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In Neerach lebt sichs am besten, nach Weiach soll man besser nicht zügeln. Stimmt das Bezirk-Dielsdorf-Rating der ZKB tatsächlich?» So fragte die noch junge Regionalredaktion des Tages-Anzeigers am 28. November 2006 provokativ.
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Weiach bleibt hinter Stadel und Bachs das Schlusslicht», heisst es im Artikel weiter. Die Redaktoren Simon Eppenberger, Manuela Moser und Lorenz Schmid begaben sich aus diesem Anlass zu den Einwohnern von Neerach (Bezirkssieger) und Weiach (Schlusslicht im Bezirk) und machten das, was Journalisten tun, wenn ihnen nichts besseres einfällt - eine Umfrage.
Abgedruckt wurden in der Tages-Anzeiger-Regionalausgabe Unterland vom 28. November die im
gestrigen Beitrag bereits kommentierten Statements von vier Weiacherinnen und Weiachern.
Heute schauen wir uns noch den Hauptartikel mit dem tröstenden Titel «
Auch in Weiach kann man glücklich sein» genauer an, aus dessen Lead wir eingangs schon zitiert haben.
Weiche Kriterien fehlenDas Regionenrating stammt aus der Küche der Researchabteilung der Zürcher Kantonalbank, die es im Auftrag des Tages-Anzeigers durchführt. Zwar wird behauptet, die Kriterien umfassten alle wesentlichen Parameter um einen Standort zu bewerten. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall, wie die Tages-Anzeiger-Redaktoren selber zugeben müssen:
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Die Studie bewertet die Gemeinden nach harten ökonomischen Kriterien. So erstaunt es nicht, dass beispielsweise Neerach mit seinen tiefen Steuern und der hohen Steuerkraft massiv punkten kann. Auch die hohen Immobilienpreise sprechen laut den Verfassern für Neerach. Beobachtet wurden aber auch demografische Kriterien wie der Anteil an Familien, die Altersstruktur der Gemeinde sowie die Bilanz der Zu- und Wegzüge.»
Wie sich die Dynamik der Zu- und Wegzüge genau auf die Standortqualität auswirkt, dürfte ziemlich umstritten sein. Je grösser die Fluktuation, desto grösser ist wohl auch die soziale Unrast und Entwurzelungstendenz. Kleine Fluktuation muss demgegenüber nicht bedeuten, dass eine Gemeinde als Wohnort unattraktiv ist - im Gegenteil.
Schon dieser Mangel lässt einen an der Tauglichkeit der Kriterienauswahl und dem Wert der Analyse zweifeln. Aber es kommt noch besser:
Lebensqualität nicht erfasst«
Das Regionenrating hält sich klar an die messbaren Fakten. Aspekte, die hingegen nicht direkt in einen Zahlwert umgemünzt werden können, jedoch für den Einwohner hinsichtlich seiner Lebensqualität nicht weniger interessant sind, werden weggelassen. So ist die verkehrstechnische Erreichbarkeit von Zürich ein Kriterium in dem Rating, die Einkaufsmöglichkeiten im Dorf werden aber nicht bewertet. Kann eine gute Anbindung an Zürich nicht auch negative Auswirkungen auf den Verkehr haben? Auch Faktoren wie Naherholungsgebiete, Freizeitangebote und nicht zuletzt der Fluglärm prägen eine Gemeinde.»
Der bereits vor Ort Wohnende hat also weniger Gewicht als der Neuzuzüger mit seinem kürzlichen Entscheid. Was man auch sieht, ist, dass das Rating einseitig Zürich-orientiert konstruiert wurde. Bei einer von der Stadt aus denkenden Zeitung und einer ebensolchen Kantonalbank auch nicht verwunderlich.
Dass allerdings die Einkaufsmöglichkeiten im Dorf überhaupt nicht bewertet werden, ist unverzeihlich. Denn das macht - vor allem für ältere und weniger mobile Menschen - einen grossen Unterschied. Nur eben: das ist nicht das hochmobile, tendentiell finanzkräftige Personensegment, dessen Entscheidungen in diesem Rating den Ausschlag geben.
Die Einheimischen beeindruckt das kaumDeshalb ist auch das Fazit der Umfrage absehbar:
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Wie verhält es sich also in den Gemeinden wirklich? Der «Tages-Anzeiger» hat sich bei den Bewohnern der Tabellenschlusslicht-Gemeinde Weiach und bei den Einwohnern der Spitzenreitergemeinde Neerach umgehört.
Dass sie in der «schlechtesten» Gemeinde wohnen, kümmert die Weiacher kaum. Ähnlich gelassen reagierten die befragten Einwohner von Neerach auf ihre erneute Spitzenplatzierung. Es zeigte sich, dass man sich in beiden Gemeinden über den tiefen Steuerfuss zwar freut, doch dass dieser für viele kein entscheidendes Kriterium bedeutet. Die Leute schätzen vielmehr das Ländliche an ihrem Dorf, auch wenn teilweise ungünstige Verbindungen des öffentlichen Verkehrs bestehen. Es werden aber auch kritische Stimmen laut: Die hohen Immobilienpreise in Neerach oder die durch das Wachstum zunehmende Anonymität im Dorf beschäftigen die Bewohner.»
Letzteres gilt auch für Weiach. Die enorme Zunahme der Bautätigkeit in den 90er-Jahren hat sich in einem massiven Wachstum der Bevölkerung und einem höheren Anteil der neu Zugezogenen niedergeschlagen.
Der tiefe Steuerfuss dürfte überdies - wie in Neerach - dazu beitragen, dass etliche dieser Neuzuzüger den Wohnort nur nach Steuerkriterien gewählt haben und gar nicht gewillt sind, eine tiefergehende Beziehung zu ihm aufzubauen. Erfreulich aber auch, dass ein höherer Steuerfuss für viele dann doch kein Grund fürs Wegziehen wäre.
So weit zu diesem Umfrage-Artikel.
Gehen wir noch etwas näher ans Regionenrating heran. Im Tages-Anzeiger vom 28. November findet man ein FAQ, zusammengestellt von Andreas Valda. Die Kommentare sind auch hier von WeiachBlog:
Die 5 häufigsten Leserfragen und ihre AntwortenWer bestimmt die TA-Gesamtnote je Gemeinde?«
Indirekt die Mieter und Käufer von Immobilien. Indem sie einen Miet- oder Kaufvertrag abschliessen, verraten sie indirekt ihre Vorlieben für ein Angebot. Diese Vorlieben oder Präferenzen werden von Wissenschaftlern systematisch analysiert und bewertet. Sie errechnen darauf die so genannte «Kaufbereitschaft» für eine besondere Eigenschaft, sei es Lage, Gemeinde, Grösse, Standard und Qualität. Je wichtiger den Käufern und Mietern eine Eigenschaft ist, desto mehr sind sie auch bereit zu zahlen. Dem TA-Rating liegt nun das umgekehrte Prinzip zu Grunde: Je höher die durchschnittliche Kaufbereitschaft beträgt, desto grösser ist die Wertschätzung für eine Gemeinde.»
Kommentar: Bei nur wenigen Transaktionen gibt das Statistische Amt die Daten nicht frei. Eine Aussage zu wagen ist also für eine systematische Analyse höchst problematisch.
Ist die TA-Gesamtnote ein Durchschnitt aus den Einzelnoten?«
Nein. Die Einzelnoten der verschiedenen Kriterien dienen nur zu Veranschaulichung einer bestimmten Qualität. Ein Bezug zwischen der Gesamtnote und einigen Kriterien kann aber hergestellt werden, so etwa der Nähe zu Zürich oder der Steuerbelastung Privater. Oft gilt: je näher eine Gemeinde bei Zürich liegt und je tiefer die Steuerbelastung, um so höher die Gesamtnote. Diese Parallelität verdeutlicht, was Immobilienkäufern und Mietern in ihrem Standortentscheid wichtig ist: Die Nähe zu Zürich und tiefe Steuern.»
Kommentar: Hier sieht man besonders deutlich, wie der Blickwinkel auf die Immobilientransaktionen (und damit auf die Neuzuzüger) die Beurteilung der Attraktivität verzerrt.
Wer bestimmt die Einzelnoten?«
Sie werden von einem Computer errechnet. Als Grundlage verwenden die ZKB-Wissenschaftler die Erhebungen des Kantons, des Bundesamtes für Statistik und hauseigene Erhebungen der ZKB für die Wohnbautätigkeit und das Kauf-/Mietpreis-Verhältnis.»
Kommentar: Transparenz ist bei diesem Vorgehen natürlich nicht gegeben. Hauseigene Daten und den Algorithmus wird die ZKB ja wohl nicht offenlegen wollen.
Warum findet man bei dieser zweiten Runde des TA-Regionenratings eine Mehrzahl neue Einzelkriterien?«
Das letzte Mal lag der Fokus auf Kriterien, die mehrheitlich Immobilienkäufer interessierten. In der zweiten Runde stehen demographische und Mieter-Kriterien im Vordergrund. Zudem: Die Mehrzahl der bisherigen Beurteilungen, so etwa die der Fern- und Bergsicht, Erschliessung mit Schulen oder Einkaufsmöglichkeiten verändern sich kaum oder gar nicht. Sie gelten weiterhin und sind auch weiterhin im Internet abrufbar.»
Kommentar: Da kann man sich fragen, ob überhaupt eine Vergleichbarkeit mit dem ersten Rating gegeben ist. Auch hier wäre es überdies hilfreich, mehr über die genauen Beurteilungsschemata zu erfahren. Beispielsweise darüber, welches demographische Profil aus welchen Gründen als besser gilt als ein anderes.
Ist die Benotung von Gemeinden aus verschiedenen Bezirken vergleichbar?«
Nein. Die Noten beziehen sich immer auf die Gemeinden im Bezirk. Gut möglich, dass die eine Gemeinde im Bezirksvergleich eine 6 hat, aber im Vergleich zur Gemeinde eines anderen Bezirks nur eine 3 hätte. Der Gesamtvergleich wird es am Ende des zweiten Ratings publiziert werden.»
Kommentar: Hier sieht man, woran das Regionenrating schon prinzipiell krankt. Je nach Abgrenzung der Region sind die Resultate nämlich irreführend - um nicht zu sagen unbrauchbar. Es macht absolut keinen Sinn, gewisse Gemeinden des Bezirks Dielsdorf miteinander zu vergleichen. Hüttikon und Weiach (um zwei eher ländliche Gemeinden herauszugreifen), liegen in zwei völlig verschiedenen Geländekammern und haben miteinander herzlich wenig zu tun. Schon allein aus geographischen und verkehrstechnischen Gründen. Viel wichtiger wäre ein Vergleich von Weiach mit den Rafzerfeld-Gemeinden, mit der Nachbargemeinde Glattfelden, mit Kaiserstuhl und Fisibach oder gar mit Hohentengen. Auf den Gesamtvergleich darf man gespannt sein.
Weitere Informationen zum RegionenratingAlle bisherigen Regionenratings und Erläuterungen zur Methodik findet man unter
www.tagesanzeiger.ch/regionenrating. Wer dennoch ratlos bleibe, könne sich an den Betreuer der Serie, Andreas Valda wenden: andreas.valda@tages-anzeiger.ch.
Offenbar wirft das Rating doch ziemlich hohe Wellen. Kein Wunder. Da geht es schliesslich um den Wert von Liegenschaften. Und damit um Vermögenswerte in Millionenhöhe. Mit dem Rating bewaffnet kann man in Weiach als Käufer versuchen, die Preise zu drücken - mit dem Argument der mangelnden Gunst der übrigen Marktteilnehmer.
Quellen- Eppenberger, S.; Moser, M.; Schmid, L.: Auch in Weiach kann man glücklich sein. In: Tages-Anzeiger, 28. November 2006 – S. 61 Unterland.
- Valda, A.: Rümlang ist der überraschende Aufsteiger. In: Tages-Anzeiger, 28. November 2006 – S. 19.