Samstag, 29. Februar 2020

Wann entstand das Regensberger Dekanatsbuch?

Für die Geschichte des Weiacher Wappens (und die etlicher weiterer Gemeinden im Zürcher Unterland) ist das Regensberger Dekanatsbuch eine sehr wichtige Quelle.

In der Literatur über die Gemeindeheraldik im Kanton Zürich wird als Entstehungsjahr des aufwändig gestalteten Bandes implizit meist das Jahr 1719 genannt, so mehrfach im Standardwerk von Peter Ziegler «Die Gemeindewappen des Kantons Zürich» aus dem Jahre 1977 (vgl. WeiachBlog Nr. 1476 vom Montag dieser Woche, sowie Quellen und Literatur unten für einen Link auf Zieglers Werk).

Auch der für die regionale Geschichtsschreibung wichtige Heinrich Hedinger (1893-1978) schreibt in seinem Heimatbuch von 1971 über das Zürcher Unterland zu Weiach: «Seit 1719 ist ein Gemeindewappen bekannt, dessen Stern schon im Schild des alten Dorfwirtshauses stand».

Diese Datierung des Dekanatsbuches vermittelt nun aber einen falschen Eindruck, nämlich den von einem «Stand 1719», wie man es bei obigem Hedinger-Zitat exemplarisch beobachten kann.

1719 ist zwar ein Titelbestandteil...

Angelegt hat das Dekanatsbuch Johann Philibert Tobler, zu dieser Zeit Kammerer des Regensberger Kapitels (auch «Dekanat» genannt). Ein «Kammerer, camerarius, ist der zweite Beamte des Kapitels. Er ist Gehilfe und Stellvertreter des Dekans, hat die Verwaltung der Kasse und des gesamten Kapitelvermögens.» (Kocher 1966)

Tobler hat das Geschenk an sein Kollegium im Titel wie folgt charakterisiert: «In dissere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaci der Reformiert-Eidgenössischen Kirchen. MDCCXIX» (vgl. WeiachBlog Nr. 89 für eine Abbildung der Titelseite). Gemeint ist der Start der Zürcher Reformation mit dem Beginn des Wirkens von Zwingli am Grossmünster.

... aber die Arbeiten an diesem Werk begannen früher

Dass der Kammerer aber schon viel früher mit den Arbeiten an diesem Werk begonnen haben muss, zeigt sich unter anderem gerade daran, dass das Weiacher Wappen darin überhaupt enthalten ist.

Das Buch wurde im Hinblick auf das Jahr 1719 etliche Jahre früher konzipiert, angelegt und begonnen. Dafür spricht der Titel, dafür spricht aber vor allem das Vorhandensein der Wappen auch von Gemeinden im heutigen Bezirk Dielsdorf (nämlich Schöfflisdorf, Niederweningen, Stadel, Bachs und Weiach), die ab 1712 nicht mehr zum Kapitel Regensberg gehörten, sondern neu zum Kapitel Eglisau. Bei allen genannten Gemeinden fehlt der Text, der sonst überall unter dem Wappen beigegeben ist. Somit wurden die Wappen wohl schon vor 1711 gemalt, vgl. die nachstehende Liste mit Seitenangaben aus dem Katalog des Staatsarchivs:

«Höngg (42), Steinmaur (43, ohne Text), Weiningen (45), Schöfflisdorf (47, ohne Text), Regensdorf (49), Dällikon (53), Dänikon (53) Otelfingen (57), Buchs (61), Dielsdorf (65), Regensperg (69), Niederhasli (73), Oberglatt (77), Rümlang (81), Kloten (85), Niederweningen (86, ohne Text), Stadel (88, ohne Text), Bassersdorf (89), Bachs (92, ohne Text), Affoltern (93), Dietlikon (97), Weiach (98, ohne Text), Baden (99)»

Mit den Arbeiten an dem Buch (insbesondere mit den Wappenmalereien) hat man möglicherweise schon einige Zeit vor dem Jahre 1711 begonnen. Denn in dieses Jahr fällt der Entscheid der Obrigkeit, das Eglisauer Kapitel vom Regensberger Kapitel abzutrennen.

Oder ist es so, dass man die Wappen der ausgeschiedenen Gemeinden sozusagen zur Dokumentation der historischen Verhältnisse ins Buch aufgenommen hat? Dagegen spricht der Umstand, dass bei Steinmaur, Schöfflisdorf und Niederweningen (als ältere Pfarreien) zwei Seiten, bei Bachs und Weiach aber nur eine Seite vorgesehen sind.

Wäre die Konzeption also 1712 oder später erfolgt, dann müssten die Wappen der ausgeschiedenen Gemeinden fehlen.

An welchem Original hat sich der Buchmaler orientiert?

Warum wurde das Weiacher Gemeindewappen so gemalt, wie es auf Blatt 98 zu finden ist, nämlich mit einem goldenen Stern, der teilweise auf silbernem Hintergrund liegt? Die Frage stellt sich, weil wir es dabei mit einer heraldischen Todsünde (nämlich «Metall auf Metall») zu tun haben.

War es das Wappen, das in der 1706 neu errichteten Kirche angebracht wurde? War dieses allenfalls Teil des Ehrenwappens, dessen Erstellung sich die Regierung ziemlich viel Geld kosten liess? Dieses Wappen ist nicht mehr vorhanden. Weil die Weiacher es wegen dem unterlegten Zürcherschild nicht als das ihre ansahen?

Wir kennen die Antwort nicht. Aber es spricht doch einiges dafür, dass sich Kammerer Tobler die Wappen der Gemeinden des Kapitels nicht aus den Fingern gesogen hat, sondern auf eine ihm bekannte Vorlage abstellen konnte. Denn schliesslich hätte er sich die Kritik der Kollegen zugezogen, wenn sie das Wappen ihrer Kirchgemeinde im Buch nicht so vorgefunden hätten, wie sie es (z.B. aus ihrer Kirche) kannten.

Interessant ist auch das Aussehen des Bachser Wappens im Dekanatsbuch. Es zeigt einen sechsstrahligen goldenen Stern auf silbernem Grund (ohne Schrägteilung durch den Zürcherschild, aber mit derselben heraldischen Sünde wie beim Weiacher Wappen). Dabei könnte es sich um das Wappen handeln, das noch in der alten Kapelle von Bachs angebracht war, die 1714 durch einen Neubau ersetzt wurde (die heutige Bachser Kirche).

Niederweningen ist heute wieder konstanzisch

Ebenfalls bemerkenswert ist der Umstand, dass das im Dekanatsbuch abgebildete Niederweninger Wappen lediglich einen silbernen Halbmond auf blauem Grund zeigt. Heute sieht das Wappen von Niederweningen anders aus: weisser achtstrahliger Stern vor einem ebenfalls gebildeten Halbmond auf rotem Grund.

Diese Farbgebung wurde von der Gemeindewappenkommission den Farben des Domstiftes Konstanz nachempfunden. Denn Niedergerichtsbarkeit und Kirchensatz von Niederweningen wurden 1310 von den Freiherren von Regensberg (also kurz nach dem hochgerichtlichen Übergang der Herrschaft Regensberg an Zürich im Jahre 1309) an das Fürstbistum Konstanz verkauft.

Wohl deshalb hat man bei der Kommission auch für Weiach (seit 1295 niedergerichtlich beim Fürstbistum) in Betracht gezogen, rot und weiss als Farben zu verwenden. Die Schrägteilung des Schildes bei Tobler und Krauer hat dann aber wohl doch den Ausschlag gegeben bei den Zürcher Farben zu bleiben.

Dazu passen die Einträge Hedingers auf einem A6-Kärtchen vom 31. März 1931: «1295 erwarb Domstift Konstanz niedere Gerichtsbarkeit v. Wyach, auch Kirchensatz». Letztere Angabe zum Kirchensatz wurde nachträglich gestrichen und die Änderung mit dem Vermerk «vergl. Nüscheler II 15 und Wirz, Etat» versehen (vgl. Ein roter Stern im Wappen? WeiachBlog Nr. 320, 20. November 2006).

Quellen und Literatur
  • Acten- und Decanats-Buch Eines Ehrwürd. Regensberger Capituls. In dißere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaei der Reformiert-Eidgnössischen Kirchen. MDCCXIX per Joh. Philibert Tobler t. temp. Cam. C.  Signatur: StAZH E IV 5.16
  • Krauer, J.: Wappen sämmtlicher Hauptgemeinden des Kantons Zürich [Wappentafel des Zürcher Lithographen Johannes Krauer; Zürich, um 1860]. Siehe E-rara.ch
  • Kocher, A.: Der Buchsgau. Dekanat und Kirchen. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte, Bd. 39 (1966), Solothurn 1966 – S. 43. Siehe e-periodika.ch 
  • Hedinger, H.: Das Zürcher Unterland. (Schweizer Heimatbücher, Nr. 153). Bern 1971.
  • Ziegler, P.: Die Gemeindewappen des Kantons Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 49. 142. Neujahrsblatt. Zürich 1977 – Weiach: S. 106. Siehe e-periodica.ch
  • Pfarrkapitel: Von Regensberg nach Eglisau und zurück. WeiachBlog Nr. 89, 1. Februar 2006.
  • Im Wappen zwei Zacken zugelegt. WeiachBlog Nr. 1383, 26. Dezember 2018

Montag, 24. Februar 2020

Nicht erst Krauer legte den Weiacher Stern auf den Zürcherschild

«Weiach wurde 1591 eine eigene Pfarrei und wählte als Abzeichen den Stern, sei es als bloße Verzierung oder im Zusammenhang mit der alten Taverne zum „Sternen“. Erst Krauer legte ihn mitten auf den Zürcherschild, der wie bei Bachs für eine Grenzgemeinde gut paßt. (Von Silber und Blau schräggeteilt mit achtstrahligem Stern in gewechselten Farben) 28. November 1931»

Diese Kurzbeschreibung, begleitet vom Weiacher Wappen, findet man in der Zeitung «Der Wehnthaler» (7. u. 10. Februar 1936), vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 85 (Gesamtausgabe S. 313) für eine Abbildung.

Mit der Kurzbezeichnung «Krauer» ist die Wappentafel eines Unternehmers und Lithographen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemeint. Das an den Schluss gesetzte Datum bezeichnet den Zeitpunkt, an dem der Gemeinderat Weiach das vorstehend beschriebene Wappen genehmigt hat.

Mutmassungen im Multipack

Der kurze Text strotzt nur so von Mutmassungen. Er legt nahe: 1. dass Weiach im Jahre 1591 einen Stern als Wappenmotiv gewählt habe, spekuliert 2. vom Stern als blosser Verzierung ohne jeden Anlass und behauptet 3. auch noch, dass es Krauer war, der diesen Stern erstmals auf den Zürcherschild platziert habe.

Aussage 1 ist eine reine Spekulation. Wir wissen schlicht nicht, seit wann die Weiacher einen Stern als Wappenmotiv ihrer Gemeinde verwendet haben.

Zur Aussage 2 wird auf WeiachBlog in den nächsten Tagen eine schlüssige These veröffentlicht, die einen Zusammenhang mit früheren Machtverhältnissen und deren Wappenmotiven aufzeigt.

Warum Aussage 3 falsch ist, davon handelt dieser Beitrag.

Hedinger wusste vom Dekanatsbuch

So, wie es eingangs geschrieben steht, stimmt es also nicht. Den Zürcherschild als Hintergrund führte bereits im 18. Jahrhundert das Regensberger Dekanatsbuch ein (zu diesem Werk vgl. WeiachBlog Nr. 89). Walter Zollinger (oder eine Drittperson) hat die Darstellung im Dekanatsbuch abgezeichnet und sie in seinem am 10. April 1925 unterzeichneten Fragebogen integriert:


Neu bei Krauers Wappentafel ist lediglich, dass der Stern achtstrahlig dargestellt wurde, statt wie in Weiach traditionell und Mitte des 19. Jahrhunderts üblicherweise sechsstrahlig (vgl. Kirchenglocken 1843, Gesangverein-Fahne 1860, Wirtshauszeichen Gasthof zum Sternen sowie Stern auf der Kirchturmspitze).

Hedinger war als Mitglied der Gemeindewappenkommission der Antiquarischen Gesellschaft für den Bezirk Dielsdorf zuständig. Und wie man dem Lauftext des Artikels im Wehnthaler entnehmen kann (vgl. WeiachBlog Nr. 313 für den vollen Wortlaut) hat er sehr wohl gewusst, dass das Dekanatsbuch des Kapitels Regensberg  auch für Weiach von grösster Relevanz ist: «Ganz besonders wichtig war für den Bezirk Dielsdorf eine Akten- und Wappensammlung des ehemaligen Pfarrkapitels Regensberg, das sogenannte Dekanatsbuch aus 1719.» (Wehnthaler, 7. Februar 1936)

Ziegler bringt viele weitere Belege

Die Belegdichte in Peter Zieglers «Die Gemeindewappen des Kantons Zürich» von 1977 führt vor Augen, dass Hedingers Einschätzung völlig richtig ist.

Zu Dällikon schreibt Ziegler nämlich: «Mit Ausnahme der unzuverlässigen Tafel von Krauer (um 1860) stimmte die Blasonierung aller bekannten Wappen mit dem ältesten Beleg im Dekanatsbuch von 1719 überein. Darum erklärte der Gemeinderat am 26.8.1930 diese Darstellung als verbindlich.»

Ziegler zu Niederhasli: «Das heutige Wappen, der Darstellung im Dekanatsbuch von 1719 entsprechend, wurde am 27.12.1928 vom Gemeinderat genehmigt.»  Und das offensichtlich auf Anregung der Gemeindewappenkommission. Auch Hedinger war das Dekanatsbuch spätestens Mitte der 1920er bekannt.

Am deutlichsten wird Ziegler bei Dietlikon: «Die Wappenkommission empfahl dem Gemeinderat, die älteste farbige Darstellung im Dekanatsbuch von 1719 zum offiziellen Gemeindewappen zu erklären. Auf behördlichen Antrag hin beschloß die Gemeindeversammlung am 22.12.1931 in diesem Sinne.»

Hat der Redaktor geschnitzert?

Wie also kommt es dann punkto Krauer zu einem solchen Schnitzer wie in der einleitend zitierten Kurzbeschreibung? War der Redaktor des Wehnthalers der Verfasser dieser kurzen Zeilen zu jeder Gemeinde, die zusammen mit Hedingers Artikel «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf» veröffentlicht wurden? Oder doch Hedinger? Sei es wie es wolle.

Fehler passieren nun halt einmal, vor allem wenn man sich wie Hedinger auf den ganzen Raum Zürcher Unterland spezialisiert, die Ortshistorie jedoch nur neben dem Brotberuf als Lehrer in der Freizeit betreiben kann, wenn auch über Jahrzehnte hinweg. Seiner Leistung tut das letztlich wenig Abbruch.

Quellen und Literatur
  • Acten- und Decanats = Buch Eines Ehrwürd. Regensberger Capituls. In dißere Ordnung gebracht auf die Zeit des andren Jubilaei der Reformiert-Eidgnössischen Kirchen. MDCCXIX per Joh. Philibert Tobler t. temp. Cam. C.  Signatur: StAZH E IV 5.16
  • Krauer, J.: Wappen sämmtlicher Hauptgemeinden des Kantons Zürich [Wappentafel des Zürcher Lithographen Johannes Krauer; Zürich, um 1860]. Siehe E-rara.ch
  • Hedinger, H.: Die Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf. In: Der Wehnthaler, 7. u. 10. Februar 1936.
  • Brandenberger, U.: Pfarrkapitel: Von Regensberg nach Eglisau und zurück. WeiachBlog Nr. 891. Februar 2006 .
  • Brandenberger, U.: Heinrich Hedingers «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf». WeiachBlog Nr. 313, 13. November 2006
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006, S. 14-21 (Gesamtausgabe S. 313).

Sonntag, 16. Februar 2020

Zu Höhe und Besatzung der römischen Wachttürme am Hochrhein

«In spätrömischer Zeit, die oft als „Epoche der Völkerwanderung“ gilt, wurde die Provinz Maxima Sequanorum geschaffen. Auf ihrem Gebiet finden sich zahlreiche Mauern von Befestigungen, zum einen im Norden am Oberrhein sowie am Hochrhein zwischen Basel und Bodensee, zum anderen auch südlich von dieser Linie. Schon seit dem 18. Jahrhundert hat man die spätrömischen Ruinen von Wachtürmen, Kastellen und Stadtmauern archäologisch untersucht. Oft sind sie restauriert worden. Sie gelten als interessant, finden sich in den Inventaren der Denkmalpflege, sind Ausflugsziele und werden für Besuche empfohlen. Doch: Was haben die Römer mit ihnen bezweckt? Was ist ihre geschichtliche Bedeutung?»

Soweit der Klappentext zu einem Werk, das Ende April 2020 erscheinen wird. Es trägt den Titel: «Mauern gegen Migration?» und befasst sich mit der Strategie und dem Festungsbau der spätrömischen Epoche auf Basis von schriftlichen und archäologischen Quellen.

Einer der Autoren dieses Buches, Peter-Andrew Schwarz, Professor für Archäologie der römischen Provinzen an der Universität Basel, hat bereits letztes Jahr einen Fachartikel veröffentlicht, der sich mit den römischen Wachttürmen am Hochrhein befasst. Um die darin präsentierten Erkenntnisse geht es im Folgenden.

Zwei dieser über 50 Türme zwischen Basel und Stein am Rhein befinden sich ja bekanntlich auf Weiacher Gemeindegebiet: ein grösserer, schlecht erhaltener in Leeberen, östlich der Einmündung des Dorfbachs in den Rhein (Nr. 35) und ein gut erhaltener, unter eidg. Denkmalschutz stehender kleinerer im Hardwald, nordöstlich des Kiesabbaugebiets (Nr. 36).

In den bisherigen Beiträgen auf WeiachBlog und in den Weiacher Geschichte(n) sind zwei Themen nicht behandelt worden, nämlich die Fragen: «Wie hoch ragten diese Türme auf?» sowie «Woher kamen die Soldaten, die darauf Wache schoben?».

Hauptquartier in Besançon

Die Wachmannschaften gehörten zu den Grenztruppen, den sogenannten Limitanei. Kommandiert wurden sie vom Heerführer der zuständigen Provinz, in diesem Fall von Maxima Sequanorum, das Gebiet der Sequaner mit ihrer Hauptstadt Vesontio (heute Besançon), sowie das der Rauriker und der Helvetier umfassend. Im Westen ist das die spätere Franche-Comté und im Osten ein Grossteil der heutigen Schweiz. Mit einer Ost-Grenze, die sich vom westlichen Rand des Bodensee aus über den östlichen Zürichsee bis an die Grimsel hinzog.


Chef der Limitanei, die auf den Weiacher Wachttürmen standen, war somit der Dux provinciae Sequanicae, einer von zwölf Grenztruppen-Generälen (Dux limitis) im Weströmischen Reich (ab der Reichsteilung von 395).

Germanen bewachten die Grenze

Man darf annehmen, dass es sich bei diesem Dux bereits um einen Nicht-Römer gehandelt hat, also einen Barbaren, der in der Militärhierarchie aufgestiegen war. Auch die ihm unterstellten Grenzeinheiten rekrutierten sich wohl mehrheitlich aus Angehörigen von Germanenstämmen.

Professor Schwarz schliesst dies aus sogenannt «archäo(zoo)logischem Fundmaterial», das aus den militärischen Anlagen am Hochrhein-Limes stammt. Darin spiegle sich «die zunehmende,
auch in den Schriftquellen erwähnte ‚Germanisierung‘ der spätantiken Grenztruppen (limitanei), etwa durch die Anwerbung von germanischen Söldnern wider.» (Schwarz, S. 42) Diese Germanen gehörten ziemlich sicher nicht zu den Alamannen, sondern waren Angehörige anderer Stämme.

Beim Rheinauer Wachtturm wurden beispielsweise nicht nur Ausrüstungsgegenstände, Waffen und Keramik aus römischer Produktion, sondern auch Objekte gefunden, die «offensichtlich aus einem nicht-römischen, also germanischen Kontext stammen.»

Überdies habe man bei einem Wachtturm auf Gemeindegebiet von Möhlin Pferdeknochen gefunden. Das könne «für nicht-römische Ernährungsgewohnheiten der dortigen Besatzung sprechen», denn unter Germanen sei der Verzehr von Pferdefleisch nicht tabu gewesen, wie das bei den Römern der Fall war. Ob es sich bei diesen Knochen wirklich um Speiseabfälle handelt, ist allerdings noch nicht gesichert. Für weitere Nachforschungen erweist es sich als Glücksfall, dass der Wachtturm Sulz-Rheinsulz erst 1987 entdeckt worden ist, weshalb man dort auch auf Material aus Abfallgruben im Bereich der Uferböschung zurückgreifen kann. Wenn darunter auch Pferdeknochen mit Bearbeitungsspuren von Metzgerutensilien o.ä. gefunden werden, dann würde dies die Germanenthese stärken.

Geordneter Abzug nach wenigen Jahren

Die Verteidigung der Rheingrenze wurde im Winter 401/402 aufgegeben, nachdem der Heerführer Stilicho die dort stationierten Einheiten zum Kampf gegen die in Italien eingefallenen Westgoten unter Alarich abgezogen hatte.

Diese in den schriftlichen Quellen angegebene Zeitenwende zeigt sich gemäss Schwarz auch archäologisch, nämlich im «Aussetzen des Fundniederschlags an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, zumindest in den Wachttürmen und kleineren Anlagen». Dass dort kaum ganz erhaltene Objekte gefunden werden könnten, spreche für eine planmässig ablaufende Räumung. Einzelne Brandhorizonte legten zudem nahe, dass möglicherweise «eine gezielte Zerstörung einzelner Anlagen durch die abziehenden Besatzungen» stattgefunden habe. (Schwarz, S. 42/43)

Mit anderen Worten: diese Wachttürme (gebaut unter Valentinian in den Jahren zwischen 369 und 375) waren nur ein gutes Vierteljahrhundert in Gebrauch.

Mit Sichtfeldanalysen und Palynologie zur Turmhöhe

Der römische Historiker Ammianus Marcellinus habe in seiner Beschreibung des Hochrhein-Limes Valentinians «mit „günstigen und geeigneten Stellen“ offensichtlich Standorte» bezeichnen wollen, «welche das Kriterium „Sichtverbindung zum nächsten rheinabwärts beziehungsweise rheinaufwärts gelegenen Wachtturm“ erfüllten.», schreibt Schwarz (S. 35).

Auf die Frage, wie weit solche Stellen entlang des Rheins auseinanderliegen und wo demnach (neben den bereits entdeckten) auch noch bislang unbekannte Wachttürme stehen müssten, hat Professor Schwarz einen seiner Studenten angesetzt (vgl. Callierotti 2014):

«Sichtfeldanalysen im Aargauer Abschnitt des Hochrhein-Limes haben gezeigt, dass zwischen
4 und 8 m hohe Wachttürmen [sic!] ausreichten, um die Sichtverbindung sicherzustellen, zumal es nach den palynologischen Untersuchungen in der Spätantike kaum noch nennenswerte Waldbestände gegeben haben kann.» (Schwarz 2019 – S. 35)

Das ist nun eine sehr interessante Verbindung von geodätischen und vermessungstechnischen Methoden mit solchen der Archäobotanik, denn Palynologie ist die Wissenschaft der Pollenanalyse.

Diese Pollen, die man vor allem in Seesedimenten wie Jahrringe geschichtet finden kann, zeigen für eine bestimmte Epoche, welche Baumarten in welcher Häufigkeit vorzufinden waren. Und offenbar war das Rheinufer in der Spätantike über weite Strecken so weit abgeholzt, dass auch relativ kleine Türme ausreichten, um über das allenfalls noch vorhandene Gestrüpp hinauszuragen.

Quellen und Literatur

Donnerstag, 13. Februar 2020

Brandgefährliches Garnsechten

Wenn Sie sich in Bülach etwas auskennen, dann ist Ihnen der Gewässername «Sechtbach» sicher schon aufgefallen. Was es mit dem im Kanton Zürich und der Ostschweiz geläufigen Begriff «sechten» auf sich hat, das erklärt der Bülacher Ortshistoriker Peter Bertschinger in seinem Flurnamenbuch:

«Ein Sechthaus war früher ein Waschhaus: Kochendes Wasser wurde auf Buchenasche geleert, woraus eine Lauge entstand, mit welcher die Wäsche (hier im Stadtbach) gewaschen wurde, vgl. Beschreibung durch Kuno Moser im Neujahrsblatt 1999, S. 63f. Sechten heisst somit eine Flüssigkeit durch ein Tuch oder Sieb durchlaufen lassen. Gesechtet wurde auch das Garn bevor es zum Weber gelangte. Es wurde in einer mit Asche durchmischten Lauge gewaschen (Garnwäsche). Wegen Brandgefahr fand dies ausserhalb der Häuser bzw. Stadtmauer statt.» (Bertschinger 2012 – S. 88, vgl. Quellen und Literatur unten)

Bertschinger verweist in diesem Sechtbach-Eintrag u.a. auch auf die Dissertation von Thomas Meier aus dem Jahre 1986. Meier schreibt zu diesem Thema:

«Bevor das Garn zum Weber gelangte, wurde es "gesechtet", d.h. in einer Aschen- und eventuell mit Leim durchmischten Lauge gewaschen. Wegen Brandgefahr war diese "Garnwäsche" im Haus ebenfalls verboten [Fn-21].» (Meier 1986 – S. 372).

Fussnote 21 lautet: «Vgl. B VII 42.6 (22.3.[17]03: "keine wöschen in Heüseren machen noch in dem Dorf das retschen gestatten"; 42.8 (18.8.[17]18); vgl. auch B VII 31.16 (8.4.[17]77: Brandausbruch infolge verbotenen Sechtens im Haus!).»

Obrigkeitlich verboten – und doch immer wieder gemacht

Hinter den beiden erstgenannten Signaturangaben verbergen sich Weiacher Entscheide. StAZH B VII 42.6 ist das fürstbischöflich-konstanzische Gerichtsprotokoll des Dorfgerichts Weiach für November 1697 bis Februar 1709. Die Signatur StAZH B VII 42.8 umfasst den Zeitraum Dezember 1717 bis Juni 1732. Bei StAZH B VII 31.16 handelt es sich um das Verhandlungsprotokoll der Landvogtei Regensberg von 1771 bis 1783.

Sowohl die hohe Obrigkeit (der Stadtstaat Zürich), wie auch die niederen Gerichtsherren (für Weiach: das Fürstbistum Konstanz) haben das Waschen und Sechten in Wohnhäusern verboten.

Schon im 17. Jahrhundert hat der fürstbischöfliche Obervogt, der im Schloss Rötteln am nördlichen Rheinufer bei Kaiserstuhl residierte, nachweislich versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Im Rechtsquellenband Neuamt findet man die Satzungen und Ordnungen, die den in Weiach am sogenannten Jahrgericht Anwesenden Jahr für Jahr vorgelesen wurden, so am 13. Mai 1670 die nachstehende Weisung:

«6. Jst dem dorffmeier undt geschwornen überlasßen worden, einige anstalth undt ordnung wegen desß weidtgangß, egerten, hagens, holzens, abtheilung der wasser khörj, waschen, versorgung deß feüwres, öfen, caminen undt anderm mehr, waß zue erhaltung dess gemeinen nutzens nothwendig ist oder sein mag, jedoch alles auff ratification undt güetheissen g[nädiger] obrigkheit zue machen etc.» (StAZH B VII 42.3 S. 30 f.; RQNA Nr. 193c Bemerkungen 1 – S. 436)

Der Obervogt überliess es also den Gemeinderäten, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, behielt sich aber ein Vetorecht vor. Etwa ein halbes Jahrhundert später, «den 18ten augustj 1718», waren die am Jahrgericht verlesenen Anweisungen «under jhro gestreng herren obervogt che[v]allier von Schnorpff» (dem aus der Aristokratie der Stadt Baden im Aargau stammenden damaligen fürstbischöflichen Obervogt) schon wesentlich konkreter:

«Wirdt allßo denen geschwornen richtern und sambtlicher gemaindt vor gehalten und à 9 lib. straff verbotten:  [1.] Erstlich daß mann keine wöschen in denen haüseren machen solle.»
(RQNA Nr. 193c – S. 434-435)

Dennoch kam es immer wieder zu Bränden, die auf genau diese Tätigkeit zurückgeführt werden konnten – auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zu den Ursachen kommen wir im Abschnitt Gemeindewaschhäuser sind nicht Standard.

Die Brandassekuranz-Kommission wird eingeschaltet

Seit 1808 gab es im Kanton Zürich der Mediationszeit (1803-1814) ein Gesetz, das die Gebäudeversicherung gegen Brandschäden auf staatlicher Ebene regelte und für obligatorisch erklärte. Damit wurde der Grundstein für eine höchst erfolgreiche Kooperation zwischen einem Monopol-Versicherungsträger, der Brandschutzinspektion sowie dem kommunalen Feuerwehrwesen gelegt (vgl. die drei Bereiche auf der GVZ-Website).

1810 kam es in Weiach zu mindestens zwei Grossbränden. Einer ereignete sich Mitte März, ein weiterer Mitte November. Und beide Fälle fanden ihren Niederschlag in den Protokollen des Zürcher Regierungsrats (vgl. für den letzteren: Bukjogglis verlieren ihre irdischen Güter, November 1810. WeiachBlog Nr. 1358 v. 1. Januar 2018).

In diesem Beitrag steht nun das Brandunglück zu Weyach vom 16. März 1810 im Zentrum. Dem Regierungsratsprotokoll vom 22. März 1810 ist zu entnehmen:

«Die von Herren Bezirksstatthalter Angst mit seiner Zuschrift vom 18ten d. M. eingekommene vorläufige, sehr bedauerliche Anzeige, von einem, Freytags den 16ten d. M. in dem Haus des Heinrich Bersinger, Keßler-Hansen zu Weyach, entstandenen Brandunglük, in Folge deßen zwey Häuser abgebrannt sind, – wird in Gewärtigung des dießfälligen umständlicheren Berichts der Brand-Aßecuranz-Commißion, – ad acta gelegt.» (StAZH MM 1.32 RRB 1810/0338, Original: S. 121)

Die Kantonsverwaltung arbeitet auch am Wochenende

Bezirksstatthalter Angst hat also am Wochenende gearbeitet. Er war wohl am Samstag in Weiach und hat am Sonntag seinen Bericht abgeschickt, der bereits am Donnerstag darauf im Regierungsrat behandelt wurde. Auch die oben genannte Commißion arbeitete sehr schnell. Am darauffolgenden Montag (!), dem 26. März, also nur zehn Tage nach dem Brand, lag bereits der Bericht an den Regierungsrat vor (Antrag der Brand-Aßecuranz-Commißion, wegen des gefährlichen Garnsechtens in Privathäuseren), der beim Adressaten wiederum drei Tage später, am 29. März 1810 traktandiert und behandelt wurde:

«Da, laut dem Berichte der Brand-Aßecuranz-Commißion vom 26sten dieß, die am 16ten dieß zu Weyach in Flamme gerathenen Gebäude, nämlich No 72. für fl. 800. gewerthet, – ein Wohnhaus sammt Scheune und Bestallung, dem Heinrich Bersinger und Jörg Baumgartner von Weyach zugehörend; und No 73. für fl. 500. gewerthet, das Eigenthumm von Heinrich Meyer, Ludis, jünger, von da, – ganz eingeäscheret sind, – so wird die Brandaßecuranz-Commißion den genannten Eigenthümmeren ihren Schaden nach den vorerwähnten ganzen Schatzungen vergüten, und die Finanzcommißion wird begwältiget, jeder der drey brandbeschädigten Haushaltungen die Obrigkeitliche Brandsteuer an Frucht und Geld abzureichen.

Sowie zu Glattfelden wird auch hier die Entstehung des Brandes dem Sechten von Garn zugeschrieben, welches die Frau des Heinrich Bersinger vornahm, und wobey ein Träm [Balken] in der Mauer sich entzündet haben muß, den brandbeschädigten Eigenthümmeren aber nichts zur Last gelegt werden kann.

Indeßen lehrt auch dieses bedauerliche Ereigniß, wie gefährlich das Garnsechten in den Privathäuseren sey, und wie nöthig es wäre, daß die Polizeyverordnungen, in Folge welcher selbiges in besonderen, gemeinschaftlichen Waschhäuseren vorgenohmen werden sollte, nicht nur da, wo sie wirklich existieren, streng gehandhabet, sondern daß sie auch überall eingeführt würden; weßwegen dieser Gegenstand, nach dem sorgfältigen Antrag der Brand-Aßecuranz-Commißion, der Justiz- und Polizey-Commißion zu sorgfältiger Berathung überwiesen wird.

Gegenwärtiger Beschluß wird der Justiz- und Polizey-Commißion, der Brandaßecuranz-Commißion, unter Verdankung ihres Berichts und Gutachtens, und dem Herren Bezirksstatthalter Angst zugestellt.» (StAZH MM 1.32 RRB 1810/0366, Original: S. 148-150)

Gemeindewaschhäuser sind nicht Standard

Den Eigentümern könne nichts zur Last gelegt werden, schreibt die Comission. Dass Heinrich Bersinger seiner Frau nicht verboten hat, im Haus Garn zu sechten, also auch nicht. Das kontrastiert seltsam mit den Vorschriften aus dem 18. Jahrhundert, wonach ebendies Jahr für Jahr strafbewehrt verboten wurde.

Die Erklärung findet man in den Dorfgerichtsprotokollen zum 21. August 1775, wo (anlässlich des Jahrgerichts) den Richtern und der ganzen Gemeinde «folgende puncten vorgeleßen und à 9 lib. buß zu halten eingebotten» wurden:

«16. Die weiber sollen keine wöschen in den haüßeren machen [Fn-d], den hanff oder werch nicht in öfen dörren und nicht im dorff retschen.» (StAZH B VII 42.12, Heft Nr. 590 fol. 1 und 2; RQNA Nr. 193c, Bemerkungen 3, S. 437)

Die Fussnote d gibt eine Randnotiz wieder: «NB. haben keine wöschhäuser.» (RQNA Nr. 193 – S. 439)

Irgendwo muss man ja waschen können und wenn in einer Gemeinde zu wenige öffentliche Waschhäuser zur Verfügung stehen, dann kann man diesen Umstand einem einfachen Bürger auch nicht zum persönlichen Vorwurf machen.

So ist denn auch die gewundene Forderung der Brandassekuranz-Kommission zu verstehen. Sie verlangt nichts weniger, als dass eine ausreichende Anzahl an Gemeindewaschhäusern überall zum Standard werden müsse.

In Weiach gab es offenbar zu wenige Waschhäuser

Nun ist es ja keineswegs so, dass es in Weyach damals keine solchen Gebäude gegeben hätte. Sowohl Private wie auch der Staat (Pfarrhaus) und die Gemeinde hatten Waschhäuser in Betrieb. Zwei noch heute stehende Gebäude sind (nach mit Vorsicht zu geniessenden Angaben der kantonalen Gebäudeversicherung) sogar schon im 18. Jahrhundert erstellt worden, so das Gemeindewaschhaus im Büel vis-à-vis des Friedhofs (Assek-Nr. 238; gemäss GVZ von 1764) und das Gemeindewaschhaus im Oberdorf (Assek-Nr. 278; gemäss GVZ von 1783; vor kurzem an Private verkauft).

In den ärmeren Wohngegenden – namentlich der Chälen – dürfte es hingegen nicht nur 1775, sondern auch noch 1810 an Waschhäusern gemangelt haben, was die Nachsicht der Kommission erklären würde.

Von den Waschhäuschen in der Chälen ist dem Autoren dieser Zeilen punkto Erstellungsjahren gar nichts bekannt. Zollinger erwähnt in einer seiner Jahreschroniken lediglich den Abbruch derselben in den frühen 1960er-Jahren. Eines davon war das Waschhaus untere Chälen (Assek-Nr. 464 n. System 1955), das vor dem Haus Chälenstr. 6 an der Einmündung Riemlistrasse stand. Es trug ursprünglich die Assekuranznummer 48C (vgl. WeiachBlog Nr. 1137 v. 12. Mai 2013).

Abgebrannte Häuser standen in der Chälen

Der Weiacher Gebäudenummernkonkordanz kann entnommen werden, dass die Nr. 72 in Chälen, die Nr. 73 hingegen auf dem Höhberg stand. Wie passt das mit dem Brandereignis zusammen?

Bei Nr. 72 steht interessanterweise nichts davon im ältesten Lagerbuch der Brandassekuranz, dass das Gebäude 1810 abgebrannt sei.

Bei Nr. 73 hingegen wird der Brand von 1810 erwähnt. Dann folgt eine durchgezogene Linie und darunter ein Neueintrag mit der Bezeichnung Im Homberg und anderem Eigentümer. Da es damals zwei Höhberg (oder eben Homberg) gab, einen beim Stocki und einen an der heutigen Bergstrasse, stellt sich die Frage, um welchen Standort es sich hier handelt. Die Nummernkonkordanzen zeigen, dass die Nr. 73 im Jahre 1895 zur Nr. 167 wurde und es ab 1955 dafür keine Entsprechung mehr gibt. Die Nr. 166 (nach System 1895) ist das Wohnhaus des heutigen Höbrig-Hofs (Assek-Nr. 80 nach System 1955). Demzufolge wurde die Nr. 73 also in relativer Nähe zur Chälen wiederverwendet.

Es ist wahrscheinlich so, dass das Gebäude von Heinrich Meyer Ludis jünger nicht wieder aufgebaut wurde, jedenfalls nicht mit der Nummer 73.

Ein Waschhausrecht für jede Familie?

Wie ging es nun weiter? Hat der Kanton mit dem Brandschutz Ernst gemacht? Wir erinnern uns, dass der Kleine Rat am 29. März beschlossen hatte, den Antrag auf eine Art Waschhaus-Obligatorium der Justiz- und Polizey-Commißion zu sorgfältiger Berathung zu überweisen. Diese nahm sich dann auch einige Monate Zeit, was kaum verwundert, denn die Baukosten für eine solch effektive Brandschutzmassnahme sind natürlich exorbitant.

Was dann am 30. Oktober 1810 beschlossen wurde, hat mehr mit Realpolitik in Zeiten real leerer Kassen zu tun als mit einem Subventionsprogramm für den Bau von Gemeindewaschhäusern:

«Bey den zum Bedauern der Regierung im Lauf dieses Jahres sich gezeigten vielen Brandunglücken, hat es sich ergeben, daß die Entstehung mehrerer dieser Feuersbrünste hauptsächlich dem schlechten Zustande der Feuerstätte und dem Waschen und Sechten von Garn in Privathäusern zuzuschreiben war. Die Regierung findet sich dadurch veranlaßet, den sämmtlichen Bezirks- und Unterstatthaltern aufzutragen, successiv Ausschüsse von allen Gemeindräthen ihrer respectiven Bezirksabtheilungen vor sich zu bescheiden, sie auf die schrecklichen Gefahren der Außerachtlassung der nöthigen Feuerpolizey aufmerksam zu machen, und ihnen zu Handen der Gemeindräthe ernstlich und bey ihrer persönlichen Verantwortlichkeit anzubefehlen, daß sie jährlich zwey Mahl die genaueste Visitation aller Feuerstätte in dem Umfange ihrer respectiven Gemeinden vornehmen, und in der Zwischenzeit sorgfältig darauf wachen, daß alles daran mangelhaft befundene ordentlich verbessert und in gehörigen Stand gesetzt werde, vorzüglich aber, daß sie genau darauf halten, daß in solchen Häusern, wo die Küchen, Rauchfänge, Aschenbehälter u. d. gl. nicht in ganz guter Ordnung sind, oder sonst nicht sicher gestellt werden können, durchaus weder Waschen noch Garnsechten gehalten, sondern Bedacht darauf genohmen werde, daß solche nur an sichern oder eigens dazu eingerichteten Orten vorgenohmen werden.» (StAZH OS AF 4 (S. 405-406))

Fazit: Die Obrigkeit hat das Problem erkannt und einen sinnvollen Lösungsweg skizziert. Dann aber doch die seit Jahrhunderten geübte Praxis wieder ausgegraben: Die Gemeinderäte sollen es richten. Und wenigstens dafür sorgen, dass bei schadhaften Installationen zum Garnsechten auf ein Waschhaus ausgewichen werde. Der Bau von Waschhäusern war und blieb Gemeindeangelegenheit. Und wo das Geld fehlte, da fehlten dann halt auch die öffentlichen Waschhäuser.

Quellen und Literatur
  • Brandunglück zu Weyach. 22. März 1810. Protokoll des Kleinen Rats des Kantons Zürich. Signatur: StAZH MM 1.32 RRB 1810/0338
  • Brand zu Weyach. Antrag der Brand-Aßecuranz-Commißion, wegen des gefährlichen Garnsechtens in Privathäuseren. 29. März 1810. StAZH MM 1.32 RRB 1810/0366
  • Circulare an alle Bezirks- und Unterstatthalter vom 30sten Octobris 1810, wegen der Feuerpolizey überhaupt, und wegen dem Waschen und Garnsechten insbesondere. 30. Oktober 1810. In: Officielle Sammlung der von dem Grossen Rathe des Cantons Zürich gegebenen Gesetze und gemachten Verordnungen, und der von dem Kleinen Rath emanierten allgemeinen Landes- und Polizey-Verordnungen. Band 4. Signatur: StAZH OS AF 4 (S. 405-406)
  • Meier, Th.: Handwerk, Hauswerk, Heimarbeit. Nichtagrarische Tätigkeiten und Erwerbsformen in einem traditionellen Ackerbaugebiet des 18. Jahrhunderts (Zürcher Unterland). Zürich 1986 – S. 372. (PDF, 36.3 MB)
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil. Rechte der Landschaft. Erster Band. Das Neuamt. Aarau 1996 – Nr. 193 Dorfgericht. (Links auf das Digitalisat im Lauftext)
  • Brandenberger, U.: Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach: 1809–1895–1955–1992. Elektronisches Spreadsheet. Unveröffentlicht. Weiach/Trub 2002ff.
  • Bertschinger, P.: Bülach und seine Flurnamen. Flur- und Strassennamen der Gemeinde Bülach Stand Herbst 2012. Neujahrsblatt Nr. 45 der Lesegesellschaft Bülach – S. 87-88.

Sonntag, 2. Februar 2020

Zollingers Jahreschroniken – eine aussergewöhnliche Leistung

Von Walter Zollinger (1896-1986) kennen die meisten seit längerem mit Weiach Verbundenen nur sein 1972 erstmals publiziertes blaues Büchlein (vgl. Quellenangaben unten). Diese erste zwischen harte Buchdeckel gepresste Ortsgeschichte wurde dank geschicktem Marketing Zollingers in jede Haushaltung verteilt und nicht zuletzt dadurch zum Weiacher Standardwerk des 20. Jahrhunderts.

Fast unbekannt hingegen sind die sogenannten Jahreschroniken, die er in seinem gedruckten Werk an mehreren Stellen erwähnt. So im Lauftext des blauen Büchleins auf S. 74: «die seit 1952 vom Verfasser dieser Arbeit zusammengestellten, ziemlich ausführlich gehaltenen jährlichen Dorfchroniken».

Die dazu gehörende Anmerkung 83 lautet: «Die Originale derselben werden in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt, die Doppel liegen vorläufig noch beim Verfasser.» Ob diese Doppel noch im Besitze der Erben Zollingers sind, ist nicht bekannt. Teil des Archiv des Ortsmuseums sind sie jedenfalls nicht (Mdl. Mitteilung des heutigen Präsidenten der Ortsmuseumskommission Weiach).

Siehe Handschriften-Abteilung der Zentralbibliothek Zürich

Anmerkung 81 erwähnt die «vom Verfasser zusammengestellten Jahreschroniken 1952 bis 1967» und gibt damit den Umfang bekannt, der auch tatsächlich am von ihm angegebenen Ort zu finden ist. Die Originale der Zollingerschen Typoskripte sind Teil der Handschriftensammlung der Zentralbibliothek Zürich (vgl. WeiachBlog Nr. 761).

Der Umstand, dass die Katalogisierer der ZB für diese Art von Chroniken gleich eine eigene Signatur G-Ch [Gemeindename] [Jahrzahl] geschaffen haben, deutet darauf hin, dass auch von anderen Gemeinden als nur von Weiach solche Jahreschroniken existieren.

Gagliardi/Forrer erwähnen im Abschnitt Zürcherische Gemeindechroniken (S. 19-20) ihres 1982 publizierten Handschriften-Katalog (vgl. Quellen unten) immerhin 78 Gemeinden, darunter solche, die heute aufgrund von Fusionen verschwunden sind.

Zollinger ist einer von wenigen mit Kontinuität

Bei vielen sind nur wenige Jahrgänge Teil der Sammlung, wobei der oder die Bearbeiter oft bereits nach zwei oder drei Jahren das Handtuch geworfen haben. Nur für wenige Gemeinden gibt es lückenlose Serien über Jahrzehnte hinweg.

Unsere Nachbargemeinden glänzen in der Liste nach Gagliardi/Forrer durch Abwesenheit, einzig aus Glattfelden ist für 1918 eine Gemeindechronik in der Zentralbibliothek abgeliefert worden.

Man darf daher festhalten, dass Zollinger eine ausserordentliche Leistung erbracht hat, zumal wenn man bedenkt, dass die lediglich 20 Gemeinden, die eine längere ununterbrochene Zeitreihe als Weiach zustande gebracht haben (mehr als 16 Jahreschroniken), in diesem Zeitraum eine wesentlich grössere Einwohnerzahl aufgewiesen haben – vom kleinen Städtchen Regensberg einmal abgesehen (Bild: Gagliardi/Forrer, S. 20 oben).

Gemeindechroniken als aussterbende Textgattung

Der Katalog von Gagliardi/Forrer ist nun auch schon mehrere Jahrzehnte alt. Welche Anzahl an Bänden mit der Signatur G Ch [Gemeindename] [Jahrzahl] gibt es heute? Eine Suche im NEBIS-Katalog ergibt:

Bülach 54 (zwischen 1901 und 2006), Rafz 53 (zwischen 1902 und 1967), Zollikon 26, Männedorf 18, Dinhard 18, Weiach 16, Andelfingen 13, Regensberg 13.

Daneben sind aus dem Unterland wenige  kleinere Bestände zu finden, wie das oben erwähnte Glattfelden, aber auch Niederhasli (1901-1903) oder Rorbas (1901-1906).

Was nicht bedeuten muss, dass es im Unterland keine Jahreschroniken von Gemeinden gäbe. Diese sind heute nämlich oft Teil von separaten Publikationen, meist Jahrbüchern, die in Form von Neujahrsblättern o.ä. herausgegeben werden.

Daher erscheinen sie auch nicht unter dem Gattungsbegriff Gemeindechronik in der G-Ch-Sammlung der ZB. Dort wären solche Jahreschroniken nämlich 25 Jahre unter Verschluss.

Das ursprüngliche Konzept der Initiative von Kirchenhistoriker Emil Egli und Lokalhistoriker Emil Stauber aus der Übergangszeit vom 19. ins 20. Jahrhundert hat seine Kraft somit längst an neue Generationen übertragen.

Quellen
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach 1271-1971. 1. Aufl. 1972, 2. Aufl. 1984.
  • Gagliardi, E.; Forrer, L.: Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Band II: Neuere Handschriften seit 1500 (Ältere schweizergeschichtliche inbegriffen). Zürich, 1982. S. 19-20.
  • An Ostern 1972 veröffentlicht – nicht 1971. WeiachBlog Nr. 19 v. 19. November 2005.
  • Die Zollingerschen Jahreschroniken in der ZB. WeiachBlog  Nr. 761 v. 2. Februar 2010.
  • Über Sinn und Zweck kommunaler Jahreschroniken. WeiachBlog Nr. 1160 v. 27. März 2014.
  • Eine 1. August-Rede als Publikationshelfer. WeiachBlog Nr. 1352 v. 28. Oktober 2017.
  • Erste oder zweite Auflage der «Chronik Weiach»? WeiachBlog Nr. 1365 v. 30. April 2018.

Samstag, 1. Februar 2020

Von Bombeli und Bambeli

Kennen Sie die beiden Weiacher Sumpflandschaften namens «Maas» (auch «Mas» geschrieben)? Die eine liegt im Tälchen gegen Bachs (dem Sagibachtal), die andere rechts oberhalb der Strasse gegen Raat. Auf Karten findet man teilweise auch die Bezeichnung «Moos».

Ausgesprochen wird dieser Name im ursprünglichen lokalen Dialekt nicht mit einem reinen Hinterzungenvokal a, sondern eher mit einer Mischung aus a und o, einer Art dunklem O. Deshalb kippt bei der Transkription in das im Alltag bei uns übliche lateinische Alphabet die Schreibweise zwischen a und o hin und her, je nach Einschätzung des Schreibers, was nun dominiere. (Das Internationale Phonetische Alphabet ist ja nicht sehr weit verbreitet).

Einen ähnlichen Effekt darf man beim Familiennamen Bombeli vermuten. «Bombeli» ist gemäss Familiennamenbuch der Schweiz ein Name, der vor 1800 nur in Weiach verbürgert war, im späteren 19. Jahrhundert dann auch in Zürich.

Älteste Nennung 1607

In einer Schreibweise ohne zweites «b» ist der Name bereits am Beginn des 17. Jahrhunderts nachweisbar: Wirt Ulrich Bommelj klagte 1607 gegen eine Raater Besenbeiz (Rechtsquellen Neuamt Nr. 146). Und ein Ulrich Bomelj war 1612 einer der Dorfrichter im Exhibitionismus-Prozess (Rechtsquellen Neuamt Nr. 190, vgl. WeiachBlog Nr. 738).

In einer zürcherischen Zeitung aus dem späten 19. Jahrhundert taucht der Familienname aber tatsächlich auch mit «a» geschrieben auf, obwohl die Schreibweise ab 1876 mit der Einführung der staatlichen Zivilstandsbücher «eingefroren» wurde:

«Konkursanzeige. Gegen Albert Bambeli, Alberten sel. Sohn von Weiach, Dienstknecht, an der Kirchgasse, Meilen, Grundeigenthümer in Weiach, ist in Folge durchgeführten Rechtstriebes Konkurs eröffnet worden. Die Eingabefrist geht am 11. November 1886 zu Ende, die Bedenkzeit dauert vom 26. November bis am 6. Dezember 1886, die Versteigerung der Aktiven erfolgt am 2. Dezember und die Konkursverhandlung findet Dienstags den 21. Dezember 1886, Vormittags 9 Uhr, im Gerichtshause zu Meilen statt. Alles laut Amtsblatt 81. Meilen, den 7. Oktober 1886. Notariatskanzlei Meilen: A. Schreiber, Landschreiber.»  (Zürcherische Freitagszeitung, Nummer 42, 15. Oktober 1886)

Den Namen Bombeli findet man heutzutage nur noch selten. Mit ganzen 4 Einträgen in aktuellen Schweizer Telefonverzeichnissen.