Freitag, 31. Mai 2024

Fahrausweisentzug, eine gestohlene Goldkette und ein Lederriemen

Der Schweizerische Polizei-Anzeiger (SPA) war in den Zeiten vor der Computerisierung das Informationsmittel für eine ganze Reihe von Mitteilungen: Steckbriefe und Aufenthaltsnachforschungen, Landes- und Kantonsverweise, Diebstahlanzeigen, 
verlorene Ausweispapiere, Einreisesperren, usw. (vgl. WeiachBlog Nr. 1695 und Bild unten).

Fahrausweisentzug vor 100 Jahren

Im SPA wurde auch der Entzug von Fahrbewilligungen nach den einschlägigen Artikeln des Automobilkonkordates von 1914 bekannt gegeben. Damals war der Strassenverkehr noch kantonal geregelt, denn ein eidgenössisches Gesetz wurde erst 1932 von der Bundesversammlung verabschiedet (vgl. diesen Artikel des ASTRA).


Im Jahrgang 1921 findet man im ersten Halbjahresband zwei Einträge, die Diebstähle in Weiach betreffen. Wenn da etwas «z. N.», also «zum Nachteil» von jemanden abhandenkam, dann musste der seit 1911 bei uns im Dorf stationierte Kantonspolizist die Anzeige aufnehmen.

Gold im Restaurant Bahnhof

Zwischen dem 19. und 23. Januar wurde Louise Boesch, einer Familienangehörigen von Dominik Boesch (dem Wirt im Restaurant zum Bahnhof von 1912 bis 1927), eine goldene Uhrkette gestohlen (S. 253). Heutiger Wert, umgerechnet nach dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), ca. 1300 Franken: 


Kernlederriemen aus einer Scheune

Der zweite Diebstahl betrifft einen Treibriemen zu einer Maschine (heutiger Wert nach LIK rd. 1000 CHF). Ob er zu einem Wassermotor, oder einem anderen Gerät gehört hat, wird hier nicht weiter ausgeführt (S. 1337):


Quelle und Literatur

  • Schweizerischer Polizei-Anzeiger, 1921. Siebzehnter Jahrgang, Januar bis Juni. Herausgegeben vom Schweizerischen Zentralpolizeibureau in Bern. Signatur: BAR E4260D-01#1000/838#11* - S. 253 u. 1337. [Ab 1803; bis 1864 Allgemeines Signalement-Buch für die schweizerische Eidgenossenschaft, 1864-1904 Allgemeiner Polizeianzeiger der schweizerischen Eidgenossenschaft, ab 1905 Schweizerischer Polizei-Anzeiger (2 Bände pro Jahr).]
  • Brandenberger, U.: Aus dem «Arbeitslager Zweidlen/Weiach» Entwichene. WeiachBlog Nr. 1695, 14. Juli 2021.

Donnerstag, 30. Mai 2024

Fast 70 % mussten mit weniger als 5 Hektaren zurechtkommen

Heutzutage kann man in Weiach die Anzahl Landwirtschaftsbetriebe bereits an beiden Händen abschliessend abzählen. Vor rund 125 Jahren hingegen wären dafür die Hände einer halben Schulklasse nötig gewesen: die von 12 Kindern.

Laut einer offiziellen Publikation des Kantons Zürich umfasste das landwirtschaftliche Areal 1896 auf dem Gebiet der Gemeinde Weiach 426 Hektar (vgl. Textteil S. 38).

Am Stichtag, dem 20. April 1896, waren anlässlich der Zählung der Gütergewerbe (also Bauernhöfe) im ganzen Kantonsgebiet 30'932 Betriebe zu verzeichnen, im Bezirk Dielsdorf deren 2'353 und in unserer Gemeinde immerhin 116!  Der durchschnittliche Weiacher Betrieb hatte also 3.67 ha Land zur Verfügung.

Mit 20 Hektaren war man Grossgrundbesitzer

Auf den Seiten 58-63 der Publikation gibt die Tabelle «Die Anzahl der Gütergewerbe im April 1896 nach Grössenklassen» für sämtliche politischen Gemeinden detailliert Aufschluss. Für Weiach sah das dann so aus:

<= 40a

5

0.4-1 ha

16

1-2 ha

20

2-5 ha

40

5-10 ha

21

10-20 ha

12

> 20 ha

2

Und so sieht das aus, wenn man die Zahlen grafisch darstellt:


Wenn uns die Klassenbildung nicht in die Irre führt, dann kann man aus den Balkenhöhen für Weiach ablesen, dass der Durchschnitt auch sehr nahe am Median lag. D.h. 50 Prozent der Betriebe hatten weniger als 3.5 ha zur Verfügung, die andere Hälfte mehr.

Quelle

  • Statistische Mitteilungen betreffend den Kanton Zürich. Herausgegeben vom Kantonalen statistischen Bureau. Jahr 1906. Zweites Heft. Die Ergebnisse der Vieh- und Güter-Zählung vom 20. April 1896 sowie der Viehzählungen vom 19. April 1901 und vom 20. April 1906 im Kanton Zürich. Buchdruckerei Geschwister Ziegler, Winterthur 1908 – Textteil S. 38, Tabellenteil S. 62-63. [Ursprüngliche Zählung: Jahr 1906, 2. Heft. Rückwirkend nummeriert als Heft 95 der Stat. Mitteilungen betr. den Kanton Zürich.] https://doi.org/10.20384/zop-2386

Mittwoch, 29. Mai 2024

«Gemeinsam für Weiach: Keine Container-Unterkunft»

«Noch vor zwei Jahren lag die Asyl-Aufnahmequote bei 0.5% der Wohnbevölkerung. Bekanntermassen wird sie nun per 1. Juli 2024 auf 1.6% erhöht. Seit zwei Jahren engagieren sich die Städte und Gemeinden mit enormem Aufwand, um die stetig wachsende Zahl von Asylsuchenden aufnehmen zu können. Die Gemeinden im Bezirk Dielsdorf haben es dank massiven Anstrengungen knapp geschafft, die heute gültige Aufnahmequote von 1.3% zu erfüllen. Dies erfolgte vielfach mit Zwischennutzungen, die im Laufe der kommenden 1-2 Jahre wieder wegfallen werden. Neue Unterkünfte sind unter den bestehenden Rahmenbedingungen sehr schwer oder gar nicht realisierbar. Deshalb hat sich die Gemeindepräsidienkonferenz des Bezirks Dielsdorf mit den beiliegenden Schreiben an den Bundes- und Regierungsrat gewandt.»

Diesen Text findet man seit heute 08:00 Uhr auf der Website der Gemeinde Weiach (https://www.weiach.ch/page/402/news/1791). 

Ein Brandbrief an die Obrigkeiten

Dass es auf Bezirksebene so etwas wie eine Gemeindepräsidienkonferenz gibt, davon hatte auch der Redaktor dieses Blogs bis heute keinen blassen Schimmer. Dieses Gremium hat sich vorgestern mit Briefen an den Zürcher Regierungsrat und den Bundesrat fulminant zu Wort gemeldet. 

Der Text ist bei beiden Adressaten gleich und man kann ihn nur als «Brandbrief» bezeichnen. Denn da wird Klartext geredet: Die Gemeinden und v.a. ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien am Limit. Und der offene Brief schliesst mit den Worten:

«Wir rufen dringend dazu auf, dass primär auf Stufe Bund sowie des Kantons auch andere Wege gesucht werden müssen, als stetig die Aufnahmequote für die Gemeinden zu erhöhen. Insbesondere erwarten wir vom Bund neben einer restriktiven Asylpraxis, dass er die über 20‘000 hängigen Asylgesuche rasch abbaut und die Asyl-Schnellverfahren ausweitet. Zudem ist beim Schutzstatus S die Rückkehrorientierung zu klären und Missbrauch einzudämmen. 

Wir weisen mit Nachdruck darauf hin, dass die Städte und Gemeinden keine weitere Steigerung der Aufnahmequote bewältigen können.»

Zürcher Regierung schon länger kritisch gegenüber Bundesebene

Damit rennt man bei Regierungsrat Mario Fehr wohl offene Türen ein. Denn der hat sich bereits im Frühling 2023 anlässlich einer Medienkonferenz (https://www.youtube.com/watch?v=j-peZtrNo2U) deutlich dazu geäussert, dass man im Kaspar-Escher-Haus (der Zentrale der Regierung) alles andere als glücklich ist, über die Art und Weise, wie das Staatsekretariat für Migration das Asylproblem auf die Kantone abschiebt. Stichwort: Vorzeitige Zuweisungen. Der Bund müsse den Kantonen auch die Gelegenheit geben, durchzuschnaufen. 

Ob Madame Baume-Schneider oder Monsieur Jans, völlig egal. Die Versprechen werden auf Bundesebene nicht eingehalten.

Gemeindeversammlung in zwei Wochen

Und genau deshalb steht Weiach bekanntlich vor einer Gemeindeversammlung, an der es letztlich just um diese von der Bundesverwaltung erzwungene Kapazitätserweiterung geht (dieser Blog berichtete bereits am 28. April ausführlich darüber, vgl. WeiachBlog Nr. 2090). 

Gestern und heute ist in Weiacher Briefkästen ein Flugblatt (s. Bild unten) eingeworfen worden. Absender sind die am direktesten Betroffenen: die Stockwerkeigentümer der Liegenschaft Dammweg 4. Dort, direkt ennet dem Rhihofweg, steht seit drei Wochen ein Baugespann.

Die Eigentümergemeinschaft Dammweg 4 meldet sich per Flugblatt zu Wort

«Wie Sie vermutlich bereits gehört haben, ist geplant, in Weiach direkt gegenüber der Liegenschaft Dammweg 4 in der Landwirtschaftszone eine Asylunterkunft in Containerform für 32 Asylbewerber (in zwei Etappen - je zweimal 16) zu errichten.

Gemeinsam für Weiach: Keine Container-Unterkunft

Liebe Weiacherinnen und Weiacher

Wir stehen vor einer wichtigen Entscheidung, die unsere Gemeinde nachhaltig prägen wird. Es geht um die geplante Errichtung einer Asylunterkunft in Containerform. Dieses Vorhaben birgt mehrere Herausforderungen, die nicht nur unsere direkte Umgebung, sondern auch das Wohl unserer Gemeinde beeinflussen.

Warum wir Bedenken haben:

  • Integration und sozialer Zusammenhalt: Containerunterkünfte bieten nur beengte und provisorische Lebensverhältnisse. Dies erschwert nicht nur die Integration der Asylbewerber in unsere Gemeinde, sondern beeinflusst auch das soziale Gefüge unseres Ortes.
  • Ortsbild und Umwelt: Container als dauerhafte Wohnlösung entsprechen nicht dem Charakter unserer schönen ländlichen Umgebung.
  • Wertminderung der umliegenden Liegenschaften: Erfahrungen aus anderen Gemeinden zeigen, dass die Errichtung von Asylunterkünften in Containerform potenziell zu einer Minderung des Immobilienwerts in der näheren Umgebung führen kann. Dies ist eine berechtigte Sorge vieler Eigentümer.
  • Sicherheit und Ordnung: Die Sicherheit unserer Bürger ist oberstes Gebot. Die geballte Unterbringung von Geflüchteten und Asylwerbern birgt Konfliktpotential. Zudem vermag die an den Rand der Naherholungszone gerückte, wenig erschlossene Lage das Sicherheitsgefühl von Passanten und Anrainern zu mindern.
  • Kosten: Die geplante Unterbringung in Containerform ist nicht nur wenig langlebig, sondern auch teuer. Rund CHF 500'000 sind für die erste Bauphase und weitere CHF 500'000 für die zweite Phase veranschlagt. Hinzu kommen noch jährliche Kosten in Höhe von über CHF 90'000. Diese Mittel könnten effektiver in nachhaltigere Lösungen investiert werden, die langfristig zum Gemeinwohl beitragen.

Ihre Stimme zählt!

Wir laden Sie ein, sich aktiv an den Diskussionen zu beteiligen und Ihre Meinung im Rahmen der bevorstehenden Gemeindeversammlung am 11. Juni um 19:30 im Gemeindesaal Weiach kundzutun. Nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass die Entwicklungen in Weiach unseren Werten und unserem Gemeinwohl entsprechen.

Gemeinsam für ein lebenswertes Weiach,
Eigentümergemeinschaft Dammweg 4»

Soweit der Volltext des Flugblatts, das auch einen hübschen Austriazismus enthält, haben Sie ihn bemerkt?

Kommentar WeiachBlog

Wie die Redaktion heute von einem der Verfasser dieses Textes erfahren hat, ist man am Dammweg besonders über den Umstand beunruhigt, dass das Baugespann nicht nur für die am 11. Juni beantragten 16 Wohnplätze aufgestellt wurde. Sondern gleich für das Doppelte. 

Da stellt man sich Fragen, wie: Was soll diese Salamitaktik? Warum sollen die Container in die Landwirtschaftszone, wo man sie dann nur als Asylplätze wird nutzen können, nicht aber für Sozialwohnungen, da letztere dort nicht zonenkonform wären? Wird das dann wirklich so aussehen, wie auf dem Wasserzeichen des Flugblatts angedeutet, samt Umzäunung? Und so weiter und so fort. Affaire à suivre.

Quellen und Literatur
  • «Asyl- und Flüchtlingsbereich - aktueller Stand». Medienkonferenz mit Regierungsrat Mario Fehr, Sicherheitsdirektor, und Kantonsrat Jörg Kündig, Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich. 6. März 2023  Youtube-Account des Kantons Zürich -- https://www.youtube.com/watch?v=j-peZtrNo2U 
  • Brandenberger, U.: Not in my backyard? Bauprojekt Asylunterkunft unter der Lupe. WeiachBlog Nr. 2090, 28. April 2024. 
  • Die Baugespanne des Anstosses. Thread auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...», gestartet von Yves Weibel, 8. Mai 2024, 18:27.

Dienstag, 28. Mai 2024

Die Weiber sind arge Holzverschwender. Energiesparen Anno 1850

Warum waren bei den Wohnhäusern vor 175 Jahren nur ganz geringe Brennholzvorräte verfügbar? Obwohl Holz doch unter Dach gelagert wesentlich trockener wird und dann auch besser brennt? Standen dahinter Brandschutzüberlegungen? Mag sein. 

Die Erklärung, die in der Broschüre über die Landwirtschaftlichen Ortsbeschreibungen mehrerer Zürcher Ortschaften gegeben wird, ist allerdings eine zweifach ernüchternde.

Kurz und plakativ gefasst lautet die These: Die Weiber verstehen nichts vom Energiesparen und müssen daher an der kurzen Leine geführt werden.

Deutliche Worte, die nicht zuletzt dem Auftrag des Kantonalvorstands an die Verfasser dieser Wettbewerbsbeiträge geschuldet sind. Die Ortsbeschreibungen sollten nämlich «in kurzen und kräftigen Zügen ein lebendiges, treues Bild von dem Landw. Betriebe und Leben der Gemeinde geben, das Eigenthümliche, Gute und Lobenswerthe zum Muster für andere hervorheben, aber die Mängel und Gebrechen auch hervorziehen, um deren Hebung anzubahnen.» (Beleuchtung 1849)

Und sollten Sie sich jetzt gehörig echauffieren, geschätzte Weycherinnen, dann sei hier betont: Diesen Vorwurf haben die damaligen Mitglieder des Landwirthschaftlichen Gemeindsvereins Weiach Euren Vorgängerinnen nicht gemacht.

Die obige Philippika an die Adresse ihrer Frauen verdanken wir dem Verfasser der Ortsbeschreibung von Dettenried, einem Weiler in der Gemeinde Weisslingen, Bezirk Pfäffikon. Damals bildete dieses noch eine eigene Zivilgemeinde ohne jeglichen Waldbesitz. Wälder waren dort ausschliesslich Privateigentum, Förster unbekannt und Holz daher ein noch viel rareres Gut als im zwar an Gemeindewald reichen, aber tendentiell überbevölkerten Weiach.

Quellen

  • Beleuchtung der Anklageschrift des Herrn Oberst Schinz gegen den landwirthschaftlichen Verein des Kantons Zürich. Zürich 1849 – S. 28.
  • Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Zürich 1852 – S. 125.

Montag, 27. Mai 2024

Das Gemeinde-Waschhäuschen in der oberen Chälen

«Unter der Zahl der Gebäude [138; Anm. WeiachBlog] sind auch 4 Waschhäuser inbegriffen, welche die Gemeinde in angemessener Entfernung an die bd. Dorfbäche gebaut hat, um der Feuersgefahr in den Häusern zu begegnen. Neben diesen öffentlichen stehen noch 15 Privatwaschhäuser, von welchen mehrere meist mit kleinen Branntweinbrennerei-Apparaten versehen sind, mit wenigen Ausnahmen ebenfalls v. den Häusern getrennt.»

So der Originaltext in der Ortsbeschreibung 1850/51 im letzten Abschnitt des Kapitels «Gebäude und Wasserleitung.» Das sind übrigens relativ wenige Waschhäuschen. Zum Vergleich: die Gemeinde Oberrieden wies zur selben Zeit bei 302 Gebäuden immerhin 70 Waschhäuser auf (Kohler 1852, S. 7), prozentual fast das Doppelte wie bei uns.

Nur noch eines im Gemeindebesitz

Von diesen vier Gemeindewaschhäuschen stehen noch zwei. Eines gehört bis heute der Gemeinde und befindet sich vis-à-vis des Hauptzugangs zum Kirchenbezirk mit Pfarrhaus, Pfarrscheune, Friedhof und Altem Gemeindehaus. Das zweite steht im Oberdorf, an die Liegenschaft Oberdorfstrasse 22 angebaut. Es wurde vom amtierenden Gemeindepräsidenten an einen Privaten verscherbelt.

Die in der Chälen wurden abgebrochen

Zwei weitere Gemeinde-Waschhäuschen standen bis vor 60 Jahren in der Chälen. Beide seien «im Zuge der Errichtung der neuen Wasserleitung und der Kanalisation abgebrochen worden», schreibt Walter Zollinger in seiner Jahreschronik 1963.

Das eine befand sich an der Einmündung der Riemlistrasse in die Chälenstrasse. Von ihm gibt es auch noch eine Fotografie, die Walter Zollinger kurz vor dem Abbruch geschossen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1137). Rechts im Bild das Gebäude Chälenstrasse 4, links neben dem Waschhaus befindet sich die Einmündung der Riemlistrasse.


Vom anderen abgebrochenen Waschhäuschen gebe es leider kein Bild. Da sei er, schreibt Zollinger, der am Müliweg 4 wohnte, zu spät gekommen. 

Wo stand dieses Waschhaus Nr. 4?

Die beiden in Kellen errichteten Kleinbauten müssen sich direkt am Sagibach befinden. Der verlief entlang der Kellenstrasse und wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erst tiefer gelegt, später dann samt den Kanalisationsrohren unter den Strassenkörper verbannt.

Das Waschhaus Untere Chälen trug nacheinander die Assekuranznummern 48c (1809) / 113 (1895) / 464 (1955), das andere die Nummern 48d / 126 / 486. 

Da die Versicherungsnummern heute noch auf den Plänen der Amtlichen Vermessung ersichtlich sind (vgl. Bild unten), kann man aufgrund der umliegenden älteren Gebäude eruieren, wo sich eine mittlerweile verschwundene Baute in etwa befunden haben muss.

Plan der Amtlichen Vermessung, Stand 25. April 2024

In Meier-Bleulers Garten

Auf obigem Ausschnitt stand es einst, das Waschhaus Obere Chälen. Dass dem tatsächlich so gewesen ist, wird deutlich, wenn man einen Parzellenplan aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zur Hand nimmt und die beiden Ausschnitte genau vergleicht.


GVZ-Nr. 484 (Chälenstrasse 16), 556 (Birkenweg 6), sowie 550 (Stockistrasse 2) und 552 (Stockistrasse 4) sind problemlos zu identifizieren. Auf der rechten Seite des Bildausschnitts findet man die für unsere Frage interessanten Differenzen zum heutigen Stand.

Fazit: Standort des zweiten Gemeindewaschhauses in Kellen war im heutigen Garten der Liegenschaft Chälenstrasse 16 (ehemals Meier-Bleuler), just dort, wo vis-à-vis die Herzogengasse auf die Chälenstrasse stösst.

Und das Gebäude an der Ecke Chälenstr.-Stockistr.? Das war das Haus des Weberliheiri, das ebenfalls anfangs der 1960er verschwunden ist. Allerdings nicht abgebrochen. Sondern abgebrannt, vgl. WeiachBlog Nr. 1721.

Quellen und Literatur
  • Kohler, J. M.: Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Zürich 1852 – S. 7.
  • Meliorations- und Vermessungsamt des Kantons Zürich. Übersichtsplan Gemeinde Weiach (Ausschnitt). Stand Karte zwischen ca. 1940 und ca. 1945. Signatur: StAZH PLAN B 884
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963. Erstellt von Walter Zollinger. Typoskript. Weiach, November 1964. Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963 – S. 25-26.
  • Ortsbeschreibung Weiach Anno 1850/51. Abschrift des Originals durch Walter Zollinger, fertiggestellt 17. März 1969. Handschrift, Ringheft A4 gelb. Ohne Titelvignette, ohne Signatur. Archiv des Ortsmuseums Weiach.
  • Brandenberger, U.: Abbruch der Waschhäuschen in der Chälen. WeiachBlog Nr. 1137, 12. Mai 2013.
  • Brandenberger, U.: Dem Weberliheiri-Haus zum 60. Todestag. WeiachBlog Nr. 1721, 15. August 2021.

Freitag, 24. Mai 2024

Der Katastrophe knapp entgangen. Das Unwetter vom 24. Mai 1724

Mit Regengüssen, Blitz und Donner ist der heutige Nachmittag über die Bühne gegangen, sodass man Gartenarbeiten dann doch lieber unterbrochen hat, wie man dem WeiachBlog von der Neurebenstrasse berichtet hat.

Kein Vergleich zum heutigen Datum vor 300 Jahren. Da hat unsere Gegend nämlich das erlebt, was von den Experten ein 300- oder gar 1000-Jahres-Ereignis genannt wird: Unvorstellbar viel Wasser, das in sehr kurzer Zeit über einem kleinen Einzugsgebiet abregnet und seine zerstörerische Wirkung in einer Weise entfaltet, die seit Menschengedenken unvorstellbar war.

Die Glattfelder und Eglisauer traf die volle Wucht

Die im Mai 1724 in Weyach und Kaiserstuhl Lebenden hatten riesiges Glück. An ihnen ging die Zerstörung vorbei. Ganz anders erging es den Nachbarn in Glattfelden und Eglisau. Dort schlug das Unwetter mit voller Wucht zu. 

Über dieses Unglück berichtet das Zürcher Lexikon par excellence, die Memorabilia Tigurina, ein Kompendium, das 1742 in dritter, stark ausgebauter Auflage erschienen ist. Unter dem Lemma (Lexikoneintrag) «Wassers-Grösse» steht einleitend auf Seite 511: 

«Grosser Wassergüssen gedenken unsere Chroniken, An. 1196, 1275, 1407, 1496, sc. Sonderlich merkwürdig sind folgende: [...]», wonach seitenweise des Merkens würdige Kurzbeschreibungen zu Überschwemmungen, Unwettern etc. aufgeführt werden, die alle mit Wassermassen zu tun hatten. 

Anonym bleibender Berichterstatter

Der Beitrag zum Unwetter vom 24. Mai 1724 stammt von einem Anyonymus. Es könnte sich durchaus um einen Originaltext handeln, der den Nachfolgern des Lexikonherausgebers Johann Heinrich Bluntschli (1656-1722) derart gefallen hat, dass sie ihn tel quel in den Artikel eingebaut haben. Zu verdenken ist es der Lexikonredaktion nicht, denn die Beschreibung ist wirklich eindrücklich. WeiachBlog bringt ihn hier im vollen Wortlaut (S. 515-516):

«An. 1724, den 24 Mey, hat sich ein dickes Gewülk gezeiget, welches sich Anfangs gestellt über Kayserstuhl und Weyach, so daß die Leuthe daselbst in grossen Forchten stuhnden; aber einsmahls drehete sich das Gewülk, und lährete auf eine entsetzliche Weiß aus über Eglisau und Glattfelden.»

Eglisau konnte die Brücke retten

«Zu Eglisau auf der Seiten [gemeint: auf dem Nordufer, wo das Städtchen steht] hat es solch Wasser und Steine geführt, daß es in die Straß nicht nur Löcher gefressen, sondern auch an den Mauren Schaden gethan, einen eichenen Stock oder Sagholtz die Gaß hinunter geführt, Bäume aus der Wurzel gerissen, so daß ein ganzer Baum mit samt dem Grund aufrecht in dem Rhein gestanden. Gegen der Bruck ware eine solche Menge Stein und Sand geführt, daß, wann nicht durch kluge Anleitung Hrn. Landvogts, die Bruck wäre geöffnet worden, selbige in höchster Gefahr gestanden wäre. Die Gewalt des Wassers ware so groß, daß eine Weibs-Persohn hingerissen, und in den Rhein geführt worden, allwo sie ertrunken.»


Glattfelden unter Schutt und Geröll begraben

«Zu Glattfelden ware der Jammer noch grösser, da das Wasser in denen Weinbergen entsetzliche Risse und Graben gemacht, an etlichen Orten eines hohen Hauses tieff; Und weil daselbst der Boden stein- und sandicht ist, so ist nicht nur entstanden ein gewaltiger Ueberguß von Wasser, sondern auch eine unglaubliche Menge von Steinen, welche, wo sie angestossen, alle Mauren und Häge umgerissen, die Strassen überhöhet, so daß man den Orth fast nicht mehr erkennet hatte. An den Häusern geschahe ein ungemeiner Schade. Ein Hauß, zwey Gemach hoch, ware mit Steinen umgeben, wie mit einer Schanz, in der obern Stuben, eines guten Gemachs hoch vom Boden, giengen die Steine biß nahe an die Fenster; auf dem untern Boden aber hatten die Steine als ein Wald-Wasser [gemeint wohl "Wildwasser"] eingedrungen, den Boden zerbrochen, und die Fasse in dem Keller eingeschlagen. Eine Trotten ware mit Steinen angefüllt, biß über das Trottbeth hinauf, so daß die Einwohner gehling als mit Steinen ummauret gewesen, und unter denselben wären begraben worden, wo sie sich nicht mit Anwendung aller Kräfften zun Fenstern aus hätten salvieren können. Ein Stuck Räben wurde dergestalten ruiniert, daß man nichts mehr darvon gesehen, als die obersten Spitzen von den Räbstecken. Der Materi von Sand und Steinen ware so viel, daß alle umliegenden Gemeinden mit Wägen und Mannschaft eine zimliche Zeit müßten zu Hülff kommen, um die Steine bey viel tausend Fudern abzuführen. Es ist diß Ungewitter weiters gen Flach, da es sonderlich in denen Wiesen grossen Schaden gethan, deßgleichen gen Hinterteuffen, Tößriedern, sc. gefahren. Der Sturm ware so entsetzlich und von solchem Getöß, daß man das starke Donnern, so mit unter geloffen, deßgleichen das Geschrey der Menschen kaum hören mögen. -- Relation eines Anonymi.»

Kirchenkollekte und Nachbarhilfe

Und der Beitrag schliesst mit der redaktionellen Notiz:

«Es haben auch bey diesem Ungewitter die Gemeinden Buch und Altiken gelitten, und ist den samtlich Beschädigten eine Steur zu samlen bewilliget worden.»

Diese offizielle Erlaubnis der Regierung in allen Kirchen des Zürcher Herrschaftsgebiet eine Kollekte sammeln zu dürfen (sog. Liebessteuer) war umso nötiger, als es damals so etwas wie Elementarschadenversicherungen nicht gegeben hat. Auch so dürfte es für die Betroffenen unglaublich hart gewesen sein. Selbst wenn wir hier die Vermutung äussern dürfen, dass die Solidarität in Weyach und Kaiserstuhl gross gewesen sein dürfte und Hiesige sich insbesondere in Glattfelden an der Entfernung des Schutts beteiligt haben.

Nach dem Tode Bücher veröffentlichen

Anonyme Lexikonredakteure machen dieses Wunder möglich. Wie man oben sehen konnte, ist der ursprüngliche Herausgeber Bluntschli bereits 1722 verstorben. Die dritte Auflage wurde zwar zu grossen Teilen neu geschrieben (vgl. insbesondere die Sternchen-Artikel), dann aber unter diesem bekannten Namen veröffentlicht. Werbung musste man dann keine mehr machen. Dieses Vorgehen war damals durchaus üblich (vgl. WeiachBlog Nr. 999 für den Fall Fäsi).

Einlaufbauwerk oberhalb der Chälen ist gut investiertes Geld

Für uns Heutige seien hier nur noch einmal auf die Investition in das Hochwasserbauwerk Obere Chälen hingewiesen. Ein solches Unwetter, wie das oben beschriebene, hätte auch heute noch fatale Folgen. Besonders die Überbauung am Dammweg würde massiv unter Wasser gesetzt.

Auch wenn die Gemeinde nun drei bis vier Millionen dafür in die Hand nehmen muss, worüber sich der Herr Gemeindepräsident schon vor Jahren echauffiert hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1271): Das ist ein noch viel weiter reichendes und mindestens so wichtiges Generationenprojekt, als es ein Schulhaus-Turnhallen-Feuerwehrlokal-Gemeindesaal-Riegel darstellt.

Quelle und Literatur

  • Memorabilia Tigurina, oder Merkwürdigkeiten der Stadt und Landschaft Zürich. Dritte vermehrte Auflage. Zürich, bey Heidegger und Companie, 1742  [kurz: Mem.Tig. 1742] – S. 511 & 515-516.
  • Brandenberger, U.: Wie man nach dem Tode Bücher schreibt. WeiachBlog Nr. 999, 30. April 2011.
  • Brandenberger, U.: Hochwasserzonen-Debakel? Vom Umgang mit seltenen Ereignissen. WeiachBlog Nr. 1271, 10. März 2016.

Mittwoch, 22. Mai 2024

Schiefgelaufene Verkostgeldung. Rekurs an falscher Adresse.

Am heutigen Datum vor 100 Jahren erklärte sich der Zürcher Regierungsrat in einer Streitigkeit zwischen der Armenpflege Stadel und einem Weiacher Landwirt für unzuständig. Auf seinen Rekurs gegen einen Entscheid des Bezirksrats Dielsdorf trat er auf Antrag der Direktion des Armenwesens «wegen Inkompetenz» gar nicht erst ein.

Als billige Arbeitskraft in die Nachbargemeinde abgeschoben

Der Sachverhalt wird im Entscheid wie folgt beschrieben:

«Der Knabe Albert Volkart, von Stadel, war vom Jahre 1920 bis 6. März 1924 bei Landwirt A. B., in Weiach, verkostgeldet. Das jährliche Kostgeld betrug Fr. 260; für die Bekleidung des Knaben hatte vertragsgemäß der Pflegevater aufzukommen.»

Umgerechnet mit dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK-Rechner; Basis 1914) ergeben diese 260 Franken nach 100 Jahren rund 1285 Franken. Schon allein daraus kann man erahnen, dass die Arbeitskraft des verdingten Buben durch den Landwirt eingerechnet wurde, sonst hätte sich das Kostgeld nicht gerechnet. 

Streit um die Konfirmationskleider

Daran, dass diese Rentabilitätsrechnung nicht mehr aufgehen konnte, entzündete sich der Streit zwischen den Vertragsparteien:

«Am 6. März 1924 mußte der Knabe von dem Pflegeort weggenommen werden, weil sich ergeben hatte, daß er dort nicht gut aufgehoben war. Die Armenpflege brachte von ihrer letzten Kostgeldzahlung einen Betrag von Fr. 100 für die Anschaffung des Konfirmationskleides in Abzug. Der Bezirksrat Dielsdorf schützte diese Verfügung der Armenpflege mit Beschluß vom 14. April 1924.»

Der Bezirksrat hat also – wie er das auch heute erstinstanzlich tun müsste – seines Amtes gewaltet. 

«B. rekurriert deshalb an den Regierungsrat und verlangt Zusprechung der Fr. 100. Die Armenpflege Stadel und der Bezirksrat Dielsdorf beantragen mit Vernehmlassungen vom 14. und 16. Mai 1924 die Abweisung des Rekurses.»

Mangelhafter Vertrag? Nicht das Problem der Regierung

Es gehe nicht darum zu entscheiden, «ob die fragliche Kleiderunterstützung notwendig und die Armenpflege aus diesem Grunde zu der Leistung verpflichtet» sei, argumentierte die Direktion des Armenwesens, sondern darum, ob diese Konfirmationskleidung (eine happige Ausgabe von fast 40 Prozent des Jahreskostgeldes) nach dem Vertrag Sache des Pflegevaters sei oder eben nicht. Diese Angelegenheit müsse von der Gerichtsbarkeit geklärt werden.

Abgeblitzt ist B. also laut den Erwägungen der Aufsichtsbehörde der Armenpflege nur deshalb, weil sein Begehren «nicht eine Verwaltungsangelegenheit, sondern eine Rechtsfrage» betreffe. Indirekt rügt der Regierungsrat damit den Bezirksrat Dielsdorf, der diesen Umstand entweder nicht erkannt oder ignoriert hatte. Der Fall zeigt auch, wie wichtig gerade für juristische Laien die heutige übliche Rechtsmittelbelehrung unter jeder amtlichen Verfügung ist.

Ob sich Landwirt B. und die Stadler Armenpflege in der Folge vor dem Bezirksgericht Dielsdorf und allenfalls sogar dem Obergericht wiedergesehen haben, das kann derzeit nur durch einen Besuch im Staatsarchiv des Kantons Zürich ergründet werden. Da wären dann vor allem die Beschlussprotokolle zu konsultieren: StAZH Z 782.177 (1922-1924) sowie StAZH Z 782.178 (1925). Von Interesse könnten auch die Protokolle der Armenpflege im Gemeindearchiv Stadel sein.

Quelle und Literatur
  • Armenwesen. Regierungsratsbeschluss vom 22. Mai 1924. Signatur StAZH MM 3.38 RRB 1924/1288
  • Lischer, M.: Artikel Verdingung, Version vom 4. März 2013. In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS).

Dienstag, 21. Mai 2024

Freundnachbarliche Schmuggelhilfe in Kriegszeiten

Wir haben nur noch wenige Alteingesessene, die aus eigenem Erleben über die Zeit des Zweiten Weltkriegs berichten können. Willi Baumgartner-Thut (*1930) ist einer davon. Adolf Bütler-Nägeli (*1932), vormals zum Restaurant Wiesental, ein weiterer.

Gestern, am Pfingstmontag, hat Dölf dem Redaktor des WeiachBlog unter anderem auch eine kleine Anekdote erzählt, die man so nur im Grenzgebiet erleben konnte. Anlass für das Telefonat war ein militärdienstpflichtiger Traktor seines Vaters – dem sei ein späterer Artikel gewidmet.

Ohne Zusatzverdienste geht es nicht

Josef Bütler, besagter Vater, musste seiner Familie mit vielen verschiedenen Aktivitäten ausserhalb von Land- und Gastwirtschaft einen Zuverdienst verschaffen, oft für einen Kaiserstuhler Fuhrunternehmer oder den Sägereibesitzer Meierhofer beim Bahnhof (spätere Holz Benz AG). Häufig war er als Taglöhner für Dritte tätig. Manchmal sogar im Ausland. 

Das einstige fürstbischöfliche Amt Kaiserstuhl erstreckte sich zu beiden Seiten des Rheins (vgl. WeiachBlog Nr. 2065). Die Bürger unseres Nachbarstädtchens besassen daher seit Jahrhunderten Weinberge ennet dem Fluss – selbst einige Weiacher (vgl. WeiachBlog Nr. 1517). Auch Kaiserstuhler Stadtwald findet sich aus demselben Grund zu grossen Teilen sowohl rechtsrheinisch auf Reichsboden (im Gebiet der heutigen Gemeinde Hohentengen), wie linksrheinisch auf Schweizergebiet.

Holzen im Ausland

Mitten im 2. Weltkrieg gab es auch ruhigere Zeiten, wo die Grenze zum Deutschen Reich nicht hermetisch geschlossen war. Dann wurde Josef temporär zum Grenzgänger und erledigte Holzerarbeiten im Kaiserstuhler Wald auf deutscher Seite. 

Die Einwohner der Gegend erfuhren natürlich, dass bei ihnen gerade Schweizer Holzer zugange sind. Da sei einmal ein Ruh von Bergöschingen zu ihnen gekommen und habe gebeten, man möge ihm ein «Sunntigshämp» mitbringen, er habe nichts mehr dergleichen anzuziehen für eine Erstkommunion oder eine Firmung, genau weiss es Dölf nicht mehr. Aber jedenfalls ein wichtiges Ereignis im Leben eines der Kinder des Ruh.

Unverdächtige Transportmethode

Josef habe dann sein Sonntagshemd angezogen, darüber das Arbeitshemd getragen, es auf diese Weise über die Grenze geschmuggelt und in den Wald gebracht. 

So stellten die Zöllner keine blöden Fragen und der Bergöschinger konnte doch noch anständig gekleidet zur Kirche.

Sonntag, 19. Mai 2024

Schulcontainerkredit. Wie rechnet der Gemeinderat denn da?

Nennen Sie es Risse in der Matrix oder etwas weniger dramatisch formuliert das Stolpern über ein paar Ungereimtheiten und Auffälligkeiten. Es waren schon immer Fragestellungen dieser Art, die den Redaktor dieses Blogs zu näherer Betrachtung herausgefordert haben. Ob Aktualitäten oder Themen aus grauer Vorzeit: Ohne solche Fragen wären viele Beiträge zur Weiacher Geschichte und Gegenwart nie entstanden.

Im Zusammenhang mit der im Expressverfahren durchgeboxten Beschaffung von 22 Containern, die auf dem Parkplatz zwischen Altem und Rotem Schulhaus platziert werden sollen (vgl. WeiachBlog Nr. 2094 zum Ermächtigungserlass) ist wieder einmal etwas Auffallendes zu vermerken. 

Der Gemeinderatsbeschluss vom 4. März ist mit Poststempel vom 6. Mai 2024 mit Stimmrechtsbeschwerde angefochten worden. Der Bezirksrat Dielsdorf hat dem Gemeinderat nun bis am Dienstagabend nach Pfingsten Zeit für eine Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen eingeräumt. Dazu wird ein späterer Artikel erscheinen.

Die Kostenberechnung selber durchrechnen

Heute geht es um die Art und Weise, wie der Gemeinderat die Kosten zusammengestellt und dann in den Kredit umgegossen hat. Heisst: Um die Frage, wie Zahlen zustande kommen. 

Die zentrale Tabelle (auf S. 2 von 4 des Auszugs) sieht so aus:


Mit oder ohne Mehrwertsteuer?

Lassen wir einmal die monatliche Containermiete weg und berechnen die reinen Zahlen bis zu den Totalangaben im untersten Teil der Tabelle. Dann stimmt die Rechnung. Damit hört es aber leider mit den Stimmigkeiten bereits auf.

Was ist beispielsweise mit dem Klammervermerk «exkl. MWST» unter «Container Kauf»? Bezieht sich der nur auf die Kaufvariante? Oder auch auf die Mietvariante des ersten Zahlenblocks?

Ich weiss ja nicht, ob die Hochbauvorständin wie ich nach Strübis Rächnigsbüechli (vgl. WeiachBlog Nr. 1850) addiert und multipliziert, wieviele Monate in ihrer Welt 5 Jahre umfassen und mit welchem Mehrwertsteuersatz sie rechnet, wenn überhaupt. Ich komme aber beim besten Willen nicht auf dieselbe Zahl für eine Containermiete über fünf Jahre:


Wenn man annimmt, die Miete sei inklusive MWST, dann ist die gemeinderätliche Zahl für 5 Jahre massiv zu hoch. Und selbst wenn man die von mir berechneten 406'800 ebenfalls (wie für den Kauf) als exklusiv MWST nimmt, sie also noch um den Mehrwertsteuersatz von 8.1 Prozent erhöht, kommt eine tiefere Zahl heraus. Wird da eine MWST-Erhöhung antizipiert?

Kaufpreis höher als Mietpreis. Warum dann kaufen?

Ausgehend von obiger Interpretation (Miete inkl. MWST, Kauf exkl. MWST) läge dann die Kaufvariante sogar nach der gemeinderätlichen Rechnung höher als die Mietvariante (vgl. Bild unten). Warum also hat sich der Gemeinderat dann für den Kauf entschieden?


Alles inklusive?

Nehmen wir den Fall an, dass sich der Protokollführer in der obersten Gruppe dieser ominösen Tabelle geirrt und fälschlicherweise «exkl.» statt «inkl. MWST» getippt hat. Dann ist zwar die im Dispositiv Ziffer 2 beschlossene Kreditsumme von 900'000 CHF (inkl. MWST(!); vgl. S. 3 des Auszugs) korrekt ermittelt. 

Wie man aber von einer monatlichen Containermiete zu der für fünf Jahre gelangt, bleibt trotzdem nebulös. Was zu einer weiteren Erhärtung des Verdachts führt, dass hinter all dem die Zielsetzung stehe, die Kaufvariante gegenüber der Mietvariante gezielt schönzurechnen.

Und das alles geschieht unter Ausschluss der Gemeindeversammlung oder gar einer Urnenabstimmung. Sehr praktisch, nicht wahr?

Fazit: Nachvollziehbarkeit mangelhaft

Auch wenn diese ganze Beschaffung mit ultraheissen Nadeln glismet wurde und wird: Solche Unklarheiten dürfen einfach nicht vorkommen. Kann nur ich nicht mehr rechnen oder bekommt dieser Gemeinderat bzw. die Hochbauvorständin schon diese simplen Grundlagen nicht auf die Reihe? 

Und sollte letzteres zutreffen: Wie sollen künftige Gemeindeangestellte und Behördenmitglieder dann je herausfinden können, wie der gegenwärtige Gemeinderat in diesem Fall zu seinen Schlüssen gekommen ist?

Samstag, 18. Mai 2024

Ein alter Chriegwäg und wo die Brandassekuranz den Krieg verortet

Wie wir in den drei vorangegangenen Beiträgen dieser vierteiligen Serie über den Siedlungs- und Flurnamen «Im Chrieg» bzw. «Krieg» gesehen haben, lässt sich der Name in dieser oder einer abgeleiteten Form fast fünf Jahrhunderte zurückverfolgen. Und nach Meinung der Namenforscher geht er auf eine Eigentümerbezeichnung zurück.

Dieser Namensträger bzw. einer seiner Vorfahren dürfte sehr wohl etwas mit Krieg und Kriegsdienst zu tun gehabt haben. Und dies zu einer recht weit zurückliegenden Zeit im Mittelalter oder am Übergang zur Reformationszeit. 

Ein Verwandter Wilhelm Tells?

Es gibt sogar Autoren, die uns einen verwandtschaftlichen Zusammenhang dieses Eigentümers zu Wilhelm Tell nahelegen wollen. Jawoll, genau DER Tell. Wilhelm Gorkeit von Tellikon (1251-1297) sei ein Armbruster gewesen. Also ein Waffenproduzent (vgl. Schärer 1986).

Wenn also Regionalhistoriker oder Lokalchronisten für den Weycher «Chrieg» eine Verbindung zur Franzosenzeit (d.h. insbesondere die Periode 1799/1800 des Zweiten Koalitionskrieges) und damit zu anderen Flurnamen wie Franzosenhau und Frankenhalde herstellen, dann liegen sie damit falsch. Einzig beim Franzosenhau treffen sie ins Schwarze. 

Die Franzosen sind am Chrieg nicht schuld

Der Nachlass von Dr. h.c. Heinrich Hedinger (1893-1978), dem viele Unterländer Gemeinden ihre erste gedruckte Dorfgeschichte zwischen harten Buchdeckeln verdanken, enthält (so wie er es für jede andere Gemeinde des Bezirks angelegt hat) auch ein Schulheft mit Notizen über Weiach (StAZH X 211.1.31). Da findet sich eine Liste Flurnamen in Weiach (datiert auf «Jan. 1965»), die zeigt, dass Hedinger von dieser Deutung ausgegangen ist: «Chrieg  Franzosenkrieg» notierte er.

Die Liste ist wohl im Zusammenhang mit einem Vortrag Hedingers (Titel: «Us der Gschicht vo Weych») entstanden, den er am 31. Januar 1965 anlässlich eines Kirchgemeindeabends im Restaurant Bahnhof gehalten hat (vgl. Zollinger: G-Ch Weiach 1965 – S. 14). Ein Manuskript dieses Vortrags hat der Redaktor dieser Zeilen bislang nicht gefunden.

Der Weiacher Ortschronist Walter Zollinger, wie Hedinger ein pensionierter Primarlehrer, hat in seinem blauen Büchlein zum 700-Jahr-Jubiläum (1271-1971) just diesen Zusammenhang übernommen: 

«Dass in den Jahren 1798/99, also während der Kämpfe zwischen den französischen Heeren und ihren Gegnern, den Deutschen, Österreichern und Russen, auf dem Gelände um Weiach ebenfalls fremde Truppen lagerten, bezeugen die noch heute gebräuchlichen Flurnamen Saxenholz, Frankenhalde, Im Chrieg, Franzosenhau zur Genüge.»  (Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1. Auflage. Weiach 1972 – S. 42)

Ein Chriegwäg vor 80 Jahren

Adolf Pfister, Primarlehrer in Weiach von 1936 bis 1942, führt in seiner 26-seitigen Flurnamenliste (zu finden im Ortsgeschichte-Ordner Pfister/Zollinger) die beiden Namen «im Chrieg» und «Chriegwäg». Welchen Weg die Weycher mit letzterem Namen anfangs der 40er-Jahre bezeichnet haben, ist dort leider nicht erwähnt. Aber vielleicht war es tatsächlich der heute als Birkenweg bekannte, über Privatgrundstücke verlaufende Weg zwischen Chälenstrasse und Stockistrasse.

Erhebung Boesch 1958

Bei der Erhebung zum Zürcher Namenbuch in den späten 1950ern wurde der «Chrieg» jedenfalls in unmittelbarer Nähe kartenmässig aktenkundig. Gewährsmann dürfte der damalige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer gewesen sein (zur Person, vgl. WeiachBlog Nr. 426).


Über eine Karte aus späterer Zeit (Stand 1983) gelegt, ergibt die Abgrenzungszeichnung der Flurnamen nach dem Kalk Boeschs das obige Bild. Da liegt der «Chrieg» ziemlich nahe am Birkenweg. Laut dieser Erhebung haben also die in den 50ern schon bestehenden Gebäude Chälenstrasse 10 und 12 im Chrieg gestanden.

Karteikarte aus StAZH O 471 mit phonetischer Schreibung links und stenographischen Details zur Nutzung rechts.

Anfrage einer Bergnamenforscherin aus der Innerschweiz 

Wenn wir nun wieder ins 19. Jahrhundert zurückblicken, dann stösst die Flur Im Chrieg an die Riemlistrasse. Nämlich laut einem Eintrag in demjenigen Verzeichnis der kantonalen Brandassekuranz, das im Gemeindearchiv gelagert ist.

Nachstehend die Korrespondenz, die der Autor dieser Artikelserie mit Dr. des. Nathalie Henseler, einer Namenkundlerin aus dem Kanton Schwyz, am 19. November 2022 geführt hat:

Frage: «Weisst du zufällig, wo sich der Flurname „Chrieg“ in Weiach befindet? Danke im Voraus 😃»

Antwort: «https://search.ortsnamen.ch/de/record/7063657/ Die in diesem DB-Eintrag gegebene Koordinate von Swisstopo ist ein brauchbarer Kompromiss, auch wenn sie primär deshalb dort verortet ist, weil das der einzige noch nicht überbaute Fleck an diesem Hang ist. Man muss davon ausgehen, dass Chälen sowohl ein Überbegriff für das Quartier sowie im engeren Sinne die Bezeichnung für die Gebäude entlang des Sägebaches war. Die Topographische Karte des Kt. ZH (sog. Wildkarte) verortet Im Chrieg an der Stockistrasse. Im Lagerbuch der Gebäudeversicherung ist hingegen das einzige heute noch vorhandene Gebäude an der Riemlistrasse 5/7 zu finden (https://maps.zh.ch/s/gzya7zgf). D.h. "Im Chrieg" liegt eindeutig unterhalb der Halde des Riemli und mit grosser Wahrscheinlichkeit in der westlichen Hälfte der heute von Weinbergstrasse, Riemlistrasse, Chälenstrasse und Stockistrasse umgrenzten Fläche (s. Link).»

Henseler (die ihr Bergnamenbuch auch schon in Kurt Aeschbachers TV-Show oder bei SRF Einstein  vorstellen durfte) hat im Rahmen ihrer Dissertation die alten Familiennamen des Kantons Schwyz namenkundlich unter die Lupe genommen. In den Bezirken March und Höfe (Gemeinden Altendorf, Galgenen, Innerthal, Lachen, Schübelbach, Tuggen und Vorderthal) ist der Geschlechtername «Krieg» altverbürgert, d.h. laut Familiennamenbuch der Schweiz seit mehr als 225 Jahren nachweisbar.

Rückblende Lagerbuch Gebäudeversicherung 1834

Hier das entsprechende Blatt aus dem Lagerbuch (Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01):

Das Gebäude «Im Krieg. N°. 67.» trägt heute die Gebäudeversicherungsnummer 573/574. Die südöstlich davon gelegenen Gebäude mit den aktuellen Nr. 571 (damals N° 68b; Riemlistr. 3) und 468 (damals N° 68a/c; Chälenstr. 6) wurden schon zum Zeitpunkt der Erstellung des Gebäudeversicherungsbandes (spätestens 1834) der Chälen zugerechnet. Dort steht als Ortsbezeichnung: «Unten in Kellen».

Wo die ebenfalls «Im Krieg N° 64, 65 u. 66» benannten, mutmasslich zusammengebauten Gebäude standen, ist bislang nicht bekannt. Sie wurden 1835 «ganz abgeschlißen», erscheinen also auf der Wildkarte (Stand 1845-1848) nicht mehr. N° 64 gehörte 1834 Heinrich Baumgartner und bestand aus einem «Haus, 1/3 Scheune & 1 Stall». N° 65 & 66 gehörten im selben Jahr «Ulr. Wyllis s. Erben» und bestanden aus einem «Haus, 2/3 Scheune & 1 ditto» [d.h. Stall]. 

Am Platz der heutigen Gebäude Chälenstrasse 10 (N°74, heute 474) sowie Chälenstrasse 12 (N° 75, heute 478), die 1958 als Chrieg identifiziert wurden, können sie jedenfalls nicht gestanden haben, denn diese Häuser waren schon 1834 an dieser Stelle und wurden von den Gebäudeschätzern mit der Bezeichnung «Unten in Kellen» erfasst.

Wissen Sie mehr?

Nach all diesen Ausführungen die Frage an meine ortskundigen Leserinnen und Leser: Wo liegt Ihrer Meinung nach der Chrieg in Weiach? An der Stockistrasse, an der Riemlistrasse, an der Chälenstrasse, an zweien davon, an allen drei gleichzeitig? Oder ganz woanders?

Quellen und Literatur

  • Pfister, Adolf: Flurnamenliste; erstellt zwischen 1936 und 1942; Teil des sog. Ortsgeschichtlichen Ordners im Archiv des Ortsmuseums Weiach (noch ohne Signatur).
  • Sammlung der Orts- und Flurnamen des Kantons Zürich, 1943-2000 (Signatur: StAZH O 471). Datenerfassung für Weiach durch Prof. Bruno Boesch mit dem Gewährsmann «Alb. Meierhofer» im Jahre 1958.
  • Hedinger, Heinrich: Flurnamen in Weiach. In: Stoffsammlung über den Bezirk Dielsdorf und seine Gemeinden, Heft Nr. 25 Weiach. Signatur: StAZH X 211.1.31.
  • Schärer, Arnold Claudio: Und es gab Tell doch. Harlekin-Verlag, Luzern 1986.
  • Henseler, Nathalie: Die namenkundliche Deutung der Landleutegeschlechter des Kantons Schwyz. Unter Berücksichtigung sozialhistorischer Aspekte von Familiennamen im voralpin-ländlichen Raum. Diss. Univ. Zürich 2023.

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname»

Teil 1 (WeiachBlog Nr. 2096); Teil 2 (WeiachBlog Nr. 2097); Teil 3 (WeiachBlog Nr. 2098); Teil 4 = dieser Artikel (WeiachBlog Nr. 2099)

Dienstag, 14. Mai 2024

«Im Krieg hinten». Die Sicht der Karten und Lexika im 19. Jh.

«Westwärts des Dorfes, als Ausläufer des Sanzenberges, erhebt sich das niedrige "Riemli" mit einem obstbaumbestandenen Wingert, der "im Chrieg" heisst und dessen nun verstorbener Besitzer der "Chrieghans" genannt worden war.»  (G-Ch Weiach 1953, S. 12-13)

So führt Walter Zollinger in seiner Jahreschronik 1953 den Flurnamen Im Chrieg in die lokalhistorische Literatur ein. Seine Aufzeichnung erfolgte im selben Zeitraum, in dem der Namenkundler Prof. Bruno Boesch seine Feldaufnahmen in Weiach vornahm. Dessen Ziel war ein Zürcher Orts- und Flurnamenbuch. Davon ist bis heute erst ein Werk über Siedlungsnamen im Druck erschienen (Siegfried-Schupp 2024), also zu einem relativ kleinen Teilbereich.

Beim genannten Eigentümer «Chrieghans» handelt es sich um Hans Willi, der mit seiner Familie an der Herzogengasse 2 wohnte (Tel. Auskunft von Willi Baumgartner-Thut, 12.5.2024). Mit Max, dem Sohn des Chrieghans, ging Willi Baumgartner in den 1940ern nach Kaiserstuhl in die Bezirksschule.

Chriegacher im Fraumünster-Kelleramtsurbar

Im Rahmen der Arbeiten für ein Zürcher Namenbuch wurden unter Boesch & Rutishauser auch historische Belege aus alten Schriften gesammelt. 

So findet man im sog. Kelleramtsurbar des Fraumünsters (StAZH G I 142, 153) die Bezeichnung «Im Krieg Acher» für eine landwirtschaftliche Fläche im Gebiet der Gemeinde Weiach. Dieses Urbar wurde bereits 1548 erstellt und 1652 revidiert. Hier könnte also die älteste Nennung des Flurnamens überhaupt zu finden sein. 

Wo dieser Chriegacher lag, ist derzeit unbekannt. Wo er sich mutmasslich befunden haben muss, kann dereinst allenfalls durch Analyse dieses Urbars und Quervergleich mit anderen Quellen eruiert werden.

Der Chrieg: Teil eines Weingartens?

Nach Zollinger ist dieser Besitz also ein Baumgarten, der einst ein Weinberg war. Gehörte er zu den Kellenreben, die auf der Topographischen Karte des Kantons Zürich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (sog. Wild-Karte) noch in ihrer damaligen beachtlichen Grösse eingezeichnet waren? Das war noch vor dem Auftreten der Reblaus, die in den 1860ern aus den USA eingeschleppt wurde und das Ende des traditionellen Weinbaus auch in der Schweiz eingeläutet hat.


Auf dem obigen Kartenausschnitt (StAZH PLAN A 4.9 des Blatts IX, gedruckt im Mai 1859) sieht man den «Krieg» mit 3 Häusern kurz nach der Stelle eingezeichnet, wo die Zelglistrasse von der Stockistrasse abzweigt. Bemerkenswert auch, dass laut Wild-Karte die heutige Riemlistrasse einst die «Stockigass» gewesen sein soll.

Hartungs Messtischaufnahmen spuren vor

Auf den zwischen 1845 und 1848 entstandenen sog. Original-Messtischaufnahmen, die von Ingenieur Moritz Hartung aus Regensberg erstellt wurden (StAZH PLAN A 3.28), findet man den Siedlungsnamen «Krieg» sogar noch etwas weiter südwestlich:


Die Kalke zementieren die Vorstellung

Auf den «calques», den Kartenbild-Pausen auf durchsichtigem Papier (vgl. nachstehend: StAZH PLAN A 8.24), mit denen die Messtischaufnahmen für die Übernahme auf die Lithographie-Steine aufbereitet wurden, sieht es dann bereits so aus wie später auf der gedruckten Karte:


Im Gegensatz zum Dorfteilnamen Kaehlen sind die Flurnamen (Ruchli, Krieg, Hafnergass, Stockigass) hier nicht mit Tusche, sondern lediglich mit Bleistift eingezeichnet.

Lexika führen eine Relativbezeichnung ein

Eine Neuerung bringt das Ortslexicon des Cantons Zürich von Friedrich Vogel, Departements-Secretaire des Finanzrathes, das 1834 im Manuskript fertiggestellt war (vgl. StAZH MM 2.21 RRB 1834/2015).

Vogel setzt den Flurnamen zum Ortskern in Beziehung, der beim Zusammenfluss von Sagibach und Mülibach angenommen wird (heute unter der Stadlerstrasse nahe dem VOLG). Von dort aus gesehen liegt diese Flur «hinten» (wie man auch von der «hinteren Chälen»spricht, wenn u.a. die Gebäude am Bachserweg 2 und 6 gemeint sind):

«Im Krieg hinten, Gegend mit 4 Wohngeb. in der Kirch-, polit., Civil- und Schulgem. Weyach.» (S. 103)

Schon 1841 korrigiert derselbe Autor in der 2. Auflage seines Lexikons (als Neues Ortslexikon des Kantons Zürich bezeichnet) die Angabe wie folgt:

«Krieg, im, Ortsgegend des Dorfes Weyach mit 3 Wohnh., die westlich von Kellen liegen.» (S. 137)

Für sein Geographisch-statistisches Handlexikon des Schweizerlandes übernahm Johann Jakob Leuthy (1788-1855) im Jahre 1846 diese zweite Version:

«Krieg, im, 3 Hsr. in der zürch. Pfr. Weiach.» (S. 348)

Der Zürcher Professor Gustav von Escher geht für seinen Ergänzungsband 1850-1860 der Memorabilia Tigurina oder Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich wieder auf die alte Auffassung Vogels von 1835 zurück: 

«Die politische Gemeinde Weiach umfasst die Ortsnamen: [...] im Krieg hinten, [...]» (S. 686)

Oder doch weiter unten und weiter vorne Richtung Dorf gelegen?

Wenn wir uns nun an den Artikel Nr. 2097 vom 10. Mai erinnern, dann ist der Name «Chrieg» auf modernen Karten von Swisstopo jedoch an anderer Stelle eingezeichnet als auf der Wild-Karte. Er ist just dort platziert, wo es eben gerade noch dafür Platz hat: Bei der bald einzigen Baulücke, die sich im Geviert zwischen Neurebenstrasse und Chälenstrasse heutzutage noch finden lässt. Die in der Datenbank ortsnamen.ch gegebene Koordinate könnte somit rein darstellungstechnisch bedingt sein. 

Diese Vermutung verdichtet sich, wenn man sich den aktuellen Katasterplan der Amtlichen Vermessung auf der GIS-Seite des Kantons Zürich ansieht (vgl. Bild unten). Da stellt man fest: Der Flurname «Chrieg» haftet auch an der Parzelle 184 (Weinbergstrasse 11a) und nicht nur am noch unbebauten Grundstück mit der Nummer 1600.

Quellen und Literatur

  • Eintrag Chriegacher in der Datenbank ortsnamen.ch; mit Verweis auf das Kelleramtsurbar des Fraumünsters, angelegt von Hch. Weber 1548 bei der Einverleibung des Kelleramts ins Obmann- und Almosenamt, 1652 bereinigt von Stiftsschreiber Joh. Ludwig Keller. Signatur: StAZH G I 142, 153.
  • Vogel, F.: Ortslexikon des Kantons Zürich oder alphabetische Aufzählung aller Ortschaften, Höfe und einzelnen Wohnungen des Kantons, die besondere Namen tragen, mit Angabe der bürgerlichen und kirchlichen Abtheilungen, in welche sie gehören, u.a.m. von F. Vogel, Secretair. Schulthess'sche Buchhandlung (Fr. Schulthess und G. Höhr) Zürich 1835 – S. 103.
  • Vogel, F.: Neues Ortslexikon des Kantons Zürich oder alphabetisches Verzeichniß aller Ortschaften, Höfe und einzelnen Wohnhäuser, die besondere Namen führen, mit Angabe der Gemeinde, zu welcher sie gehören, ihrer Lage u.s.f. und verschiedenen statistischen Notizen. Zweite, verbesserte und vermehrte Ausgabe. Zürich, 1841 – S. 137.
  • Leuthy, J. J.: Geographisch-statistisches Handlexikon des Schweizerlandes. Zürich/Baden 1846 – S. 348.
  • Hartung, M.: Original-Messtischaufnahmen für die Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte). Blatt 25: Stadel, 1845-1848. Signatur: StAZH PLAN A 3.28.
  • N. N.: Vorlagen für die Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte): Bezirk Dielsdorf. Ortsplan Weiach, 1845-1859. Signatur: StAZH PLAN A 8.24.
  • Enderli, H.; Brack, J. J.: Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte). Blatt IX: Weiach, gedruckt im Mai 1859. Signatur: StAZH PLAN A 4.9.
  • von Escher, G.: Memorabilia Tigurina oder Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich 1850-1860. Zürich 1870 – S. 686.
  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang]. Hier: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1953. Signatur: ZBZ Handschr G-Ch Weiach 1953 – S. 12/13.
  • Siegfried-Schupp, I.: Von Angst und Not bis Zumpernaul. Siedlungsnamen im Kanton Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich (MAGZ), Bd. 91, Zürich 2024.
  • Mündliche Auskünfte von Willi Baumgartner-Thut (*1930) vom 12. Mai 2024.

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname»

Teil 1 (WeiachBlog Nr. 2096); Teil 2 (WeiachBlog Nr. 2097); Teil 3 = dieser Artikel (WeiachBlog Nr. 2098); Teil 4 (WeiachBlog Nr. 2099)

Freitag, 10. Mai 2024

«Im Chrieg». Zu den Ursprüngen eines Weiacher Siedlungsnamens

Thema des gestrigen WeiachBlog-Artikels Nr. 2096 war die Verschreibung von «Chrieg» zu «Chrueg». Heute wollen wir aus gegebenem Anlass (einer der Belege wird exakt 250 Jahre alt) den Spuren des Flurnamens in den Quellen nachgehen.

Der zentrale Startpunkt heutiger Ortsnamenkundler ist die Datenbank ortsnamen.ch, die den Vorteil hat, dass sie die kantonalen Orts- und Flurnamenbücher in digitaler Form aufbereitet und mit Kartendaten verknüpft jedermann zur Verfügung stellt.

«Im Chrieg» wird dort (Record 7063657) zwar als Weiacher Flurname gehandelt, ist jedoch – wie man dem Datenbankeintrag entnehmen kann (vgl. Bild unten) – zugleich auch ein Siedlungsname. Zwar nur für ein paar wenige Häuser, aber immerhin. Beim Höbrig, beim Ofen und beim Felsenhof ist das ja auch nicht anders: ein sog. «benanntes Gebiet». Hier allerdings eines, das bereits in früheren Jahrhunderten optisch praktisch nahtlos an die Gebäude des Ortsteils Chälen anschliesst.


Ein Familienname wird zum Hofnamen

Wo genau der Siedlungsname seinen Ursprung hat, ist nicht gesichert. Die Bearbeiter des Urkundenbuchs der Stadt und Landschaft Zürich (UBZH), aber auch heutige Namenkundler, sind der Auffassung, es könnte sich um den Zunamen der Eigentümerfamilie handeln. Diese Familie hätte dann also Chrieg oder Krieg bzw. Krieger geheissen.

In diesem Sinne äusserte sich 2017 beispielsweise Beatrice Hofmann-Wiggenhauser in ihrer Flurnamenkolumne in der Zeitung Schweizer Bauer (vgl. Quellen u. Literatur).

Gefolgsleute der Habsburger?

Laut dem UBZH wurde am 30. Dezember 1298 der Verkauf eines Landgutes in Niederhasli besiegelt. Da übertrug Chuonrat Chrieg, Mitglied des Zürcher Rats, dem Zisterzienserinnenkloster Selnau seinen Eigentumstitel. (Vgl. Bd. VII, S. 68; Nr. 2470: «Aebtissin Elisabeth von Zürich verleiht der Aebtissin von Selnau ein von Konrad Krieg an diese verkauftes Gut zu Niederhasli.»)

Und es ist nicht abwegig, die Vermutung zu äussern, dass die Chrieg auch den Chrieghof in Wiach besassen. Die Bearbeiter des Urkundenbuchs schreiben dazu in Fussnote 2 zu dieser Urkunde Nr. 2470: «Immerhin mag das [Niederhasler] Gut Kriegs von den Habsburgern herrühren, da die Familie Krieg viele Pfandschaften von Habsburg besass».

Die Übertragung von Pfandschaften war ein beliebtes Instrument der Entschädigung eigener Gefolgsleute. Diese erhielten Grundbesitz, der regelmässige Einkünfte abwarf. Sie durften diese für sich nutzen, mussten aber natürlich für Inkasso und Bestandesschutz selber besorgt sein. Formal blieb das Grundeigentum zwar ein Lehen, allerdings eines, das frei vererbt werden konnte. Lediglich die notarielle Fertigung vor dem Lehensherrn (oder einer von ihm begünstigten Institution) zeigt noch diese alten Verhältnisse an.

Analogie zu einem Hang an der Grenze Wollishofen/Kilchberg

Auch im Zusammenhang mit Grundeigentum im Gebiet Erdbrust an der Südgrenze der heutigen Stadt Zürich verweisen die Bearbeiter des Zürcher Urkundenbuchs (Bd. X, S. 145, Fussnote 2) auf einen vermuteten Eigentümer-Zusammenhang: 

«Erdbrust, Pf. Wollishofen; im Krieg könnte hier auch ein Flurname sein, der auch 1319 in Erdbrust vorkam, wie anderseits z.B. in Weiach (vgl. oben 3626), auch schon in Besitz des Joh. Brandes. Doch könnte er möglicherweise von einer dortigen Besitzung der Zürcher Familie Krieg herkommen; letzteres wird bestätigt durch eine Urkunde von 1314, worin "der Kriegin zem Adelar gueter" in Erdbrust vorkommen; vgl. IX nr. 3298.»

Im Datenbankeintrag entsprechen dem die folgenden Fundstellen:

1314: ze Ertprust zwischen … guͤtern (Orig ZUB IX; 3298; 162)
1319: ir beider guͤter ze Ertprust (Orig ZUB X; 3608; 25)
1321: ein wingarten, lit ze Ertprust (Orig ZUB X; 4742; 145)

Bisher älteste Weiacher Fundstelle von 1635

Im Gegensatz zum Flurnamen Hofwisen, der bereits 1309 belegt ist, findet man den Chrieg in mittelalterlichen Urkunden nicht. Er taucht erst in einem Berain, d.h. einer Güterbeschreibung des Krieghofs, in gebundenen Unterlagen der Stadt Kaiserstuhl auf: 

«Berein vber der Bomgartern vnd Krieghof zue Wiach im Ambt Kayserstuhl 1635; Eigentum des Pelagius Ertzlin von Kayserstuhl.»  (Vgl. Schib 1936; V. Städtische Verwaltung; A. Säckelamt; Bücher Nr. 116)

Bei diesem Pelagius könnte es sich um den Amtmann des Klosters St. Blasien zu Kaiserstuhl gehandelt haben. Er ist im gleichen Jahr (15. Mai 1635) in einer klettgauisch-sulzischen Urkunde als Käufer landwirtschaftlicher Flächen in Stetten (Gde. Hohentengen; d.h. auf Reichsboden) genannt (vgl. Aargauer Urkunden, Bd. XIII, Nr. 439).

Man sieht der Formulierung an, dass der Krieghof wohl die alte Bezeichnung darstellt. Und hätte es in Weiach nicht noch etliche weitere Baumgartner gegeben, die man voneinander unterscheiden musste, dann wäre der alte Flurname vielleicht untergegangen. So aber wurde er konserviert.

Jacob Baumgartner im Krieg, 1672   

Auch ein paar Jahrzehnte später war eine Familie der Baumgartner auf dem Krieghof ansässig, wie man einer Urkunde entnehmen kann, die ursprünglich im Gemeindearchiv Hottingen lag und mit der Eingemeindung 1893 ins Stadtarchiv Zürich gelangte.

Diese Urkunde Hottingen 23 wurde von Franz Ernst Zwyer von Evibach, fürstbischöflich-konstanzischer Obervogt von Kaiserstuhl und der Herrschaft Rötteln, auf Papier ausgestellt und ist auf den 26. Januar 1672 datiert (mutm. nach gregorianischem Kalender): 

«Schuldbrief von 83 Gulden auf Andreas Meyer, Wachtmeisters Sohn von Weiach, zu Gunsten von Jacob Baumgarter im Krieg, Weiach

Eintrag im Kirchenbuch Weiach, 1774

Der jüngste in unserer Reise durch die Jahrhunderte vorgestellte Beleg feiert heute seinen 250. Geburtstag. Es handelt sich um einen Eintrag des Weiacher Pfarrers im Tauf- und Eheregister 1753-1860, datiert auf den 10. Mai 1774:

«Baumgartner, Hans Heinrich, Weiach, getraut mit Meier, Elisabeth, Weiach» (StAZH E III 136.2, EDB 145)

Zwecks näherer Bezeichnung der familiären Herkunft dieses Hansheiri Baumgartner notierte der Pfarrer den Vermerk: «im Krieg».

In einem späteren Artikel werden wir sehen, dass der Name Baumgartner auch im 19. Jahrhundert noch eng mit dem Flurnamen Im Krieg verbunden war.

Quellen und Literatur

  • Schuldbrief über 83 Gulden d.d. 26. Januar 1672. Signatur: StArZH VI.HO.A.1.:23.
  • Eintrag im Tauf- und Eheregister Weiach, d.d. 10. Mai 1774. Signatur: StAZH E III 136.2, EDB 145.
  • Inventar des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Im Auftrag der Aargauischen Historischen Gesellschaft bearbeitet von Dr. Karl Schib. Aarau 1936 – S. 8.
  • Hofmann-Wiggenhauser, B.: Flurnamen: Krieg in der Chälen. In: Schweizer Bauer online, 25. Dezember 2017, 18:36.
[Veröffentlicht am 11. Mai 2024 um 23:48 MESZ]

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname»

Teil 1 (WeiachBlog Nr. 2096); Teil 2 = dieser Artikel (WeiachBlog Nr. 2097); Teil 3 (WeiachBlog Nr. 2098); Teil 4 (WeiachBlog Nr. 2099)

Donnerstag, 9. Mai 2024

Wenn der Chrueg kein Dorfkrug ist

Auf einem Plan des Meliorations- und Vermessungsamts des Kantons Zürich aus dem Jahre 1991 findet sich ein Weiacher Flur- bzw. Ortsteilname, den man sonst nirgends antrifft, auch nicht in der sonst recht umfassenden Datenbank ortsnamen.ch: «Chrueg»  (s. unmittelbar links des Bildzentrums)

Ein Krug? Ist das die Gegend, wo der «Dorfkrug» steht, mögen sich einige bildungsbürgerlich beflissene Deutsche fragen. Aber so wird das Wirtshaus nur in Norddeutschland genannt. Bei uns nannte man sie Tavernenwirthschaft, bzw. Weinschenke (wenn damit kein Beherbergungsrecht verbunden war).

Richtig ist: Chrieg...

Was uns hier vorliegt, ist ein klassischer Verschreiber. Der eigentlich gemeinte Flurname lautet: «Chrieg». 

Dass dem so ist, wussten die Mitglieder der informellen Weiacher Strassenbenennungskommission in just dieser Zeit (1991/92) besser als die Kartenzeichner in Zürich. Sie wollten den genau an dieser Stelle auf der Karte verlaufenden Privatweg daher eigentlich «Chriegweg» nennen. 

Daran hatten allerdings die Anwohner (und Grundeigentümer) gar keine Freude. Sie wünschten sich den Namen «Birkenweg» und drangen damit durch. 

...aber wo genau ist er?

Dass sie dadurch eine historisch zwar in Schriftquellen belegbare, in der Landschaft aber in ihrer Verortung nicht eindeutig feststehende Benennung verhindert haben, kommt uns Heutigen zupass.

Denn beim Durchsehen aller mir heute verfügbaren Quellen findet man mehrere Varianten. Laut diesen kann «Im Chrieg» etliche Stellen im Raum des westlichen Ortsteils Chälen bezeichnet haben: 

Von (A) einer Häusergruppe an der oberen Stockistrasse, wo sie in grösserer Steigung Richtung Sanzenberg entschwindet, über (B) den gesamten Streifen am Hang unterhalb des Wingert zwischen Stockistrasse und Riemlistrasse, bis hin zu (C) einer Häusergruppe an der Riemlistrasse, deutlich unterhalb der Abzweigung Weinbergstrasse. 

Alles nah beieinander im Umkreis von 250 Metern. Aber eben nicht an derselben Position.

Um diese Belege und was sie für die Flurnamenforschung bedeuten, soll es in den Artikeln der nächsten Tage gehen.

Quelle

  • Gemeinde Weiach. Provisorischer Übersichtsplan 1:5000. Ausgabe 1991. Signatur: StAZH PLAN B 2636.

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname»

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Mittwoch, 8. Mai 2024

Startschuss für die neue Sternenkreuzung

So wie auf diesem Plänchen sah der Weiacher Dorfkern anfangs der 1950er-Jahre aus. Da gab es, wie man sieht, den heutigen Bachweg bereits. Die Glattfelderstrasse stiess exakt vor dem Gasthof zum Sternen auf die Kaiserstuhlerstrasse. Und letztere ging nahtlos in die Stadlerstrasse über:


Heute vor 50 Jahren hat der Regierungsrat des Kantons Zürich den Startschuss für die Umgestaltung der alten, noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden Anlage gegeben. Aus der Kunststrassenkreuzung von 1845/46 wurde nach dem 8. Mai 1974 eine geschwungene Rennbahn mit (verglichen zum vorherigen Zustand) enormem Flächenverschleiss:


«Das Bauvorhaben ist Bestandteil des Strassenbauprogramms 1974»

Dass man sich für eine solche Lösung entschieden hat, ist dem Wunsch geschuldet, den Verkehr aus Richtung Basel-Koblenz-Kaiserstuhl statt über die Stadlerstrasse neu über die sog. «Kiesstrasse» zu leiten, die ab dem Neeracherried in einer langgezogenen Kurve am Ostrand der Ebene mit Neerach, Stadel und Windlach erstellt wurde und westlich Aarüti in die Hauptstrasse Basel-Winterthur mündet. 

Damit war faktisch der Entscheid gefallen, die anfangs der 70er-Jahre eigentlich geplante kantonale Autobahn HVS-U nicht bis Weiach durchzuziehen. Die hätte ihren Endpunkt im Bedmen oder noch etwas näher beim Alten Bahnhof gefunden (vgl. WeiachBlog Nr. 1976).

Im Regierungsratsbeschluss vom 8. Mai 1974 werden Nägel mit Köpfen gemacht. Es wird über die Vergabe der Bauarbeiten entschieden:

«Mit Beschluss Nr. 3870/1971 genehmigte der Regierungsrat das Detailprojekt für die Sanierung der Einmündung der Stadlerstrasse I. Kl. Nr. 2 in die Glattfelder-/Kaiserstuhlstrasse, HVS U, I. Kl. Nr. 1, Gemeinde Weiach, und bewilligte gleichzeitig zu Lasten der Titel 3016.740.01 der Staatsrechnung, Bau von Strassen I. Kl., und 3015.741.01 der Staatsrechnung, Bau von Trottoiren an Strassen I. Kl., die erforderlichen Kredite. Heute stehen die Landerwerbsverhandlungen vor dem Abschluss, so dass mit dem dringend notwendigen Ausbau begonnen werden kann.

Die Tiefbau- und Belagsarbeiten für die genannte Sanierung wurden öffentlich zur Konkurrenz ausgeschrieben. Auf den Eingabetermin gingen rechtzeitig vier Offerten ein, deren Angebotssummen zwischen Fr. 761 854.80 und Fr. 835 930.50 liegen. Gemäss den Bestimmungen der Submissionsverordnung ist es gerechtfertigt, die Tiefbau- und Belagsarbeiten an die im ersten Rang stehende, gut ausgewiesene Hüppi AG, Bülach, mit einer Akkordsumme von Fr. 761 854.80 zu vergeben. 

Die örtliche Bauleitung kann dem Projektverfasser, Ingenieurbüro W. Grimm, Zürich, gemäss dessen Offerte vom 25. April 1974 und die Oberbauleitung dem kantonalen Tiefbauamt (Kreisingenieur I) übertragen werden.»

Fort mit Gemeindeschlachthaus und altem Zürich-Wegweiser!

Damit war der Startschuss gegeben und für das Gemeindeschlachthaus (vgl. im Bild links) hatte das letzte Stündlein geschlagen. Denn just dort sollte die langgezogene Kurve durchgezogen werden.

Bild: Sammlung Ortsmuseum Weiach

Für den Regierungsrat wie für den Gemeinderat war klar: Nach Zürich soll es hier künftig nicht mehr in die angezeigte Richtung gehen. Sondern in die Blickrichtung des Fotografen.

Quelle

  • Strassen (Weiach, Einmündung Stadlerstrasse I/2 in Glattfelder-/Kaiserstuhlstrasse, HVS U, Sanierung). Regierungsratsbeschluss vom 8. Mai 1974. Signatur: StAZH MM 3.141 RRB 1974/2332.