Heute vor 168 Jahren erlebte Weiach ein Gewitter, an dessen vernichtende Folgen man sich noch Jahre danach erinnerte. Die Schilderung im Kirchturmdokument N° 8 vom 20. August 1855 war derart eindrücklich, dass sie vom Ortshistoriker Walter Zollinger in seine 1972 erschienene Monographie zur Geschichte von Weiach aufgenommen wurde.
Vergleich handschriftliche Quelle mit gedruckter Ortschronik
Unter dem Titel «Von Krankheiten, Viehseuchen, Brandfällen, Erdbeben und Unwettern» zitiert er zum Jahre 1838:
«vom 29. Mai bis 1. Brachmonat waren vier Gewitter, von denen das am 31. Mai die nordwestliche Grenzgegend mit einem der verderblichsten Schlossengewitter heimsuchte. Die junge Saat stand total zernichtet; Bäume und Reben kahl und aufs schrecklichste beschädigt da; keine Fensterscheibe an der untern Seite der Kirche blieb verschont. Am darauffolgenden Tage konnte man noch 5 /4 zöllige Hagelkörner aufschöpfen; 17 Eichen wurden von des Sturmes Gewalt umgerissen; Schaden auf 2300 fl geschätzt.»
Das ist nicht 1:1 der Text der eingangs erwähnten, von Pfr. C. Hirzel verfassten und von Jakob Morf geschriebenen Urkunde, die im August 1855 ihren Weg in die Kirchturmkugel fand (2. Seite unten, 3. Seite oben). Dort steht nämlich:
«Im Jahre 1838 wurde diese Gegend, den 31. Mai, von einem unerhörten Gewitter sehr hart betroffen, die junge Saat stand total zernichtet, Bäume und Reben kahl und aufs schrecklichste beschädigt da, keine Fensterscheibe an der untern Seite der Kirche blieb verschont, am darauffolgenden Tage konnte man noch 5/4 zöllige Hagelkörner aufschöpfen; 17 Eichen wurden von des Sturmes Gewalt umgerissen. (v. Armenprotokoll pag. 6).»
Die Information, dass es gleich vier Gewitter waren, der Begriff Schlossengewitter und die Schadenschätzung wurden also offenbar von Zollinger eingefügt. Unbekannt ist u.a., woher er die Zahl von 2300 Gulden hat - möglicherweise aus dem Armenprotokoll, auf das oben verwiesen wird.
Hagel und Schlossen: von Adelung bis Wikipedia
Je nach Quelle werden unter der Bezeichnung «Schlossen» grössere Hagelkörner verstanden oder darin ganz einfach ein Synonym für Hagel gesehen. So steht im Adelung von 1811:
«Der Hagel, des -s, plur. inus. ein Nahme, der verschiedenen Arten, mehrentheils runder Körner beygeleget wird. 1) Den gemeiniglich runden Stücken Eis, welche aus der Luft fallen und aus gefrornen Regentropfen bestehen, und welche, wenn sie groß sind, auch Schloßen genannt werden; als ein Collectivum. Vom Hagel getroffen werden. Man hat Stücken Hagel gefunden, welche über drey Loth wogen. Es siehet so weiß aus wie ein Hagel, im gemeinen Leben, wo man auch wohl hagelweiß sagt. Daß dich der Hagel! ein in den niedrigen Sprecharten üblicher gelinder Fluch. Von einzelnen Stücken Hagels gebraucht man das Wort Hagelkorn. In Baiern wird der Hagel Schauer, ingleichen Steinel, eigentlich Steinlein genannt. Der Schauer heißt in anderem teutsch der Hagel, Buch der Natur 1483. 2) Gegossene Körner von Bley, womit man nach allerley kleinem Wildbret und nach Vögeln schießet, und welche auch Schrot genannt werden; gleichfalls als ein Collectivum. 3) In der Geschützkunst werden alle Stücke gehauenen Eisens, kleine bleyerne Kugeln, auch wohl kleine Granaten, so fern sie aus Mörsern, Haubitzen u. s. f. geschossen werden, Hagel genannt. Anm. In der ersten Bedeutung schon bey dem Notker Hagel, im Angels. Hagol, im Schwed. Hagel, im Engl. Hail, im Finnländ. Hauli. [...]»
Und etwas weiter unten: «Hageln, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, aber nur in unpersönlicher Gestalt üblich ist. Es hagelt, d. i. es fällt Hagel vom Himmel. In Baiern es steinelt, es schauert, bey dem Kaisersberg es hurnigelt. Wenn große Stücke Hagels fallen, sagt man im Hochdeutschen es schloßet».
In der deutschsprachigen Wikipedia findet man folgende Definitionen:
«Hagel ist eine Form von Niederschlag, die aus Eisklumpen besteht. Zur Abgrenzung spricht man erst bei einem Durchmesser von über 0,5 Zentimetern von Hagel bzw. Eishagel, darunter von Graupel. Bei Aggregaten von Schneeflocken mit einem Durchmesser unter einem Millimeter spricht man von Griesel».
Auch zum Thema Schlossen gibt es einen Hinweis: «Die ebenfalls gebräuchliche Bezeichnung Schloße für ein Hagelkorn ist namensgebend für schlohweiß (dissimiliert aus schloßweiß), bedeutet also: "weiß wie ein Hagelkorn" und bezeichnet einen hellen, fahlen Weißton».
Wie viel sind 5/4 Zoll ?
Legt man einen englischen Zoll nach heutigen Massstäben zu Grunde, so ist 1 Zoll = 2.54 cm; als er in Deutschland noch gebräuchlich war, mass 1 Zoll in der Regel zwischen 2.3 und 2.6 cm - je nach Region (vgl. Wikipedia zum Zoll als Masseinheit).
In der Schweiz galt ab Herbst 1835 das Konkordat über eine gemeinsame schweizerische Maß- und Gewichtsordnung vom 17. August 1835, welches festlegte: 1 Zoll = 1/10 Fuß = 0,03 m = 3 cm.
5/4 Zoll waren also 3.75 cm. Ganz ordentlich für Hagelkörner, richtige "Hagle" (in der Bedeutung "gemeiner niedriger Pöbel, zusammengelaufenes Volk" - eine weitere Definition die man im Adelung findet) . Vor allem wenn man bedenkt, dass sie noch am Folgetag so gross waren!
Quellen
- Adelung, J. C.: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, von Johann Christoph Adelung Churfürstl. Sächs. Hofrathe und Ober-Bibliothekar. [mit D. W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger Doctor der freyen Künsten und Philosophie, öffentl. ordentl. Professor der Beredsamkeit und Griechischen Sprache, Subdirector des k. k. Convictes.] Zweyter Theil, von F-L; Wien, verlegt bey B. Ph. Bauer, 1811.
- Kirchturmdokument N° 8 vom 20. August 1855 in der Transkription von Walter Zollinger.
- Zollinger, W.: «Weiach. 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». (Hrsg. von der Gemeinde Weiach), 1972 [Link zum zitierten Kapitel].