Freitag, 26. Juli 2024

Akustisch allzu auffälliger Metzgversuch

Noch vor 100 Jahren gab es in Weiach kaum ein Haus ohne einen Schweinstallanbau. Das kann man aus den Lagerbüchern der kantonalen Gebäudeversicherung herauslesen. Die Bewohner dieser Anbauten weckten Begehrlichkeiten, die auch einmal im Widerspruch zum Achten Gebot stehen konnten:

«In Weiach drang ein Unbekannter nachts in den Schweinestall eines Landwirtes, schoß einem Schwein eine Kugel durch den Kopf und versuchte es aus dem Stalle zu schleppen. Das Schwein war nur kurze Zeit bewußtlos und schrie, weshalb ihm der Dieb einen zweiten Schuß in den Hals beibrachte. Durch den Lärm wurden Leute geweckt und der Dieb verscheucht. Er mußte das Schwein im Stiche lassen.»

Ob man diese Wendung des Ereignisses nun als halbwegs positiv sehen will, sei dem geneigten Leser überlassen. Jedenfalls dürften der betreffende Landwirt und seine Angehörigen nicht um eine nächtliche Notschlachtung herumgekommen sein. Wenn sich die Sachlage nämlich so präsentiert wie geschildert, dann ist ein Nutztier meist nicht mehr zu retten.

Diese Kurzmeldung findet man in einer Ausgabe der heute unter dem Namen «Zürcher Oberländer» firmierenden Regionalzeitung, die damals noch als «Der Freisinnige. Anzeiger des Bezirkes Hinweil» bekannt war.

Quelle

Donnerstag, 25. Juli 2024

Baumgard(t)ner, made in U.S.A. – 1984 zu Besuch in Weiach

Unter der Signatur StAZH III Pz Weiach findet man auf dem Milchbuck eine Sammlung von Zeitschriften- und Zeitungsartikeln. Zusammengetragen wurde sie ab 1960 vom Stadtarchiv Zürich (!) und ab 1990 weitergeführt durch das Staatsarchiv des Kantons Zürich.

Als Nr. 34 von 69 Ausschnitten liegt in der betreffenden Archivschachtel ein Artikel mit dem Titel Baumgard(t)ner «Made in USA», erschienen am 9. Juli 1984 im Neuen Bülacher Tagblatt (NBT). 

Zwar mit einigen Tagen Verspätung auf den 40. Jahrestag, aber als kleine Dienstleistung für den Twitterer Tim Baumgardner (X: @timmyb72) wird hier der Volltext (kursive Schrift) online gestellt. Eingeschobene Kommentare und Zwischentitel durch WeiachBlog.

Das Gruppenfoto der Baumgardner Reunion auf und vor der südwestlichen Weiacher Friedhofmauer. 
In der vordersten Reihe als achte Person von links im Bild: Ruth Baumgartner-Jucker (vgl. WeiachBlog Nr. 140).

«WM. Eine aussergewöhnliche amerikanische Reisegruppe machte am vergangenen Samstag nachmittag [d.h. am 7. Juli 1984] einen kurzen Halt in Weiach; der überwiegende Teil der Reiseteilnehmer hört auf den Namen Baumgardner und stammt von Schweizer Emigranten des 17. Jahrhunderts ab.»

[Der Stammvater dieser Baumgardner wurde zwar tatsächlich schon 1695 geboren, ist aber erst im 18. Jahrhundert ausgewandert, wie man gleich sehen wird. Er ist auch der Ahne von Randy Wilson, der anfangs Mai letzten Jahres Weiach besucht hat, vgl. WeiachBlog Nr. 1928.]

Baumgardner Reunions wenig älter als Albert-Meierhofer-Erinnerungsschiessen

«Diese Baumgardners treffen sich seit 1966 alle zwei Jahre zu einer sogenannten «Baumgardner Reunion». Das diesjährige Treffen führte sie nun zurück in ihr eigentliches Ursprungsland, in die Schweiz.»

[Zum 1. AME im April 1969; vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 65.]

«Ueber das Zürcher Staatsarchiv hatte der Initiant dieser Reise, Mario F. Baumgartner [sic!, recte: Marion F. Baumgardner, s. unten], seines Zeichens Agronomie-Professor an der Universität von West Lafayette, Indiana, Kontakt gefunden zum Historiker Dr. Andreas Blocher, welcher mit einer Dissertation über die Emigration doktoriert hatte.»

[Es handelt sich um einen jüngeren Bruder des SVP-Übervaters Dr. Christoph Blocher. Vgl. Blocher, A.: Die Eigenart der Zürcher Auswanderer nach Amerika 1734-1744. Atlantis-Verlag, Zürich/Freiburg i. Br. 1976. (Teildruck der Dissertation).]

«Dr. Blocher liess es sich nicht nehmen, den amerikanischen Gästen einen interessanten Abriss über ihre historische Herkunft zu geben, welche denn auch bald verständlich machte, warum Weiach auf dem Besuchsprogramm der Baumgardners stand.»

Erste Ehe des Stammvaters und Auswanderungsgründe

«Am 17. Februar 1722 traute der bekannte Pfarrer Johann Rudolf Wolf in der Kirche zu Weiach das Hochzeitspaar Heinrich Baumgartner und Margaretha Bersinger.»

[Vgl. für den Trauakt: StAZH E III 136.1, EDB 642. Bekannt ist Pfr. Wolf, Dekan des Eglisauer Kapitels, eigentlich nur den in der Zürcher Kirchengeschichte und der Weiacher Lokalhistorie Bewanderten. Er ist der Pfarrer mit der längsten Amtszeit in Weiach und der einzige, dessen Epitaph in der Kirchenmauer eingelassen ist (die anderen Gedenksteine sind in der Friedhofmauer zwischen Kirche und Pfarrscheune platziert).]

«Gut zwanzig Jahre später verliessen Heinrich und Margaretha, zusammen mit ihren Töchtern Barbara und Kleophea sowie der Schwester Heinrichs, Barbara, das heimatliche Wyach, um in der Neuen Welt ihr Glück zu versuchen.» 

[Zur Frage der Familienzugehörigkeit von Barbara (19) und Cleophea (16) vgl. die Anmerkung in WeiachBlog Nr. 1928.]

«In jener Zeit war die Auswanderung an der Tagesordnung; so verlor Weiach zwischen 1734 und 1744 36 Bürger durch Emigration.»

[Genauer gesagt: allein durch Emigration nach Nordamerika, denn diese staatlicherseits unerwünschte Abwanderung mussten die Pfarrer minutiös nach Zürich melden. Weitere Emigrationsbewegungen sind da noch nicht eingerechnet.]

«Für die meisten der Auswanderer gaben wirtschaftliche Gründe den Ausschlag für diesen schwerwiegenden Entscheid; die weitverbreitete Armut liess nur wenig Hoffnung zu, in der Heimat ein rechtes Auskommen zu finden. Heinrich Baumgartner dagegen, Sohn des Hans Heinrich und der Anna Baumgartner, hätte als alleinüberlebender Erbe auf dem eigenen Bauernhof ein rechtes Leben führen können. So muss man annehmen, dass ihn Abenteuerlust und Eigeninitiative zum Aufbruch in die englischen Kolonien ennet des Ozeans trieben.»

[Ob die wirtschaftliche Situation der Auswandererfamilie tatsächlich so gut war, wie hier dargestellt, kann der Autor dieser Zeilen zurzeit nicht beurteilen. Dass ausgangs des 17. Jahrhunderts aber tatsächlich viele Menschen im Zürcher Gebiet bittere Not litten, ist erwiesen, vgl. WeiachBlog Nr. 2080. – – Heinrich Baumgartner, dessen Vater Ehegaumer gewesen war, also eine Vertrauensstellung als Teil des Stillstandes (Kirchenpflege) innegehabt hatte, musste warten, bis keine Vorfahren und weitere Angehörige mehr zu versorgen waren, die bei seiner Auswanderung hätten der Allgemeinheit zur Last fallen können. Erst nach dem Tod beider Eltern konnte er die Ausreisebewilligung beantragen.]

Zweite Ehe in Pennsylvanien

«Am 30. August 1743 trug sich Heinrich Baumgartner in das Einwanderungsbuch im Hafen von Philadelphia ein. Vermutlich verlor Margaretha auf der zehn- bis zwölfwöchigen, mühsamen Ueberfahrt ihr Leben, ist doch kaum anzunehmen, dass die 49jährige Frau in diesem Alter noch einem Knaben das Leben geschenkt haben könnte. So kann davon ausgegangen werden, dass Heinrich Baumgartner ein zweites Mal heiratete, und dass dieser Ehe ein männlicher Nachfolger entspross, welcher die Dynastie der Baumgardners begründete.»

[Genealogische Forschungen haben diese Vermutung mittlerweile bestätigt. Heinrich heiratete in Pennsylvanien (damals noch britisches Kolonial-Gebiet) die 30 Jahre jüngere Maria Balzer und hatte mit ihr 9 Kinder, von denen 8 bis ins Erwachsenenalter überlebten, vgl. WeiachBlog Nr. 1928.]

«In der damaligen Zeit war der Tod – wie Dr. Andreas Blocher eindrücklich schilderte, kein seltener Gast. Die Lebenserwartung betrug ganze 37 Jahre; während dieser Zeit schlug der Tod durchschnittlich neun Mal in der eigenen Familie zu: Mutter, Vater, Geschwister. Auch Heinrich Baumgartner blieb davon nicht verschont: Vier seiner neun Geschwister starben nach wenigen Tagen oder Wochen an den damals weitverbreiteten, seuchenartigen Kinderkrankheiten dahin.

Nicht nur den amerikanischen Gästen machte dieser Abstecher in die eigene Geschichte grossen Eindruck; auch die ortsansässigen Baumgartner erfuhren durch Dr. Blocher viele interessante und unbekannte Details ihrer Herkunft.»

Mit Gesten und Zeichen verständigt

«Natürlich durfte ein gebührender Umtrunk im stillen Weiacher Oberdorf nicht fehlen. Das ungewohnte, breite Englisch fand bald eine Verständigungsbrücke zum heimischen Dialekt, Gesten und Zeichen ersetzten die fehlenden Sprachkenntnisse. Hunger und Durst wurden nach echt schweizerischer Art gestillt, wenngleich mancher Gast seinen grillierten Servelat kurzerhand wie einen Hot-Dog verspeiste: Bürli auf, Wurst hinein. Kleine Erinnerungsgeschenke wurden ausgetauscht, manche Adresse wurde in der Agenda notiert. Marion F. Baumgardner lud die Weiacher Namensvettern herzlich ein, an der Reunion im Jahr 1986 doch in corporé teilzunehmen. Amerika liegt ja, im Vergleich zu 1743, dank moderner Transportmittel so nahe ...

Viel zu schnell hiess es, voneinander Abschied zu nehmen. Für einen kurzen Moment verwandelte sich das Weiacher Oberdorf zu einem «american village», schmetterten doch die Baumgardners aus vollster Kehle einen typisch amerikanischen Song in den strahlend-blauen Nachmittagshimmel. Mit «Vo Luzern gäge Weggis zue» blieben die Baumgartner die Antwort aber nicht schuldig. Dass die Festwirtschaft im Oberdorf dann noch für einige Stunden auch ohne amerikanische Gäste auf Hochtouren lief, sei nur am Rande vermerkt.»

Quellen und Literatur

  • WM: Baumgard(t)ner «Made in USA». In: Neues Bülacher Tagblatt, 9. Juli 1984.
  • Brandenberger, U.: In memoriam «Tante Ruth». WeiachBlog Nr. 140, 24. März 2006.
  • Brandenberger, U.: Neunte Generation. Ein Kurzbesuch in der Heimat des Vorfahren. WeiachBlog Nr. 1928, 28. Mai 2023.
  • Brandenberger, U.: Hungersnot und leere Gemeindekasse: Strassenbettel erlaubt! WeiachBlog Nr. 2080, 13. April 2024.

Dienstag, 23. Juli 2024

Soldatischer Humor in ernsten Zeiten am Weiacher Rhein

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wer je als Soldat Dienst bei der Schweizer Armee (oder irgendeiner Armee!) geleistet hat, der kennt das: Da muss man immer wieder Wache schieben. Und das ist sterbenslangweilig. Trotzdem darf man nicht tagträumen oder gar einschlafen. Denn man ist ja gerade deshalb auf Posten, damit die eigenen Leute nicht plötzlich überrumpelt werden.

In den ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs (gezählt ab dem Beginn des Polenfeldzugs am 1. September 1939) war nicht nur das Wacheschieben eintönig. Auch der sonstige Alltag stand dem in nichts nach: Stellungen ausbauen, Exerzieren, Schiessübungen. Und Wachtdienst. Tag für Tag. Das war's.

Kreativität im Militär-Alltag

In einer solchen Umgebung wird auch das Einfangen einer ausgebüxten Sau Mitte Oktober 1939 zum Ereignis, das photographisch und dichterisch (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96, S. 370, s. Quellen unten) Eingang ins Tagebuch finden kann. Dieses musste der Kommandant ohnehin führen. Befehl von oben.

Auf den Seiten, die den Tagesablauf der Woche vor diesem Söili-Jagd-Eintrag dokumentieren, findet sich in demselben Band beim 8. Oktober auch die nachfolgende Illustration:

Man sieht eine Bleistiftzeichnung, auf den weissen Stellen einer herausgerissenen Zeitschriftenseite platziert. Rechts zwei Armeeoffiziere (ein Hauptmann und ein bebrillter Oberleutnant) mit Angelruten. Folgt man den Ruten nach links und dann nach unten, sieht man auch die (erhofften) Fische im Wasser schwimmen.

Frische Fische wären toll

Darunter mit Tinte der Text: «Bekannte Sportsfischer suchen sich im Rhein ein LINSEN-GERICHT.»

Ein Insider-Witz. Die Linsen sind eine Anspielung auf den Namen des porträtierten Häuptlings: «Kompaniekommandant war laut dem Offiziersetat des Bataillons Hauptmann Cäsar Linsi aus Meilen, Kant. Fischereiaufseher, geb. 1894» (WG(n) 96, S. 371)

Auf den letzten Seiten dieses 2. Bandes des Kompanietagebuchs I/269 sind zwei Blätter eingeklebt, auf denen – im militärischen Stil formuliert – die Prosa zu obigem Kunstwerk zu finden ist:

«Wachtrapport

1515 Passieren zwei Sportfischer den Kaibengraben. Der guten Ausrüstung nach handelt es sich um gute Berufsfischer.

1600 Rapportiert Fischereiaufseher Füs. Kunz der die beiden bei der Tätigkeit beobachtete, daß er aus dieser Fischerei nicht klug werde. Die ganze Wachtmannschaft wartete vergeblich auf die Rückkehr der Beute-beladenen Fischer.

1745 Begnügte sich die Wache schliesslich doch mit Kaffee u. Kartoffeln.

1900 Rapportierte die einfache Schildwache, daß sich die beiden Fischer leer in weitem Bogen um das Wachtlokal Richtung "Sternen" Weiach verzogen haben.

1940 Meldet die patr. Schildwache starke Scheinwerfertätigkeit deutscherseits auf das Schweizerufer. Offensichtlich wurden die beiden Sportfischer gesucht, die sich aber vorher in Sicherheit brachten.

Kaibengraben, den 8. Okt. 39

Die Rheinwache.»

Der Kaibengraben (auf heutigen Karten: Stubengraben) ist der trockengefallene östliche Arm des vor Jahrtausenden in drei Armen nach Norden zum Rhein abfallenden Dorfbachs (westlicher Arm: Griesgraben; mittlerer Arm: Sädelgraben). Dort mussten die Soldaten eine Stellung samt Unterkunftsbaracke bauen. Und von dort aus dürften auch die Patrouillen dem Rhein entlang ausgegangen sein.

Scheinwerfer drauf!

Der launige Rapport dokumentiert, dass sich die Wacheschiebenden doch etwas mehr Jagdglück von ihren Vorgesetzten erhofft hätten. So aber gab es nur Herdöpfel zum Znacht. Ohne Fisch. Er wäre eine willkommene Zugabe gewesen, an diesem zweiten Oktobersonntag.

Dass der Gasthof zum Sternen genannt wird, hat natürlich auch eine versteckte Spitze. Denn was die beiden Offiziere dort wohl verspiesen haben (Fische hatten sie ja offenbar keine gefangen), das muss man zwischen den Zeilen herauslesen.

Ob beim Einnachten tatsächlich deutsche Scheinwerfer das helvetische Ufer abgesucht haben und das gar noch auf der Suche nach zwei (wohl vom Ufer aus) fischenden Schweizer Offizieren? Das ist womöglich reines «Wachtmannsgarn». Aber jänu. Satire wider den tierischen Ernst muss erlaubt sein. Gerade in solch ernsten Zeiten.

Herkunft des Zeichenpapiers

Bleibt noch die Frage, wo der zwangsweise uniformierte Illustrator das Papier herausgerissen hat. Aufgrund des Stils der Zeichnung in der Mitte lag die Vermutung nahe, es handle sich um die schweizerische Satire-Zeitschrift par excellence, den ab 1875 herausgegebenen Nebelspalter.

Retrodigitalisierung sei Dank ist die Probe aufs Exempel leicht vom heimischen Computer aus zu erledigen, ganz ohne Archiv- oder Bibliotheksbesuch und stundenlanges Blättern. Dafür sorgt e-periodica.ch. Mit der Einschränkung auf den obgenannten Titel sowie den drei Suchbegriffen «Steuern», «Bank» und «Klassiker» (entnommen dem eingeklebten Ausriss) erhält man vier Resultate. Et voilà, darunter ein Volltreffer: Nebelspalter 1937, Heft 23, S. 22. Fazit: Herausgerissen und wiederverwendet wurde das Blatt mit den Seiten 21 (links) und 22 (rechts).

Die Illustration trägt den Titel «Erinnerung an eine Bank». Dynamisch, mit abplatzendem Knopf an der Hosenträgerbefestigung rechts vorne. Dem wutentbrannt per Axt zur Zerstörung einer Sitzbank ausholenden Herrn wird das folgende Zitat in den Mund gelegt: «Das erinneret mich au gar immer a mis verlore Gäld!». Eine Reminiszenz an die wirtschaftlich schwierigen Zeiten, mit Bankzusammenbrüchen zwischen 1929 und 1937, samt Frankenabwertung 1936.

Quellen und Literatur

  • Der Nebelspalter, Heft 23, 1937 – S. 21-22.
  • Kommandanten-Tagebuch der Grenzfüsilierkompanie I/269 (Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1871*), Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: «E luschtigi Söili-Jagd». Aus dem Tagebuch der Gz. Füs. Kp. I/269 zu Beginn des 2. Weltkriegs. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2007 – S. 12-16.

Sonntag, 21. Juli 2024

Der General versetzt die Armee in Alarmzustand

Mittwoch, 8. November 1939, 21:20 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt explodierte im Münchner Bürgerbräukeller eine improvisierte Bombe, die Teile des Saales komplett zum Einsturz brachte und acht Personen in den Tod riss. 

Geplant und durchgeführt hatte das Attentat der Handwerker Georg Elser, der schon früh ein Gegner der Nationalsozialisten war und sich daher entschloss, Hitler und grosse Teile des Führungspersonals beim jährlichen Gedenkanlass zum Hitlerpusch 1923 zu liquidieren. 

Die Toten waren allerdings samt und sonders unbedeutendes Hilfspersonal, da der Führer und seine Entourage den Saal bereits um 21:07 Uhr verlassen hatten. Entgegen den Gepflogenheiten früherer Jahre wurde die Veranstaltung um eine Stunde vorverlegt, was dem Attentäter aber mangels Zeitungslektüre nicht bekannt war. Elser wurde rund eine halbe Stunde vor der Explosion verhaftet – beim Versuch, in Konstanz die Grenze zur Schweiz zu überqueren.

Wetterbedingte Planänderungen

Die Vorverlegung des Anlasses im Bürgerbräukeller war offenbar wetterbedingt. Denn Hitler konnte nicht wie geplant nach Berlin fliegen, sondern musste mit einem Sonderzug reisen, was mehr Zeit beanspruchte. 

Wegen der letzten Vorbereitungen für den – wie man meinte – unmittelbar bevorstehenden Frankreichfeldzug wollte der Führer aber unbedingt rechtzeitig in Berlin sein. Am 7. November wurde der Angriffstermin wegen der Wetter- und Transportlage vom 12. auf den 15. November verschoben, die endgültige Entscheidung über den Angriff war für den 9. November geplant. Wie wir heute wissen, wurde der Blitzkrieg dann noch mehrfach verschoben, bis er ab dem 10. Mai 1940 wirklich stattfand.

Von diesen Aktivitäten hat wohl auch die Schweizer Armeeführung Wind bekommen. So könnte jedenfalls zu erklären sein, weshalb General Guisan am Abend des Donnerstags, 9. November 1939, den Befehl verbreiten liess, es sei per sofort Alarmbereitschaft zu erstellen.

Tagebuch Gz. Füs. Kp. I/269, Bd. 2, 28. August bis 12. November 1939.
Das Bild des Generals wurde von der Kompanie selber eingeklebt. 

Lapidarer Eintrag bei Kompanie I

In den Kommandanten-Tagebüchern des Grenzfüsilierbataillons 269, dessen erste Kompanie damals in Weiach stationiert war, hat dieses Ereignis unter dem 9. November 1939 selbstverständlich seinen Niederschlag gefunden:

«Die Armee wird um 2200 in Allarmzustand versetzt. Sämtliche Urlauber wurden zurück gerufen und mussten sofort nach Weiach einrücken. Die Rheinwache wurde sofort verstärkt.»

Gewürzte Berichterstattung bei Kompanie II

Eine mit lebensnahen Reminiszenzen belebte Darstellung dieser Alarmierung findet man bei der II. Kompanie unter Hauptmann Beurer, die in Zweidlen und Rheinsfelden einquartiert war und u.a. das Kraftwerk Eglisau bewachen musste. Dort heisst es im Tagebuch:

«Bemerkungen: 2145 kam die tel. [erg. Mitteilung] von Bat. 269 daß der General Alarmzustand befohlen habe. [...] 27 Mann befinden sich im Urlaub. Von 2245 bis 0010 werden die Urlauber durch Telephon aus 14 verschiedenen Orten zusammengetrommelt. Es sollen dabei verschiedene echt eidgenössische Dialektworte und äusserst nachthemdmässige Stimmen gehört worden sein, aber gekommen sind alle - 0015 der erste [...] und schon 0150 der letzte. Ein glänzendes Resultat.»

Dass der Kommandant dies schreiben konnte, ist nicht selbstverständlich, liest man doch im Tagebuch wiederholt von Disziplinarfällen wegen schwerer Trunkenheit oder eigenmächtiger Urlaubsverlängerung. 

Besonders belastet war die Stimmung durch einen für die Truppe unverständlichen Befehl: Das Verbot, die Stadt Zürich zu betreten, was den dort wohnhaften Armeeangehörigen der Kompanien im Grenzdienst über Wochen hinweg jeden Heimaturlaub bei ihren Angehörigen verunmöglicht hat. 

Als ungerecht wurde dies vor allem deshalb empfunden, weil die aus dem Wehntal stammenden Soldaten nach Hause in den Urlaub durften, obwohl sie im Ernstfall doch viel länger hätten, um den Kompaniestandort am Rhein zu erreichen.

Quellen

Mittwoch, 17. Juli 2024

Patenterneuerung für die Weinschenke zur Mühle, 1824

Zumindest in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts könnte es in Weiach in der Mühle im Oberdorf (Müliweg 7a-c) auch einen Gastwirtschaftsbetrieb gegeben haben. Wir wissen davon, weil der zum Betrieb Berechtigte sich dies regelmässig obrigkeitlich genehmigen lassen musste. 

So geschehen am heutigen Datum vor 200 Jahren. Das Protokoll des Zürcher Regierungsrats vermerkt unter diesem Tag die «Bewilligung und Erneuerung von Weinschenken in mehrern Oberämtern».

«Oberamt» war in dieser Zeit, genannt Restauration, die Bezeichnung der Bezirke, die zwischen 1813 und 1830 in vieler Hinsicht ähnlich geführt wurden wie die früheren Landvogteien vor 1798. Der Chef hiess jetzt halt einfach Oberamtmann statt Landvogt. Auf Schloss Regensberg residierte er aber nach wie vor.

Um ein Weinschenken-Patent muss man bitten

Unter dem 17. Juli 1824 heisst es: «Es haben UHHerren und Obern, nach Anhörung und in Genehmigung eines sorgfältigen Berichts und Gutachtens der Lbl. Commißion für Administrative Streitigkeiten d. d. 28sten passati, den nachbenannten Petenten theils ihre Weinschenkspatente für 10. Jahre de dato erneuert, theils für den gleichen Zeitraum neue Patente ertheilt: [...]»

Unsere Hohen Herren und Obern! Weit von den Gnädigen Wohlweisen, etc. pp. Herren des Ancien Régime ist das nicht entfernt. Restauration halt. Nun aber zum Restaurant.

Die Gemeinde Weiach lag im Oberamt «Regensperg» und es wurde folgende Konzession erneuert: 

«Jacob Schmid, Müller in Weyach
Recognition Franken 24.
»

Die Konzessionsabgabe für die Weinschenke zur Weiacher Mühle betrug also 24 alte Franken. Wieviel das in heutigen Geldwerten ist, kann leider nicht eruiert werden, da Swistoval.ch aufgrund veralteter Software zurzeit nicht mehr abrufbar ist.

Unklar, ob schon die Untervögte wirteten

Und warum hatte der Müller ein Weinschenkenrecht beantragt? Wohl deshalb, weil er auch Eigentümer einer Trotte war. Noch die Müllerei-Dynastie Bersinger besass 1811 gleich zwei Trotten, beide im Oberdorf (vgl. den Inserattext in WeiachBlog Nr. 1666). Der Betreiber einer solchen Traubenpresse wurde mit einem Anteil des gepressten Saftes entlohnt. 

Wenn seine Familie den nicht selber trinken konnte oder wollte, dann war die Idee einer Weinschenke als Nebengewerbe durchaus naheliegend. Ob schon die häufig den zürcherischen Untervogt stellenden Bersinger diese Geschäftsidee verfolgten, ist nicht bekannt.

Der neue Eigentümer der Mühle, ein Stadler, hatte sie jedenfalls. Das geht aus der rund zehn Jahre zuvor erfolgten Konzession für eine Weinschenke hervor, die ihm der Regierungsrat am 19. März 1814 genehmigt hatte:

«Auf angehörten Bericht und Antrag der L. Commißion der administrathiven Streitigkeiten vom 11ten hujus [11. März], ist dem Jacob Schmid von Stadel, als Übernehmer der von dem se[lig] verstorbenen alt Untervogt Bersinger beseßenen Mühle zu Weiach, – ein Weinschenkenbewilligungs-Patent auf zehn Jahre gegen eine Recognition von 24. Franken ertheilt worden. Herr Bezirksstatthalter Angst wird dem Schmid anzeigen, daß er sein Patent vor dem 19ten April in der Staatscanzley zu lösen habe. Auch wird gegenwärtiger Beschluß der L. Finanzcommißion und der L. Commißion der administrathiven Streitigkeiten zu Handen gestellt.»

Wer die Abgabe nicht fristgerecht bezahlt, verliert die Konzession

Nach Aufführung sämtlicher Konzessionäre, die eine Abgabe zwischen 20 und 32 Franken bezahlen mussten, wird der Tarif durchgegeben: «Von gegenwärtigem Beschluße wird der Lbl. [löblichen] Commißion für Administrative Streitigkeiten, der Lbl. Finanz-Commißion und jedem betreffenden Oberamte zu Handen der in seiner Abtheilung befindlichen obbenannten Weinschenken, mit der Weisung Kenntniß gegeben, daß selbige ihre Patente mittelst Bezahlung der Recognition und Taxe binnen einem Monath de dato in der Staatskanzley zu lösen haben, widrigenfalls solche nach Verfluß dieses Termins als erloschen betrachtet würden.»

Hat Schmid die Weinschenke zur Mühle wirklich je geführt? Gesichert ist nämlich nur, dass er 1814 die Gebühr bezahlt hat. Sonst wäre er nicht nach Verfluss von zehn Jahren zur Patent-Erneuerung aufgefordert worden.

Quellen und Literatur
  • Kleiner Rat des Cantons Zürich: Weinschenkenbewilligung für Jacob Schmid von Stadel, Müller in Weiach. Datum: 19. März 1814; S. 364. Signatur: StAZH MM 1.48 RRB 1814/0324.
  • Kleiner Rat des Cantons Zürich: Bewilligung und Erneuerung von Weinschenken in mehrern Oberämtern. Datum: 17. Juli 1824; S. 67.  Signatur: StAZH MM 1.88 RRB 1824/0636.
  • Brandenberger, U.: Nur eine Mühle? Untervogt Bersinger als Grossgrundbesitzer. WeiachBlog Nr. 1666, 7. Juni 2021.
[Veröffentlicht am 18. Juli 2024 um 17:07 MESZ]

Dienstag, 16. Juli 2024

Weyacher Hafnerhandwerk in Schüpfheim und Neerach

Wer auf der regionalen Verbindungsstrasse von Raat nach Stadel fährt, der begegnet in Schüpfheim (Schüpfe) rechterhand einem stattlichen Bauernhaus mit roten Riegeln:


Das Bild stammt aus dem vor rund einem halben Jahr publizierten Kunstdenkmälerband über unseren Bezirk (Abb. 505, S. 447). Die Legende lautet:

«Stadel, Schüpfheim. Weierstrasse 2. Vielzweckbauernhaus. Das traufseitig zur Weierstrasse gerichtete Gebäude präsentiert sich zur Landstrasse mit Giebellaube. In Achsen regelmässig angeordnete Fenster gliedern die Fassaden des Wohnteils. Traufseitig schmücken kelchförmige Verzierungen die Brüstungsfelder im Obergeschoss, das Fachwerk über dem Tenntor zeigt ein Rautengitter. Foto Urs Siegenthaler, Zürich, 2020.»

Klassizistische Fassade, aber bewährtes Heizsystem

Auf der folgenden Seite findet man die Würdigung der Kunsthistorikerin Anika Kerstan:

«Spätestens 1811 liess Rudolf Huber das Haus anstelle eines seit dem 17.Jh. belegten Vorgängerbaus neu errichten. Es handelt sich dabei um ein typisches Bauernhaus um 1800, dessen äusseres Erscheinungsbild eine klassizistische Fassadengestaltung mit spätbarocken Zierelementen vereint. [...] Die strassenseitige Stube mit einfachem Täfer, Felderdecke und Wandschrank ist mit einem Kachelofen des Weiacher Hafners Ludwig Meierhofer ausgestattet. Eine signierte Kranzkachel trägt die Jahrzahlinschrift «1811»

Der Kachelofen dient den Autoren des Kunstdenkmälerbandes als sogenannter terminus ad quem. Sie nehmen also an, dass der Kachelofen eine Auftragsarbeit an den Weyacher Hafner war. Und nicht nachträglich an die Weierstrasse versetzt wurde.

Derselbe Hafner hat auch den Kachelofen des Weiacher Mitterstall-Bauernhauses an der Büelstrasse 3 (Vers. Nr. 227) gebaut. Dieser trägt den Herstellervermerk «LUDWYG MEYERHOFER, HAFNER ZU WEYACH 1809». (Fussnote Weiach 52, S. 529/530)

Und auch im 2016 abgebrochenen Bauernhaus an der Zwinghofstrasse 20 in Neerach gab es einen auf 1811 datierten Kachelofen aus der Werkstatt dieses Weiacher Ofenbauers. Seine Arbeit scheint also gefragt gewesen zu sein. (Fussnote Neerach 59, S. 503)

Quelle und weiterführende Literatur

  • Hermann, I.: Die Bauernhauser des Kantons Zürich, Bd. 3: Zürcher Weinland, Unterland und Limmattal (= Die Bauernhäuser der Schweiz, Bd. 11). Basel 1997 – S. 197. [Zusammenstellung von Herstellerinschriften auf Kachelöfen im Kanton Zürich]
  • Crottet, R.; Kerstan, A.; Zwyssig, Ph.:  Der Bezirk Dielsdorf. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII. (zugl.: Die Kunstdenkmäler der Schweiz (KdS), Bd. 146.) Bern 2023.

Sonntag, 14. Juli 2024

Synchronopse der abonnierten Zeitungen des Zürcher Unterlands

Eine der ersten Zeitungen auf der Zürcher Landschaft war Der Landbote aus Winterthur, der 1836 als Stimme der Liberalen im Kampf gegen die (auch publizistische) Übermacht der Stadt Zürich angetreten und der Rivalin an der Eulach bis heute erhalten geblieben ist.

In der etwas beschaulicheren Nordwestecke des Kantons, d.h. dem Zürcher Unterland, dauerte es noch rund 13 Jahre länger bis zur Gründung des ersten Unterländer Presseerzeugnisses. 

Ende dieses Jahres ist es so weit und das Zürcher Unterland kann auf 175 Jahre Regionalzeitungsgeschichte zurückblicken.

Am 21. Dezember 1849 erschien das Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg erstmals in Form einer Probenummer. Ab Neujahr 1850 wurde das Blatt regulär herausgegeben.

Der Zeitstrahl 1849 bis 2024

WeiachBlog nimmt das Jubiläumsjahr zum Anlass, eine Synchronopse, d.h. eine chronologische Übersicht zu geben. Auf dem Zeitstrahl abgetragen präsentiert sich die Entwicklung der Presselandschaft wie folgt:



Die Farben sagen nur bedingt etwas über die weltanschauliche Ausrichtung aus. Zu unterscheiden sind: 

  • eine blau-magentafarbene Tradition (aus heutiger Sicht die des Zürcher Unterländers) mit zahlreichen Fusionen, sowie 
  • die grüne Traditionslinie des Neuen Bülacher Tagblatts, über 140 Jahre hinweg ein eigentlicher Solitär in der Unterländer Presselandschaft.

Die Gründerzeit, 1849-1871

Einer der wichtigsten Treiber für die Zeitungslandschaft im Unterland war die Lesegesellschaft Bülach (LGB; vgl. WeiachBlog Nr. 443). 

Die LGB-Exponenten standen an der Wiege beider Presseerzeugnisse, an die sich noch ein grösserer Teil der seit der Jahrtausendwende im Unterland Ansässigen aus eigenem Briefkasteninhalt-Erleben erinnern kann: zuerst 1849 der des Zürcher Unterländers, dann 1866 der des Neuen Bülacher Tagblatts.

In der Zeit bis zur Verlegung des Bezirkshauptorts vom Lägernsporn auf Schloss Regensberg in den Talgrund nach Dielsdorf (und der damit verbundenen Umbenennung des Bezirks) wurden nicht weniger als 4 voneinander unabhängige Blätter aus der Taufe gehoben: 
  • das Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg, 1849-1854 (WBBR; 5 Jahre), dann Bülach-Regensberger Wochen-Zeitung genannt, 1855-1871 (BRW; 16 Jahre)
  • der Lägern-Bote (Lb), gegründet 1859
  • der Bülacher Volksfreund (BVf), gegründet 1866 (1870-1872 unter dem Namen Bülach-Regensberger Volksfreund (BRV), sowie
  • Der Wehnthaler (Wth), gegründet 1870 unter dem Namen Volksblatt von Dielsdorf, 1871 umbenannt.

Die Konsolidierung, 1872-1947

Mit dem Namenswechsel des Bezirks wechselten kurze Zeit später auch zwei Zeitungen ihren Titel: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung (BDW) bzw. Bülach-Dielsdorfer Volksfreund (BDV) nannten sie sich nun.

Im Jahre 1892 trat ein fünfter Konkurrent in den Markt ein: Die Glatt. 1903 begann die Kooperation zwischen dem Wehnthaler und der Glatt. Und ab 1910 wurde der Lägern-Bote zum Kopfblatt der Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung. Nur der Volksfreund ging ohne Partner seines Weges.

Grosse Fusionitis, 1948/1949

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg krempelten Zusammenschlüsse die Titellandschaft des Unterlandes um – der Volksfreund blieb auch davon unberührt:

1948 entstand Der Zürichbieter (Zb), der im Untertitel seine Herkunft offenlegte: Vereinigte Tageszeitung Der Wehntaler, Die Glatt, Wochenblatt des Bezirkes Uster.  Sein Alleinstellungsmerkmal: er erschien 6x pro Woche.

1949 folgte der Zürcher Unterländer (ZU). Auch er deklarierte die Herkunft im Untertitel: Vereinigte Bülach-Dielsdorfer Wochenzeitung und Lägern-Bote. Demokratisches Volksblatt.

Das Prinzip Tageszeitung setzt sich durch, 1957-1960

Nach 86 Jahren mit dem traditionellen Namen Bülach-Dielsdorfer Volksfreund wechselte die Unternehmerfamilie Graf im Juni 1957 von 3 auf 6 Ausgaben pro Woche, was sich im Namen Neues Bülacher Tagblatt widerspiegelt.

Damit kam die Drucker-Familie Akeret, die sowohl den Zürichbieter wie den Zürcher Unterländer herausgab, letztlich nicht mehr darum herum, den Unterländer ebenfalls zur Tageszeitung zu machen. Der Zürichbieter rückte in der Folge näher an den Zürcher Unterländer heran und wurde schliesslich 1989 mit ihm fusioniert (vgl. den Artikel Spaltenstein im Landboten).

Tamedia-Schlachtschiff kreuzt in Unterländer Gewässern, 2006-2009

Abgesehen von einer Gratiszeitung namens Wospi (Wochen-Spiegel) war im ausgehenden 20. Jahrhundert keine grössere Bewegung mehr zu erkennen. Bis im Frühjahr 2006 ein von Zürich aus befehligtes Kanonenboot im Unterland auftauchte! 

Der Tages-Anzeiger lancierte ein Regionalbund-Konzept, mit personell gut bestückten Regionalredaktionen an mehreren Standorten auf der Zürcher Landschaft. Der Tages-Anzeiger Unterland war zwar keine eigenständige Publikation. Der Tagi wurde aber dadurch faktisch zu einer Unterländer Regionalzeitung.

Der Grund für diese Offensive? 2005 hatte die grosse Konkurrenz von der Falkenstrasse, die NZZ-Gruppe, sich von der Publigroupe einen Aktienanteil von 40 % an der Akeret Druck und Verlag AG (Herausgeberin des Zürcher Unterländers) gesichert.

Diese Ereignisse führten zu einem radikalen Epochenwechsel: Die seit 1866 sorgfältig gepflegte Rivalität und Eigenständigkeit von ZU und NBT war innert Monaten vom Tisch (vgl. WeiachBlog Nr. 258). Das NBT wurde unter dem massiven Druck von letztlich gleich zwei grossen Karpfen im Unterländer Presseteich zum Kopfblatt des ZU.

Im Herbst 2009 war der Tages-Anzeiger Unterland zwar bereits wieder Geschichte, das Schlachtschiff reduzierte seine Mannschaftsbestände signifikant (vgl. WeiachBlog Nr. 696) und zog sich redaktionell wieder aus dem Unterland zurück. Der Flurschaden war aber angerichtet. 

Tamedia-Monopol im Unterland, seit 2010

Mittlerweile bestimmten längst auswärtige Kräfte, was in der Unterländer Tagespresse noch lief, bzw. was eben nicht mehr. Im April 2010 war klar (vgl. WeiachBlog Nr. 827), dass die Tamedia ihr Ziel nun doch noch erreicht hatte. Die NZZ-Gruppe (mittlerweile zu 100 % im Besitz des Zürcher Unterländers) und die Tamedia (Eigentümerin der Thurgauer Zeitung) tauschten diese Beteiligungen ab.

Seit 2013 gehört auch der altehrwürdige Landbote zur Tamedia und das bislang zumindest noch nominell geführte Neue Bülacher Tagblatt wurde im selben Jahr, am 2. November 2013, definitiv zu Grabe getragen.

Von einem Monopol zu sprechen, ist nicht ganz korrekt. Denn es gab und gibt ja auch noch Gratiszeitungen, wie bspw. den Wochen-Spiegel (1981-2016) oder die Unterland Zeitung (2017-2023). Aber bei den Abo-Zeitungen, da existiert nur eine einzige. Wie zu Beginn der Gründungszeiten Mitte des 19. Jahrhunderts.

Sommerserie Unterländer Pressegeschichte

Jedem Regionalblatt, das in hiesiger Gemeinde eine gewisse Bedeutung erlangt hat, wird WeiachBlog im weiteren Verlauf des Jahres einen eigenen Artikel widmen. 

Quellen und Literatur

  • Vögeli, R.: Aus der Geschichte der zürcherischen Presse. Separatabdruck aus: Das Buch der Schweizerischen Zeitungsverleger. Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des Schweizerischen Zeitungsverlegervereins. Luzern 1925.
  • Blaser, F.: Bibliographie der Schweizer Presse, Bd. 1, Basel 1956; Bd.2, Basel 1958.
  • Spaltenstein, A.: Zwei Zeitungstitel weniger, aber kein Zeitungssterben. Ein paar Ausschnitte aus der vielfältigen Zeitungsgeschichte des Weinlandes und des Zürcher Unterlandes. Ein Blick auf mehr als 100 Jahre Zeitungsgeschichte: Vom Wehntaler, Glatt und Wochenblatt Uster zum Zürichbieter und zum Zürcher Unterländer. In: Der Landbote, 17. Juni 1989, S. 33.
  • Brandenberger, U.: Unterländer Bastion gegen das Tagi-Schlachtschiff. WeiachBlog Nr. 258, 6. August 2006. 
  • Brandenberger, U.: Das Kopfblattsystem auf den Kopf stellen. WeiachBlog Nr. 304, 2. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Komplizierte Zeitungsnamen-Geschichte. WeiachBlog Nr. 443, 1. Mai 2007.
  • Brandenberger, U.: Medialer Angriff nach 3 Jahren gescheitert? WeiachBlog Nr. 696, 16. November 2009.
  • Brandenberger, U.: Journalistische Hüllen von Tamedias Gnaden. WeiachBlog Nr. 827, 19. April 2010.
  • SLSP (Hrsg.): Swisscovery-OPAC; Nationale Bibliotheksplattform mit Open Public Access Catalogue (2024)

Samstag, 13. Juli 2024

Feigheit vor dem Stimmberechtigten kann sich lohnen

«Dass steigende Schülerzahlen mehr Schulraum notwendig machen können, liegt aber auf der Hand, weshalb die Schulbehörden gehalten sind, die notwendigen Massnahmen rechtzeitig einzuleiten. Tun sie dies nicht, können sie sich nachher nicht auf die zeitliche Dringlichkeit berufen, weil andernfalls die demokratische Mitwirkung mit derartigem Vorgehen regelmässig ausgehebelt werden könnte.»  -- Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, VB.2020.00538, E.2.3

Angesichts der Art und Weise, wie der Gemeinderat Weiach mit dem im zitierten Fall strittigen  Finanzinstrument «Gebundene Ausgabe» umgeht, stellt sich die Frage: Wurden die Bestimmungen unserer Gemeindeverfassung (GO 2022) bei der Beschaffung der Schulcontainer zu Recht umschifft? Eine Replik.

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Vorgestern hat sich der Gemeinderat Weiach eine triumphalistisch-larmoyante Medienmitteilung geleistet. Inhalt: Triumph über die gerichtliche Erledigung der Stimmrechtsbeschwerde gegen den Gemeinderatsbeschluss vom 4. März 2024, mit dem sich die Exekutive unter Umgehung der Gemeindeversammlung einen Beschaffungskredit über 900'000 Franken selber genehmigt, den Beschluss jedoch erst am 2. Mai publiziert hat (vgl. WeiachBlog Nr. 2094). Und Larmoyanz über die Zeitverzögerung, die der selbstverschuldete Gang des Gemeinderates nach Lausanne mit sich bringt.

Das liest sich dann so:

«Nebst dem Gemeindeinfrastruktur-Bauprojekt wurde auch dieses Vorhaben von einem Einwohner versucht, mittels Rekurs zu verhindern. Der Rekurrent beantragte die Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses, da er der Meinung war, dass es sich beim Kauf der Container nicht um eine gebundene Ausgabe handle, sondern dass für diese Ausgabe die Gemeindeversammlung zuständig sei. Ausgaben gelten laut Gesetz und gemäss Rechtsprechung dann als gebunden, wenn sie aufgrund eines Gesetzes erforderlich sind oder der zuständigen Behörde aus sachlichen und zeitlichen Gründen kein Entscheidungsspielraum bleibt. Der Rekurs wurde sowohl vom Bezirksrat Dielsdorf als auch in Zweitinstanz – durch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich – abgewiesen.»

Mit dieser Formulierung werden die wahren Verhältnisse gleich in mehrerer Hinsicht vernebelt.

Fake News per gemeinderätlicher Medienmitteilung

Erstens datiert die Verfügung des Einzelrichters am Verwaltungsgericht auf 1. Juli 2024, versandt am 2. Juli. Das bedeutet: die Frist von 30 Tagen für eine Beschwerde beim Bundesgericht ist noch nicht abgelaufen. Der Gemeinderat erweckt jedoch implizit den Eindruck, das Verfahren sei bereits rechtskräftig abgeschlossen.

Zweitens unterstellt der Gemeinderat dem Rekurrenten, seine primäre Absicht sei gewesen, den Bau der Container mittels Stimmrechtsrekurs zu verhindern. Dem ist nicht so. Hätte der Rekurrent das tun wollen, dann wäre bspw. auch ein Antrag auf Baustopp mittels superprovisorischer Verfügung gestellt worden. Verlangt wurde im Rekurs vom 6. Mai vielmehr, das Geschäft sei «umgehend» der Gemeindeversammlung vorzulegen. Dies wurde jedoch durch das nach Schema F durchexerzierte Schriftenwechselprozedere des Bezirksrats vereitelt.

Der Bezirksrat hat die Dringlichkeit ignoriert und dann anderthalb Monate später argumentiert, es sei für den Schulbetrieb «Gefahr im Verzug», da die zusätzlichen Räumlichkeiten bereits Mitte August zur Verfügung stehen müssen (vgl. WeiachBlog Nr. 2120). Zu diesem Entscheid ist der Bezirksrat trotz offensichtlich fadenscheiniger Aktenlage punkto Nachweis sowohl zeitlicher, sachlicher wie örtlicher Ausweglosigkeit gekommen.

Im gesamten Verfahren ging es dem Rekurrenten um die Frage, ob der Gemeinderat alle Voraussetzungen dafür erfüllt hat, eine gebundene Ausgabe anzunehmen. Denn einzig dies würde die Gemeindeexekutive dazu berechtigen, den Entscheid an der Gemeindeversammlung vorbeizulotsen. Planungsfehler und andere Versäumnisse allein rechtfertigen dies nicht (vgl. das einleitende Zitat des ZH-VGer).

Dass die Rechnungsprüfungskommission erst mit der offiziellen Publikation Kenntnis erhielt und entgegen dem Dispositiv des Entscheids am 18. März nicht per E-mail benachrichtigt wurde, ist lediglich ein weiterer höchst bedenklicher Aspekt in dieser Affäre.

Drittens wird mit der Medienmitteilung der Eindruck erweckt, auch die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts habe sich der Auffassung des Bezirksrats angeschlossen, wonach eine gebundene Ausgabe vorliege. Fakt ist jedoch, dass sich das Verwaltungsgericht in keiner Weise zur Sachlage äussert. Die Verfügung des Einzelrichters ist nämlich ein Nichteintretens-Entscheid, keine Abweisung aus materiellen Erwägungen in der Frage «Gebundene Ausgabe oder nicht?»

Verwaltungsgericht konnte sich um Sachentscheid drücken

Um die Beantwortung der Frage, ob es sich in der Causa Schulcontainer tatsächlich zu Recht um eine gebundene Ausgabe gehandelt hat und insbesondere, ob der Gemeinderat sämtliche Voraussetzungen erfüllt hat, um diesen Weg gehen zu können, wie vom Bezirksrat angenommen, hat sich das Verwaltungsgericht mit formaljuristischen Kniffen gedrückt. Das geht aus der Erwägung 2 des Entscheids VB.2024.00381 deutlich hervor:

«2.1 Der Beschwerdeführer beantragt vor Verwaltungsgericht nur noch, es sei festzustellen, dass der Beschwerdegegner mit dem Beschluss vom 4. März 2024 betreffend die Bewilligung eines Kredits über Fr. 900'000.- für die Beschaffung von 22 Containern zu Schulzwecken seine Kompetenzen überschritten und rechtswidrig gehandelt habe; am Antrag auf Aufhebung des streitgegenständlichen Beschlusses und Durchführung einer Abstimmung hält er nicht mehr fest.

2.2 Feststellungsbegehren setzen ein spezifisches schutzwürdiges Interesse voraus. Ein solches ist gegeben, wenn der Bestand, Nichtbestand oder Umfang öffentlich-rechtlicher Rechte und Pflichten unklar ist. Kein schutzwürdiges Feststellungsinteresse besteht jedoch, wenn die gesuchstellende Person das mit dem Feststellungsbegehren bezweckte Ziel auch mit einem Leistungs- oder Gestaltungsbegehren erreichen könnte; insofern sind Feststellungsbegehren subsidiär (vgl. zum Ganzen VGr, 12. Mai 2022, VB.2022.00007 E. 4.2 mit Hinweis).

Vorliegend hätte der Beschwerdeführer ohne Weiteres  wie noch vor Vorinstanz  die Aufhebung des genannten beschwerdegegnerischen Beschlusses vom 4. März 2024 beantragen können, welche seiner Meinung nach in Verletzung seiner politischen Rechte zustande kam. Hiervon sah er indes ausdrücklich ab (act. 2 S. 1: "Im Stimmrechtsrekurs vom 6. Mai 2024 hat der Rekurrent noch verlangt, dass dieser Gemeinderatsbeschluss vom 4. März 2024 aufgehoben werden müsse"). Damit fehlt es ihm bezüglich seines Hauptantrags an einem schutzwürdigen Feststellungsinteresse. Auf den Antrag ist deshalb nicht einzutreten.»

Woher der Sinneswandel beim Rekurrenten?

Das Verwaltungsgericht lässt den Grossteil der Begründung für diesen widersinnig erscheinenden Kurswechsel unter den Tisch fallen. Hier der volle Wortlaut aus der Eingabe des Rekurrenten ans Verwaltungsgericht vom 25. Juni 2024 (Begründung 1):

«Im Stimmrechtsrekurs vom 6. Mai 2024 hat der Rekurrent noch verlangt, dass dieser Gemeinderatsbeschluss vom 4. März 2024 aufgehoben werden müsse. 

Obwohl der Rekursgegner (d.h. der Gemeinderat) um den zusätzlichen Schulraumbedarf gewusst hat (bzw. hätte haben können), hat er Monate ins Land gehen lassen, bis er einen Beschluss in Sachen Containerbeschaffung gefasst hat. Dann hat er auch noch Wochen zugewartet, bis er diesen Beschluss am 2. Mai 2024 rechtskräftig publiziert hat.

Der Bezirksrat Dielsdorf seinerseits hat sich bis zu seinem Entscheid am 20. Juni 2024 zu[m] Rekurs weitere rund sechs Wochen Zeit gelassen. Es versteht sich von selbst, dass dadurch «Gefahr im Verzug» (O-Ton Bezirksrat) bestanden hat, dass der zu beschaffende Schulraum nicht mehr rechtzeitig auf den Schuljahresbeginn 2024/25 zur Verfügung gestellt werden kann, was dem Bezirksrat eigentlich auch schon im Mai hätte auffallen müssen.

Damit ist der eigentlich intendierte Zweck des ursprünglichen Eilbegehrens (Antrag 1 vom 6. Mai) erfolgreich vereitelt worden, u.a. dass die Gemeindeversammlung über die Frage befinden konnte, ob man die Container lieber kaufen oder doch nur mieten wolle (vgl. WeiachBlog vom 19. Mai 2024 zur kreativen Rechenweise des Gemeinderats).

Es geht daher nur noch um die Frage, ob der Gemeinderat zu Recht von einer gebundenen Ausgabe ausgegangen ist oder eben nicht.»

Überspitzter Formalismus

Man kann sich schon fragen, ob hier das Verwaltungsgericht nicht einen zu strengen Massstab angelegt hat, denn immerhin war der Rekurrent ja im Gegensatz zur Gemeinde nicht anwaltlich vertreten. 

Der Rekurrent hätte also laut einzelrichterlicher Verfügung unbeirrt dasselbe fordern müssen, wie er es schon vor dem Bezirksrat getan hatte. Als Zwangsmassnahme hätte er dann auch einen sofortigen Baustopp fordern können. An diesem Beispiel zeigt sich sehr eindrücklich, wie entscheidend ein geeignetes Design der im Verfahren gestellten Forderungen ist.

Schutz der demokratischen Mitwirkung verweigert

«Wenn man zulässt, dass der Rekursgegner – anstatt vorausschauend zu planen und sich rechtzeitig mit zeitlichen, örtlichen und sachlichen Sicherheitsreserven auszustatten – künftig standardmässig zuwartet, bis er absolut sicher weiss, wie viele Zimmer zugebaut werden müssen, dann kann er künftig regelmässig jede Entscheidung (nicht nur über provisorischen Schulraum) mit dem Argument zeitlicher Dringlichkeit an Gemeindeversammlung bzw. Urnenabstimmung vorbei schmuggeln!» (Begründung 5 der Eingabe des Rekurrenten vom 25. Juni 2024)

Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich das Verwaltungsgericht in der Sache geäussert hätte. Denn es besteht immerhin der begründete Verdacht, der Beschwerdegegner (d.h. hier der Gemeinderat) habe sich selber ein zeitliches Problem kreiert, um sich den Stimmberechtigten nicht offen stellen zu müssen. Denn mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 4. März 2024 war weder ein Beleuchtender Bericht verbunden (wie es ihn für die Abstimmung vom 11. Juni zu den Asylcontainern gab), noch erfuhr die Rechnungsprüfungskommission vor der Publikation auch nur das Geringste. Entsprechend wurde das Geschäft auch nicht vor einer Gemeindeversammlung verteidigt, wie es die Gemeindeordnung vorsieht.

Kommentar WeiachBlog: Baldige Neuauflage?

WeiachBlog weiss: Der aktuelle Stand des Verfahrens ist den völlig unzureichenden juristischen Fähigkeiten des Rechtsberaters des Beschwerdeführers zuzuschreiben. Diesem Versager verdanken wir es, dass nun möglicherweise nicht mehr geklärt wird, ob das Vorgehen des Gemeinderates rechtens war oder nicht.

Wenn der Entscheid des Einzelrichters nicht vor dem Bundesgericht angefochten wird und keine Aufsichtsbeschwerde o.ä. an zuständiger Stelle eingereicht wird, dürfte der nächste gemeinderätliche Versuch, mittels § 103 Gemeindegesetz – dem Argument «Gebundene Ausgabe!» – am Souverän vorbeizuregieren, nicht lange auf sich warten lassen. Beispielsweise in der Angelegenheit Asylantencontainer (vgl. WeiachBlog 2090).

Dass der Gemeinderat auch gegen den Entscheid der Gemeindeversammlung vom 11. Juni 2024 beschliessen wird, diese Modulbauten irgendwo in die Landschaft zu stellen (und sei es exakt auf der abgelehnten Parzelle 62 in der Landwirtschaftszone nahe dem Dammweg), ist bei der aktuellen Politik des Bundesrates so gut wie sicher. Denn der migrantische Druck wird nicht abnehmen und im Gemeindehaus hat man gelernt: Frächheit gwünnt!

Quellen und Literatur

  • VB.2020.00538. Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Urteil der 4. Kammer vom 24. September 2020.
  • Brandenberger, U.: Ermächtigungserlass, präpariert mit Verzögerungszünder? WeiachBlog Nr. 2094, 6. Mai 2024.
  • Brandenberger, U.: Aufschiebende Wirkung? Unwürdiges Geschacher hinter Kulissen. WeiachBlog Nr. 2120, 24. Juni 2024.
  • VB.2024.00381 (unpubliziert). Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung. Verfügung des Einzelrichters vom 1. Juli 2024.
  • Abweisung Stimmrechtsrekurs gegen Beschluss des Gemeinderats Weiach bezüglich neue Schulhauscontaineranlage. Medienmitteilung des Gemeinderats Weiach vom 11. Juli 2024.

Donnerstag, 11. Juli 2024

Als Friedrich Engels die Schweiz zum Kriegseintritt zwingen wollte

Kaum hatte sich die Eidgenossenschaft 1848 im Bundesstaat neu formiert, musste sie sich gegen aussen verteidigen. Heute vor 175 Jahren war die Kriegsgefahr an unserer Nordgenze gross. 

Die Zürcher Regierung hatte daher in eigener Kompetenz kantonale Truppenverbände mobilisiert und liess sie entlang dieser Linie Stellung beziehen. Die in Zürich erscheinende Eidgenössische Zeitung vom 11. Juli 1849 schrieb darüber wie folgt:

«Gestern Abends noch sind die beiden aufgebotenen Infanteriebataillone Ginsberg und Bantli an die zürcherische Grenze nach Marthalen, Benken, Rheinau und Eglisau, Glattfelden, Weyach sc. abgegangen, das erstere auf Wagen; ferner die Artilleriekompagnie Zeller und 1/2 Kavalleriekompagnie Bluntschli. Es ist nicht zu zweifeln, daß der Bundesrath diese Truppen in eidgenössischen Dienst nehmen werde; wenn dieß aber auch nicht der Fall sein sollte, so ist die Maßregel schon für den eigenen Kanton durchaus nothwendig. Die bisher angelangten, großentheils pfälzischen Flüchtlinge machen in ihrer Mehrzahl auf unsere Bevölkerung keinen günstigen Eindruck; die badischen Soldaten, welche auf so unerhörte Weise ihre Fahne kompromittirten, werden ebenfalls wenig Sympathie erregen. Im Volke spricht sich allgemein der Wunsch aus, daß von den eidgenössischen Behörden nicht gesäumt werde, die ungehinderte Rückkehr dieser Masse von unbeschäftigten Leuten in ihre Heimatländer einzuleiten.»

Der Regierungsrat des Kantons Zürich sah also die innere Sicherheit gefährdet. Einerseits aufgrund der Zivilflüchtlinge, andererseits wegen bewaffneter Verbände, die der Grenze gefährlich nahe gekommen waren. Wie kam es zu dieser brenzligen Situation?

Die Ursachen einer zur Explosion gekommenen Entwicklung 

Dass der Sonderbundskrieg vom November 1847 eine rein schweizerische Angelegenheit geblieben ist, verdanken wir nicht zuletzt der quer durch Mitteleuropa herrschenden revolutionären Stimmung bei weiten Teilen der Bevölkerung. Auch die Garantiemächte des Bundesvertrags von 1815 mischten sich nicht in die inneren Streitigkeiten ein, da sie ihre Truppen für allfällige Aufstandsbekämpfung selber in ihren eigenen Ländern viel dringender brauchten.

Das ab der Mitte des 18. Jahrhunderts u.a. wegen der Einführung der Kartoffeln einsetzende starke Bevölkerungswachstum und die damit nicht Schritt haltende Entwicklung industrieller Verdienstmöglichkeiten hatte in Europa zum Phänomen des Pauperismus geführt, einer weit um sich greifenden strukturell bedingten Armut entwurzelter Massen (vgl. den Artikel Vormärz für die Auswirkungen in der Zeit zwischen 1830 und 1848). 

Auch nördlich der Schweiz heizte sich die Stimmung zusehends auf. Der Schlesische Weberaufstand von 1844, die Kartoffelrevolution vom April 1847 (eine Hungerrevolte in der preussischen Hauptstadt Berlin), oder der Tübinger Brotkrawall vom Mai desselben Jahres sind nur drei Beispiele. Mit Pressezensur und Verhaftung von Personen mit unliebsamen Ideen konnten die Obrigkeiten der Lage nicht mehr Herr werden.

Die Revolution im Badischen mündet im Krieg

Ab Februar 1848 fanden grosse Volksversammlungen statt, auch im Gebiet unseres nördlichen Nachbarn, des Grossherzogtums Baden. In anderen deutschen Fürstentümern gärte es nicht weniger. Im März fegte dann eine Welle von Revolutionsaktivitäten quer durch die deutschen Lande (vgl. den Artikel Badische Revolution für einen Überblick), die sich im Verlauf eines Jahres zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen regulären Truppen der bedrängten Landesfürsten und Aufständischen ausweiteten.  

Die eingangs von der Eidgenössischen Zeitung wenig schmeichelhaft bezeichneten Aufstandstruppen hatten im Juni 1849 entscheidende Gefechte verloren, wichen nach Süden aus und kamen in die Nähe der Schweizer Grenze. Im heutigen Landkreis Waldshut traten vor allem die Heerführer Franz SigelJohann Philipp Becker und August Willich mit ihren Verbänden in Erscheinung.

General Sigel will mit der Schweiz gemeinsame Sache machen

Sigel war mit einer grösseren Abteilung über Stühlingen, Lauchringen und Griessen nach Baltersweil gezogen, also genau zwischen die Gebiete der Kantone Schaffhausen und Zürich, an die Engstelle, die in den Jestetter Zipfel führt.

Warum sie das taten, erklärt der Wikipedia-Artikel Rückzug der badischen Revolutionsarmee in die Schweiz wie folgt:

«Die Revolutionäre waren sich bewusst, dass ihre Situation in Baden prekär war, aber man beobachtete die noch andauernden Auseinandersetzungen in Ungarn und Italien und erhoffte sich, dass von dort nochmals ein Aufschwung der revolutionären Bewegung in Europa erfolgen könnte. Insbesondere setzte man aber auf einen Kriegseintritt der Schweiz. Einerseits gab es dort auch Stimmen, die eine Unterstützung der Republikaner forderten und andererseits hielten sich bei den preußischen Truppen wie auch in der Schweiz Gerüchte über einen Einmarsch der Preußen in die Schweiz, da es nicht nur um die Beseitigung eines Rückzugsorts für die deutschen Republikaner, sondern auch um die preußischen Ansprüche auf das ehemalige Fürstentum Neuenburg ging.»

In der Eidgenössischen Zeitung wird erläutert, was den Heerführern vorschwebte: 

«Sigel hat dem eidgenössischen Brigadekommandanten eine Art Kapitulation vorgeschlagen, wonach sich die schweizerischen Behörden verpflichten sollten, alle in gehöriger Ordnung den Schweizerboden betretenden Korps mit Waffen und Gepäck aufzunehmen und zu verpflegen; die Waffen der Infanterie und die Kriegskasse würden abgeliefert, dagegen blieben Artillerie und Kavallerie selbstständige Korps; Anführer und Truppen würden sich verpflichten, im Falle eines Krieges der Schweiz zu dienen und keine willkürlichen Ausfälle auf außerschweizerisches Gebiet zu machen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auf solche Unterhandlungen nicht eingetreten werden kann.»

Unter einer Kapitulation verstand man damals einen Vertrag eines Militärunternehmers mit einem Staatsoberhaupt, wonach dessen Truppen in Dienste besagten Staates gestellt werden.

Hoffentlich greift Preussen die Schweiz an!

Was sich Sigel von diesem Schachzug erhoffte und welche sinistren Absichten andere Revolutionäre hatten, erläutert wiederum der obgenannte Wikipedia-Artikel:

«Vor diesem Hintergrund sind die Versuche Blenkers und Sigels zu sehen, die vor dem Übertritt in die Schweiz mit den dortigen Behörden über einen Beitritt ihrer bewaffneten Einheiten zur schweizerischen Armee verhandeln wollten. Die Schweizer bestanden jedoch auf ihrer Neutralität und der bedingungslosen Entwaffnung der Revolutionäre. Der Zürcher Verhandlungsführer Rudolf Benz drohte Sigel gar mit der Verweigerung des Asyls, sofern dieser in der Nähe der Schweizer Grenze noch ein letztes Gefecht mit dem Neckar-Korps anzetteln sollte. Während Sigel seinen Plan angesichts dieser Drohung schnell aufgab, wollte August Willich dies mit seinem Freikorps noch erreichen. Willichs Adjutant Friedrich Engels schrieb in seiner Schrift zur Reichsverfassungskampagne: „Hier, die Flanken an Schweizer Gebiet gelehnt, konnten wir mit unsrer bedeutenden Artillerie noch ein letztes Gefecht versuchen. Man konnte es sogar abwarten, ob nicht die Preußen das Schweizer Gebiet verletzen und dadurch die Schweiz in den Krieg hineinziehen würden.“»

Und ja, das war derselbe Friedrich Engels, der 1848 zusammen mit Karl Marx das Kommunistische Manifest verfasst hatte. Er ist nach der am 12. Juli beim Grenzübertritt in die Schweiz erfolgten Entwaffnung der badischen Truppen wie viele andere Revolutionäre nach England ausgewandert und sollte in späteren Jahren zu einer Ikone der marxistisch-leninistischen Ideologie werden.

Die deutschen Bundestruppen unter General von Peucker (d.h. obgenanntes Neckar-Korps) waren allerdings, wie sich schnell zeigte, nicht im Geringsten geneigt, es auf einen Kampf mit der Eidgenossenschaft ankommen zu lassen. Auch der sogenannte Büsingerkrieg, bei dem deutsche Truppen am 21. Juli 1849 unter Verletzung des Schweizer Staatsgebiets (und damit der eidgenössischen Neutralitätserklärung) von Konstanz kommend per Schiff auf dem Rhein nach Büsingen eingedrungen waren, wurde letztlich ohne jeden Schusswechsel am Verhandlungstisch bereinigt.

Quelle

  • Bülletin von heute morgen. Schweizerische Eidgenossenschaft. In: Eidgenössische Zeitung, Nummer 190, 11. Juli 1849, S. 759.

Weiterführende Literatur

Montag, 8. Juli 2024

«Wandelt allezeit selbst in frommer Reinheit der Sitten!»

Johann Heinrich Burkhard (1772-1837) war fast sein ganzes Berufsleben Pfarrer der Gemeinde Weiach, von 1799 bis zu seinem Tode am 8. April 1837. Und nicht nur das: Bereits 1802, schon zur Zeit der Helvetischen Republik also, übernahm er auch noch das Amt eines Schulinspektors des Distrikts Bülach und übte auch dieses jahrzehntelang aus. 

Dieser Distrikt umfasste damals das gesamte Gebiet des heutigen Zürcher Unterlands, also im Wesentlichen die heutigen Bezirke Bülach und Dielsdorf. Wenn also vor rund 200 Jahren einer aus eigener Anschauung durch regelmässig ausgeführte Visitationen einen Überblick darüber hatte, wie es um das Schulwesen in den Gemeinden quer durch das Unterland bestellt war, dann er. Es ist deshalb von Interesse, wie er die Frage beantwortet hat, was eine gute Lehrkraft ausmacht.

Das Bild eines idealen Lehrers

Die nachstehenden Worte stammen aus der Niederschrift seiner eigenen Ansprache, die er nur Monate vor seinem Tod am 24. November 1836 anlässlich der feierlichen Einweihung des neu erbauten Weiacher Schulhauses (dem heutigen Alten Schulhaus am Schulweg 2) gehalten hat: 

«Welche Eigenschaften nun zu einem guten Schullehrer erforderlich sind, kann ich hier nicht ausführen, sondern nur andeuten. – Vorausgesezt werden dabey die Kentnisse, Geschicklichkeiten und Fertigkeiten, welche zum Unterricht der Jugend nöthig sind. Sie dürfen dem Lehrer derselben nicht fehlen: aber sie allein sind noch nicht hinreichend. Zu ihnen muss hinzukommen eine weise Methode, die eigenen Kenntnisse der Jugend bey zu bringen – ein liebreicher Sinn, Kinderseelen anzuziehen und zu gewinnen – pünktliche Berufstreue, welche nicht müde wird, an der Ausbildung und Veredlung der Schüler zu arbeiten – und vor allen Dingen ein unsträflicher Wandel in allen Verbindungen und Verhältnissen des Lebens, welcher sich durch Sittenreinheit, Wahrheitsliebe, Rechtlichkeit und ungeheuchelte Nächstenliebe zu erkennen gibt. – – – Ein Schullehrer, welcher diese Eigenschaften besizt, wird grossen Segen in einer Gemeinde wirken. Unter seiner Leitung wird die Jugend bedeutende Fortschritte in allen Kenntnissen und Fertigkeiten machen, worin unterrichtet wird, und frühe den heiligen Entschluss fassen, gut und immer besser zu werden, also sich durch ein musterhaftes Verhalten und lobenswerthe Gesinnungen auszuzeichnen. Durch ihn werden selbst die Einwohner der Gemeinde ermuntert werden, der Frömmigkeit und Tugend nachzustreben, weil sein Beysbiel nicht ohne Segen bleiben kann. Nicht zu berechnen ist der Nuzen und Segen, welcher durch eine Reihe von guten Schullehrern in einer Gemeinde kann gewirkt werden. – Ihr beginnet diese Reihe, geliebte Lehrer! Mit euch ziehe in unser Schulhaus ein, Tugend u. Frömmigkeit, Berufstreue, Liebe zu den Kindern mit weisem Ernst verbunden! Wuchert mit dem Talent der Erkenntniss, welches Gott euch verliehen hat, weise und standhaft nach seinem Willen, zum Heil für die euerer Leitung anvertraute Jugend. Lehret dieselbe halten alles, was der Herr ihr befohlen hat. Haltet an mit Lehren, mit Ermahnen[,] mit Lesen! Bildet die Seelen dieser Kinder, dass ihr Verstand sich immer mehr entwikle und entfalte; aber veredelt nicht minder ihre Herzen, dass sie das Gute und Heilige lieben und umfassen, gut gesinnet seye u. recht handeln lerne! – Wandelt allezeit selbst in frommer Reinheit der Sitten und Lautherkeit des Gemüths. Beweiset, sey es unter den Schülern oder in häuslichen und andern Verbindungen, frommen Eifer, Sanftmuth, Liebe, Geduld und ungeheuchelte Gottesforcht. – Dies wird der schönste Schmuck unsers Schulhauses seyn. Er mangle ihm nie!»

Heisst: Das Schulhaus gehörte zum Lehrer und der Lehrer zum Schulhaus. Denn anfangs war die Hälfte der Kubatur unseres Alten Schulhauses für die Wohnräume der Lehrkräfte reserviert. Was natürlich den Vorteil hatte, dass sie auch sozusagen automatisch beheizt wurden. Die Lehrkräfte (bzw. ihre Ehefrauen) dienten dadurch auch gleich als Abwarte. Und man konnte die Schulräume im Winter nutzen, um bei Kälte Gottesdienste aus der Kirche dorthin zu verlegen.

Quelle und Literatur

  • Auszug aus: Weiherede Altes Schulhaus Weiach, gehalten am 24. November 1836 durch Pfr. Johann Heinrich Burkhard. Nach der Transkription von W. Zollinger, 1969. Vorabdruck aus Wiachiana Fontes Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: Wenn es in der Kirche zu kalt ist. WeiachBlog Nr. 1720, 14. August 2021.

Sonntag, 7. Juli 2024

Kantonale Raumplaner waren gegen Fernsehumsetzer Fasnachtflue

Seit einem halben Jahrhundert steht es nun an der Fasnachtflue, das Wahrzeichen des Fernseh- und Mobilkommunikations-Zeitalters.

Dieser Mast, der anfangs primär den Füllsender Hohentengen getragen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1973), dürfte die höchste von Menschenhand errichtete bauliche Struktur auf Weiacher Gemeindegebiet sein. Sie ragt höher auf als die Gebäude der Weiacher Kies AG (rund 30 Meter) und selbst höher als die Kirchturmspitze (rund 34 Meter, vgl. WeiachBlog Nr. 1261).

Das muss man zumindest aus einem Ende Januar 1973 verfassten Brief des kantonalen Raumplanungsamts an die Kreistelefondirektion der PTT schliessen:

Damals hatte der unterzeichnete Fachkoordinator dieser Amtsstelle noch eine sechsstellige Telefonnummer (01 / 32 96 11) und bezüglich des geplanten Bauwerks eine ähnlich dezidierte Haltung wie weiland Hans Rutschmann, langjähriger Präsident der Ortsmuseumskommission: Diese Baute verschandelt das Ortsbild!

Gemeinde Weiach, Fernsehumsetzer Hohentengen

«Sehr geehrte Herren,

Mit Schreiben vom 8. Januar 1973 haben Sie uns die Unterlagen des Fernsehumsetzers in Weiach zur Orientierung zugestellt. Gemäss den eingereichten Plänen soll der 45 m hohe Kabinenmast auf den Koordinaten 675'520/267'925, nordöstlich des Dorfes Weiach erstellt werden.

Da der Fernsehumsetzer am Waldrand des sehr exponierten Südwesthanges oberhalb Weiach das Orts- sowie insbesondere das Landschaftsbild sehr beeinträchtigt, können wir dem Standort für den Kabinenmast nicht zustimmen. Wir bitten Sie deshalb, einen Standort an einer weniger exponierten Stelle zu wählen.»

Kopien dieses Schreibens gingen an den Gemeinderat Weiach, das kantonalzürcherische Oberforstamt, sowie das «Eidg. Luftamt, Inselstr. 30, 3003 Bern».

Erfolglose Eingabe

Von diesem letzteren Adressaten, woher obiges Schreiben letztlich ins Bundesarchiv gelangt ist, sind keine Demarchen bei der PTT bekannt, jedenfalls keine, die schriftlichen Niederschlag und Eingang ins Dossier gefunden hätten.

Und so wurde der landschaftsbildbeeinträchtigende Mast dann halt trotzdem gebaut. Der heutige Standort liegt nur 20 Meter nordwestlich der angegebenen Koordinaten. 

Ob er wirklich 45 Meter hoch aufragt und wie hoch sich die Kirchturmspitze tatsächlich über das Terrain erhebt, dafür müsste man sich einmal mit trigonometrischen Methoden hinter die Angelegenheit klemmen.

Quelle und Literatur

  • Eidgenössische Forstdirektion. Natur- und Heimatschutz. Begutachtungen, Stellungnahmen. Weitere Bauten und Anlagen. PTT - Bauten und Anlagen. Einzelne Projekte. Weiach. Aktenzeichen 746.21.
    Schweizerisches Bundesarchiv. Ablieferung 2001/00151, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Bern) (1900-1995). Signatur: CH-BAR E3270C#2001/151#3960*
  • Brandenberger, U.: Die Höhe des Kirchturms zu Weiach. WeiachBlog Nr. 1261, 9. Januar 2016.
  • Brandenberger, U.: Deutscher Fernsehumsetzer an der Fasnachtflue. WeiachBlog Nr. 1973, 21. August 2023.

Mittwoch, 3. Juli 2024

Pfarrer J. C. Hirzel: Kinder, Landwirtschaft und edle Tonkunst

Einer der für die Entwicklung der Gemeinde Weiach wichtigsten Pfarrherren war wohl Johann Conrad Hirzel (1804-1884). Zusammen mit seiner Ehefrau Sophie von Meyenburg (1818-1879) entfaltete er eine enorme Wirkung, die bis in die Stadt Zürich ausstrahlte. So kam es dann, dass die Familie im Herbst 1855 mit der Leitung des städtischen Waisenhauses betraut wurde.

Ein paar Streiflichter aus dem Leben eines bemerkenswerten Mannes und seiner Familie:

Von der landwirtschaftlichen Ortsbeschreibung...

Wer das Zollinger'sche blaue Büchlein gelesen hat, dem ist Pfr. Hirzel ein Begriff. Hirzel war der Initiator und wichtiger Kontributor der Ortsbeschreibung von 1850/51, einem der wertvollsten separaten Dokumente zur Geschichte der Gemeinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Edition, vgl. Wiachiana Doku Bd. 3, V 2.01, Juli 2024; PDF, 8.90 MB). Und er war buchstäblich die Seele des Landwirthschaftlichen Gemeindsvereins Weiach (einer der ersten lokalen Sektionen des heutigen Zürcher Bauernverbands).

... über die edle Musik...

Dem Nekrolog, einem schmalen Bändchen aus dem Todesjahr, mit Nachruf, Predigttext und dem Gedicht eines Freundes und Wegbegleiters, entnehmen wir zu seiner Weiacher Zeit die folgenden Abschnitte (S. 5-6):

«Im Jahr 1842 als Pfarrer nach Weiach im nordwestlichen Theile des Kantons gewählt, gründete er nun im eignen Pfarrhaus auch seinen eignen Hausstand. Er fand eine treue und charakterfeste Lebensgefährtin in Fräulein Sophie von Meyenburg, der Tochter des damaligen Bürgermeisters von Meyenburg-Stokar in Schaffhausen, die, einen grossen, reichbewegten Familienkreis verlassend, ihm das einfache Pfarrhaus zu einer freundlichen Heimat gestaltete. Es erblühten ihm darin zwei Töchter und ein Sohn; öfters fanden sich von Zürich und Schaffhausen her die Verwandten ein und verlebten mit den Pfarrsleuten fröhliche Stunden. Auch die Musik fand wieder eifrige Pflege; mit dem nahen Kaiserstuhl (Musiker Göhse) wurden freundschaftliche Verbindungen angeknüpft, die hauptsächlich in der gemeinsamen Freude an der edeln Tonkunst ihre Nahrung fanden.

Im Wirken für die Gemeinde war es nicht nur die Sorge für gute Jugendbildung und vernünftige Armenerziehung, welche seine Thätigkeit in Anspruch nahm, sondern auch die Förderung einer rationellen Landwirthschaft, zu welcher Hirzel ja schon im väterlichen Hause genügende Anregung empfangen. Ueber Weinbau und Obstbaumzucht ertheilte er sachgemässe Rathschläge; mit der Seidenzucht und Anpflanzung von Tabak machte er eigene Versuche. Durch diese mannigfaltige Theilnahme an den Interessen seiner ländlichen Pfarrgemeinde gewann er sich die Herzen; als er im Jahr 1855, einem Rufe, der von Zürich her an ihn ergangen, folgend, von der Gemeinde schied, liess sein treues Wirken bei Alt und Jung eine dankbare Erinnerung zurück.»

... den schwiegerväterlichen Absturz, ...

Hirzels Schwiegervater Franz Anselm von Meyenburg-Stokar war zwar ein Mann von vielen Talenten, der in seiner Vaterstadt Schaffhausen Karriere machte, aber offenbar auch der Spielsucht ergeben. Jedenfalls hat er, wie man damals sagte, sein Vermögen «verjeut». Schon 1838 musste er das seit 1779 in Familienbesitz stehende Schloss Herblingen verkaufen und 1844 gar (sozusagen bei Nacht und Nebel) aus seiner Heimatstadt verschwinden. Für seine Familienangehörigen war das nicht nur ein finanzielles Problem.

.... eigenen Nachwuchs...

Die Weiacher Pfarrstelle war zwar auch damals finanziell nicht allzu gut dotiert. Aber Sophies Ehemann war ein rechtschaffener, tüchtiger Pfarrer, dem man keine solchen Eskapaden nachsagen kann. Nach der Heirat im Jahr 1844 erfüllte jedenfalls bald Kindergeschrei das Pfarrhaus Weiach. Bertha Sophie, die älteste Tochter, kam 1845 zur Welt, im folgenden Jahr ihre Schwester Anna Margaretha (genannt Meta), sowie als Nachzügler der einzige Sohn des Paares, Hans Conrad junior, geboren 1853. (lt. Pfister 1861)

... bis zur Fröbelpädagogik

Die Tochter Bertha war ihrem Vater eine tatkräftige Mithilfe im Waisenhaus und hat später in Zürich einen privaten Kindergarten nach den Grundsätzen Friedrich Fröbels gegründet, wobei sie von ihrem Vater tatkräftig unterstützt wurde.

Fröbel, ein Schüler von Johann Heinrich Pestalozzi, hat 1840 in Thüringen die erste Institution mit dieser Ausrichtung in deutschen Landen gegründet und auch den Begriff «Kindergarten» geprägt. Erste Ansätze in diese Richtung sind allerdings schon ein paar Jahre zuvor in Ungarn gemacht worden (vgl. spielundlern.de Wissensblog 2018).

Quellen und Literatur

  • Pfister, J. C.: Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich im Jahr 1861. Zürich. Druck und Verlag von Friedrich Schultheß. 1861 – S.  99
  • Zur Erinnerung an C. Hirzel-von Meyenburg, alt Pfarrer und Waisenvater, geboren 1804, gestorben 1884. Druck von Ulrich & Co. im Berichthaus. Zürich 1884. https://doi.org/10.20384/zop-772
  • Friedrich Fröbel – Geschichte und Idee des Kindergartens. spielundlern.de Wissensblog, 31. Juli 2018.

Dienstag, 2. Juli 2024

Schwerkraftanomalie oder kartographisches Wunder?

Im neuen Kunstdenkmäler-Band über den Bezirk Dielsdorf (erschienen im Dezember 2023) wird jeder der 22 Gemeinde-Abschnitte mit entsprechenden Plänen eingeleitet, bei Gemeinden wie Stadel mit mehreren Zentren gilt das für jede Ortschaft.

Weiach ist auf zwei Abbildungen aufgeteilt: den alten Ortskern (Abb. 533) und die erst in neuerer Zeit entstandenen Überbauungen zu beiden Seiten der Hauptstrasse Nr. 7 (Abb. 534, bezeichnet mit «Kaiserstuhlerstrasse»).

Erkenne das Wunder!

Bei genauer Untersuchung des Plans ist eine wundersame Anomalie zu erkennen. Fällt Ihnen auf, welche?

Der Dorfbach, laut KdS 146, Abb. 533, S. 475

Der Sagibach, laut KdS 146, Abb. 533, S. 474

Der Mülibach, laut KdS 146, Abb. 533, S. 475

Die drei Ausschnitte zeigen unsere drei wichtigsten Bäche, Mülibach, Sagibach und Dorfbach. Samt Pfeil, der die Fliessrichtung angibt. Bei zweien davon liegt hier der Hund begraben.

Kombiniert man die drei Pfeilrichtungen zu einem Höhenmodell, dann sieht es auf dem Plan nämlich so aus, wie wenn sich die drei Bäche vom Dorfkern aus sozusagen in drei völlig verschiedene Himmelsrichtungen davonmachten.

Wasserquelle unter der Sternenkreuzung? Oder steckt gar der Papst dahinter?

Wie Ortskundige wissen, liegt aber das Dorfzentrum definitiv nicht auf einem Hügel. Und alle drei Bäche fliessen Richtung Rhein. Die beiden zuerst genannten vereinigen sich nahe der Sternenkreuzung unterirdisch zum Dorfbach, der dann nach Unterquerung der Glattfelderstrasse in ingenieurgeplanter Kurvigkeit weiter Richtung Norden verläuft (vgl. WeiachBlog Nr. 2119).

Dem Kunstdenkmälerband sei Dank haben wir hier dennoch die kartographische Illusion einer Gravitationsanomalie, wo das Wasser den Berg hinauffliesst, wie an einer Strasse nahe der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo (vgl. Merkur 2018). It's a kind of magic!

Quelle
  • Merkur.de (Hrsg.): Auf dieser Straße bei Rom fließt das Wasser bergauf  – was steckt dahinter. Stand: 20. März 2018, 08:38 Uhr.
  • Albertin, P.: Weiach. Ortsplan 1:5000. Winterthur 2022. In: Crottet, R.; Kerstan, A.; Zwyssig, Ph.:  Der Bezirk Dielsdorf. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII. (zugl.: Die Kunstdenkmäler der Schweiz (KdS), Bd. 146.) Bern 2023 – S. 474-475.
  • Brandenberger, U.: Als der Dorfbach unter die Sternenkreuzung musste. WeiachBlog Nr. 2119, 19. Juni 2024.

Montag, 1. Juli 2024

Ceinturon. Nachruf auf die Weiacher Lederverarbeitung

In der jüngsten Ausgabe des Mitteilungsblatts der Gemeinde Weiach (MGW, Juli 2024, S. 10) findet man im Abschnitt Zivilstandswesen unter den Todesfällen die folgende Notiz:

«Silvia Fruet (geboren am 04.02.1934; gestorben am 13.06.2024)»

Neuzuzügern wird das wenig sagen. Gelernten Weycherinnen und Weychern hingegen schon. Denn der Name Fruet steht für ein Familienunternehmen, das viele Jahre lang das Bahnhofsquartier geprägt hat. 

Von der Schäfti zur Sattlerei Fruet

Das dem Stationsgebäude vis-à-vis stehende Gebäude Kaiserstuhlerstr. 51 (heute: Im See 2) war Dreh- und Angelpunkt der hiesigen Lederverarbeitungstradition über acht Jahrzehnte hinweg:

«Die 1920/21 beim Bahnhof erbaute Schäftenäherei, eine Filiale der Schuhfabrik Walder, Brüttisellen, wurde im Jahre 1965 geschlossen. 1970 übernahm die Sattlerei Fruet AG die Räumlichkeiten und produzierte dort u.a. für die Schweizer ArmeeAb 1985 wurde die Firma von Oskar Debrunner weiterbetrieben, der sie aber im Oktober 2000 schliessen musste.» (Aus: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, S. 88)

Der Schuhproduktion folgte also eine Firma, die Sattlerei-Aufträge übernahm. Eine, die die richtig schweren Leder verarbeitete. Für Kunden, denen Dauerhaftigkeit oberstes Gebot war, wie die Schweizerische Armee: Etuis für das Mannsputzzeug, Effektentaschen, Kartentaschen, Ceinturons, etc. pp. Alles aus Leder (und Kunstleder), was man sich so vorstellen kann.

Ein treuer Lebensbegleiter des Verfassers

Rein zufälligerweise hat der in jüngeren Jahren in Weiach ansässige Verfasser dieser Zeilen – viele Jahrzehnte ist's her – als Wehrpflichtiger in einem Zeughaus ausgerechnet den nachstehend abgebildeten Ceinturon gefasst:

Ceinturon. Das ist so ein typisches Schweizer Militärwort, das sozusagen von unseren Compatriotes aus der Romandie stammt. In der französischsprachigen Wikipedia findet man denn auch die Erklärung: «Le ceinturon est la ceinture de l’uniforme militaire.»  Und «ceinture» kommt vom lateinischen «cintura», einem Stoffband, das um die Taille getragen wurde (Quelle: CNRTL).

Diese Ceinturons gab es in verschiedenen Längen in mind. 6 Schritten von 100 bis 150 cm. Und auch einige speziell angefertigte Übergrössen für Soldaten mit beträchtlichem Bauchumfang (denn ja: Die galten im Gegensatz zu heute auch als diensttauglich).

Für Dienstanzug und Tarnanzug

Ausser beim Ausgangsanzug (Tenue A) brauchte der Soldat dieses Utensil immer. Der Ceinturon war der Gurt für den Waffenrock des Dienstanzugs (Tenue B); am Gurt und in der Tragschnalle eingehängt trug man das Bajonett. Am Ceinturon konnte der Unteroffizier seine Kartentasche einschlaufen, damit sie ihm beim Rennen nicht auf dem Rücken herumhüpfte. 

Wenn es wirklich schmutzig zu werden versprach, dann war Tenue C angesagt (Kampfanzug), wobei besagte Ceinturons als Hosengurt dienten, so beim Tarnanzug 83. 

Und wie man sieht, ist mein Fruet-Exemplar heute noch in gutem Zustand. Zugegeben, die Lackierung (oder ist's doch eine Brünierung?) der Schnalle hat gelitten. Etwas berieben ist das Leder auch. Aber sonst immer noch bestens zwäg. Der Gurt leistet regelmässig gute Dienste im Arbeitsalltag.

Leibgurt 98 immer noch im Verkauf

Fachhändler verkaufen solche Ceinturons noch heute. Bei army-shop.ch haben sie sogar Global Trade Item Number (GTIN/EAN) verpasst bekommen, bspw. 7640460367669 für 120 cm Länge (und die 76 als erste zwei Zahlen verraten die Schweizer Herkunft).

Eine offizielle deutsche Bezeichnung hat das Ding übrigens auch: «Leibgurt 98», weil er mit der Ordonnanz 1898 eingeführt wurde, vgl. Literatur.

Quellen und Literatur

  • Handbuch über die persönliche Ausrüstung in der schweizerischen Armee. Zusammenstellung aller bezüglicher Erlasse, von der zuständigen Amtsstelle durchgesehen und ergänzt, April 1901. Bern 1901 – S. 73. [Bibliothek am Guisanplatz, Signatur: BIG B 2710]
  • Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung der Firma Fruet AG, Weiach ZH, geleitet von Debrunner Oskar, Weinfelden, bezüglich Liquidation, 5. Oktober 2000. Dossier im Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Signatur: StATG 5'8, 30.1.1/4844
  • Brandenberger, U.: Effektentasche made in Weiach. WeiachBlog Nr. 472, 30. Mai 2007.
  • Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. 6. Aufl. Vers. 67; Dezember 2023, S. 75, 88 u. Fn-319.