Montag, 31. Oktober 2016

Die Depothalter der LGW quittieren den Dienst

Kennen Sie sich mit den Konzernstrukturen und Verflechtungen der bäuerlichen Genossenschaften aus? Das Dach bildet die fenaco, ein heimlicher Gigant mit Milliardenumsatz. Was da alles dazugehört, deutet der Wikipedia-Artikel Fenaco an:

«Zur fenaco zählen über 80 Tochterfirmen, unter anderem das Nahrungsmittelunternehmen Frigemo, der Fleisch- und Fleischwarenhersteller Ernst Sutter AG, der Getränkehersteller Ramseier Suisse AG, die auf den Handel von Nutztieren spezialisierte Anicom sowie der Futtermittelhersteller UFA. Als wichtige Ergänzungsgeschäfte betreibt die fenaco die Detailhandelsketten Volg, Landi, Visavis (in der Westschweiz) und den Tankstellenshop TopShop und verkauft unter der Marke Agrola Heizöl und Treibstoffe. Weitere Unternehmen wurden gegründet, um die Logistikkette zu schliessen, beispielsweise das Transportunternehmen Traveco. Ferner übernahm die fenaco im Oktober 2014 sämtliche der Aktien der in der IT tätigen Bison Holding. Die fenaco gibt das grösste Schweizer Agrarmagazin UFA-Revue heraus.»

Die fenaco ist heute in den Sparten Agrar, Lebensmittelindustrie, Detailhandel, Energie und Diverses tätig (für aktuelle und detaillierte Informationen vgl. die Kurzgeschichte auf der fenaco-Website)

Der Verein ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (deshalb das Akronym VOLG) wurde 1886 gegründet. Wann die hiesige Landwirtschaftliche Genossenschaft Weiach (LGW) diesem Dachverband beigetreten ist, ist mir derzeit nicht bekannt. Jedenfalls betrieb die LGW vor 50 Jahren ein VOLG-Depot an der Stadlerstrasse 4, wo es sich seit 1935 befindet (davor an der Chälenstrasse 6). Das war noch ein traditioneller Laden mit Tresen und vielen Schubladen in denen die Waren einsortiert wurden. Selbstbedienung - wie in den heute weitherum nach dem Aldi-Lidl-etc-Discounterprinzip auf die grüne Wiese geklotzten Industriebauten - gab es noch nicht.


Bild des VOLG-Depots aus der Jahreschronik 1956, S. 7 (Spätester Zeitpunkt der Entstehung des Fotos: Mai 1959)

In der Jahreschronik 1966 vermerkte Walter Zollinger einen Wechsel in der operativen Leitung des Ladens:

«Die Landwirtsch. Genossenschaft Weiach verlor mit dem 31. Okt. 66 das während 13 Jahren als Depothalter in ihrem Dienst gestandene Verkäufer-Ehepaar Hintermüller. Herr und Frau H. übernehmen ein VOLG-Depot in Weiningen/Limmattal. An ihrer Stelle übernimmt Frau Berger-Scheurer die Leitung des Ladengeschäftes. Zugleich tritt eine kleine Aenderung in den Öffnungszeiten des Ladens auf, nämlich:
von Montag bis Samstag: vorm. 7 1/2 - 12 1/2 Uhr,
von Montag bis Freitag: nchm. 2 - 6 1/2 Uhr,
am Samstagmittag: 1 1/2 - 4 Uhr,
Mittwochnachmittag geschlossen.
»

Bemerkenswert ist, dass die Öffnungszeiten zwar nicht so ausgedehnt sind wie heute - der VOLG Weiach mit Postagentur hat von Montag bis Samstag von 06:00 bis 21:00 durchgehend geöffnet - aber auch nicht so restriktiv, dass man sie sich kaum merken kann. Waren das noch Zeiten als es noch eine mindestens stündige Mittagspause gab.

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1966 – S. 22. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1966].

[Veröffentlicht am 15. Dezember 2017 um 14:38 MEZ]

Sonntag, 30. Oktober 2016

Oktoberwetter 1966: gute Witterung für's «Gartnen»

Nach dem erfreulichen September (vgl. WeiachBlog Nr. 1316) war auch der Oktober wohl nach dem Geschmack des Dorfchronisten Walter Zollinger. Er schreibt in seiner Jahreschronik 1966:

«Oktober. Die erste Oktoberwoche bringt einige recht angenehme Herbsttage, wohl hie und da Nebel oder leichte Hochnebeldecke am Vormittag, sonst aber gute Witterung für's Obst pflücken und gartnen. Im ganzen notierte ich: fünf schöne Tage und neun schöne Halbtage, bewölkt oder Hochnebel hatten wir an vierzehn ganzen und elf halben Tagen, Nebel an 12 Vormittagen, Regen fiel, meist nachts oder abends, 22 Mal.

Der letzte Tag des Oktobers brachte bei -2°C einen ersten leichten Reif. In der Zeit vom 23. bis 25.10. ziemlich heftiger, einmal nachts sogar stürmischer Wind. - Mit dem 14.10. ist das Getreidedreschen offiziell fertig und auch mit Obsten geht's dem Ende entgegen. Es dünkt mich, in der Nachbarschaft wenigstens, der Ertrag sei noch recht zufriedenstellend.

Höchsttemperaturen morgens 15°, mittags 24°, abends 16°
Tiefsttemperaturen morgens +3° (1x -2°), mittags +5° (1x +3°) a. 31.10, abends +3° (1x -1°)
»

Solche Es-dünkt-mich-Aussagen sind typisch für Zollingers Chronisten- und Protokollstil. Sie sind das Salz in der Suppe und machen den Reiz der als Typoskripte überlieferten Texte aus.

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1966 – S. 7. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1966].

[Veröffentlicht am 15. Dezember 2017 um 00:12 MEZ]

Samstag, 29. Oktober 2016

Die Uniformenweihe oder: Manufacturing consent

Im gestern publizierten Artikel (WeiachBlog Nr. 1318) wurde dargelegt, wie die Finanzflüsse des neuen wirtschaftlichen Elefanten auf Gemeindegebiet anfangs der 1960er-Jahre die Mehrheitsverhältnisse in den massgebenden Gremien und Versammlungen beeinflussten.

Fast 60% aller Einnahmen der politischen Gemeinde Weiach für das Jahr 1963 stammten aus dem Kiesgeschäft, dazu kamen Einnahmen der Armengemeinde (heute wäre das die Sozialhilfe). Schon allein dieser Umstand führt dazu, dass Mahner und Kritiker einen ungemein schweren Stand hatten.

Der Betreiber der Weiacher Kies AG, der im Bergbau des Ruhrgebiets grossgewordene Haniel-Konzern aus Duisburg, hatte aber noch weitere Instrumente im Köcher, mittels deren er sich die Zustimmung erkaufte. Es brauchte dazu nicht einmal die Beeinflussung über die Massenmedien, wie sie von Herman und Chomsky 1988 beschrieben wurde - und worauf der Titel dieses Beitrags anspielt. In diesem lokalen Mikrokosmos ging das wesentlich einfacher, sozusagen unter dem Radar und viel subtiler, wie man Zollingers Jahreschronik 1963 unter der Rubrik «Vereine und Genossenschaften» entnehmen kann:

«28./29. Sept.: Diese Tage verdienen ganz besondere Erwähnung: durch die Freigebigkeit der "Weiacher Kies A.G." war es unserer Dorfmusik möglich geworden, eigene, schmucke Uniformen anzuschaffen. In einer grossen Abendunterhaltung am Samstag wurden diese eingeweiht und mit einem Marschmusikdefilee und Festkonzert am Sonntagnachmittag weiter geehrt. Festhütte und Budenstadt fehlten selbstverständlich dabei nicht. (Nähere Beschreibung des Anlasses im Anhang).» (G-Ch Weiach 1963, S. 18)



Jede(r) in Weiach wusste, wer der Dorfmusik die Neueinkleidung ermöglicht hatte. Auswärtige konnten das nur wissen, wenn sie die Lokalpresse (s. Zeitungsausschnitt im Hintergrund oben) aufmerksam gelesen hatten. Und gerade deshalb wirkte die Spende jedes Mal, wenn die Musikanten die Uniform anzogen und damit öffentlich auftraten, in sozusagen homöpathischer Dosis weiter. Das funktionierte umso besser, weil auf diesen Uniformen natürlich nicht das Logo des Sponsors prangte (wie das bei Sportlern heute gang und gäbe ist) und man daran die implizite Interessenbindung eben gerade nicht ablesen konnte.

Die vielen individuellen Nutzniesser taten dazu ein übriges, wie man an anderer Stelle in derselben Jahreschronik 1963 sieht: «Gottfried Nauer am Bach verkauft sein Bauerngewerbe samt Haus an die Kies A.G. Weiach, behält aber vorläufig noch das Wohnrecht.» (G-Ch Weiach 1963, S. 22). Bei diesem Handel profitierte nicht nur Nauer am Bach. Auch die Gemeinde hatte etwas davon, und zwar dank der Handänderungssteuer.

Ebenfalls ein schlauer Schachzug des Haniel-Konzerns war die Einbindung der Gemeinde in den Verwaltungsrat der Weiacher Kies AG.

All diese Umstände haben dazu geführt, dass es in der Gemeinde praktisch unmöglich war (und immer noch ist), am Kiesabbau im Allgemeinen oder an der Weiacher Kies AG im Besonderen substantielle Kritik zu üben, ohne massive Anfeindung in Kauf nehmen zu müssen.

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963 – S. 18, 22 und 39-41 (unpaginierter Anhang). [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963].

Freitag, 28. Oktober 2016

«Und das Unheil schreitet fort». Kritik Zollingers an der Kiesausbeutung

Wie WeiachTweet Nr. 102 vom 18. Oktober 2016 meldet, sind die Bachelor-Studierenden des Studiengangs Umweltnaturwissenschaften im Wintersemester 2016/17 auf die Weiacher Kiesgrube angesetzt worden.

Die Fallstudie wird im Rahmen des Faches «Umweltproblemlösen I» durchgeführt und umfasst auch historische Betrachtungen zum Kiesabbau. Bei ihren Recherchen ist eine auf die historischen Aspekte fokussierte Studierendengruppe auf die Weiacher Geschichte(n) und den WeiachBlog gestossen.

Als Ergänzung zu den bereits publizierten Beiträgen zum Weiacher Kiesabbau (http://weiachergeschichten.ch/kies) habe ich noch etwas in den unveröffentlichten Unterlagen gekramt. Eine besonders interessante Quelle sind auch zu diesem Thema die Jahreschroniken von Walter Zollinger. Da diese nach der Ablieferung an die Zentralbibliothek Zürich erst einmal für 25 Jahre unter Verschluss gekommen sind, hat sich Zollinger nicht gescheut, auch seine persönliche Meinung dezidiert kundzutun.

Die Gegner können nur noch die Faust im Sack machen

Wie war die Stimmung in Weiach kurze Zeit nach der Betriebsaufnahme des ersten Kiesabbaus im industriellen Massstab in unserem Land?

Kurz gefasst: die Opposition dürfte die Faust im Sack gemacht haben. Der Grund dafür ist die Art und Weise wie traditionell über Gemeindeangelegenheiten abgestimmt wurde (und häufig auch heute noch wird). Nämlich in der Gemeindeversammlung mit offenem Handmehr. Da muss man zu seiner Entscheidung stehen (können). Und wer will schon öffentlich ein solch lukratives Projekt torpedieren und damit einem Nachbarn und der Gemeinde Schaden zufügen? Immerhin war (und ist) das durch den Kiesabbau fliessende Geld für die Landeigentümer (darunter auch die Gemeinde) hochwillkommen. Deutliche Hinweise zu diesem Thema gibt der WeiachBlog-Beitrag Nr. 963, Jahreschronik 1961: Gelddenken und das neue Kieswerk.

Die Ergebnisse der Gemeinderechnung waren jedenfalls eindrücklich, wie Zollinger in der Jahreschronik 1963 rapportiert: «Erstmals genoss nun das Gemeindegut die ihm zukommenden Einnahmen aus dem Vollbetrieb der "Weiacher Kies A.G.", nämlich den ansehnlichen Betrag von Fr. 339'061.90, sodass, zusammen mit dem Vorschlag aus den Waldungen (Fr. 59'874.95), den Einnahmen aus den Grundsteuern (Fr. 25'000.-), aus Gebühren und Bussen (Fr. 15'504.75) und den Staatsbeiträgen sowie der Personalsteuer (Fr. 45'000 rd.) wiederum sämtliche finanziellen Verpflichtungen im ordentlichen, wie im a.o. Verkehr getilgt werden konnten. Darüber hinaus reichte es erst noch zu Einlagen von zusammen Fr. 58'504.- in den Steuerausgleichsfonds sowie in den Fonds für a.o. Ausgaben.

Immerhin ist zu erwarten, dass diese Fonds in den nächsten Jahren weitgehend wieder "abgebaut" werden könnten. Die in Aussicht genommenen Arbeiten an der dringend nötig gewordenen Grundwasserfassung am Rhein werden bestimmt hohe Summe verschlingen. Ohne die nun hoffentlich regelmässig fliessenden Einnahmen aus der Weiacher Kiesi, wie sie im Volk einfach geheissen wird, wäre an solch ein Projekt gar nicht zu denken, oder dann nur mit gewaltiger Steuererhöhung.
» (G-Ch Weiach 1963, S.11-12)

Angesichts dieses finanziellen Mannas, das da dank der «Kiesi» sozusagen vom Himmel fiel, verwundert es nicht, dass kritische Stimmen einen äusserst schweren Stand hatten. Zollinger selber war einer dieser Kritiker und hat über eine Gemeindeversammlung im Sommer 1963 die nachstehenden Zeilen verfasst:

«In der Gemeindeversammlung vom 15. Juni wurden folgende Anträge mit 50:38 Stimmen (bei 17 Stimmenthaltungen) gutgeheissen:

a. Antrag des Gemeinderates und der Armenpflege betr. Genehmigung des Vertrages über Kies- und Sandausbeutungsrecht zwischen der Polit. Gemeinde Weiach und der Armenpflege mit der Firma "Weiacher Kies A.G." zu Lasten von ca. 620 Aren Armenland im Hard (südlich der Bahnlinie).

b. Antrag betr. Genehmigung des Vertrages über Kies- und Sandausbeutungsrecht betr. Genehmigung des Vertrages über Kies- und Sandausbeutungsrecht zwischen der Politischen Gemeinde Weiach und der Firma "Weiacher Kies A.G." zu Lasten von ca. 460 Aren Acker im Hard (anschliessend an Armenland).

In der Diskussion wurde ausgiebig geredet; denn diese Erweiterung des Kiesausbeutungsrechtes oberhalb die Bahnlinie war sehr umstritten. Leider konnte diese, wie das obgenannte Abstimmungsergebnis zeigt, nicht abgewehrt werden. Die Anhänger bzw. Nutzniesser der Kies A.G. (z.T. Arbeitnehmer, z.T. Landbesitzer im Bereich der Kiesi) sind bereits zu zahlreich geworden. "Und das Unheil schreitet fort", muss man wohl dazu sagen; denn kaum 14 Tage nach diesen Beschlüssen begann bereits der vermehrte Wegtransport von Kies und Sand ----- per Lastwagen! 50, 60 solch schwere Kerle rasseln nun seither während 5 Wochentagen beständig dorfauf und -ab zum grossen Aerger auch vieler Ja-Stimmer vom 15.6.; heute sähe das Abstimmungsresultat vielleicht schon etwas anders aus. ("Ja, wenn wir das gewusst hätten".).

Zwei, allerdings nur mündlich vom Tisch des Vorsitzenden aus gemachte Aussprüche vom 15.4.61 (erster Vertrag), sind damit nicht inne gehalten worden. Es hiess damals, dass man kein Land oberhalb der Bahnlinie für das Kieswerk benötigen werde und dass sozusagen alles Material per Bahn weggeführt werde und die Strassen deshalb nur für Transporte in die nähere Umgebung, also minim, benützt werden müssten. Und jetzt?! Ich gebe zu, ich war auch einer der Neinstimmer am 15.6.63. und bereue es nicht. Nur schade, dass nicht mehr Mitbürger die kommende Gefahr einsehen wollten, die Gefahr nämlich, dass so unsere "Land-Dorf-Ruhe" gestört und noch mehr unser liebes schönes Ackergebiet im Hard nach und nach zerstört werden wird.
» (G-Ch Weiach 1963, S.12-13)

Risiken und Nebenwirkungen des offenen Handmehrs

Mit dem Vorsitzenden ist wohl der damals amtierende Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer gemeint, der sich stark für das Kieswerk-Projekt eingesetzt hat. Mit Blick auf die relativ grosse Anzahl an Stimmenthaltungen kann man sich fragen, was wohl gewesen wäre, hätte die Gemeinde zum Schicksalsthema «Kieswerk» eine geheime Urnenabstimmung durchgeführt. Wenn diese 17 Enthaltungen alle von Männern kamen (das Frauenstimmrecht gab es noch nicht), die es sich entweder nicht leisten konnten oder wollten, öffentlich zu ihrer ablehnenden Haltung zu stehen, dann wären diese beiden Geschäfte wohl nicht bewilligt worden.

Interessant ist einerseits, wie stark sich die unterschiedlichen Meinungen im Resultat der Abstimmung niedergeschlagen haben - zumal in einer Gemeinde, in der Vorlagen häufig «mit offensichtlichem Mehr» durchgewunken werden, so dass es der Präsident oft gar nicht für nötig hält, ein Gegenmehr oder gar Enthaltungen explizit ermitteln zu lassen. In den Protokollen sieht das dann fast so aus, als hätte es keine Gegenstimmen gegeben.

Andererseits ist es bemerkenswert, wie schnell mündlich gemachte Zusagen auch von Gemeindepolitikern zu Makulatur werden, wenn es die wirtschaftlichen Interessen gebieten. Das zeigt die Zollinger'sche Bemerkung über die «Aussprüche» vom 15. April 1961 sehr deutlich (vgl. zu dieser Abstimmung den WeiachBlog-Beitrag Nr. 979 vom 4. Februar 2011: Vertrag über die Kiesausbeutung genehmigt.)

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963 – S. 11-13. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963].

Samstag, 22. Oktober 2016

Heymathlosigkeit eines unehelichen Knaben

Mit unehelichen Kindern ist das so eine Sache. Meist stellt sich da schnell die Frage, wer bezahlen muss. Denn Kinder sind teuer. Und Alleinerziehende sind in der Regel nicht auf Rosen gebettet. Das war auch vor 200 Jahren nicht anders. Am 22. Oktober 1816 landete die «Heymathlosigkeit des unehelichen Knaben der Elisabetha Hauser von Weyach» sogar auf der Traktandenliste des Regierungsrates in Zürich!

Im Protokoll wird vermerkt: «Die von dem L. Ehegerichte mit Zuschrift d. d. 15ten hujus zu Hoher Verfügung einberichtete Heymathsangelegenheit für den unehelichen Knaben einer gewißen Elisabetha Hauser von Weyach, – wird der L. Commißion des Innern zu näherer Prüfung und Hinterbringung ihres gutächtlichen Berichts und Antrages überwiesen.»

Das «L.» ist eine Höflichkeitsformel und steht für «Löbliche». Damals war es das Ehegericht, das meist aufgrund der Weigerung der Heimatgemeinde des Kindsvaters, für den Knaben zahlen zu müssen, den Regierungsrat um dessen «Hohe Verfügung» ersuchte. Die Bürgerrechtsfrage schlug sich unmittelbar in der Zuweisung der Sozialfälle nieder. Für diese aufkommen musste die Heimatgemeinde. So viel war klar. Nur eben: was tun, wenn diese Frage nicht geklärt war.

Die Commission des Innern benötigte dafür rund zweieinhalb Monate. Und am 8. Februar 1817 landete das Geschäft wieder auf dem Regierungsratstisch:

«Nach Anhörung und in Genehmigung eines sorgfältigen Berichts und Gutachtens der L. Commißion des Innern d. d. 5ten hujus [d.h. des laufenden Monats], über die von dem L. Ehegerichte hoher Verfügung unterworfene Ausmittlung eines Heymaths- und Bürgerrechtes für den unehelichen Sohn einer gewißen Elisabetha Hauser von Weyach, welcher Ao. 1803. zu Auggen im Badischen geboren, und Joh. Georg getauft, über deßen bürgerlichen Status aber niemahls gerichtlich abgesprochen worden, indem zwar die Mutter zu jener Zeit bey der Matrimonialbehörde in Basel ihre Paternitätsklage gegen einen gewißen Jacob Schwender von Eptingen, Kantons Basel, anhängig gemacht, aber nicht prosequirt, und auch jene gerichtliche Stelle das Geschäft unregelmäßiger Weise hängen laßen, – haben UHHerren und Obern, da sich aus dem Berichte ergiebt, daß es wegen so langer Verjährung nicht mehr möglich ist, für diesen jungen Menschen das väterliche Bürgerrecht auszumitteln, und sich daher die Gemeinde Weyach bereit erklärt hat, ihn als ihren Angehörigen aufzunehmen, erkennt, es solle demselben in Betrachtung seiner bedauerlichen Lage und Vermögenslosigkeit das hiesige Landrecht gnädigst unentgeldlich ertheilt, und seine Aufnahme in das Bürgerrecht der Gemeinde Weyach Obrigkeitlich bestätigt seyn.

Von diesem Beschluße wird dem L. Ehegerichte und dem Oberamte Regensperg zu Handen der Gemeinde Weyach und des Joh. Georg Hauser, unter Beylage einer besondern Ausfertigung für denselben als Landrechtsurkunde, Kenntniß gegeben.
»

Fazit: Die Basler hatten wohl einfach den Umstand ausgenützt, dass Elisabeth Hauser nahe der Stadt Freiburg im Breisgau wohnte und daher nicht fristgerecht und persönlich bei der Vormundschaftsbehörde Druck machte. So konnte man der Gemeinde Eptingen (die damals noch zur Stadt Basel gehörte - die Kantonsteilung erfolgte erst 1833) die Kosten für ein uneheliches Kind ersparen.

Die Gemeinde Weyach hat sich wohl auch deshalb bereit erklärt, Johann Georg Hauser als Bürger aufzunehmen, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits 13 Jahre alt und seine Mutter Gemeindsbürgerin war. Bei diesem Alter konnte man zumindest hoffen, dass sich die Kosten in Grenzen halten - und sich auf die Kosten für eine Lehre beschränken würden.

Quellen
  • Heymathlosigkeit des unehelichen Knaben der Elisabetha Hauser von Weyach. - RRB vom 22. Oktober 1816. Signatur: StAZH MM 1.60 RRB 1816/1158. Viewer mit Volltext und Digitalisat: https://www.archives-quickaccess.ch/stazh/rrb/ref/MM+1.60+RRB+1816/1158
  • Landrechtsertheilung für den in der Gemeinde Weyach aufgenohmenen Joh. Georg Hauser, unehelichen Sohn der Elisabetha Hauser von dort. - RRB vom 8.2.1817. Signatur: StAZH MM 1.62 RRB 1817/0150.
    Viewer mit Volltext und Digitalisat: https://www.archives-quickaccess.ch/stazh/rrb/ref/MM+1.62+RRB+1817/0150

[Veröffentlicht am 14. Dezember 2017 um 20:05 MEZ]