Sonntag, 4. November 2018

Warum liegt der «Sternen» an der Stadlerstrasse?

Warum trägt der ehemalige Gasthof Sternen (Assekuranznummer 603) die Adresse Stadlerstrasse 2 und nicht das Riegelhaus rechterhand des Beginns der Chälenstrasse (Assekuranznummer 460), dessen Hauseingang eindeutig auf der Seite der Stadlerstrasse liegt, das aber nichtsdestotrotz die Adresse Chälenstrasse 2 trägt?

Betrachtet man die heutige Situation mit dem grossen asphaltierten Platz, dann kann man genauso auf die Idee kommen, der «Sternen» liege an der Kaiserstuhlerstrasse. Sie führt von der Parzellenbezeichnung 74 auf dem Plan der Amtlichen Vermessung aus nach Westen (nach Osten verläuft von dort aus die Glattfelderstrasse):

Bild: Amtliche Vermessung Kanton Zürich, 2016 (Stand am 23. Mai 2016)

Stützt man sich hingegen auf alte Karten, die den Zustand vor dem Ausbau der Sternenkreuzung (Mitte der 1970er-Jahre) zeigen, dann könnte der «Sternen» auch an der Kaiserstuhlerstrasse liegen. Ohne Ausbau der Kreuzung trüge das Gebäude seit 1992 wohl die Adresse Kaiserstuhlerstrasse 1.

Gehen wir auf eine Zeitreise. Und sehen uns zuerst die Situation wenige Jahre nach dem 1830 erfolgten Bau des «Sternen» an. Die Vorlage für die sog. Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte), ist eine detailgenaue kolorierte Tuschzeichnung (StAZH PLAN A 8.24), die in den 1840ern erstellt wurde:


Grün punktiert dargestellt sind Baumgärten, bzw. Hausgärten, rot Häuser in denen Menschen leben, schwarz reine Ökonomie- und Gewerbebauten, sowie öffentliche Bauten, wie Gemeindewaschhäuschen.

Etwas weniger übersichtlich und detailreich als die Zeichnung das Resultat im Druck auf der Wild-Karte ab 1850:


Im Topographischen Atlas der Schweiz, genannt Siegfried-Karte, der ab 1870 entstanden ist, zeigt sich die Situation des Jahres 1880:


Der Baumgarten auf der gegenüberliegenden Strassenseite des «Sternen» existiert nach wie vor. Auf der den Zustand von 1930 abbildenden Siegfriedkarte wurde er einer neuen Linienführung der Hauptstrasse geopfert. Neu ist da ein Dreieck eingezeichnet, das allerdings auf der Landeskarte nicht mehr existiert:

Siegfriedkarte 1930

Landeskarte L+T, zw. 1956 und 1961

Inflation der Nummer 2

Gehen wir zurück zum eingangs gezeigten Katasterplan, auf dem es rund um die Sternenkreuzung eine wahre Inflation der Gebäudenummer 2 gibt. Im Uhrzeigersinn beginnend im Osten haben wir da die Glattfelderstrasse 2, dann den Bachweg 2, die Büelstrasse 2, die Chälenstrasse 2 und die Stadlerstrasse 2 (eben den ehemaligen «Sternen»). Merkwürdigerweise gibt es auf diesem Plan von 2016 die Adresse Bachweg 2 scheinbar gleich doppelt.


Eine Parzelle, zwei Strassennamen

Auf den Karten ist der Fall klar: die in der Verlängerung der Chälenstrasse liegende Strasse nach Nordosten, welche Stadlerstrasse und Glattfelderstrasse verbindet, ist eine topologische Einheit und bildet auch eine Parzelle, die Nr. 1475. Für die amtlichen Vermesser war deshalb klar, dass der Bachweg direkt in die Stadlerstrasse mündet. Das tat er aber in der Realität nie. Dort wo auf dem Vermessungsplan «Bachweg» prangt, hat die Gemeinde eine Strassentafel mit der Bezeichnung «Büelstrasse» angebracht.

Der Vermessungsplan enthält gleich noch einen weiteren Fehler. Der Hauseingang des Gebäudes mit der Assekuranznummer 220 (Büelstr. 2) ist nicht auf derjenigen Gebäudeseite eingezeichnet, wo er sich tatsächlich befindet. Ruft man auf dem GIS des Kantons das Gebäuderegister auf, dann liegt der Hauseingang des Gebäudes Büelstr. 2 dort, wo sich der rote Kreis befindet. Wenn nun der Bachweg schon an der Stadlerstrasse begänne und nicht erst nach der Verengung, nachdem die Rechtskurve Richtung Oberdorf passiert ist, dann müsste dieses Gebäude die Adresse Bachweg 2 tragen, die ehemalige Post die Adresse Bachweg 4.

Da muss das Ingenieur- und Vermessungsbüro Landolt, das den Plan für Weiach führt, über die Bücher. Und wo sie schon dabei sind, wäre auch eine klare Abgrenzung zwischen Kaiserstuhlerstrasse und Glattfelderstrasse sinnvoll. Denn aufgrund der Grenzen der Parzelle 74 kann man analog zum soeben geschilderten Problem auf die Idee kommen, die Glattfelderstrasse beginne erst auf der Höhe der Einmündung des Bachwegs, nicht dort, wo die Stadlerstrasse auf die Hauptstrasse stösst.

Nachtrag vom 7. November 2018

Wie man aktuell auf maps.zh.ch (dem GIS des Kantons Zürich) sehen kann, ist die Abgrenzung zwischen Bachweg und Büelstrasse mittlerweile an die Realität angepasst worden. Die Parzelle 1475 wird jetzt durch einen Strich dort unterteilt, wo der Strassenname ändert. So zumindest im Plan der Amtlichen Vermessung (http://maps.zh.ch/s/fgguu8i8). Auf dem sog. «Übersichtsplan» (http://maps.zh.ch/s/gprtyms9) ist die Darstellung wie gehabt irreführend.

Andere Situationen, bei denen Parzellengrenzen in die Irre führen, stehen noch im Plan der Amtlichen Vermessung. So die oben erwähnte Situation auf der Sternenkreuzung. Oder die Abgrenzung zwischen Seerenstrasse und Dörndlihag. Nur dank dem als Bauprojekt eingetragenen Haus Dörndlihag 2 kommt man auf die Idee, dass die Seerenstrasse nicht die gesamte Parzelle 1206 umfasst: http://maps.zh.ch/s/tjmz3x83 - da hätte man doch die Abgrenzung zwischen den Parzellen 1205 und 1206 gleich an der richtigen Stelle machen können. Oder stehen die nicht beide im Gemeindeeigentum?

Und um die im Titel dieses Artikels gestellte Frage abschliessend zu beantworten: Die Adresse des «Sternen» kann seit der umfassenden Sanierung der Kaiserstuhlerstrasse gar nicht mehr anders lauten als «Stadlerstrasse 2». Man sieht das an einem kleinen Detail, der nun entlang der gesamten Nordflanke durchgezogenen Insel zwischen Strasse und Trottoir/Radweg (im Mai 2016 war die noch nicht durchgehend, vgl. erstes Bild oben). Damit ist eine Zufahrt auf den Platz vor dem «Sternen» mit Motorfahrzeugen nur noch über die Stadlerstrasse möglich.

Freitag, 2. November 2018

Weiach 1271. Der Schatten einer Urkunde

Auf der Website der politischen Gemeinde wendet sich der Präsident an die Weycherinnen und Weycher und fordert sie dazu auf, einen Beitrag an die 750-Jahr-Feier des Jahre 2021 zu leisten (vgl. Screenshot).



Falsche Fährte

Einleitend schreibt Stefan Arnold: «In einer Urkunde aus dem Jahre 1271 wird Weiach erstmals erwähnt.» In diesem Satz sind gleich zwei Quellen für Fehlinterpretationen enthalten.

(1) Dass es sich bei der «erstmaligen Erwähnung» eigentlich um die «älteste erhalten gebliebene Nennung» des Ortsnamens handelt, habe ich bereits mehrfach angemerkt (vgl. dazu u.a. Weiach - Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 6. Aufl., S. 20).

(2) Auch auf die Frage, ob es sich bei dem sozusagen als Weiacher «Geburtsurkunde» gehandelten Dokument tatsächlich um eine Urkunde im eigentlichen Sinn handelt, bin ich schon eingegangen: «Ebensolche Vorsicht muss man walten lassen, wenn es um die Frage geht, ob es sich bei dieser Erstnennung überhaupt um eine Urkunde gehandelt hat.» (vgl. WeiachBlog Nr. 453, 11. Mai 2007 mit Ergänzungen von 2016 und 2017).

Dem Gemeindepräsidenten kann man keinen Vorwurf machen, denn fast alle Quellen, die die Jahrzahl 1271 nennen, stossen in dieser Angelegenheit ins gleiche Horn, so dass natürlich auch im geschichtlichen Porträt auf der Website der Politischen Gemeinde (Porträt -» Geschichte) der Satz: «Erstmals wurde Weiach 1271 urkundlich erwähnt.» zu finden ist.

In diesem Beitrag zeige ich die Überlieferungsgeschichte auf und erläutere, weshalb die Bezeichnung «Urkunde» auf die falsche Fährte führt und folgerichtig vermieden werden sollte.

Ein Urbar im Urkundenbuch

Am Anfang der Missverständnisse steht das «Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich», herausgegeben von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich zwischen 1888 und 1957, konkret dessen Band 4, erschienen zwischen 1896 und 1898. Auf S. 165 wird unter Nr. 1459 auszugsweise aus einem Einnahmenverzeichnis der Fraumünsterabtei Zürich zitiert, das heute unter der Signatur «StAZH C II 2. Nr. 79 e» im Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH) aufbewahrt wird: «Iohannes dictus Brotpeko de Cheiserstůl I den. de bonis suis in Wiâch, que comparavit a Ia. dicto Gêbi.» (vgl. die roten Kasten)




Ein Einnahmenverzeichnis wird auch als Urbar bezeichnet. Der Name leitet sich vom althochdeutschen «urberan» bzw. dem mittelhochdeutschen «erbern» (hervorbringen, Ertrag bringen bzw. ertragbringendes Grundstück) ab (vgl. Historisches Lexikon der Schweiz, Artikel Urbare, Stand: 14. Januar 2014). Urbare entfalten zwar Rechtskraft und die Informationen darin wurden in der Regel von den Bewirtschaftern der fraglichen Grundstücke auch unter Eid erhoben. Es handelt sich jedoch technisch gesehen um Akten, also Verwaltungsschriftgut.

Eine Urkunde hingegen zeichnet sich in der Regel durch eine bestimmte (oft formelhafte) Sprache aus, sie nennt die Beteiligten und den geregelten Gegenstand in der gebotenen Ausführlichkeit (damit jedem Dritten klar ist, worum es sich handelt und worüber die Beteiligten sich verständigt haben). «Zentraler Bestandteil der Urkunden», so Anne-Marie Dubler im Historischen Lexikon der Schweiz sei «die Beglaubigung (z.B. durch ein Siegel oder eine Unterschrift), welche ihnen erst rechtl. Beweiskraft verleihen. Durch diese unterscheiden sich die Urkunden von anderen Quellengattungen wie Akten, Briefen oder persönl. Aufzeichnungen.» (e-HLS, Artikel Urkunden, Stand: 14. Januar 2014).

Selbst wenn man die Definition des Duden für den Begriff Urkunde heranzieht, wird diese als «[amtliches] Schriftstück, durch das etwas beglaubigt oder bestätigt wird; Dokument mit Rechtskraft» bezeichnet.

Dem Urbar-Eintrag zu Wiach, einer simplen Notiz in einem Verzeichnis der Fraumünsterabtei, geht der Beglaubigungscharakter vollständig ab. Bei diesem Einnahmenverzeichnis handelt es sich daher ganz eindeutig NICHT um eine Urkunde.

Nur leider wurde 1896 ein Ausschnitt aus diesem Urbar ausgerechnet im Zürcher Urkundenbuch aufgenommen. Womit - verständlicherweise - die Annahme, es handle sich auch bei diesem Dokument um eine Urkunde, naheliegend war (und ist).

Ab den 60er-Jahren verbreitete Legende

In Heimatbüchern, die sich (ausschliesslich oder unter anderen) der Gemeinde Weiach widmen, wird die Legende von der Urkunde, in der Weiach erstmals erwähnt sei, seit den 1960ern verbreitet.

1962 steht in Band V der sogenannten Bezirkschroniken des Kantons Zürich (bearbeitet von Paul Nussberger und Eugen Schneiter) noch der einfache Vermerk: «1271 wird das Dorf Wiach genannt».

Der damalige langjährige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer hat im September 1963 in seinem ortskundlichen Abschnitt im Buch «WEIACHER KIES (red. von E. Mühlheim, Stäfa 1963) mit dem Satz «In alten Urkunden wird das Dorf Weiach erstmals 1271 genannt» sozusagen den Startschuss gegeben. Von da an ist die Urkunde treuer Begleiter der Jahrzahl.

Emil Maurer sekundiert in seiner Monographie «Die Kirche zu Weiach» (mutmasslich 1965 publiziert) mit: «Der Ortsname «Wiach» wird erstmals im Jahre 1271 urkundlich erwähnt.»

In seiner Bundesfeieransprache vom 1. August 1971 verfestigte (gemäss Redemanuskript) alt Lehrer Walter Zollinger die Urkundenlegende mit der Formulierung: «Der Name Weiachs oder wie er vor alten Zeiten lautete, Wîach, tritt soweit bis jetzt bekannt ist, erstmals in einem Kaufbrief aus dem Jahre 1271 auf.» - Ähnlich äussert sich Zollinger in der 1. Auflage seiner 1972 erschienenen Monographie Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach: «Erstmals findet sich der Name Weiachs in einem lateinisch verfassten Kaufbrief aus dieser Zeit, nämlich im Februar 1271, erwähnt.»

Nur der Schatten einer Urkunde

Ein Kaufbrief ist eine Urkunde, da besteht kein Zweifel. Die Überlieferung im Einnahmenverzeichnis der Fraumünsterabtei nimmt Bezug auf einen (im 13. Jahrhundert wohl vorhandenen) Kaufvertrag zwischen Johannes, «genannt Brotbeck von Cheiserstuol» (Käufer) und Jacobus, genannt Gebi (Verkäufer).

Wir stellen also fest: Die älteste noch vorhandene Erwähnung des Ortsnamens Wiach findet sich in einer Aktennotiz zu einer Urkunde. Die Existenz der Urkunde selber kann nur vermutet werden. Es ist fast so wie im berühmten Höhlengleichnis aus der klassischen griechischen Philosophie. Wir Heutigen können nur den Schatten von etwas sehen, das eine Urkunde sein könnte. Der Schatten ist der Eintrag im Einnahmenverzeichnis. Das Objekt, das den Schatten geworfen hat, können wir nur erahnen. Meierhofer-Nauer, Maurer und Zollinger erwecken mit ihrer Formulierung den Eindruck, das schattenwerfende Objekt als Kaufbrief identifizieren zu können. Man könnte fast meinen, das Dokument liege sozusagen mit Brief und Siegel vor uns. Das tut es aber nicht.

Da wir die Originalurkunde nicht kennen (und letztlich nicht einmal wissen, ob es sie je gegeben hat) ist es auch nicht möglich festzustellen, auf welches Jahr die Eigentumsübertragung zwischen Johannes dem Bäcker aus Kaiserstuhl und Jacobus genannt Gebi genau gefallen ist. Fand sie noch Anno 1270 statt? Wenn der Eintrag im Urbar im Februar 1271 erfolgte, dann kann es sehr wohl sein, dass die Transaktion, welche ihn veranlasst hat, Monate zuvor erfolgt ist. Vielleicht auch erst, nachdem die Abtei versucht hatte, den (jährlichen) Denar von Jacobus (oder seinen Nachkommen) einzuziehen und bei dieser Gelegenheit mit dem Eigentumsübergang konfrontiert wurde.

Die Kanonisierung der Legende

In den Adelsstand des Faktischen erhoben wurde die Legende von der Urkunde durch Hillmar Höber in der NZZ: «Der Name Weiach wurde erstmals im Jahre 1271 in einer Urkunde erwähnt.» (Höber, H.: 700 Jahre Weiach. In: Neue Zürcher Zeitung, Freitag, 15. Oktober 1971, Mittagausgabe Nr. 481 – S. 21., vgl. WeiachBlog Nr. 453)

Damit war der Weg vorgespurt. Es ist völlig klar, warum alt Gemeindeschreiber Hans Meier für seinen Beitrag in dem zum Jubiläum 125 Jahre Verein Zürcherischer Gemeinderatsschreiber und Verwaltungsbeamter (VZGV) 1981 publizierten Büchlein «Die Gemeinden im Kanton Zürich» auf S. 269 den Satz «1271 ist Weiach erstmals urkundlich erwähnt.» formulierte, der fortan erst recht zum Selbstläufer wurde.

Und die Geschichts-Seite unter der Rubrik Porträt auf der Gemeindewebsite? Die wurde - leicht überarbeitet - zu weiten Teilen direkt aus dem VZGV-Büchlein übernommen. Auch die Passage mit der urkundlichen Erwähnung (vgl. das Zitat im Abschnitt «Falsche Fährte» oben)

Bescheidenheit hat auch Vorteile

Die «erstmalige Erwähnung» des Namens Wiach findet man also nicht in einem Kaufbrief oder einem anderen erhalten gebliebenen Dokument, das mit Siegeln versehen den Rang einer Urkunde für sich beanspruchen kann. Sondern in einem bescheidenen, leicht zu übersehenden Verwaltungsvermerk.

Eine solche Geburtsurkunde ist dem Charakter der immer auf ihre Eigenständigkeit bedachten Dorfgemeinde auch viel angemessener als jede noch so pompöse Urkunde. Nicht aufzufallen, um von den Mächtigen in Ruhe gelassen zu werden. Das hat für die Weiacher in vielen Jahrhunderten weit besser funktioniert als jeder von Königen und Kaisern ausgestellte Freibrief. Solche Dokumente wurden ja auch gern gefälscht - einfach weil man damit einen Machtanspruch untermauern wollte, wie der Vatikan weiland mit der Konstantinischen Schenkung.

Fazit: Wie wäre es mit der neuen Formulierung: «Die älteste erhalten gebliebene Erwähnung von Weiach in einem Einkünfteverzeichnis der Fraumünsterabtei fällt auf das Jahr 1271.»?

Donnerstag, 1. November 2018

750 Jahre Weiach?

Die Website der Politischen Gemeinde Weiach führt seit kurzem eine neue Rubrik in ihrer horizontalen Zugangsleiste: «750 Jahr Feier» (vgl. Screenshot)


Der Gemeinderat hat also entschieden: 2021 gibt es (wieder einmal) ein grosses Dorffest. Die letzten Feste fanden 2012 aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach und der ersten Stromlieferung (24. Dezember 1912) sowie 2017 mit dem Kantonalen Schwingfest zur Feier «100 Jahre Turnverein Weiach» statt.

Der Anlass diesmal: «Im Jahr 2021 wird Weiach 750 Jahre alt.» (vgl. den am 31. Oktober publizierten Aufruf an Kandidaten für das Organisationskomitee)

Bei Kaiserstuhl korrekt...

Unser Nachbarstädtchen Kaiserstuhl feierte 2005 sein 750-Jahr-Jubiläum. Nicht ganz zufällig, denn die Gründung der Stadt lässt sich zwar nicht auf den Tag genau bestimmen. Aber doch auf wenige Jahre. Die Gründung muss kurz vor 1255 erfolgt sein. Denn in diesem Jahr wurde Lütold VI. von Regensberg von einem Gericht dazu verpflichtet, das Kloster St. Blasien für zwei Jahre lang zu Unrecht von dessen Häusern bei Kaiserstuhl bezogene Abgaben zu entschädigen. 1254 hatte Freiherr Rudolf von Kaiserstuhl fast seinen gesamten Streubesitz an das Kloster Wettingen verkauft. Der Erlös dürfte sein Einsatz bei der Stadtgründung gewesen sein (vgl. 750 Jahre Nachbarschaft. Aus der gemeinsamen Geschichte von Kaiserstuhl und Weiach, 1255-2005. Weiacher Geschichte(n) Nr. 70. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2005, S. 15-19).

... bei Weiach nicht

Und Weiach? Wurde Weiach tatsächlich um 1271 gegründet? Nein. Diese Dorfgemeinschaft ist mit Sicherheit wesentlich älter. Wie alt, darüber kann man nur spekulieren. Folgt man der herrschenden Lehrmeinung unter Namensforschern, dann leitet sich der Ortsname von einem gallorömischen Personennamen ab. Veius, Vedius oder Veidius soll der Mann geheissen haben, der Weiach seinen Namen gab. Und weil ab spätestens dem Jahre 600 die Alamannen in grösseren Gruppen in unserer Gegend sesshaft wurden, müsste Weiach damals bereits existiert haben und mithin mindestens 1400 Jahre alt sein.

Nur gibt es halt keinen schriftlichen Beleg (mehr), der älter ist als der Eintrag in einem Zinsrodel (d.h. Einnahmenverzeichnis) der Fraumünsterabtei Zürich. Der Eintrag selber - mit der Ortsnamensnennung «in Wiâch» - trägt zwar kein Datum, befindet sich aber zwischen datierten Notizen zu anderen Zinsverpflichtungen, was eine Datierung auf Februar 1271 zulässig macht. Denn es geht darin um den Übergang der Zinsverpflichtung auf eine andere Person, die der Abtei gehörende Grundstücke in Weiach gekauft hatte.

Wenn die Freiherren von Wart nicht in Ungnade gefallen wären

Massgebend waren in Weiach zu dieser Zeit die Freiherren von Wart. Deren Aufzeichnungen zu Weiach - sofern zu dessen Erwerb durch das Geschlecht je schriftliche Urkunden existiert haben - dürften 1308/09 der Rache der Habsburger zum Opfer gefallen sein. Einer der drei Mörder von König Albrecht (einem Habsburger) war nämlich ein von Wart, worauf das ganze Geschlecht in Sippenhaft genommen wurde (vgl. Habsburger-König Albrecht ermordet! Welche Rolle die Freiherren von Wart dabei vor 700 Jahren spielten. Weiacher Geschichte(n) Nr. 102. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2008, S. 9-14.) Wären die Urkunden derer von Wart überliefert, dann sähe die Sache vielleicht anders aus. Und die 750-Jahr-Feier wäre bereits Geschichte.

So aber ist bereits die älteste erhaltene Erwähnung des Ortsnamens Wiach untrennbar mit Kaiserstuhl verbunden. Denn der neue Eigentümer, der nun der Abtei zinsen musste, war ein in Kaiserstuhl ansässiger Bäckermeister.