» gemäss RSA-Tarif, den Rest muss diese beiden Gemeinden nicht kümmern. Fisibach konnte sogar in dieser Zeit den Steuerfuss um 3% senken! 

Die Weiacher Steuerpflichtigen kommen für den jährlichen Verlust auf. Umgerechnet zahlt jede Weiacher-Familie durchschnittlich CHF 400 pro Jahr mehr Steuern, damit die Fisibacher- und Kaiserstuhler-Schüler bei uns zur Schule gehen dürfen.

Nachkalkulation der Primarschulkosten 2017 - 2021

Rechnungs-Jahr Verlust Entspricht Steuer-%

Rechnung 2017 272'184     9.07

Rechnung 2018 364'869     11.58

Rechnung 2019 344'292     10.43

Budget 2020        386'032     11.13

Budget 2021        318'458     8.68

Verlust für 5 Jahre 1'685'834

Nebenstehende [hier obenstehend] Tabelle zeigt auf, wieviel mehr Steuern von den Weiacher Steuerpflichtigen eingezogen werden musste. Deshalb mussten die Steuern in dieser Zeit um 12% erhöht werden. Die Erhöhung durch die Schulhauserweiterung ist da noch nicht berücksichtigt!

Rechnerisch gesehen bedeutet dies für die Jahre 2017 bis 2021 einen Verlust von 1'685'834, der durch Weiacher Steuern gedeckt werden muss. Aufgerechnet auf 30 Jahre ergibt dies einen finanziellen Verlust von über 10 Millionen Franken!

Abstimmungsmethode

Es ist bedauerlich, dass sich in der heutigen Corona-Zeit die Primarschulpflege weigert, die Stimmberechtigten über dieses wichtige Geschäft an der Urne abstimmen zu lassen. Nur diese Art von Abstimmung würde zu einem breit abgestützten Resultat führen.

Kommen Sie an diese Versammlung 

Unterstützen sie uns, damit wir ein finanzielles Desaster in unserer Gemeinde verhindern können. 

Achtung: Der Abstimmungsort befindet sich im EBIANUM in Fisibach

Am 16. März 2021 muss dieser Initiative zwingend mit JA zugestimmt werden.

Besorgte Initiantinnen und Initianten von Weiach

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Kommentar WeiachBlog

Bei einem direkten Vergleich des Beleuchtenden Berichts der Schulpflege (mit von der RPK und dem Gemeinderat sekundiertem Inhalt) mit diesem Flugblatt fällt auf:

  • die Schulpflege erwähnt die belegbaren, mit Buchhaltungsdaten unterfütterten Zahlen zu den letzten Jahren (isnbesondere 2017 und 2018) mit keinem Wort. Diese Angaben machen lediglich die Initianten! Und zwar mittels aus den Jahresrechnungen zwecks Nachkalkulation herausgezogenen Daten.
  • dafür macht die Schulpflege basierend auf nicht deklarierten Annahmen Angaben zu einem Gewinn, der sich ergeben soll und extrapoliert diesen nach einer nicht nachvollziehbaren Rechnung dann noch um 30 (!) Jahre in die Zukunft. Zu diesem Schritt hätten sich die Initianten nicht unbedingt auch hinreissen lassen müssen. Denn solche Betrachtungen sind ohne die zugehörigen Szenarien völlig unbrauchbar.
Leider ist auch der – erst nach mehrmaligem Nachhaken auf die Website der Schulgemeinde gestellten – Präsentation zum 9. Februar (vgl. separate Seite) keine über den Beleuchtenden Bericht hinausgehende sachdienliche Information zu entnehmen. Die in WeiachBlog Nr. 1622 geforderten Datengrundlagen sind bis zum Redaktionsschluss heute Abend nicht beigebracht worden.

Stimmberechtigte, die nach objektiven Erkenntnissen zu einer Entscheidungsgrundlage kommen wollen, werden durch beide Betrachtungen (sowohl die der Gegner, wie die der Initianten) im Unklaren belassen. 

Sie müssen sich (wie auch die auf eine der beiden Seiten neigenden «Gläubigen») darauf verlassen, dass wenigstens an der Gemeindeversammlung nachvollziehbar erklärt wird, wie diese diametral auseinanderklaffenden Betrachtungsweisen zustande gekommen sind.

Gerne hätte WeiachBlog aus seinen ausführlichen Kontakten mit beiden Seiten zitiert, was jedoch bei Hintergrundgesprächen (off-record) nicht geht. Die Hauptkontrahenten halten sich maximal bedeckt.

Wenn den Initianten auf der eingangs genannten Facebookseite Feigheit vorgeworfen wird, dann ist das verständlich. Allerdings ist im Gegenzug auch bei den Behörden eine gewisse Feigheit vor den Stimmberechtigten zu konstatieren (fehlende Datengrundlagen).

Fazit: Der Souverän muss am Abend des 16. März seine Pflicht tun. Und die Offenheit in aller Deutlichkeit und Konsequenz einfordern. Die Grundlagen müssen endlich auf den Tisch! Geschieht dies nicht, dann ist diese Vorlage schlicht nicht entscheidungsreif.

Montag, 8. März 2021

Mit vier kleinen Kindern in den Aargau abgeschoben!

«Jeder Schweizer kann sich an jedem Orte des Landes niederlassen.» (Art. 45  Abs. 1 aBV)

Wenn Sie um die 50 oder jünger sind, dann kennen Sie nichts anderes. Diese (heutzutage auch schon wieder veraltete) Formulierung mit generischem Maskulinum stand aber so erst seit dem 1. Januar 1979 in der alten Bundesverfassung von 1874, die 1999 durch die heutige ersetzt worden ist.

1848: Juden werden diskriminiert. Jesuiten gleich ganz verboten.

Wenn wir an den Beginn des Bundesstaates zurückgehen, also ins Jahr 1848, dann war dieses Recht noch nicht allen gegeben (vgl. die Bundesverfassung von 1848). Schweizer jüdischen Glaubens wurde es verweigert. Und auch christliche Schweizer mussten allerhand Bedingungen erfüllen, um sich innerhalb der Schweiz am Ort ihrer Wahl niederlassen zu dürfen.

«Keinem Schweizer, der einer der christlichen Konfessionen angehört, kann die Niederlassung in irgend einem Kanton verweigert werden, wenn er folgende Ausweisschriften besitzt:
a. einen Heimathschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift;
b. ein Zeugniß sittlicher Aufführung,
c. eine Bescheinigung, daß er in bürgerlichen Rechten und Ehren stehe;
und wenn er auf Verlangen sich ausweisen kann, daß er durch Vermögen, Beruf oder Gewerbe sich und seine Familie zu ernähren im Stande sei.
Naturalisirte Schweizer [d.h. eingebürgerte Ausländer] müssen überdieß die Bescheinigung beibringen, daß sie wenigstens fünf Jahre lang im Besitze eines Kantonsbürgerrechtes sich befinden.» (Art. 41 Abs. 1 BV 1848)

«Der Niedergelassene kann aus dem Kanton, in welchem er niedergelassen ist, weggewiesen werden:
a) durch gerichtliches Strafurteil;
b) durch Verfügung der Polizeibehörden, wenn er die bürgerlichen Rechte und Ehren verloren hat, oder sich eines unsittlichen Lebenswandels schuldig macht, oder durch Verarmung zur Last fällt, oder schon oft wegen Uebertretung polizeilicher Vorschriften bestraft werden mußte.» (Art. 41 Abs. 6 BV 1848)

Juden mussten sich an den für sie vorgesehenen Orten (wie Lengnau oder Endingen im Aargau) niederlassen. Nur Jesuiten wollte man ganz und gar nicht dulden (vgl. Art. 58).

1874: Auch Juden geniessen jetzt das Recht auf frei gewählte Niederlassung

In der Totalrevision von 1874 wurden diese Bestimmungen im Art. 45 untergebracht. Und auch da gab es noch mannigfache Einschränkungen, wenn man nicht die nötigen finanziellen Mittel hatte oder  wiederholt wegen Vergehen bestraft worden bzw. armengenössig war:


Schweizer Juden wurden nicht mehr aufgrund ihres Glaubens benachteiligt. Jesuiten waren immer noch unerwünscht.

Bundesverfassung erzwingt Regierungsratsbeschlüsse

Im gestern veröffentlichten Beitrag über den Fall Albertine Gaido-Kessler (WeiachBlog Nr. 1627) wurde das armenrechtliche Argument ausländerrechtlich abgestützt. Im Falle der Abschiebung einer ganzen Familie aus Weiach in den Aargauer Heimatort des Familienoberhauptes (vgl. den letzten Abschnitt des Beitrags) wurde mit zwei Zitaten aus dem Weiacher Gemeinderatsprotokoll belegt, dass der Kantonsverweis für Albertine keineswegs ein Einzelfall gewesen ist.

Der Fall Zimmerli-Meier gipfelte in einem Regierungsratsbeschluss vom 10. April 1930, der diesen Verwaltungsakt besiegelt hat. Die Regierung durfte diesen Entscheid nicht an irgendeine kantonale Amtsstelle delegieren. Dass sie sich höchstselbst damit zu befassen hatte, war dem Wortlaut von Art. 45 Abs. 5 der Bundesverfassung geschuldet (s. oben), der auch vorsah, dass der Heimatkanton vorgängig zu orientieren sei.

Die Heimatgemeinde wird zum Zahlen gezwungen

Der RRB trägt den Titel «Heimschaffung» und zeigt auf, welche fatalen Folgen die Weigerung der Heimatgemeinde des Familienvorstandes für die gesamte mittlerweile sechsköpfige Familie hatte:

«Auf Antrag der Direktion des Armenwesens

beschließt der Regierungsrat:

I. Zimmerli, Paul, geboren 1902, dessen Ehefrau Gertrud geborene Meier, geboren 1902, und deren Kinder Elsa Gertrud, geboren 1924. Paul Alfred, geboren 1925, Nelli, geboren 1927, und Ernst, geboren 1928, von Safenwil, Kanton Aargau, wohnhaft in Weiach, werden gestützt auf Artikel 45, Absatz 3, der Bundesverfassung aus armenrechtlichen Gründen heimgeschafft.

Den Eheleuten Paul und Gertrud Zimmerli-Meier wird die Rückkehr in den Kanton Zürich ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Direktion des Armenwesens unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter im Falle des Ungehorsams (§ 80 des Strafgesetzbuches) untersagt.

II. Mitteilung an die Armenpflege und den Gemeinderat Weiach, die Direktion des Armenwesens, sowie durch Schreiben an den Regierungsrat des Kantons Aargau.» (StAZH MM 3.44 RRB 1930/0794)

Das genannte Strafgesetzbuch war noch das des Kantons Zürich (das eidgenössische StGB wurde erst 1937 beschlossen und trat am 1. Januar 1942 in Kraft). Man erkennt das auch daran, dass von Gesetzesparagraphen und nicht (wie auf Bundesebene üblich) von Gesetzesartikeln die Rede ist.

Am selben Tag hat der Regierungsrat übrigens entschieden (vgl. StAZH MM 3.44 RRB 1930/0795), gleich noch einen weiteren Aargauer in seine Heimat abschieben zu lassen: Otto Hoppeler-Maier von Hermetschwil, der zu diesem Zeitpunkt in der Heilanstalt Burghölzli (d.h. in der Psychatrie) einsass. Aus denselben armenrechtlichen Gründen und unter Berufung auf den nämlichen Verfassungsartikel wie bei der Familie Zimmerli-Meier.

Im Gegensatz zur früher oft gehörten Story, dass man als Armengenössiger immer in der Heimatgemeinde gelandet sei, war das oft nicht der Fall. War man ein sogenannt würdiger Armer, dann unterstützte einen die Heimatgemeinde auch am Ort des Aufenthalts. Nur die wirklichen Problemfälle wurden abgeschoben. Dafür sorgte schon der Umstand, dass die Regierung alles absegnen musste.

Quelle

Sonntag, 7. März 2021

Albertine Gaido-Kessler des Kantons Zürich verwiesen

Ja, Sie haben richtig gelesen. Des Kantons, nicht des Landes verwiesen. Was heute in der eidgenössischen Gesetzgebung geregelt ist und einen Gerichtsentscheid in Strafsachen erfordert (vgl. die Weisungen des Staatssekretariats für Migration), das war noch in den 1930ern teilweise kantonal geregelt. Das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer aus dem Jahre 1931 hielt in Art. 10 Abs. 1 fest:

«Der Ausländer kann aus der Schweiz oder aus einem Kanton nur ausgewiesen werden:
a. wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde oder wenn er durch schwere oder wiederholte Missachtung von Ordnungsvorschriften das Gastrecht missbraucht hat;
b. wenn er infolge Geisteskrankheit die öffentliche Ordnung gefährdet;
c. wenn er oder eine Person, für die er zu sorgen hat, der öffentlichen oder privaten Wohltätigkeit zur Last fällt oder mit Sicherheit demnächst dauernd zur Last fallen wird.»

In Absatz 3 wurden überdies die Ausweisung gemäss Bundesverfassung und durch strafgerichtliches Urteil explizit vorbehalten. 

Entsprechend konnte ein ausländischer Staatsangehöriger aus dem Kanton weggewiesen werden, allerdings nur in besonderen Fällen: «Die Ausweisung soll nur ausnahmsweise auf das Gebiet eines Kantons beschränkt werden.» (Art. 10 Abs. 2)

Wer einen Ausländer heiratet, verliert sein Schweizerbürgerrecht

Im Fall der gebürtigen Schwyzerin Albertine Gaido-Kessler aus den Jahren 1932 bis 1940 kommt noch ein weiteres Element hinzu. Die Bürgerrechtsgesetzgebung der Schweiz sah vor, dass eine Schweizerbürgerin, die einen Ausländer heiratet, automatisch ihr Bürgerrecht verliert, da sie ja nun dasjenige ihres Mannes erworben hatte. Das war schon seit Jahren so Usus, vgl. WeiachBlog Nr. 1607 über das Schicksal der Witwe Scheerli.

Und so kam es, dass die junge Albertine Kessler nach ihrer Heirat mit einem in Weiach ansässigen Italiener namens Gaido nun auch Ausländerin war. Sie wurde jetzt als Bürgerin von Issiglio angesehen, einer kleinen Gemeinde in den südlichen Voralpen des Piemont, etwa auf halbem Weg zwischen dem Matterhorn und Turin.

Alteingesessene Weiacherinnen und Weiacher kennen die Gaido als Schuhmacherfamilie, die in unserer Gemeinde zu einer Zeit tätig war, als Schuhe noch ein reparierbarer Wertgegenstand waren, der einem kundigen Handwerker ein Einkommen verschaffen konnte. Bis 1950 stellten sie oberhalb der Werkstatt von Albert Erb, d.h. an der Oberdorfstrasse 1, auch Schuhe her, und zwar von A-Z (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 101, Gesamtausgabe S. 394).

Noch jung, aber schon einiges auf dem Kerbholz

Mit einer Kantonsverweisung musste sich Ende der 30er-Jahre tatsächlich noch der Regierungsrat befassen. Die Regierungsratsbeschlüsse seit 1803 sind durch das Staatsarchiv des Kantons Zürich transkribiert worden und können von jedermann mit einem Internetanschluss im Volltext in der Archivdatenbank gefunden werden. Auch der Fall Albertine Gaido-Kessler. Mit voller Namensnennung und haarkleinen Details. Sollte die Betroffene noch leben, kann sie heute ihren 111. Geburtstag feiern.

Doch lesen Sie selbst, was in dieser sog. Präsidialverfügung steht:

«Gaido, Albertine, genannt Dina, geborene Keßler, Tochter des † Anton und der Rosa geb. Hofstetter, geboren am 7. März 1910 in Schübelbach, Kanton Schwyz, als ledig dort heimatberechtigt, verheiratet mit Domenico Gaido, getrennt lebend, keine Kinder, zuständig nach Issiglio, Italien, zuletzt wohnhaft gewesen in Weiach, zurzeit in Haft bei der Kantonspolizei Zürich, wurde im Mai und August 1932 von der Stadtpolizei Zürich aufgegriffen und wegen Geschlechtskrankheit in die dermatologische Klinik eingewiesen. Für die Spitalkosten mußte die zürcherische Staatskasse aufkommen. An diese Unterstützungsauslagen von Fr. 256.50 hat Frau Gaido bisher nichts zurückerstattet. Der Regierungsrat beschloß daher im Herbst 1932 aus armenpolizeilichen Gründen die Kantonsverweisung der Albertine Keßler. Wegen unerlaubter Rückkehr in den Kanton Zürich mußte sie einmal gerichtlich bestraft werden. Albertine Keßler verheiratete sich im Jahre 1935 in Siebnen mit Domenico Gaido, wodurch die frühere Ausweisung hinfällig wurde. Hierauf übersiedelte sie mit ihrem Mann zu dessen Eltern nach Weiach. Anfänglich ging Frau Gaido in die Fabrik [gemeint ist mutmasslich die Schäftenäherei Walder beim Bahnhof Weiach-Kaiserstuhl, allenfalls die Spinnerei Letten bei Rheinsfelden]. Sie erschien aber öfters unentschuldigt nicht zur Arbeit oder blieb unter Vorwänden davon fern. Sie verfiel bald wieder in ihren liederlichen Lebenswandel und trieb sich in dubioser Gesellschaft und vagierend herum. Ihrem Ehemann ist sie inzwischen davongelaufen, sodaß dieser jetzt das Begehren um Trennung eingereicht hat. Mitte Oktober 1937 wurde Frau Gaido verhaftet, weil sie wegen Logisgeldbetruges und wegen Unterschlagung von Schlüsseln gesucht war. Ferner wurde gegen sie wegen betrüglichen Erhebens von Kleidern von einem Warenhaus Strafanzeige erstattet. Das erste Verfahren wurde eingestellt, im übrigen wurde Frau Gaido am 18. Januar 1938 vom Bezirksgericht Zürich wegen einfachen Betruges im Betrage von Fr. 151.60 zu 3 Wochen Gefängnis verurteilt. Es erscheint somit geboten, Frau Gaido gestützt auf Artikel 10, Absatz 1, lit. a, des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 dauernd aus dem Gebiete des Kantons Zürich auszuweisen.

Der Regierungsrat,
auf Antrag der Polizeidirektion und in Anwendung von Artikel 10, Absatz 1, lit. a, des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931, 
beschließt:

I. Gaido geb. Keßler, Albertine, genannt Dina, geboren am 7. März 1910 in Schübelbach, zuständig nach Issiglio. Italien, zurzeit in Haft bei der Kantonspolizei Zürich, wird dauernd aus dem Gebiete des Kantons ausgewiesen. Die Polizeidirektion wird mit dem Vollzug beauftragt.

II. Der weitere Aufenthalt im Kanton Zürich und das Wiederbetreten desselben ohne die Bewilligung der zürcherischen Polizeidirektion wird der Ausgewiesenen verboten unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter zur Bestrafung gemäß Artikel 23 Absatz 1, des oberwähnten Bundesgesetzes vom 26. März 1931 (Gefängnis bis zu 6 Monaten und Buße bis Fr. 10000), sowie nachheriger polizeilicher Ausschaffung im Zuwiderhandlungsfalle.

III. Mitteilung an: a) Albertine Gaido-Keßler, in extenso durch die Polizeidirektion gegen Empfangschein, b) die Polizeidirektion. c) die Direktion des Armenwesens, d) das Polizeiamt Zürich, e) das Zentralkontrollbureau.
»

1932 war Albertine also – damals noch als Schweizerbürgerin  als Sozialfall aus dem Kanton Zürich ausgewiesen worden, hielt sich aber nicht daran. Solche Kantonsverweise waren durchaus nicht unüblich. Vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 110, Gesamtausgabe S. 447, wo aus dem Weiacher Gemeinderatsprotokoll zitiert wird:

«Arbeitsscheuer» Aargauer wird 1930 samt Familie abgeschoben

Im Bereich der Sozialfürsorge («Armenpflege» genannt) wehte damals ein scharfer Wind. Den bekam auch eine Weiacher Familie zunehmend zu spüren: «Lt. Bericht des Gemeinderates Safenwil [sei] Paul Zimmerli-Meier zur Säge Weiach wegen Vernachlässigung der Familienpflichten und arbeitsscheuem Lebenswandel zu warnen, damit später, sofern eine Besserung nicht eintreten sollte, Zimmerli in die Zwangsarbeitsanstalt versorgt werden könne. Ebenso soll demselben mitgeteilt werden, dass die Unterstützungen bis zur Wiederaufnahme von Arbeit sistiert werden.» (27. Juli 1929)

Der Kanton fackelte da nicht mehr lange: «Lt. Protokollauszug des Regierungsrates des Kt. Zürich von 10. IV. 1930 wird die Familie Zimmerli-Meier von Safenwil Kt. Aargau wohnhaft in Weiach aus armenrechtlichen Gründen aus dem Kanton Zürich ausgewiesen.» (26. April 1930)

Die Zürcher Verwaltung liess im Fall Albertine Gaido-Kessler den Regierungsrat eine unbefristete Ausweisung aus dem Kanton Zürich verhängen. Sozusagen ein Rayonverbot für den ganzen Kanton. Sollen sich andere Kantone mit dieser missratenen Person herumschlagen, zum Beispiel ihre alte Heimat Schwyz. Wie man anhand einer Akteneinheit im Staatsarchiv Luzern erahnen kann, hielt sich Albertine 1939 und 1940 in Luzern auf und muss auch dort negativ aufgefallen sein.

Dass seitens der Zürcher nicht gleich ein Landesverweis aus der Schweiz erfolgte, ist wohl auch dem Umstand zu verdanken gewesen, dass Albertine gebürtige Schweizerin war und womöglich nicht einmal der italienischen Sprache mächtig gewesen ist. Gewissermassen mildernde Umstände also.

Quellen
  • Kantonsverweisung. Regierungsratsbeschluss Nr. 177 vom 25. Januar 1938. Signatur: StAZH MM 3.56 RRB 1938/0177.
  • R 5874 Kessler Albertine, Luzern, von Italien, 1939-1940. Ausweisungen im Jahr 1940. Signatur: StALU A 1326/288 im Staatsarchiv des Kantons Luzern.
  • Weitere Materialien unter dem Aktenzeichen N02383, Signatur: BAR E4264#1985/196#1763* im Bundesarchiv Bern. Diese Akten des Bundesamts für Polizeiwesen aus den Jahren 1938-1940 wurden 1985 abgeliefert und unterliegen keinen Zugangsbeschränkungen mehr.

Montag, 1. März 2021

Tod durch eine Fräse. Das Fabrikgesetz von 1877 in der Praxis.

Die Zürcher waren knapp dagegen und es war nur den Innerschweizer Kantonen zu verdanken, dass die 17. Vorlage, die in der Geschichte des Bundesstaates zur Volksabstimmung vorgelegt wurde, doch noch das Plazet des Volkes gefunden hat.

Die umstrittene Vorlage: das Fabrikgesetz. Mit vollem Namen: «Bundesgesez betreffend die Arbeit in den Fabriken». Angenommen am 21. Oktober 1877 mit 51.5 % Ja (Quelle: BBl 1877 IV 651). Der Parlamentsbeschluss, das Fabrikgesetz anzunehmen, war gerade einmal sieben Monate her. Gegen diesen Beschluss wurde das Referendum ergriffen. Und die Abstimmung fand noch vor der Publikation des Referendumsergebnisses statt. So schnell ging das damals. Vgl. die Chronologie zum Fabrikgesetz und das Resultatarchiv der Bundeskanzlei über die Volksabstimmungen.

Den vollen Wortlaut findet man im Bundesblatt: BBl 1877 II 483. Die alten Ausgaben dieses amtlichen Publikationsorgans des Bundes wurden vom Bundesarchiv digitalisiert und sind unter 
www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch abrufbar.

Die Definition einer Fabrik? Bereits ab zwei Mitarbeitern war auch ein kleiner Gewerbebetrieb eine Fabrik und fiel unter die Bestimmungen dieses Gesetzes, das als wesentlicher Meilenstein für den Schutz der Arbeitnehmer gilt (vgl. u.a. die Wikipedia).

Mechanische Werkstätte am Mülibach

Auch in Weiach gab es deshalb Fabriken. So die Werkstätte des Herrn Etzensberger, die in der Liegenschaft Stadlerstrasse 3 untergebracht war. Dieses Gebäude wurde 1878 über den damaligen Verlauf des Mülibach hinweg gebaut, sodass er unter dem Haus durchfloss und seine Wasserkraft den Maschinen geliehen hat.


Das neue Gesetz stipulierte nicht nur Haftpflichtregeln für die Fabrikherren, nein es verlangte auch die Untersuchung von Vorfällen mit Verletzungs- oder gar Todesfolgen:

«Art. 4  Der Fabrikbesizer ist verpflichtet, von jeder in seiner Fabrik vorgekommenen erheblichen Körperverlezung oder Tödtung sofort der kompetenten Lokalbehörde Anzeige zu machen. Diese hat über die Ursachen und Folgen des Unfalles eine amtliche Untersuchung einzuleiten und der Kantonsregierung davon Kenntniß zu geben.» (BBl 1877 II 485)

Stoss durch einen Rebstickel war tödlich

Das tat die Zürcher Regierung u.a. am 2. Juli 1881. Der Beschluss Nr. 1281 trägt den Titel «Hafner v. Birmensdorf; Verletzung in d. mech. Werkstätte Etzensberger in Weiach».

Der Regierungsratsbeschluss hat folgenden Wortlaut:

«Gemäß Art. 4 des eid. Fabrikgesetzes [vgl. oben] machte der Gemeindrath Weiach mit Zuschrift vom 7. April die Mittheilung, daß Jakob Christof Hafner, Mühlemacher, von Birmensdorf, am 2. April in der mechan. Werkstätte des Hrn. Jakob Etzensberger, in Weiach, beim Rebstickelfräsen durch den Stoß eines Stickels auf die Magengegend verunglückt & an den Folgen dieses Unfalles gestorben sei.
Die Direktion des Innern betraute hierauf Hrn. Ingenieur Hirzel-Gysi, in Winterthur, Mitglied der Fabriksektion, mit der Vornahme einer Untersuchung in Bezug auf allfällig zu treffende Schutzvorrichtungen im Etablissement des Hrn. Etzensberger & es erstattet nun Hr. Hirzel folgenden Bericht:

Der Verunglückte sei ein geübter Arbeiter gewesen, habe jedoch die Unvorsichtigkeit begangen, statt die Stange seitwärts von sich zu halten, dieselbe hintenhergehend mitten vor sich zu nehmen; die nämliche Fräse sei, wenn in der Werkstätte aufgestellt, mit Verdeck versehen, welches an der Decke aufgehängt sei; überhaupt sei für Sicherung der Arbeiter in dieser Werkstatt nichts versäumt worden. Er habe nun Hrn. Etzensberger gerathen, ein Verdeck am Fräsentisch anzubringen, welches dann auch beim Gebrauch außerhalb der Werkstatt an der Fräse bleibe und bei den Arbeiten wenig hinderlich sei; Hr. Etzensberger habe sich mit diesem Vorschlag vollkommen einverstanden erklärt & sei gewillt, diese Schutzvorrichtung von sich aus anzubringen.

Der Regierungsrath,
nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern,
beschließt:

1. Von der getroffenen Anordnung des Hrn. Ingenieur Hirzel-Gysi wird Vormerk genommen.
2. Im Uebrigen ist für den Regierungsrath keine Veranlaßung weder zu administrativem Vorgehen in dieser Angelegenheit, noch, abgesehen von der Kostenfrage, zu einer Ueberweisung ans Gericht vorhanden.
3. Mittheilung an das Statthalteramt Dielsdorf für sich & zu Handen des Gemeindrathes Weiach und des Hrn. Etzensberger und an Fabrikinspektor Schuler, in Mollis.
»

Man stelle sich vor, wie ein solcher Vorfall heutzutage für den Betriebsinhaber ausgehen würde. Eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung mit Befragung durch Polizei und Staatsanwaltschaft wäre das mindeste, was ihm blühen würde. 

So aber musste Etzensberger lediglich die Hinterbliebenen entschädigen. Und die angeordneten Arbeitssicherheitsvorkehrungen umsetzen.

Der in Ziffer 3 des Beschlusses genannte Fabrikinspektor war übrigens seit 1878 ein eidgenössisch ernannter Amtsträger, einer von dreien. Fridolin Schuler (1832-1903), im Fabrikkanton Glarus praktizierender Allgemeinmediziner, war für die Ostschweiz zuständig. Er hat massgeblich an der Entstehung des Gesetzes mitgewirkt.

Quelle
  • Regierungsratsbeschluss vom 2. Juli 1881. Scan des Originals - Transkription. Signatur: StAZH MM 2.233 RRB 1881/1281. [Das Original hilft bei der Korrektur von Transkriptionsfehlern, wie u.a. im Fall des Herkunftsorts von Mühlemacher Hafner, fälschlich «Birmersdorf»]