Am 16. März 2021 fand die wohl erste exterritoriale Weiacher Schulgemeindeversammlung statt (vgl. WeiachBlog Nr. 1622). Coronabedingt in einem Saal, der grössere Kapazität hat als der Gemeindesaal unter der Weiacher Turnhalle oder die Turnhalle selber: dem grossen Saal des Ebianum in Fisibach.
Die nachstehenden Erörterungen enthalten Überlegungen, die letztlich auch auf andere Gemeindeversammlungen zürcherischer Gemeinden ohne Parlamentsbetrieb anwendbar sind. Sie zeigen Sicherheitslücken auf und machen Vorschläge für deren Behebung. Deshalb werden in der Folge auch Details aufgeführt, die den an dieser Gemeindeversammlung Anwesenden wohlbekannt sind.
Der Standort und die Sitzanordnung
Der erwähnte grosse Saal nimmt unter normalen Bedingungen mehr als 700 Personen auf. Mit dem von der Betreibergesellschaft aufgestellten Schutzkonzept, das einen Abstand von 1.5 Metern von Sitz zu Sitz verlangt, sind es weniger als 300. Das reichte gerade aus, um die 276 Personen aufzunehmen, die an diesem Dienstagabend nach Fisibach gekommen waren.
Die Sitzreihen für die nach offiziellen Angaben 240 anwesenden Stimmberechtigten waren in sechs Sektoren unterteilt, für die je ein Stimmenzähler zuständig war. Dahinter sassen die Nichtstimmberechtigten in zuerst drei, danach - als es für die Stimmberechtigten nicht mehr ausreichte - noch zwei Reihen. Es gab keine Barriere welche die Nichtstimmberechtigten von Stimmberechtigten trennte.
Rechts auf der Seite waren Plätze für die Medien (nicht stimmberechtigt) ausgeschieden. Vorne links war das Schulbüro platziert, in der Mitte die Rednertribüne, rechts davon der Tisch der Schulpflege (stimmberechtigt).
Die behandelten Geschäfte
Zwei Geschäfte standen auf der Traktandenliste: 1. die Initiative zur Kündigung der RSA-Anschlussverträge mit den Aargauer Gemeinden Kaiserstuhl und Fisibach, sowie 2. ein Kredit über 395'000 Franken für die Planung und sog. Totalunternehmer-Submission neuer Schulräumlichkeiten.
Beide Geschäfte (die sachlich eng miteinander verknüpft sind) waren stark umstritten und haben Anlass zu einer in der Gemeindegeschichte bisher beispiellosen Politmarketing-Kampagne gegeben, vgl. WeiachBlog Nr. 1630. Wie man anhand der grossen Zahl an Anwesenden (die rund 20% aller Stimmberechtigten entspricht) feststellen kann, war die Mobilisierungswirkung gross.
Der Antrag der Rekurrentin
Innerhalb der für Stimmrechtssachen nach dem zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetz (Art. 19 Abs. 1 lit. c VRG) gesetzlich vorgesehenen Frist von 5 Tagen (vgl. § 22 Abs. 1 VRG) hat nun eine Stimmberechtigte Rekurs beim Bezirksrat Dielsdorf eingereicht (der zuständigen Behörde gemäss § 10 Abs. 1 BezVG). Das entsprechende Schreiben sowie eine Aufgabebestätigung der Schweizerischen Post vom Samstag liegen der Redaktion WeiachBlog in Kopie vor.
Die Rekurrentin, welche mit den Initianten des Traktandums 1 nichts zu tun hat, beantragt die Wiederholung der Gemeindeversammlung bzw. der beiden Abstimmungen. Dies begründet sie im Wesentlichen damit, dass keine genügende Überprüfung der Stimmberechtigung stattgefunden habe.
Das Anmeldeformular
Im Vorfeld der Schulgemeindeversammlung war auf der Website der Schule ein elektronisches Anmeldeformular aufgeschaltet, das vorerst den Anschein machte, als gebe es eine Anmeldepflicht (ein Eindruck, der durch den bei solchen Formularen üblichen Hinweis auf Pflichtfelder verstärkt wurde). Nach Intervention einer Stimmberechtigten (mit der späteren Rekurrentin nicht identisch) brachte die Schulverwaltung oberhalb des Formulars einen Hinweis an, wonach Stimmberechtigte selbstverständlich auch ohne Anmeldung erscheinen dürften. Man sei einfach froh um eine Anmeldung, weil man so die Transportkapazität des eigens bestellten Shuttlebusses sowie die Zahl der zu betreuenden Kinder im Voraus planen könne.
Der Knackpunkt: Mangelhafte Einlasskontrolle
Weiach ist in den letzten zehn Jahren extrem stark gewachsen. Die Bevölkerung hat sich verdoppelt. Noch in den 80er- oder 90er-Jahren wären Nichtstimmberechtigte (auch in kleinerer Zahl) an einer Gemeindeversammlung sofort aufgefallen, zumal dort immer in etwa dieselben Personen aufzutauchen pflegen. Mit dem gewaltigen Zuwachs an neuen Stimmberechtigten ist es nun aber sehr viel schwieriger geworden, die Stimmberechtigung sozusagen per Augenschein festzustellen. Die obligate Frage des Versammlungsleiters, ob die Stimmberechtigung eines Anwesenden bestritten werde, wird daher immer illusorischer, denn es will sich ja niemand blamieren und einen Neuzuzüger zu Unrecht beschuldigen.
Die Mobilisierungswirkung der IG Eusi Schuel hat sich auf alle Eltern mit schulpflichtigen Kindern erstreckt. Auch viele tatsächlich stimmberechtigte Personen dürften in Weiach zum ersten Mal an einer Gemeindeversammlung teilgenommen haben.
Es stellt sich daher die Frage, wie die Stimmberechtigung überprüft wurde. Am Abstimmungsabend waren im Erdgeschossbereich des Ebianums zwei Tische aufgebaut, wo je eine Person anhand der Anmeldungslisten das Eintreffen der Stimmberechtigten erfasste. Wer nicht angemeldet war, wie beispielweise die Rekurrentin sowie deren Mutter, wurde lediglich nach dem Namen und einer Telefonnummer gefragt. Es fand also die in Pandemiezeiten üblich gewordene Erfassung zwecks Contact Tracing statt. Ein amtlicher Ausweis zur Identitätsüberprüfung wurde nicht verlangt.
Für die Rekurrentin (und eine weitere mit ihr nicht verwandte Person, die zu einem anderen Zeitpunkt erschienen ist) war nicht ersichtlich, dass eine eigentliche Überprüfung der Stimmberechtigung durch sofortigen Abgleich mit dem Stimmregister stattgefunden hätte. Diese konnte somit lediglich für die bereits vorgängig angemeldeten Personen erfolgt sein, wenn überhaupt. Es entstand für die Rekurrentin der Eindruck, dass hier jedermann hätte hereinspazieren und anschliessend als Stimmberechtigte(r) in den Saal gehen können.
Anders als bspw. bei Delegiertenversammlungen politischer Parteien üblich, oder wie bei einer Urnenabstimmung im Abstimmungslokal hatten die Stimmberechtigten überdies auch keine Stimmrechtskarten zur Verfügung, die ein weiteres Element der Legitimation hätten sein können.
Im oberen Stock des Ebianums, wo sich der grosse Saal befindet, wurden Nichtstimmberechtigte in den hintersten Teil des Saales verwiesen. Mangels Stimmrechtskarten o.ä. konnten die Platzanweiser am oberen Ende der Treppe jedoch nicht mit Sicherheit feststellen, welcher Kategorie die eintreffende Person zuzuweisen ist. Man vertraute ganz einfach darauf, dass sich schon niemand unlauter verhalten werde.
Es ist daher nachvollziehbar, dass die Rekurrentin den Verdacht hegt, es könnte hier einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Wie wahrscheinlich ist es, dass das Ergebnis beeinflusst wurde?
Man wird sehen, wie der Bezirksrat im Falle dieses Rekurses den § 27b VRG interpretiert, der da lautet: «Die Wiederholung einer Volkswahl oder Volksabstimmung wird nur dann angeordnet, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass die Unregelmässigkeit den Ausgang der Wahl oder Abstimmung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflusst hat.»
Das Resultat der Abstimmung beim Traktandum 1 fiel mit 69 Ja zu 159 Nein vordergründig sehr deutlich aus (Ja-Anteil von 28.75% der anwesenden Stimmberechtigten), was die Initiativgegner zur Bemerkung veranlasst hat, die Initianten seien mit ihrem Vorhaben «kläglich gescheitert» (vgl. Website der IG Eusi Schuel).
Rechnen wir nach: Ausgehend von 240 durch die Versammlungsleitung als Stimmberechtigte ausgewiesenen Personen im Saal ergibt sich die Zahl von 12 impliziten Enthaltungen. Diese Enthaltungen können dadurch verursacht worden sein, dass die vom Wortführer der Initianten am Schluss seines Eintretensvotums verlangte Geheimabstimmung nicht die erforderliche Stimmenzahl von 25% der anwesenden Stimmberechtigten erreicht hat.
Der Umstand, dass viele Initiativbefürworter offensichtlich nicht begriffen haben, wie wichtig eine Geheimabstimmung im Rahmen der Gemeindeversammlung für die Erzwingung einer Urnenabstimmung gewesen wäre, das war das grosse Glück der Phalanx der Initiativgegner. Mit anderen Worten: der Ausgang war wesentlich knapper als es den Anschein macht.
Denn: etliche Befürworter, die sich in Abhängigkeitsverhältnissen zur politischen Gemeinde oder der Schulgemeinde, bzw. zu Personen befinden, von denen bekannt war, dass sie Gegner der Initiative sind oder sein dürften, haben sich dadurch nicht getraut, mit JA zu stimmen oder sahen sich gar genötigt, mit NEIN zu votieren, weil sie sonst mit Schwierigkeiten bis hin zur Entlassung rechnen müssten.
[Ergänzung vom 22.3. 21:15: Seitens einer Exponentin der IG Eusi Schuel wurde der Redaktor darauf hingewiesen, dass es auch den umgekehrten Fall gebe. Stimmberechtigte, die Angst davor hatten, einem der Initianten durch ein NEIN-Votum negativ aufzufallen und von diesem in der Folge keine Aufträge mehr zu erhalten. Die hätten dann mit JA gestimmt. Auch eine Verfälschung der Willensäusserung in diese Richtung ist selbstverständlich nicht auszuschliessen.]
Die verhinderte Urnenabstimmung
Geht man nun von lediglich sechs Stimmenden aus, die entgegen ihrer eigentlichen Intention mit NEIN gestimmt haben, und zählt man die Hälfte der Enthaltungen dazu, dann wäre bereits ein Quorum von mehr als einem Drittel der anwesenden Stimmberechtigten überschritten (d.h. mind. 81). Das hinwiederum wäre die für eine Urnenabstimmung nötige Anzahl gewesen.
Es kann also sein, dass wenige Nichtstimmberechtigte im Saal, z.B. interessierte Eltern aus Fisibach, die unberechtigterweise mit NEIN gestimmt haben, den Ausgang der Abstimmung so beeinflusst haben, dass dadurch dem Wortführer der Initianten das Begehren, darüber abstimmen zu lassen, ob eine Urnenabstimmung durchgeführt werden soll, von vornherein als sinnlos erschien.
Wie man bei der Abstimmung über das Grossbauprojekt Balance gesehen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1535), unterliegen jedoch Urnenabstimmungen insbesondere in dieser Angelegenheit nicht den bei Gemeindeversammlungen mit offenem Handmehr wirkenden Psychodynamiken.
Ausserdem hätte die Initiative in der Urnenabstimmung mit der dort möglichen Briefwahl nur schon deshalb wesentlich grössere Chancen gehabt, weil viele als Initiativbefürworter bekannte ältere Personen sich aufgrund der Corona-Empfehlungen aktuell nicht trauen, Grossveranstaltungen zu besuchen, wie sie eine Gemeindeversammlung mit über 250 Teilnehmern nun einmal darstellt.
Da die Schulpflege dies wusste, kommt ihr Entscheid, trotz den gegebenen Umständen einer besonderen Lage durch die Pandemie, nicht nur eine Gemeindeversammlung durchzuführen, sondern sie noch dazu in Fisibach stattfinden zu lassen, einer nicht legitimen Beeinflussung der Zusammensetzung des Elektorats gleich.
Leserkommentare per e-mail
Am 23. März um 15:13 ist folgender Text eingegangen (e-mail-Adresse der Redaktion bekannt):
«Ich kann diesen Artikel nur bestätigen und wie folgt ergänzen:
Vor mir sassen mehrere Leute die im Gespräch ihre Herkunft nicht preisgeben wollten. Ebenfalls warf das Bild, bei dem Weiacher und Aargauer Kinder weinend getrennt wurden ein falsches Licht auf die Vorlage. Die von der RPK präsentierten Zahlen lassen sich für mich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Fisibach als Beispiel konnte die Steuern um 3% senken, die Zahlen von Kaiserstuhl blieben für mich unter Verschluss. Was ist die Begründung dass Weiacher Steuergeld in Millionenhöhe bisher und zukünftig in den Nachbarkanton verschleudert werden? Dass Weiach sogar finanziell durch die Nachbargemeinden Profit mache ist eine klare Lüge. Ich bin sehr gespannt auf das Resultat der Stimmrechtsbeschwerde. Eine Urnenabstimmung hätte wohl ein anderes Resultat bewirkt. Eine Überprüfung der Teilnehmerliste würde vermutlich ebenfalls Ungereimtheiten zu Tage fördern
Gruss weiacher1291» -- Update 23.3. 17:44