Montag, 21. Oktober 2024

Blitz schlägt in die SBB-Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach

Heute vor 50 Jahren, wie dieses Jahr einem Montag, fegte ein heftiges Gewitter über unsere Gegend. Es verursachte den Ausfall sowohl der Linie KoblenzEglisau, wie der Strecke SchaffhausenEglisau. Die  Reparaturdienste der SBB mussten im Rafzerfeld und auf Weiacher Gebiet fast gleichzeitig eingreifen. 

Die Schweizerische Depeschenagentur SDA verfasste dazu eine Meldung, die über den Ticker lief und wohl in etlichen Zeitungen abgedruckt wurde: 

Gestörter Bahnverkehr

«Gewitter verursacht SBB-Fahrleitungsstörungen sda. Ein heftiges Gewitter in der Gegend des Rafzerfeldes verursachte am Montag [21.10.74] zwei Fahrleitungsstörungen. Um 13.42 Uhr stürzte eine Übertragungsleitung der NOK bei Rafz auf die SBB-Fahrleitung. Die Strecke Hüntwangen–Lottstetten war infolge des dauernden Kurzschlusses bis 15 Uhr gesperrt, so dass zwei Schnellzüge über Winterthur umgeleitet werden mussten. Der Zürich um 13.21 Uhr verlassende Schnellzug nach Schaffhausen wurde kurz nach Bülach angehalten und über Embrach–Winterthur–Andelfingen geführt. Er wurde dabei um mehr als eineinhalb Stunden verspätet. Der zweite Schnellzug erlitt 16 Minuten und einige Personenzüge 10 bis 15 Minuten Verspätung. Fast zur gleichen Zeit schlug der Blitz in die Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach, was ebenfalls dauernden Kurzschluss verursachte. Bis zur Behebung dieser Störung wurden die Züge in Weiach und Eglisau gewendet, für das Zwischenstück Autobusse eingesetzt.» (Thuner Tagblatt, 23. Oktober 1974)

Quelle 

Samstag, 19. Oktober 2024

Weiacher Warenzoll nur während Zurzacher Messe geöffnet

Am heutigen Datum vor 200 Jahren befasste sich die Zürcher Kantonsregierung erneut mit einem Streit, der aus Zürcher Sicht primär eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Reussübergängen darstellte, aus Aargauer Sicht jedoch legitim erschien, da er das höherstehende souveräne Recht eines Staates betreffe, selber bestimmen zu dürfen, über welche Grenzübergänge zollpflichtiger Warenumschlag abgewickelt werden kann.

Die Schweiz, ein Bündel souveräner Kleinstaaten

Man sieht an diesem Beispiel deutlich, wie stark die damals über den Bundesvertrag von 1815 nur lose miteinander verknüpften Kantone sich als eigenständige Staaten verstanden haben, auch und gerade in der Fiskalpolitik.

Die Aargauer Regierung stellte sich jedenfalls auf den Standpunkt, wenn ihre Zürcher Kollegen sich herausnähmen, Zollabfertigung nur an bestimmten Übergängen zulassen zu wollen, dass ihnen dann dieselbe Befugnis ebenfalls zustehen müsse. Der entsprechende Ausschnitt aus dem ziemlich umfangreichen Material liest sich wie folgt:

«[...] und daß, was die Fähre zu Ottenbach betrifft, die Aargauische Regierung einerseits, aus gleichen Gründen, warum auch in hiesigem Kanton der Gebrauch der von Kaiserstuhl über Weyach führenden Straße außer den Zurzacher-Meßen verboten sey, weil auf derselben die von hiesiger Regierung angeordneten Zollstätten und Weggeldbüreaux abgefahren werden können, die dortseitige Befugniß behauptet, den Gebrauch von Nebenwegen und Fähren zu untersagen, auf welchen die geordneten Geleitsstätten ausgewichen werden, [...]» (StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656)

Temporäre Zollabfertigung an Messetagen

Es ging also darum, zu verhindern, dass die regulären Kontrollposten der Zolleinnehmer und Strassengebühren-Inkassostellen umfahren wurden. Neu war das nicht, es war nach der Zeit des helvetischen Einheitsstaates (1798-1803) lediglich die Rückkehr zu einem System, wie man es in der Alten Eidgenossenschaft über Jahrhunderte praktiziert hatte. 

Die Zürcher haben die Strasse zwischen Kaiserstuhl und Weyach für den grenzüberschreitenden Warenverkehr gesperrt. Einzig an den Tagen, wo in Zurzach die traditionelle grosse Warenmesse stattfand, befand es die Zürcher Regierung offenbar für angemessen, an der Grenze einen temporären Zollabfertigungsposten zu betreiben.

Eine wirtschaftliche Katastrophe

Sonst war offensichtlich nur kleiner Grenzverkehr erlaubt, was den wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Studenland und unserer Gemeinde doch ziemlich massiv beeinträchtigt haben dürfte. Unter dieser Abschottung litten vor allem auch die Kaiserstuhler, die nach dem Abbrennen ihrer Rheinbrücke während des Zweiten Koalitionskriegs 1799 während Jahren auf einen Ersatz warten mussten und in dieser Situation wohl nicht zuletzt auch der Zürcher Zollpolitik wegen wirtschaftlich einen massiven Niedergang erlebt haben.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass der Weyacher Ziegelhütten-Betreiber (auf dem Näpferhüsli-Areal bei der Kirche) anfangs der 1820er-Jahre mehrere Häuser im Städtchen auf Abbruch gekauft hat, um mit dem Baumaterial seine Kalkproduktion befeuern zu können. Stellt sich trotzdem die Frage, wie das wohl mit dem Verzollen dieses Abbruchmaterials gehandhabt wurde. (Lutz 1822, vgl. Quellen unten)

Vor dem Bau der Stadlerstrasse (RVS 566)

Bemerkenswert ist diese praktisch durchgehende Sperre vor allem, wenn man bedenkt, dass die Verbindung Kaiserstuhl–Weyach–Zürich (im Weiacher Ortskern via Büelstrasse, Oberdorfstrasse, Alte Post-Strasse, Bergstrasse) damals die wichtigere Strasse war als die heutige Hauptstrasse Nr. 7 Richtung Osten (Weyach–Glattfelden–Wagenbreche–Winterthur).

Quellen

  • Nachträge und Berichtigungen zu «Geographisch-statistisches Handlexikon der Schweiz für Reisende und Geschäftsmänner: enthaltend vollständige Beschreibungen der XXII Kantone, deren Bezirke, Kreise und Aemter, so wie aller Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Schlösser und Klöster, auch aller Berge, Thäler, Wälder, Seen, Flüsse und Heilquellen, in alphabetischer Ordnung. Nebst einem Wegweiser durch die Eidsgenossenschaft sammt Nachrichten für Reisende über Postenlauf, Geldeswerth und Gasthöfe. Im Vereine mit Vaterlandsfreunden herausgegeben von Markus Lutz, Pfarrer in Läufelfingen im Kanton Basel. Aarau 1822. Bei Heinrich Remigius Sauerländer» – S. 58.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 20. Juli 1824: Antwort L[öblichen] Standes Aargau auf die hiesige [d.h. zürcherische] Beschwerde über Retorsionsstrafen von den Behörden zu Mury, und über Benachtheiligung des Fahrs zu Ottenbach zu Gunsten desjenigen zu Rottenschweil. Signatur: StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 19. Oktober 1824: Gutachten des Staatsraths wegen der Aargauischen Beeinträchtigung der Fähre zu Ottenbach, und des unstatthaften Geleitsbezugs zu Rottenschwyl. Antwort an Lbl. Stand Aargau. Weisung an das L. Oberamt Knonau. Signatur: StAZH MM 1.89 RRB 1824/0885.

Freitag, 18. Oktober 2024

Die Wappenkarte «Weiach» der Antiquarischen Gesellschaft

Es ist ziemlich genau ein Jahrhundert her, seit die Antiquarische Gesellschaft in Zürich Ende 1924 auf Anregung des Staatsarchivs eine Gemeindewappenkommission bestellt hat. In jedem Bezirk wurde dann ein Kommissionsmitglied tätig, um vor Ort zusammen mit lokalen Gewährsleuten auf die Suche nach sachdienlichen Informationen zu gehen. 

Für den Bezirk Dielsdorf war dies Dr. h.c. Heinrich Hedinger und für Weiach der Dorfschullehrer und spätere Ortschronist Walter Zollinger. Das Resultat der Nachforschungen vor Ort wurde mit den aus Archivalien im Staatsarchiv gewonnenen Informationen kombiniert und die Kommission machte dann dem jeweiligen Gemeindevorstand einen Vorschlag. 

Genehmigt 28. November 1931, gedruckt 1932

Zwischen Sommer und Herbst 1931 fiel der Entscheid in der Wappenkommission (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 85, S. 312ff). Den für Weiach auf 12. November 1931 datierten Vorschlag hat unser Gemeinderat am 28. November 1931 offiziell genehmigt. 

Die Karte zeigt das Wappen nicht nur grafisch, sondern beschreibt es auch in verbaler Form, der sogenannten Blasonierung, die sämtliche offiziell verbindlichen Elemente festhält:

«Von Silber und Blau schräggeteilt mit achtstrahligem Stern in gewechselten Farben.»

Weiter nennt die Karte auch einige ausgewählte historische Eckdaten: «Weiach. Der Stern im Zürcher Schild geht wohl auf die alte Taverne zum "Sternen" zurück. Weiach kam 1424 mit der Grafschaft Kyburg an Zürich und gehörte seit 1442 zur Obervogtei Neuamt. 1591 wurde das Dorf zur Pfarrei erhoben.»

Ornamentiert wird das Ganze mit zwei Eichhörnchen als faktischen Schildhaltern und diversen Vögeln im gleichen Farbton wie die Tannenzweige samt Zapfen.

Huhn-und-Ei-Frage ist ungeklärt

Zur Herkunft des Sterns ist anzumerken, dass nach wie vor offen ist, ob sich dieses Dorfzeichen auf den ehaften, obrigkeitlich konzessionierten Gasthof vererbt hat, oder es (wie auf der Karte insinuiert) gerade umgekehrt gewesen ist, der Stern also ein obrigkeitliches Symbol war, das zuerst vom Gasthof geführt wurde und danach von der Gemeinde übernommen wurde.

Heinrich Hedinger liess dies bereits 1936 in einem Artikel im «Wehnthaler» offen. Die Weiacher hätten, so schreibt er, «als Abzeichen» den Stern gewählt, «sei es als bloße Verzierung oder im Zusammenhang mit der alten Taverne zum "Sternen"». 1971 übernahm er dann allerdings die Auffassung der Wappenkarte (vgl. WeiachBlog Nr. 800). 

Der Autor dieser Zeilen war 2010 noch gegenteiliger Auffassung, hat aber 2020 in zwei Artikeln herausgearbeitet, dass es auch anders sein könnte (vgl. WeiachBlog Nr. 1481 und 1482).

Der Zeichner war ein städtischer Beamter

Bei dieser Wappenkarte handelt es sich um die Nummer 144 aus der 29. Serie der «Zürcher Gemeindewappen». Ziegler erwähnt in seinem erst viele Jahre später (1977) in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich erschienenen Wappenbuch, diese Postkarten-Sätze seien in den Jahren 1926-1936 erschienen (was zumindest für letztere Jahrzahl durch die Graphische Sammlung der Zentralbibliothek Zürich mit einem Fragezeichen versehen wird). Die Serie 29 erschien frühestens im Dezember 1931, wahrscheinlich im Jahre 1932. 

Gezeichnet wurden die Wappen von Robert Brutschy, einem Beamten des Stadtarchivs Zürich. Die hölzernen Druckstöcke wurden bei Rudolf Fretz-Bryner in Zollikon erstellt und der Druck der Karten erfolgte bei Müller, Werder & Co. in Zürich (Ziegler, 1977 – S. 17).

Quelle und Literatur
  • Wappenkarte Weiach. Ansichtskarte. Strichklischee; 14 x 9,3 cm. Herausgegeben durch die Antiquarische Gesellschaft in Zürich. Zürich 1932. Scan des Exemplars der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: Wappen Zürich I, 34 ac
  • Hedinger, H.: Die Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf. In: Der Wehnthaler, 7. u. 10. Februar 1936. (Vgl. Auszug in WeiachBlog Nr. 313)
  • Ziegler, P.: Die Gemeindewappen des Kantons Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 49. 142. Neujahrsblatt. Zürich 1977 – S. 17 (Einleitung) u. 106 (Wappen Weiach).
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006 – S. 14-21 (vgl. S. 314 der Gesamtausgabe).  
  • Brandenberger, U.: Heinrich Hedingers «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf». WeiachBlog Nr. 313, 13. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Stern im Weiacher Wappen? WeiachBlog Nr. 800, 21. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Weiacher Stern? Hat er Schaffhauser Wurzeln? WeiachBlog Nr. 1481, 9. März 2020.  
  • Brandenberger, U.: Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück? WeiachBlog Nr. 1482, 11. März 2020.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Orgelrevision, mitfinanziert von der Glaubensgenossenschaft

Das erste fix in der Weiacher Kirche platzierte Instrument war ein Harmonium des süddeutschen Herstellers Trayser. Die im Jahre 1930 eingeweihte erste richtige Orgel hingegen war ein Werk der Firma Kuhn mit Sitz an den Gestaden des Zürichsees. 

Auf Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen reagieren solche Instrumente teils höchst empfindlich. Töne bleiben hängen, wie Organisten das nennen, wenn sich im komplizierten Inneren einer Orgel etwas verklemmt (vgl. WeiachBlog Nr. 1206). So einen Vorfall hört dann selbst der Laie. Deshalb muss man Orgeln regelmässig Pflege angedeihen lassen. Nebst dem Stimmen ist periodisch auch eine Revision fällig, die dann schnell einmal einige Prozente des ursprünglichen Anschaffungspreises kosten kann. 

Revision 1959

Anfangs des Jahres 1959 wussten die Weiacher noch nicht, dass sie wenige Jahre später im Rahmen der grossen Gesamtrestauration ihre im Chor platzierte Orgel herausreissen und durch ein neues, auf der Empore platziertes Instrument ersetzen würden:

«Die unterm 26.2. beschlossene Revision der Orgel wurde während des April durchgeführt und kostete gesamthaft Fr. 2'671.25, woran die Glaubensgenossenschaft Kaiserstuhl/Fisibach Fr. 500.- beisteuerte. Die Gottesdienste waren während dieser Zeit ins Oberschulzimmer verlegt worden.» (G-Ch Weiach 1959, S. 8)

Was schreibt der Chronist Walter Zollinger da? «Glaubensgenossenschaft»? Ja, keine Erfindung. Das war damals der offizielle Name der heutigen Evangelisch-Reformierten Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Bereits in der gedruckten Broschüre mit den Jahresrechnungen 1945 der verschiedenen Weiacher Gemeinwesen ist exakt diese Bezeichnung zu finden.

Mit dem «Oberschulzimmer» ist nicht etwa eine Räumlichkeit der Sekundarschule in Stadel gemeint, da geht es um Zollingers eigenes Klassenzimmer im Alten Schulhaus Weiach.

Quelle und Literatur

  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 8.
  • Brandenberger, U.: Zeitgeschmack und Holzwurmsorgen. Vor 75 Jahren wurde die erste grosse Weiacher Orgel festlich eingeweiht. Weiacher Geschichte(n) 68. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juli 2005 – S. 11-17. (Weiacher Geschichte(n) Gesamtausgabe, S. 214-220)
  • Brandenberger, U.: Pneumatische Orgeln: früh ein Sanierungsfall. WeiachBlog Nr. 1206, 5. März 2015.

Dienstag, 15. Oktober 2024

Bombendrohung wegen Beschwerde ans Bundesgericht

Im September vor 25 Jahren wurde bekannt, dass mehrere von Fluglärm betroffene Gemeinden sich einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht angeschlossen hatten. Ziel war die Klärung der Frage, ob die Fünfte Ausbauetappe des Flughafens Zürich so wie geplant (und vom Kanton bewilligt) in die bauliche Wirklichkeit überführt werden dürfe.

Konkret ging es da um das Dock Midfield samt den dafür nötigen Tunnelbauten. Wer schon einmal von dort abgeflogen oder dort angekommen ist, der weiss: Um zu diesem Inselterminal zu gelangen, muss man als Passagier eine automatisch betriebene U-Bahn benutzen. Gebaut wurde also dann doch.

Vor einem Vierteljahrhundert verfügte die zuständige Kammer des Bundesgerichts allerdings erst einmal einen temporären Baustopp und verlangte, dass nur Arbeiten ausgeführt werden dürften, die leicht wieder rückgängig zu machen wären, sollte die Beschwerde gutgeheissen werden.

Nur Stadel und Weiach wurden zum Hassobjekt

Unter den beschwerdeführenden Gemeinden waren nebst anderen auch Stadel und Weiach. Diese beiden Gemeinden – und offenbar nur sie – wurden Zielscheibe eines Zeitgenossen, dem alle Sicherungen durchgebrannt sind. Verstieg sich diese Person doch zu einer veritablen Bombendrohung!

Wenn es um Sprengstoff geht, dann versteht der Bund bekanntlich keinen Spass. Und so wurde auch diese Nachricht schnell zu einer nationalen Angelegenheit, die in Form einer Kurzmitteilung der Schweizerischen Depeschen-Agentur selbst in regionalen Printmedien der Romandie abgedruckt wurde. Unter dem Titel: «Kloten. Deux communes menacées» steht die folgende Nachricht:

«Deux communes opposées à l'agrandissement de l'aéroport de Zurich ont reçu des menaces d'attentat à la bombe. Une lettre anonyme leur est parvenue fin septembre, quelques jours après l'annonce de leur recours auprès du Tribunal fédéral contre le début des travaux. La missive est considérée comme un dérapage. Ecrite à la main et dans un style maladroit, elle exigeait des communes de Weiach et de Stadel (ZH) qu'elles retirent leurs oppositions sous peine de voir une bombe exploser./ats»

Bei Zuwiderhandlung platzt die Bombe

Das handschriftlich abgefasste anonyme Schreiben, so die SDA-Journalisten, müsse als (verbale) Entgleisung betrachtet werden. Es verlange von den beiden Gemeinden (warum nur diese beiden versteht man nicht wirklich), ihre gegnerische Haltung aufzugeben, bei Strafe einer Bombenexplosion im Falle der Zuwiderhandlung.

Dass die Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit tätig wurde, ist anzunehmen. Ob die Täterschaft je ermittelt wurde, das ist WeiachBlog zurzeit noch unbekannt. Affaire à suivre. Und vielleicht weiss die Leserschaft ja mehr darüber.

Quellen

[Veröffentlicht am 17. Oktober 2024 um 00:15]

Montag, 14. Oktober 2024

Walter Baumgartner. Nachruf auf eine Weiacher Velolegende

Es gibt nicht allzu viele Söhne und Töchter unserer Gemeinde, die die sogenannten Relevanzkriterien der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie Wikipedia erfüllen. Man kann sie an einer Hand abzählen.

Walter Baumgartner, genannt «Bäumli», war der erste Schweizer, der in der Disziplin Punktefahren an den Bahnradsport-Weltmeisterschaften eine Medaille geholt hat – die silberne. Ihm folgten so bekannte Grössen wie Urs Freuler (1981 bis 1987 ununterbrochene Gold-Serie) oder Bruno Risi (1992, 1994 und 1999 Gold).

Vier Kilometer. An der Weltspitze in Sachen Mannschaftsverfolgung

Insgesamt zweimal holte Walter Baumgartner für die Schweiz die Bronzemedaille in der Weltmeisterschaft der Mannschaftsverfolgung:

Sieger war in diesen beiden Jahren die DDR. Und wo wir schon eingangs die Wikipedia erwähnt haben, sei hier auch aus ihr zitiert, um zu zeigen, wie gross die Leistung dieser Viererteams war:

«Die Mannschaftsverfolgung gilt als „Königsdisziplin“ des Bahnradsports, weil neben der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Mannschaftsmitglieds die perfekte Abstimmung aufeinander von entscheidender Bedeutung ist. Bis die Führungswechsel und das Hinterradfahren auf minimalem Abstand optimal durchgeführt werden [..], ist ein erheblicher Trainingsaufwand erforderlich. [...] Im Gegensatz zu Rennen mit Massenstart, bei denen die Fahrer mit einem Abstand von 30 cm bis zu über einem Meter am Hinterrad des Vorausfahrenden fahren, beträgt der ideale Abstand zwischen den Fahrern eines solchen „Viererzuges“ 15–20 cm. [...] Die Distanz beträgt 4000 Meter, die beiden Mannschaften starten an den gegenüberliegenden Geraden der Bahn an der Verfolgerlinie. Sieger ist, wer die Distanz als Erster bewältigt oder die gegnerische Mannschaft vorher einholt. Als Einholen gilt bereits die Annäherung auf einen Meter.»

Auf der Schlussetappe

Aber auch auf der Strasse war «Bäumli» präsent und mischte sowohl in Eintagesrennen (u.a. Tour du Nord-Ouest) als auch in Rundfahrten teils an vorderster Front mit. 1984 gewann er nach 1626.5 Kilometern die Schlussetappe der Tour de Suisse. Gestartet waren 109 Fahrer, im Ziel angekommen sind nur 77.

Nun hat «Bäumli» am 1. Oktober die Schlussetappe seines Erdengangs abgeschlossen, wie WeiachBlog erst gestern erfahren hat:

«Nach längerer Krankheit und doch so plötzlich» sei der Verstorbene von uns gegangen, schreibt die Trauerfamilie in der Todesanzeige. 

Ein stiller Schaffer im Hintergrund

Wer ihn näher gekannt hat, der weiss: Bäumli war nie einer, der sich in den Mittelpunkt gestellt oder grosses Aufheben um seine Befindlichkeit gemacht hätte. Noch letztes Jahr war er es, der viele Radsportgrössen an einem Tisch versammeln konnte, wie man dem Zürcher Unterländer entnehmen kann: 

«Auf Initiative des Ex-Radprofis Walter Baumgartner aus Weiach trafen sich kürzlich rund 30 ehemalige Radrennfahrer und ein paar Radsportfreunde im Restaurant Neuhof in Bachs zu einer Tavolata.»

An diesem Anlass konnten sogar Beat Breu (der «Bergfloh», der 1984 die Tour-de-Suisse-Etappe von Bürglen auf den Klausenpass gewann) und Godi Schmutz über die alten Zeiten ihrer Rivalitäten lachen.

Der Motor hinter dem Nationalen Kriterium Weiach

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts (zwischen 2003 und 2012) fungierte der ehemalige Rennfahrer als Organisator des Kriteriums Weiach. Das war sozusagen die Strassenversion eines Bahnrennens. Je nach Kategorie galt es bis zu 90-mal, eine 1040-Meter-Runde durch Oberdorf und Bühl zu drehen. Was besonders im Jahr 2006 bei grosser Juli-Hitze eine ziemliche Herausforderung war (vgl. die vier WeiachBlog-Artikel aus dem Jahre 2006 in der Literaturliste). Die nahmen die Fahrerinnen und Fahrer aber gern auf sich, galt doch das Kriterium sozusagen als Meisterschafts-Revanche.

Im Dorf bleibende Erinnerungen hinterlassen

Noch vor wenigen Tagen, so hört man, sei Walter zu Fuss im Dorf unterwegs gewesen. Und vor nicht allzu langer Zeit habe er noch seine Reben gepflegt. 

Manch ein Weycher verdankt ihm und seinen Söhnen Spenglerarbeiten. Man findet sie auf und an Häusern quer durch das Dorf.

Zum Spielplatz-Hüsli auf der Wiese zwischen Gemeindehaus und Baumgartner-Jucker-Haus steuerte Bäumli den Güggel auf dem Dach bei (leider vor nicht langer Zeit einer Brandstiftung zum Opfer gefallen).

Und das sind nur ein paar wenige Eindrücke. Genauso knapp kommen die Medienberichte daher.

Die Schweizerische Depeschenagentur teilt mit...

«Die Radsport-Familie trauert um Walter Baumgartner. Er ist nach längerer Krankheit im Alter von 70 Jahren gestorben. Das Palmarès des Allrounders zieren unter anderem zwei WM-Bronzemedaillen mit dem Bahnvierer in den Jahren 1977 und 1978 sowie WM-Silber im Punktfahren 1978. 1984 gewann Baumgartner, der als Querfeldein-Fahrer seine Karriere lanciert hatte, die Schlussetappe der Tour de Suisse. (sda)»


Ein Cilo-Rennrad by Bäumli

Auch dem hier Schreibenden bleibt eine ganz handfeste Erinnerung an den von uns Gegangenen. Ein für heutige E-Bike-Zeiten schon fast unwirklich filigran wirkendes rotes Rennrad, Marke Cilo 240. Von der Velolegende im Herbst 1985 in seiner Werkstatt an der Bergstrasse höchstpersönlich aus Einzelkomponenten zusammengebaut.

Cilo, eine Schweizer Velomarke aus der Romandie, war damals in Helvetien sozusagen das fahrradmässige Nonplusultra. Wo andere sich von ihrem ersten Zahltag ein Töffli gekauft hätten, da leistete sich der junge spätere WeiachBlogger nach vielen Stunden als Fensterputzer im Bezirksspital Dielsdorf eine ganz besondere Anschaffung: Die heute noch fahrtüchtige Alltagsversion einer der Rennmaschinen, auf die Radprofis damals vertraut haben (mit Schutzblechen *hust*).

Quellen und Literatur

Freitag, 11. Oktober 2024

Die erste «Tusche» in Weiach? Eine Militärerrungenschaft

In der über 500 Seiten starken Sammlung der ausgehenden Meldungen des Stabs Grenzfüsilierbataillon 269 mit Kommandoposten in Weiach (vgl. WeiachBlog Nr. 2177) sind auch Trouvaillen versteckt wie das Dokument A  239 vom 11. Oktober 1939; ein Antrag an das vorgesetzte Kommando Grenzregiment 54 mit Kommandoposten im Gasthof Löwen, Glattfelden:

«Laut Befehl auf dem blauen Dienstweg soll die Trp. tuschen können. Die Kp. II. & III. können dies ohne grossen Zeitverlust im Schulhaus Glattfelden tun, was für die Kp. II bereits angeordnet ist.»

Man berücksichtige, dass die Truppe bereits seit Ende August im Einsatz war und beim Stellungsbau auch ordentlich ins Schwitzen gekommen sein dürfte. (Kp. = Kompanie)

Farbiger Dienstweg

Der erwähnte blaue Weg ist auch Dienstpflichtigen im 21. Jahrhundert keine Unbekannte. Gemeint ist der fachliche Befehlsweg des Sanitätsdienstes (blaue Kragenspiegel) von der Armeeführung bis hinunter zum Bataillon.

«Die übrigen Kp. in Weiach, Bachs, Fisibach und Kaiserstuhl haben einen zu weiten Weg dorthin. Daher soll zur abwechslungsweisen Benützung für diese Kp. oder Teile derselben zentral in Weiach eine einfache Douschgelegenheit geschaffen werden, laut beiliegendem Projekt. Wenn auch der Raum etwas eng ist, so eignet sich doch dieses Objekt. 

Eine Ab- und Ankleidemöglichkeit kann durch einen Vorbau aus Holz geschaffen werden.»

Anschliessend folgt die Berechnung der erforderlichen Materialien samt Antrag auf Genehmigung. 

Leider sind weder die Beilagen erhalten geblieben, noch wissen wir, wie die Antwort des Regiments-Quartiermeisters ausgefallen ist. Wir wissen auch nicht, in welchem Weiacher Gebäude diese Bataillonsdusche eingebaut wurde (denn dass sie bewilligt werden sollte, dafür sorgte schon der im Schreiben erwähnte Befehl).

Wie schreibt man dieses chätzers Wort?

Wie man den doch sehr kreativen Schreibweisen des Verbums «tuschen» und des Substantivs «Dousche» (samt durchgestrichenem s) entnehmen kann, war dem Tippenden die Orthographie dieser Begrifflichkeiten nicht so geläufig. Was wiederum darauf hindeutet, dass es sich bei Duschen damals noch um eine recht neue Errungenschaft gehandelt haben muss, zumindest für einige der Wehrmänner des Bataillons, die mehrheitlich aus dem Zürcher Unterland stammten.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 623.
[Veröffentlicht am 14. Oktober 2024 um 22:36 MESZ]

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Ein Vaterunser kommt selten allein

Waren Sie schon einmal im siebten Himmel? Man sieht der volkstümlichen Formulierung an, dass zum Zeitpunkt, als dieses schon fast geflügelte Wort zur Bezeichnung nicht steigerbaren Glücksgefühls geprägt wurde, durchaus noch die Vorstellung herrschte, es gebe in den himmlischen Sphären mehrere Abteilungen. Mit unterschiedlichen Komfortstufen sozusagen. Sieben an der Zahl.

Rund sieben Jahre ist es her, seit ich anlässlich des Reformationssonntags eine Fassung des Vaterunsers publiziert habe, wie sie 1836 vom damaligen Weiacher Pfarrer im Manuskript zum Gottesdienst anlässlich der Einweihung des Alten Schulhauses niedergeschrieben wurde (vgl. WeiachBlog Nr. 1354). Und er verwendet explizit den Plural: Himmeln. 

Himmel oder Himmeln? In der Bibel steht beides.

Verwundern sollte uns das überhaupt nicht. Diesen Plural findet man nämlich auch in den gebräuchlichsten Fassungen der Bibel in griechischer und lateinischer Sprache (Septuaginta und Vulgata). 

Hier (zu Vergleichszwecken) die hiesige Fassung vom 24. November 1836, selbstverständlich in deutscher Sprache:

«Unser Vater der du bist in den Himmeln!
Geheiligt werde dein Namme.
Zukomme dein Reich.
Dein Wille geschehe auf Erde, wie im Himmel.
Gieb uns heut unser tägliches Brod,
Und vergieb uns unsere Schulden, wie auch
wir vergeben unsern Schuldnern,
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern
erlöse uns von dem Bösen!

Denn dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Der Herr segne Euch und behüte euch!
Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten
und seye euch gnädig!
Der Herr erhebe sein Angesicht über euch und
gebe euch den zeitlichen und ewigen Frieden! Amen.
»

Vulgata. Die hochoffiziell-katholische Lesart

In der ab 1592 für Jahrhunderte in der römisch-katholischen Kirche geltenden offiziellen Fassung, genannt Vulgata Clementina, wird Lateinisch ebenso selbstverständlich verwendet. So sagt Jesus während der Bergpredigt:

«Sic ergo vos orabitis» (So also werdet ihr beten; Matthäus 6,9) und das darauf folgende Gebet lautet: 

«Pater noster qui es in caelis.
Sanctificetur nomen tuum.
Adveniat regnum tuum.
Fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra.
Panem nostrum supersubstantialem da nobis hodie
et dimitte nobis debita nostra sicut et
nos dimittimus debitoribus nostris.
Et ne nos inducas in tentationem
sed libera nos a malo. Amen.
»  (Matthäus 6,9-13) 

Statt «supersubstantialem» (in etwa «überlebensnotwendig») steht in anderen Versionen der Vulgata an dieser Stelle der Begriff «cotidianum» bzw. «quotidianum» (also «tägliches Brot», was den Reformierten wesentlich geläufiger sein dürfte).

Von den Himmeln bzw. dem Himmel ist im bekanntesten Gebet der Christenheit gleich zweifach die Rede. In der Ansprache des Höchsten (vgl. Zeile 1, Plural) sowie dort, wo der Wunsch geäussert wird, der Wille dieses Höchsten möge im Himmel (Singular) wie auf Erden geschehen (vgl. Zeile 4).

Mehrklassen- und Einheitsvorstellung sind also in einem der zentralsten Texte des Neuen Testaments friedlich vereint.

Heutige Zürcher Bibel kennt nur Einheitshimmel

Getreu der heutigen Vorstellung eines nichtkompartimentalisierten Himmels lautet die Fassung von Matthäus 6,9-13 nach der Zürcher Bibel (TVZ 2007): «9 So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel. Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. 11 Das Brot, das wir nötig haben, gib uns heute! 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben jenen, die an uns schuldig geworden sind. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.»

Mit diesem Bösen, von dem man erlöst werden soll und dem Amen, das bekanntlich in der Kirche ganz sicher ist, hat es – wie man oben gesehen hat – nicht sein Bewenden. Das Vaterunser kommt nicht allein. Es wird in der Liturgie regelmässig mit zwei Zusätzen versehen: einer Doxologie und einem Segen.

Doxologie, das Rühmen der Herrlichkeit Gottes

Der Begriff Doxologie leitet sich vom altgriechischen δόξα dóxa «Herrlichkeit» bzw. «Ehre» ab. Gemeint ist damit ein das Gebet abschliessendes feierliches Rühmen der Herrlichkeit Gottes.

Eines der Vorbilder für die Formel «Denn dein ist das Reich...» ist die Bibelstelle 1. Chronik 29,10-13 (Fassung der Zürcher Bibel, TVZ 2007):

«10 Und David lobte den HERRN vor den Augen der ganzen Versammlung, und David sprach: Gelobt seist du, HERR, Gott Israels, unseres Vaters, von Ewigkeit zu Ewigkeit! 11 Dein, HERR, ist die Grösse und die Macht und die Herrlichkeit und der Ruhm und die Hoheit. Denn alles im Himmel und auf Erden ist dein. Dein, HERR, ist das Reich, und du bist der, der erhaben ist über alles als Haupt. 12 Und Reichtum und Ehre kommen von dir, und du bist Herrscher über alles. Und in deiner Hand sind Stärke und Macht, und in deiner Hand liegt es, alles gross und stark zu machen. 13 Und nun, unser Gott, wir danken dir und preisen deinen herrlichen Namen.»

In der Wikipedia wird behauptet, die Doxologie der Protestanten sei aus der Didache entnommen, der sog. Zwölfapostel-Lehre (Διδαχὴ τῶν δώδεκα ἀποστόλων Didachḕ tõn dṓdeka apostólōn). Diese urchristliche Gemeindeordnung wurde jedoch erst 1873 wiederentdeckt. Die Doxologie muss also auf anderen Wegen in die Weiacher Tradition hineingekommen sein.

Aaronitischer Segen macht den Abschluss

Nach dem ersten Amen kommt in der Weiacher Fassung noch ein weiteres mit einem Amen abgeschlossenes Element hinzu: der sog. Aaronitische Segen (auch: Priestersegen, weil er vom Pfarrer über die Gemeinde gebracht wird). Dieser Text leitet sich aus 4. Mose 6,24-26 ab. Er soll von Martin Luther 1525 in den protestantischen Gottesdienst eingeführt und von Zwingli übernommen worden sein.

Fassung nach der Zürcher Bibel (TVZ 2007): «24 Der HERR segne dich und behüte dich. 25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. 26 Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.»

Nach dem, was ich aus Jugendzeiten noch im Gehör habe, lautete eine frühere Fassung des Verses 26 in der bei der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich üblichen Form: «erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir seinen Frieden

So ändern sich die Zeiten und Formeln. Die Botschaft aber bleibt.

Quelle und Literatur

  • Auszug aus: Weiherede Altes Schulhaus Weiach, gehalten am 24. November 1836 durch Pfr. Johann Heinrich Burkhard. Nach der Transkription von W. Zollinger, 1969. Vorabdruck aus Wiachiana Fontes Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: Unser Vater, der du bist in den Himmeln! WeiachBlog Nr. 1354, 5. November 2017.

[Veröffentlicht am 18. Oktober 2024 um 16:42 MESZ]

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Leuchtendes Glas feiert ganzjährig Erntedank

Seit August 1981 erfreuen die farbigen Chorfenster der evangelisch-reformierten Kirche Weiach die Besucher. Gestiftet wurden sie von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Für die Gestaltung zeichnete Ruth von Fischer, Zürich verantwortlich. Die Herstellung von Glas und Fassung besorgte Albert Rajsek, Boswil.

In der unteren Hälfte des Ostfensters ist sozusagen ganzjährig Erntedankzeit. Man sieht dort reife Kornähren, saftige blaue Trauben, bunt gemischte Blumen (laut von Fischer sind es Malven) und ganz rechts ein Früchtesortiment von Bäumen und aus Hausgärten.

Auf den Skizzenblättern von Fischers, die in Schachteln im Gosteli-Archiv schlummern, sind die Entwürfe erhalten geblieben:


Im selben Dossier findet man auch eine offizielle Aufnahme der drei Fenster zur Einweihung (hier der entsprechende Ausschnitt):


Wie unterschiedlich die Farben je nach Tageslichtqualität aufleuchten, zeigt dieser Ausschnitt einer Aufnahme der Weycherin Johanna-Jessica OFS vom Juli 2018:


Quelle und Literatur
  • Dossier «Weiach Glasfenster 1981». Gosteli-Stiftung, Archiv Ruth von Fischer; Faszikel Weiach. Signatur: AGoF 605.11
  • Brandenberger, U.: Die Sprossenteilung schützt gegen das «Auslaufen» des Raumes. WeiachBlog Nr. 1446, 20. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Ruth von Fischer zur Entstehung der Weiacher Chorfenster. WeiachBlog Nr. 1447, 21. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Die profanen Hintergründe eines Kunstwerks. WeiachBlog Nr. 1448, 22. Dezember 2019.
[Veröffentlicht am 16. Oktober um 21:33 MESZ]

Montag, 30. September 2024

Unser Zuchtstier Bismarck wird prämiert, September 1924

«Noch bis in die 1860er Jahre waren die beiden Hauptrassen Braun- und Fleckvieh ziemlich getrennt. Während im Zürcher Oberland und in der Seegegend Braunvieh vorherrschte, hielten das Wehntal und die Bezirke Bülach, Winterthur und Andelfingen mehr Fleckvieh. Im Allgemeinen war der Viehstand aber buntscheckig, von allen möglichen Farben standen in demselben Stalle. Zuchtstiere hatte es viel zu wenig und zumeist minderwertige Ware. Man hielt das Vieh meist so lange, als es irgend möglich war.» (Der Freisinnige, 11. Oktober 1924)

Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte man den Erfolg der Landwirtschaftlichen Vereine sowie grosser Züchter (Maggi-Gutsbetrieb Kemptthal, Kloster Einsiedeln, Strafanstalt Regensdorf, etc.) anlässlich verschiedener grösserer und kleinerer Viehschauen begutachten. 

Simmental rules!

Vor 100 Jahren war Weiach nicht zuletzt dank seiner Viehzuchtgenossenschaft (V.Z.G.) eine Fleckvieh-Gemeinde, die immer wieder Blutauffrischungen aus dem Bernbiet zugekauft hat. Dafür sorgte die 1909 gegründete V.Z.G. Weiach, die explizit den Zweck verfolgte, die «Simmenthaler Fleckviehrasse» voranzubringen (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 117).  

Im September 1924 wurde in Winterthur eine grosse kantonale Landwirtschaftsausstellung ausgerichtet. Aufgeführt wurden sowohl Braunvieh wie Fleckvieh, da beide Schläge im Zürichbiet ihre Anhänger hatten.

Die dort preisgekrönten Fleckvieh-Zuchtstiere trugen mehrheitlich traditionelle Männernamen wie Felix, Ferdi (Ferdinand), Franz (2x), Gerold, Hans/Hansli, Köbel (Jakob), Ruedi oder Sepp (Josef). Aber es gab auch ungewöhnlichere, wie Amor, Cyrus, Hektor, Mäder, Nero, Regent und Sultan. 

Bismarck und Hindenburg

Und wo wir schon bei mächtigen Männern sind, da konnten damals auch die Schwergewichte aus dem Deutschen Reich nicht fehlen: die Viehzuchtgenossenschaft Weiach führte ihren Stier «Bismarck» nach Winterthur und die Eglisauer VZG ihren «Hindenburg». Ob man in Grenznähe wohl auf Kundschaft aus dem Süddeutschen gehofft hat?

Jedenfalls hatten die Weycher und Eglisauer sich politische Schwergewichte ausgesucht: Otto von Bismarck (1815-1898), mit vollem Namen Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, ab 1865 Graf von Bismarck-Schönhausen, ab 1871 Fürst von Bismarck, ab 1890 auch Herzog zu Lauenburg. Und Paul von Hindenburg (1847–1934), mit vollem Namen Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, deutscher Generalfeldmarschall und Reichspräsident.

Und dann sind da noch unspektakulärere, aber schweizerischere Namen wie «Demokrat» (VZG Brütten) und «Egal» (was uns die VZG Weiningen damit wohl sagen wollte?).

NZZ, 30.9.1924

Hauptsache kräftige Namen

Bei den Braunvieh-Zuchtstieren waren ebenfalls Bezeichnungen Trumpf, die Macht, Kraft und Herrschaft transportieren:  Attilla, Goliath, Hauptmann, Herold, Herzog, König, Prinz (2x), Sultan und Zar (2x). Die ganz konventionellen Männernamen sind ebenso gut vertreten: Noldi (Arnold), Egon, Frank, Hans, Joggi (Jakob), Kilian, Leo (2x), Max oder Willi.

Für heutige Ohren eher ungewöhnlich: Apollo, Bur, Dingo, Ebro, Falk, Fink, Fino, Hektor, Jodler (2x), Landenberg, Lenz, Liliput, Luchs, Madi, Mozzo, Naranco, Nelson, Nolli, Nudri, Pius, Roggen, Vebo und Wallo. Ganz unerwartet auch Namen, die man eher bei Kühen erwarten würde: Fortuna oder gar Venus.

2024 sind laut der Tierverkehrsdatenbank des Bundes übrigens die nachstehenden zehn Namen für Stierkälber schweizweit am häufigsten (in dieser Reihenfolge): Max, Leo, Bruno, Anton, Sämi, Hans, Paul, Fritz, Sepp, Emil.

Jeder Rasse ihre eigenen Kategorien-Grenzen

Wer sich den Bildausschnitt oben etwas näher angesehen hat, wird ob der Kategorien schon etwas ins Grübeln kommen. Wo für Braunvieh-Zuchtstiere noch folgende nachvollziehbaren Grenzen galten:

geb. nach 28. Februar 1923  
geb. vor 1. März 1923 und nach 31. Juli 1922
geb. vor 1. August 1922 und nach 30. Sept. 1921
geb. vor 1. Oktober 1921

da war (laut NZZ) für Fleckvieh-Zuchtstiere etwas Unordnung zu verzeichnen:

geb. nach 31. Dezember 1922 [wäre nach 1. Juni 1923 korrekt?]
geb. vor 1. Juni 1923 und nach 31. Oktober 1923 [recte: 1922]
geb. vor 1. Nov. 1922 und nach 28. Febr. 1921
geb. vor 1. März 1921

Es handelt sich wohl um ein Versehen, ob des Autors oder der Schriftsetzer sei dahingestellt.

Quellen

[Veröffentlicht am 8. Oktober 2024 um 23:55 MESZ]

Sonntag, 29. September 2024

Als das Weiacher Postbüro zum Bataillons-KP wurde

 Am Freitag, 1. September 1939 äusserte Adolf Hitler vor dem Reichstag die welthistorischen Worte: «Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen!» (O-Ton des US-Senders CBS)

Da schon seit Wochen und Monaten gezündelt worden war und es nur eines Funkens bedurfte, um die hochbrisante Konstellation zur Explosion zu bringen, war auch dem Schweizer Bundesrat und der Armeeführung der Ernst der Lage nur allzu bewusst. 

Am 28. August 1939 ordnete der Bundesrat daher die Mobilmachung des Grenzschutzes (80'000 Mann) für den nächsten Tag an. 

Und da Weiach bekanntermassen direkt an der Grenze zu Deutschland liegt, war der Dienstag, 29. August, somit der erste Aktivdiensttag, den die Weycher Bevölkerung hautnah mitbekommen hat.

Frontrapport bitte!

Der Adjutant im Stab Grenzfüsilierbataillon 269 liess noch am selben Tag obigen Befehl (der erste erhalten gebliebene in einer ganzen Serie von über 500 Dokumenten aus den ersten drei Monaten Aktivdienst) an sämtliche Einheiten des Bataillons abgehen:

«Das Rgt. [Grenzregiment 54] resp. die Br. [Grenzbrigade 6] verlangt sofortigen genauen Frontrapport, mit allen Détails gemäss Frontrapport-Formular. Hilfsdienst (Mineure) separat. Den gleichen Rapport jeden Abend auf 1900 an Bat. Kdo.»

In diesem Bericht zuhanden der vorgesetzten Stelle waren die genaue Mannschaftsstärke zum Stichzeitpunkt (i.d.R. 14:00 Uhr des laufenden Tages), die Anzahl kranker und verletzter Wehrmänner, sowie die Anzahl an Karabiner und Maschinengewehre mitzuteilen. Diese Rapporte dienten den vorgesetzten Stellen als Überblick und Planungsgrundlage.

Dank Verstoss gegen TOZZA wissen wir's

In die Schreibmaschine getippt wurden diese Zeilen, wie aus der Ortsangabe hervorgeht, in der «Post Weiach». In den Räumlichkeiten der Posthalterfamilie Meierhofer (Alte Post-Strasse 2) war also der erste Aktivdienst-Standort des Kommandopostens des Grenzfüsilierbataillons 269.

Es sollte der letzte Befehl gewesen sein, der den Abgangsort nennt. Denn ab sofort galt aus Sicherheitsgründen: Keine Ortsangaben über Truppenstandorte! 

Diese Vorschriften sind auch heutigen Soldaten der Schweizer Armee wohlbekannt. Das Merkwort lautet TOZZA: Truppen (Wer?), Orte (Wo?, Wohin?), Zeiten (Wann?), Zahlen (Wieviele?), Absichten. All diese Informationen unterliegen der Geheimhaltung.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 1089

[Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 um 00:20 MESZ]

Freitag, 27. September 2024

Ungefähr 40 Imbenstöcke. Bienenhaltung Mitte des 19. Jahrhunderts

Hans Conrad Hirzel, Weiacher Pfarrer von 1843 bis 1855, hat sich um seine Gemeinde nicht nur als Seelsorger, sondern insbesondere auch im Bereich der «Hebung der landwirthschaftlichen Verhältnisse» verdient gemacht. Er hat die sogenannte Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst, die mit folgenden Worten endet:

«Und schliesslich hat auch die hiesige Bienenzucht noch ein Anrecht auf diese Beschreibung; denn obschon nicht sehr bedeutend, kann doch der Erfolg als ein ziemlich günstiger bezeichnet werden, wozu Lage und Umgebung das meiste wohl beitragen mögen, da das nahe Wiesenthal auf der Einen und die waldigen Anhöhen auf der andern Seite nebst dem Eichen-Hochwald reichliche Ausbeute für die geschäftigen Sammler liefern. Man zählt gegenwärtig in der Gemeinde ca. 40 Imbenstöcke von verschiedener Güte und Schwere. –

Den Bienenfleiss indess pflegt man noch mehr an Menschen-Händen zu achten und will dabei gerne des Honigseims entbehren u. man thut auch daran nicht unrecht; denn noch keiner hat es hier bereut, dem Mutterwort gefolgt zu sein: „Seid fleissig wie die Bienen“!» (Wiachiana Fontes Bd. 3, S. 52)

Hier sieht man den Lokalbezug noch deutlich, indem Hirzel den Flurnamen Wiesental explizit erwähnt. Gemeint ist das Areal der ehemaligen Wässerwiesen westlich des heutigen Verlaufs des Dorfbachs. Interessanterweise erwähnt er keine ausgedehnten Obstbaumkulturen, wie sie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Ortskern umgeben haben. Deren Ertrag steigt natürlich auch an, wenn man für eine genügende Anzahl an Bienen sorgt, die ihre Tracht in unmittelbarer Nähe finden.

Imben? Honigseim? Ein sprachlicher Exkurs

Laut dem Schweizerischen Wörterbuch Idiotikon (Id. Bd. 1, Sp. 233) stehen die Worte «Imb, Imbeⁿ,​ Imbi,​ Imd,​ Imi,​ Imm,​ Immeⁿ,​ Impeⁿ» für: «1. Bienenschwarm und -stock; 2. einzelne Biene; 3. «Imbeli», Bienenragwurz, ophrys apifera». 

Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer (Bd. 1, Sp. 1421) findet man den Eintrag: «imbe-banc stm. bienenstand Gr.W. 5,105.»

Im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen (das von der Akademie der Wissenschaften der DDR angestossen wurde) kann man folgende Zusammenhänge bis zurück an die indoeuropäischen Sprachwurzeln finden:

«sämig Adj. ‘dickflüssig’. Im 19. Jh. wird nd. sēmig ‘(von flüssigen Dingen) dick und aneinander hängend’ in die Literatursprache aufgenommen. Es handelt sich um die genaue lautliche Entsprechung von (heute unüblichem) nhd. seimig Adj. ‘dickflüssig’ (18. Jh., vgl. seimichte Brühe, um 1700), einer Ableitung von Seim m. ‘dickflüssiger Saft, Honig’, ahd. seim ‘Nektar, Honig (wie er aus der Wabe fließt)’ (9. Jh.; vgl. dazu die frühe, sich nicht fortsetzende Ableitung ahd. seimīg ‘wie Nektar, wie Honig’, 11. Jh.), mhd. seim, sein, asächs. mnd. sēm, mnl. seem, nl. zeem, anord. seimr, norw. (mundartlich) seima ‘Schleimschicht, zähe Flüssigkeit’ (germ. *seima-). Verwandt sind (mit m-Formans) kymr. hufen (aus *soimeno-) ‘Rahm’ und vielleicht auch griech. há͞ima (αἷμα) ‘(flüssiges) Blut’, (mit l-Formans) mir. silid ‘tropft, fließt, läßt fließen’, lit. séilė ‘Speichel, Geifer’, (älter, mit u̯-Formans) sývas ‘Saft’. Angesetzt werden kann eine Wurzel ie. *sē(i)-, *sei- ‘tröpfeln, rinnen, feucht’, zu der auch Seife, Sieb und seihen (s. d.) gehören. – Honigseim m. ‘ungeläuterter Honig’, mhd. honecseim, -sein.» (Pfeifer et al. 1993)

Rezeptionen der Weiacher Ortsbeschreibung

Johann Michael Kohler aus Thalheim (im heutigen Landkreis Sigmaringen, Baden-Württemberg) rezipiert diese Vorlage Hirzels mit nur wenigen Modifikationen:

«In Weyach stehen etwa 40 Bienenstöcke, und es finden diese fleißigen Thierchen im blumenreichen Wiesenthal und in den bewaldeten Anhöhen eine fette Weide. Der Erfolg der Bienenhalterei wird als ein ziemlich befriedigender bezeichnet.» (Kohler 1852, S. 147)

Fast acht Jahrzehnte später hat Gottlieb Binder, ein aus Windlach stammender Lehrer, diesen Abschnitt aus der Weiacher Ortsbeschreibung so formuliert: 

«Die Bienenzucht ist nicht von Belang. Sie wird nach uralter Methode betrieben, obgleich sie durch zweckmäßige Neuerungen schöne Erträgnisse abzuwerfen vermöchte. Weiach besitzt gegenwärtig 40 Bienenvölker in Körben, die im blumenreichen Wiesental, auf den sonnigen Bergwiesen und in den nahen Wäldern Blütenstaub und Honig in Menge finden.» (Binder 1930, BDW Nr. 89, 4. November)

Binder will also wissen, dass es sich um Körbe gehandelt hat! Walter Zollinger hingegen, der die Ortsbeschreibung transkribiert hat, zitiert sie wörtlich und schreibt in seinem blauen Büchlein mit dem Rückentitel Chronik Weiach:

«Es muss, wie aus einem Bericht der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf zu ersehen ist, der Bauernschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht allzugut ergangen sein, sondern geradezu eine gewisse Notlage bei den Kleinbauern geherrscht haben. Deshalb wohl die geschilderten Bemühungen, um durch Nebenbeschäftigungen aller Art zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die Haltung von Bienen war ebenfalls dazu angetan, und es gab im Dorfe zu jener Zeit ungefähr «40 Imbenstöcke».» (Zollinger 1972, S. 59-60)

Imbenstöcke, Bienenstöcke, Bienenkörbe

Wir sehen hier bei jedem dieser Autoren eine begriffliche Weiterentwicklung, bei der nicht ganz ausgeschlossen ist, dass Interpretationen eingeflossen sind, die die damalige Wirklichkeit verfälschen.

Ob die Imbenstöcke so ausgesehen haben wie auf dieser Druckgraphik aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs, die im Hintergrund zufälligerweise eine Darstellung von Eglisau zeigt, können wir nicht sagen. 


Wenn es Körbe aus geflochtenem Stroh waren, dann ist allerdings die Platzierung in Schutzunterständen oder unter dem Dachvorsprung von Bauernhäusern anzunehmen. 

Über die bereits im 18. Jahrhundert bekannten Haltungsformen und Versuche berichten Johann Georg Krünitz (1774) und Jonas de Gélieu (1796), vgl. unten.

Quellen und Literatur

  • Aliter sentit, aliter loquitur. Eglißaw im Zürcher gebiet. [Frankfurt a. M.] : [Eberhard Kieser], [ca. 1626]. Zentralbibliothek Zürich. STF II, 38 [e-rara.ch 41434]
  • Krünitz, J. G.: Das Wesentlichste der Bienen-Geschichte und Bienen-Zucht für den Naturliebhaber, Landmann und Gelehrten. Berlin 1774. [e-rara.ch 23961]
  • Gélieu, J. de: Herrn J. von Gelieu Pfarrer der Gemeinden Colombier und Auvernier in der Grafschaft Neuenburg, der Oeconomischen Gesellschaft in Bern Mitglied &c. &c. Beschreibung der Cylinderförmigen Bienenkörbe von Stroh und der hölzernen mit doppeltem Boden. Aus dem Französischen übersetzt von Johannes Rißler. Basel 1796. [e-rara.ch 114088]
  • Kohler, J. M.: Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Druck von H. Mahler. Zürich 1852. [e-rara.ch 30931]
  • Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872–1878.
  • Binder, G.: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Gemeinde Weiach um 1850. In: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung, 1930, Nr. 86-89 (5 Teile).
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). 1. Aufl. 1972, 2., ergänzte Aufl. 1984.
  • Pfeifer, W. et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache.  
  • Ortsbeschreibung Weiach Anno 1850/51. Weiacher Turmkugeldokumente Teil C. Historisch-kritische Ausgabe von Ulrich Brandenberger. Wiachiana Fontes Bd. 3. Quellenedition, 2. Aufl., V2.01, Juli 2024. (Kapitel IX  Ref. C. Hirzel). [PDF, 8.90 MB]

Dienstag, 24. September 2024

Der finanziell transparente Weycher, Anno 1945

Wieviel verdient mein Nachbar? Wieviel der hier stationierte Kantonspolizist? Was kassiert der Herr Pfarrer? Und wer hat das höchste steuerbare Vermögen in der Gemeinde?

Auf all diese Fragen war die Antwort einst einfach erhältlich. Man konnte sie Mitte der 1940er-Jahre dem Anhang zu den gedruckten Jahresrechnungen der verschiedenen Gemeinwesen auf dem Gebiet der Gemeinde Weiach entnehmen. 

Da gab es nicht nur volle Transparenz über alle Ausgaben und Einnahmen auf kommunaler Ebene, nein, hier war der Bürger in finanzieller Hinsicht bezüglich der Steuerfaktoren völlig gläsern, denn diese Steuerdaten waren öffentlich.

Lokaler Krösus war man bereits mit fünfstelligem Jahreseinkommen

In der Nationalbibliothek ist aus unerfindlichen Gründen die gedruckte Jahresrechnung 1945 verfügbar. Diesem Büchlein kann man entnehmen, dass es gerade einmal drei Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkommen über 10'000 Franken gab:  

  • Meierhofer Robert, Sager: 14400
  • Landw. Genossenschaft: 12400
  • Baumgartner Hans, Metzger: 11200

Und nur eine Weiacher Steuerpflichtige verfügte über ein Vermögen im sechsstelligen Bereich, alle anderen hatten weniger bis gar nichts: 

  • Willi Albertina, zahlte bei 152'000 Fr. Vermögen und 4900 Fr. Jahreseinkommen insgesamt 321 Franken Staatssteuern.

Vergleichsweise hohe Einkommen von Staatsbediensteten

  • Hauser Theodor, Pfarrer:   7100      
  • Bill Otto, Polizist:   7600      
  • Zollinger Walter, Lehrer:  7400      
  • Vollenweider Luise:  6700  [Lehrerin, vgl. WeiachBlog Nr. 370]

Indexiert nach dem Landesindex der Konsumentenpreise auf heutige Geldwerte ergibt das nicht gerade berauschende Zahlen. Die 7600 Franken des Kantonspolizisten Bill entsprechen heute rund 40'000 Franken. Also hatte auch Sägereiunternehmer Robert Meierhofer (heutiges Holz Benz/Ärztehaus-Areal) nur gerade 75'000 Franken Jahreseinkommen. Man kann sich denken, wie tief die Kaufkraft der weniger auf Rosen gebetteten Weiacherinnen und Weiacher war.

Druckerei nur einen Katzensprung entfernt

Für die Produktion der 68-seitigen Broschüre musste der Gemeindeschreiber übrigens nur wenige Meter zurücklegen: vom Alten Gemeindehaus an der Friedhofmauer auf die andere Seite des Kirchenbezirks: Die Druckerei Kleiner befand sich im Erdgeschoss der Liegenschaft Winkelstrasse 7 (heutiges Wohnhaus von Willi Baumgartner-Thut).

Quelle und Literatur

  • Gemeinde Weiach (Hrsg.): Oeffentliche Guts-Rechnungen mit Steuerregister vom Jahre 1945. Buchdruckerei W. Kleiner - Weiach. Signatur: SNB OP 2214 (Schweiz. Nationalbibliothek, Bern) –  Staatssteuer-Register 1945 der Gemeinde Weiach, S. 59-67.
  • Öffentlichkeit der Steuerregister. Steuerinformationen herausgegeben von der Schweiz. Steuerkonferenz SSK, Januar 2019.
  • Audit Zug AG: Wie öffentlich sind Steuerdaten?  audit-info 87, 01.01.2022.
  • Aschwanden, E.; Fumagalli, A.: Mehr Steuerehrlichkeit oder billiger Voyeurismus? Wie unsere Steuerdaten zur Geheimsache wurden. Neue Zürcher Zeitung, 24. Mai 2022.

Sonntag, 22. September 2024

Im grossen Njet-Ozean mitgeschwommen

Heute war wieder einmal einer dieser Abstimmungssonntage, an denen Weiach nicht wirklich aufgefallen ist. In der Kantonsrangliste der Wahlkreise steht die Gemeinde zumindest nicht auf dem obersten Treppchen. Bei der kantonalen Vorlage aber immerhin auf dem Podest. Dieser Umstand hat auch für die Kommunalpolitik Gewicht.

Gesamtzahl hat Plafonds erreicht

Von insgesamt 1247 Stimmberechtigten (auf fast exakt demselben Wert wie schon letztes Jahr bei der immer noch vor Bundesgericht hängigen Infrastruktur-Abstimmung) haben sich gerade einmal 468 (37.53 %) dazu aufgerafft, ihre Stimmunterlagen bei der Gemeinde einzureichen. Damit ist Weiach zwar nicht das kantonale Schlusslicht, liegt aber auch deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von rund 45 % Beteiligung.

Der Stadt-Land-Graben bei der Biodiversitätsinitiative
(Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich)

Parteiparolen sind Nebensache

Die sog. Biodiversitätsinitiative wurde bei uns mit 362 Nein zu 105 Ja (77.52 % Nein-Stimmen) bachab geschickt. Im Njet-Gürtel zwischen tiefstem und höchstem Punkt des Kantons (Schnebelhorn, Gemeinde Fischenthal) belegt Weiach allerdings nur Platz 9 in der Nein-Anteil-Rangliste. – Eine Ohrfeige für die Linken und Grünen.

Auch die Reform der beruflichen Vorsorge fand bei den sich beteiligenden Weycherinnen und Weychern keine Gnade: 340 Nein zu 118 Ja ergibt immer noch einen Nein-Anteil von fast drei Vierteln. Und in der Wahlkreis-Rangliste Platz 4 beim Neinstimmen-Anteil. Bemerkenswert, wie hier das von den Grünen und Sozialdemokraten favorisierte Nein gegen die vereinigte bürgerliche Phalanx der Ja-Parolen so deutlich obsiegt hat. Denn immerhin ist Weiach nach wie vor eine SVP-Hochburg. – Eine Ohrfeige für die Bürgerlichen.

Überdeutliche Asylkritik

Bei der kantonalen Vorlage, einer Änderung des Bildungsgesetzes, wo es um Stipendien für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer ging, folgten die 463 Stimmberechtigten deutlich der SVP-Parole: 369 Nein zu 94 Ja. Diese 79.70 % Nein ergeben Platz 3 auf der Nein-Rangliste der Wahlkreise.

Heisst: rund 30 Prozent aller Stimmberechtigten (also inklusive die Stimmabstinenten!) sind zumindest asylkritisch, wenn nicht gar -feindlich eingestellt. Im Hinblick auf die immer noch obschwebende Frage, wo und wie die unserer Gemeinde zugeteilten Asylanten untergebracht werden sollen, ist das ein Widerstandspotential, das der Gemeinderat auf der Rechnung haben muss.

Freitag, 20. September 2024

Auswandern nach Chile? Gemeinde Weiach zahlt Kopfprämie!

Im Jahre 2010 hat der Autor dieses Blogs den ersten Hinweis auf eine solche Wanderungsbewegung gefunden. Demnach hat ein Jacob Rüdlinger seine alte Heimat Richtung Südamerika verlassen, wie ein Nachkomme mit einem Eintrag im Besucherbuch der damals noch rund um die Uhr offenen Reformierten Kirche Weiach mitteilte.

In einer kürzlich digitalisierten Ausgabe der Zürcher Oberländer Zeitung «Der Freisinnige» findet man eine indirekte Bestätigung dieses Vorgangs. Und eine Angabe, wann diese Emigrationsbewegung sich abgespielt hat, nämlich in den 1880er-Jahren:

«Aus Weiach gedenken nach dem "Wehnthaler" mehrere Familien nach Chile auszuwandern, und hat die Gemeinde letzten Sonntag beschlossen, jedem der Auswanderer, groß und klein, eine Unterstützung von 50 Fr. mit auf den Weg zu geben

Der Beschluss wurde – wohl anlässlich einer Gemeindeversammlung – am 28. Oktober 1883 gefasst.

Die chilenische Regierung hat sich nach dem Sieg über die Spanier im Jahre 1866 sukzessive an die Binnenkolonisation der Gebiete südlich der Hauptstadt Santiago gemacht. 

Für das in einem blutigen Krieg unter Kontrolle gebrachte Gebiet der Mapuche-Indianer um Temuco herum suchte sie in Europa aktiv nach landwirtschaftlich ausgebildeten Fachkräften. 

So wurden neben vielen Deutschen auch Schweizer Bauern samt Familie angeworben, um das von der Armee erkämpfte Gebiet besser zu sichern und zugleich einen substantiellen Beitrag an die Volkswirtschaft des jungen südamerikanischen Staates zu leisten.

Und die Gemeinde Weiach war natürlich froh, potentiell oder tatsächlich armengenössige Personen in ferne Lande exportieren zu können. Eine Kopfprämie zur Ermunterung erschien wohl als gute Investition. Noch zu eruieren ist, ob die Auswanderer dafür auf alle Zeiten auf das Weiacher Gemeindebürgerrecht (und damit ihren Anteil am Holznutzen) verzichten mussten.

Quelle

Donnerstag, 19. September 2024

Das Lied der Schüler zur Schulhauseinweihung

In der Aufzeichnung der Weiherede des Weiacher Pfarrers Johann Heinrich Burkhard (1772-1837) steht am Schluss ein eigens gedichtetes (und möglicherweise auch komponiertes) Lied. 

Laut Burkhard haben es die Weiacher Schulkinder zum Anlass der Einweihung des auf der Hofwiese errichteten Gebäudes (des heutigen Alten Schulhauses am Schulweg 2) einstudiert. Und zum Abschluss der Feier aufgeführt.

Die Melodie ist leider nicht erhalten. Aber der Text. Hier der volle Wortlaut:

Lied, von den Kindern zu singen.

In eigener Melodie.

Auf Kinder! wir wollen uns freuen,
heut allzumahl.

Es tönet die Schule zu weihen
der Lieder Schall.

Uns ist nun der Tempel erbauet,
den Liebe giebt,

Und segnend vom Himmel her schauet,
der Kinder liebt.

Wir segnen voll Dankes die Theuern,
die uns geliebt,
[gemeint: Eltern und Mitglieder der Baukomission]

wir wollen die Schule hoch feyern,
die man uns giebt.

Der hoch von dem Sternen-Gewimmel
auf Unschuld blikt,

Er segne euch, Väter vom Himmel
mit reinem Glük!

Er rufte, was Väter begonnen,
zur schönen That.

Wie viel ward uns Kindern gewonnen,
zur Tugendsaat!

Jezt streben wir frölichen Muthes
zur Weisheit an.

Erringen uns Wahres und Gutes
auf schöner Bahn.

Ja – fröhlichen Muthes
wir streben zur Weisheit an!

Ja – Wahres und Gutes
wir suchen auf schöner Bahn!

Und heben zum Weltenregierer
gerührt den Blik:

Sey ferner, o Vater, uns Führer
zum wahren Glük!

Von der damaligen Volksfrömmigkeit, die die Väter dieser Kinder bereits im Stadlerhandel 1834 hier im Unterland und während des Züriputsches 1839 in der ihrer Ansicht nach vom rechten Weg abgekommenen Stadt Zürich sogar mit bewaffneter Hand verteidigt haben, hat sich die Schule in den letzten bald 188 Jahren radikal verabschiedet.

Quelle und Literatur

  • Auszug aus: Weiherede Altes Schulhaus Weiach, gehalten am 24. November 1836 durch Pfr. Johann Heinrich Burkhard. Nach der Transkription von W. Zollinger, 1969. Vorabdruck aus Wiachiana Fontes Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: Aufstand wegen neumodischen weltlichen Schulbüchern. Die Weiacher im «Stadlerhandel» vor 175 Jahren. Weiacher Geschichte(n) Nr. 114. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2009.
  • Brandenberger, U.: «Wandelt allezeit selbst in frommer Reinheit der Sitten!». WeiachBlog Nr. 2129, 8. Juli 2024.

Dienstag, 17. September 2024

Ab in fremde Kriegsdienste – der Zwangsehe entflohen

Conrad Bersinger, Schmieds, Küfer von Weiach, geboren 1829. So wurde ein junger Mann im Dezember 1855 durch einen Beamten der Militärdirektion des Kantons Zürich identifiziert. Sein Fehler: Er hatte sich – ohne auf dem ordentlichen Weg Auslandurlaub eingegeben zu haben – für den Dienst bei einem Schweizerregiment im Königreich beider Sizilien anwerben lassen und war bereits auf dem Weg nach Neapel (für die Details: Weiacher Geschichte(n) Nr. 29). 

Sich als Schweizer Bürger für fremde Kriegsdienste anwerben zu lassen, das war damals noch nicht strafbar (erst seit 1927, vgl. Art. 94 MStG). Zu diesem Zeitpunkt war lediglich die Anwerbung auf Schweizer Gebiet verboten, weshalb es gleich ennet der Grenze in Hohentengen ein sogenanntes Werbdepot gab.

Bersinger flüchtete aus einer komplett gescheiterten Beziehung. Eine Fluchtursache, die man auch bei anderen Unterländer Männern in früheren Jahrhunderten feststellen kann.

Ein Eglisauer wird zum Heiraten gezwungen

Zeitgenössische Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert sind uns von Rudolf Wirz (1624-1682) überliefert, der von 1671 bis zu seinem Tod Pfarrer in Eglisau war. Er führte das sogenannte Stillstandsprotokoll, also die Amtsbücher der Sittenaufsicht und Kirchenpflege im reformierten Rheinstädtchen am Tor zum Rafzerfeld, das seit 1651 vollständig zu Zürich gehört:

«[Donnerstags] den 5. tag junii 1673 erschine vor einem ehrsammen stillstand aufm rahthauß Regula Gering von Rüdlingen, damahls bei eegaumer Hartmann dienend, fürgeben: Hanß Ulrich Hartmann, eegaumers sohn, habe ihro nit allein die ee versprochen, sonder sei auch geschwängeret, weliches gedachter Hartmann wider alles zusprëchen hartnäkig, auch zu Zürich vor eegricht verlaugnet, biß man im mit dem Wellenberg gethröüwt, da er bekendt, daß er sei geschwängeret habe. Darauff er sei eelichen müßen. Die copulation ist gschehen zu Weyach. NB. Wie es wyter gangen, vide in ao 1675 den 9. febr[uarii].»

Da war also eine Frau aus dem Schaffhausischen, die sich mit einem Sohn ihres Dienstherrn (und Funktionär der lokalen Sittenaufsicht!!) eingelassen hatte. Die daraus entstehende Schwangerschaft liess sich nach einigen Monaten nicht mehr leugnen. 

Geständnis unter Androhung der Folter

Regula Gehring gab, wie es die Vorschriften verlangten, gegenüber dem Pfarrer den Kindsvater bekannt, eine Eigenschaft, die Hans Ulrich Hartmann jedoch abstritt. Er knickte erst vor dem höchsten Zürcher Familiengericht ein, als man ihm schliesslich die Inhaftierung im Gefängnisturm mitten in der Limmat androhte (samt der dann dort folgenden Befragung unter Folter). Und er legte ein Geständnis ab: Ja, ich habe sie geschwängert.

Ob er nun der Vater war oder nicht: Rechtlich gesehen musste er die Gehring nun ehelichen, da führte kein Weg daran vorbei, denn das Kind musste einen Vater haben, der für seinen Unterhalt zahlt. Im Übrigen war diese Zwangsheirat auch erforderlich, um den Ruf seines Vaters nicht noch weiter zu beschädigen.

Kein Aufsehen erregen, deshalb Heirat in Weiach!

Unter dem Datum 9. September 1673 ist im Weiacher Kirchenbuch eingetragen, es sei (transkribiert in heutige Schreibweise) Hartmann, Hans Ulrich, Eglisau, getraut worden mit Gehring, Regula, Buchberg SH. Und zwar «absque sertis», wie der Weiacher Pfarrer Hans Rudolf Seeholzer ausdrücklich vermerkte, also «ohne Brautkranz». Dass Gehring diesen nicht tragen durfte, war eine Ehrenstrafe wegen des vorehelichen Beischlafs. 

Und der Transkribent, ein im Privatauftrag tätiger Genealoge, notierte auf der Karteikarte, die er zu dieser Hochzeit anlegte: «Sie sind auf Befehl der Herren Eherichter in Weiach, doch der Gemeinde ohne Schaden, eingesegnet worden.» (Quelle: StAZH E III 136.1, EDB 318)  Dieser Zusatz war wichtig, er bedeutete nämlich, dass der Gemeinde Weiach dadurch in keiner Art und Weise Kosten aufgebürdet werden konnten.

Im Eglisauer Kirchenbuch gibt es natürlich auch einen entsprechenden Eintrag von Pfarrer Wirz – unter demselben Datum wie oben: Hartmann, Hans Ulrich, Burg, getraut mit Gehring, Regula, Buchberg SH. Dazu die Notiz: «Diße Hochzeyt ist mit consens Unser Gn. Hrn. zsammen geben worden zu Weyach, weyl er sei haben müsßen, weyl er sei geschwächt und sich allhie zu copulieren asßen gschämbt.» (Quelle: StAZH E III 32.3, EDB 30)

Deutlicher kann man es kaum formulieren. Und es war das Ehegericht in Zürich selber, das die auswärtige Heirat angeordnet hatte.

N.B.: In den Kirchenbüchern wird die aus Rüdlingen stammende Gehring Buchberg zugeordnet, weil die beiden Gemeinwesen seit Jahrhunderten eine gemeinsame Kirchgemeinde bilden. Die Kirche Buchberg befindet sich zwar auf exponierter Höhe über dem Rhein, das Gotteshaus steht jedoch auf Rüdlinger Boden. 

Gebrochenes Versprechen, mit der Ehefrau einen Hausstand zu gründen

Nicht einmal anderthalb Jahre nach dieser Zwangshochzeit musste sich der Eglisauer Stillstand erneut mit dem Fall Hartmann-Gehring befassen – ordentlicher Sitzungstag war offenbar der Donnerstag (s. oben):

«[Donnerstags] den 9. febr[uarii] 1675 ist stillstand aufm rahthauß ghalten worden und erkendt, das obgenanter under dato 5. junii 1673 Hanß Ulrich Hartman eegaumers sohn bei der Burg sein haußfr[auw] Regula Gering soll ins vatters hauß nemmen oder mit ihro außhin zeühen und selbsten hauß halten oder für ein ehrsamm eegricht gwisen werden, weliches ehe er wollen thun, hatt er versprochen, wölle auf s. Margrethen tag mit ihro auß des vatters hauß und eigen hauß halten. Alß aber die hrn. von Straaßburg an unser gnedig hrn. und Bern volk begert und erlangt zur bsatzung in ihr statt, hatt diser Ulrich, der bishar nit können vom vatter kommen, jetz könen dingen und gen Straßburg zeühen, damit er nit mit der Geringin haußen müße etc.»

Dem Ehemann wider Willen war also befohlen worden, seine Angetraute ins elterliche Haus zu nehmen oder einen eigenen Hausstand zu gründen. Widrigenfalls wurde ihm eine erneute Vorladung vor das Ehegericht angedroht. Worauf Hartmann junior versprach, auf den Gedenktag der Heiligen Margareta mit Gehring aus dem väterlichen Haus auszuziehen und einen eigenen Hausstand zu gründen.

Interessant ist, dass der Gedenktag für eine Heilige auch fast anderthalb Jahrhunderte nach der Reformation noch ganz selbstverständlich im alltäglichen Sprachgebrauch erscheint. Es dürfte sich daher um die Märtyrerin Margareta von Antiochia (gest. 305) handeln, deren Gedenktag Mitte Juli den Beginn der Ernte markierte, im bäuerlichen Jahreslauf einer auf Flurzwang und Dreifelderwirtschaft eingerichteten Landwirtschaft ein Datum von entscheidender Bedeutung.

Neues Glück in der Fremde?

Diese Zukunftsaussichten scheinen Hans Ulrich Hartmann aber derart widerstrebt zu haben, dass er die günstige Gelegenheit ergriff und sich als Söldner in Diensten der Stadt Strassburg anwerben liess. Die Stadtherren hatten nämlich von den befreundeten Stadtstaaten Zürich und Bern Truppen angefordert, um sich gegen einen möglichen Angriff zu wappnen. Diese wurden auch bewilligt und so gelang es Hartmann durch den Soldvertrag der Zwangsehe zu entfliehen. Wie es ihm dort ergangen ist und was sein Vater (und seine Ehefrau!) dazu gesagt haben, das wird hier nicht weiter nachverfolgt.

Das Verhältnis von Strassburg zu den Eidgenossen

Die Reichsstadt Strassburg hatte sich mit den eidgenössischen Orten in mehreren Bündnissen abgesichert und bekam, wenn nötig, Schweizer Militärhilfe in Form von Truppenkontingenten. Nach der Reformation, die in Strassburg Erfolg hatte, kühlten sich die Beziehungen zu den katholischen Orten der Eidgenossenschaft ab. Die Stadt blieb jedoch ein enger Verbündeter der reformierten Orte, die immer wieder Söldner in den Dienst der Stadt stellten. Das lag in ihrem ureigenen Interesse, denn die wirtschaftlichen Beziehungen der Strassburger Kaufleute ins Gebiet der Eidgenossenschaft waren rege und lukrativ. N.B.: Die Urkunde des Bündnisses von 1588 zwischen Bern, Zürich und Strassburg kann man sich heute auf der Website des Zürcher Staatsarchivs ansehen (vgl. StAZH C I, Nr. 389).

Nach der 1681 erfolgten Eroberung der Stadt durch den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. wurde Strassburg zwar rekatholisiert und alle Reformierten verloren ihre öffentlichen Ämter. Trotzdem blieb das Elsass wirtschaftlich ein zum Heiligen Römischen Deutscher Nation gehörendes Gebiet, was sich bis 1789 an einer Zollgrenze manifestierte, die über die Vogesen verlief. Deshalb bewahrte das Gebiet auch seine deutsche Sprache und Kultur.

Quellen

Sonntag, 15. September 2024

Der Anschlagkasten vor dem VOLG, est. 1959

Wissen Sie, wann und von wem die Vitrinen linkerhand des Eingangs zum VOLG-Laden an der Stadlerstrasse 4 finanziert wurden? Anhand des Artikeltitels kann man in etwa erahnen, wer das gewesen sein könnte.

Wann, das sagt der Titel ohne Umschweife. Walter Zollinger hat in seiner Jahreschronik 1959 die folgende Fotografie eingeklebt:


Wenn man sechseinhalb Jahrzehnte später vor dem VOLG steht, dann erkennt man diese Vitrinen fast unverändert wieder. Lediglich etwas verkleinert kommen sie in der Nähe des Ablaufrohrs daher. Und rechts desselben gibt es heute eine weitere kleine Vitrine.

Gesamtrenovation des Milchlokals

Wie man der Bildlegende entnehmen kann, war der Anschlagkasten Teil eines Umbaus der Milchhütte. Die Motivation erläutert Zollinger auf derselben Seite des Typoskripts im Lauftext:

«Die Milchgenossenschaft Weiach war gezwungen, ihr Milchlokal zu vergrössern, da sich, vor allem abends zur Hüttenzeit zwischen 18.30 und 19.30 Uhr[,] die Milchlieferanten und die Milchkonsumenten nicht in die Haare, wohl aber in den Weg gerieten. Ende April bis Mitte Juli musste daher das Gemeindeschlachthaus als Provisorium herhalten. Ab 16.7. aber präsentierte sich dann das umgebaute u. vergrösserte, zugleich mit modernen Einrichtungen versehene "neue" Milchlokal wieder aufs Beste. Zudem wurde ein anderer "Fahrplan" eingeführt:

Milchkunden von 18.30 bis 19.00 Uhr

Milchlieferanten von 19.00 bis 19.30 Uhr, 

sodass nun für alle genug Platz vorhanden ist.» (G-Ch Weiach 1959, S. 12) 

Beleuchtete Informationsplattform für Behörden und Vereine

Die Milchgenossenschaft hat 2009 ihren Zweck geändert und nennt sich heute Bauerngenossenschaft Weiach. Und das Gemeindeschlachthaus musste 1974 dem Ausbau der Sternenkreuzung weichen. 

Die Gemeinde, genauer: das «politische Gemeindegut», war es auch, das den Kasten finanziert hat:

«Am Milcheinnahmegebäude wurden neue, nachts beleuchtete Anschlagkasten für Behörden und Vereine errichtet; Kosten Fr. 3030.»  (G-Ch Weiach 1959, S. 8) 

Umgerechnet nach dem Landesindex der Konsumentenpreise wären das heute ca. 13'500 Franken (vgl. LIK-Rechner).

Der Anschlagkasten diente zusammen mit dem Weibel-Amt der Information der Öffentlichkeit. War also ein Vorläufer der «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» bzw. der heutigen Website www.weiach.ch.

Quelle

  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 8 & 12.

Samstag, 14. September 2024

Ein schmaler Trottoirstreifen wird geteert

Zollingers Jahreschronik 1959, Typoskript abgeschlossen am 31. Juli 1961, an die Zentralbibliothek Zürich abgeschickt mit Brief vom 24. August 1962, lässt auch Rückschlüsse auf den Ausbauzustand der Strassen auf dem Gemeindegebiet zu. Wir erfahren so, dass ein unscheinbares Stück Asphalt ins AHV-Alter gekommen ist:

«In der Zeit von Mitte Juli bis Mitte August erhält das bisher nur kiesige und deshalb ungern benutzte Trottoir rechtseitig [sic!] der Strasse von der Brunngasse bis Raat hinauf einen guten Teerbelag. Nun wird es deutlich eher begangen, sogar hie und da noch als "Radfahrerweg" gebraucht.» (G-Ch Weiach 1959, S. 14)

Die Brunngass mündet etwa dort in die Stadlerstrasse, wo vis-à-vis der Müliweg mit Steinblöcken abgetrennt und nur für Fussgänger und Zweiradfahrer passierbar ist.

Wer die Stadlerstrasse (RVS 566) befährt, der kennt dieses schmale Band westlich der 1845/46 gebauten Kunststrasse Richtung Raat.

Viel Platz hat es nicht zwischen der Fahrbahn und der Pflanzlinie der Birkenallee. So ist es denn vor allem auch diese Baumreihe, die die Trottoirbreite definiert. Nicht ganz 100 Birken, die Automobilisten ab und zu zum Verhängnis werden:

Foto: Kantonspolizei Zürich, 31. März 2010

Quellen und Literatur
  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 14.
  • Steiner, B.; Eggmann, V.: Weiacher Tagebuch mit 99 Birken. (Reihe: Zürcher Baumgeschichten XXI.) In: Tages-Anzeiger, 23. April 1988 – S. 21.
  • Brandenberger, U.: VW Golf crasht in Birke bei Dorfeingang. WeiachBlog Nr. 810, 31. März 2010.

Donnerstag, 12. September 2024

SVP-Vizepräsident, parteilos. Ein identitätspolitischer Spagat.

Weiach hat sich jahrzehntelang dagegen gesträubt, in parteiorganisatorischer Hinsicht auf kommunaler Ebene sozusagen kolonisiert zu werden. Dass dies seit einigen Jahren mit der SVP Stadlerberg nun doch der Fall ist, steht für eine Zeitenwende.

Parteibücher haben in der hiesigen Gemeindepolitik nichts verloren

Einen solchen Vorgang hat es seit den Zwischenkriegszeiten unseligen Angedenkens nicht mehr gegeben. In den 1920er- und 30er-Jahren dürfte es nämlich auch bei uns so etwas wie politische Ortsgruppen landesweiter Parteien und Bewegungen gegeben haben, wie Walter Zollinger 1972 in seinem blauen Büchlein rekapituliert:

«Der Generalstreik vom November 1918 zeigte mit erschreckender Deutlichkeit die entstandene Kluft zwischen der vom aufkommenden Marxismus beeinflussten Arbeiterschaft und dem wohlhabenden, alteingesessenen Bürgertum. Auch in unserem Bauerndorf bildeten sich gegen Ende der zwanziger Jahre, allerdings nur vorübergehend, solche Splittergruppen (Sozialisten, Jungbauern, Fröntler). Die zu jener Zeit und am Anfang der dreissiger Jahre um sich greifende starke Arbeitslosigkeit (Stempeln gehen) bildete für diese Bewegungen natürlich einen günstigen Nährboden. Zum guten Glück aber glätteten sich, bei uns wenigstens, die zeitweise hoch gehenden Wogen allmählich wieder. Heute gibt es in der Gemeinde selber keine festorganisierten politischen Parteien mehr.» (Zollinger 1972, S. 70)

Daran haben sich Generationen von Politikern gehalten. Auch Albert Meierhofer-Nauer, Posthalter und Gemeindepräsident von 1941 bis 1966, der 1935 auf der Bäuerlichen Liste in den Kantonsrat gewählt wurde und ab 1937 faktisch der Fraktion der damals neugegründeten BGB (Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei; heutige SVP) angehörte. Ob er Parteimitglied war, spielte für die kommunale Funktion keine Rolle.

Dreimal als Parteiloser gewählt...

In Zeiten des alles durchdringenden Internet und Social Media könnte man ein ähnliches Vorgehen nun allerdings wesentlich kritischer beurteilen. 

Der seit 2014 amtierende Weiacher Gemeindepräsident Stefan Arnold ist jedes Mal als Parteiloser angetreten und gewählt worden (vgl. zuletzt WeiachBlog Nr. 1801). So präsentiert er sich auch seit acht Jahren auf seinem Twitter-Auftritt (heute X genannt, vgl. Screenshot unten).

Wer sich über die SVP Stadlerberg informieren will, stösst allerdings auf der Kontakt-Seite auf einen parteipolitisch eindeutig einsortierten Stefan Arnold. Er figuriert dort als «Vizepräsident und Ansprechperson für Interessenten» (vgl. nachstehendes Bild):

... jetzt aber parteilich eingefärbt

Ein parteipolitisch engagierter Stefan Arnold ist grundsätzlich auch nicht zu beanstanden. Allerdings sollte sich der Gemeindepolitiker Arnold dann doch überlegen, ob die Anpassung des Twitter-Profils im heutigen Umfeld nicht angemessen wäre. 

Die bisherige Parteilosigkeit wurde beim Lexikon-Eintrag Weiach in der deutschsprachigen Wikipedia bislang noch beibehalten. Zumindest dort muss der Transparenz halber die Zugehörigkeit zur SVP dokumentiert werden, denn nach Lexikon-Definition ist ein Parteiloser, «wer ein politisches Amt oder Mandat ausübt bzw. anstrebt, jedoch keiner politischen Partei angehört».


Dass Arnolds X-Account auch nach der Machtübernahme durch Elon Musk nicht etwa seit Jahren verwaist ist, beweisen übrigens gelegentliche kurz und knapp formulierte Einwürfe an die Adresse politischer Kontrahenten, wie jüngst, am 5. September 2024, als Arnold auf einen Tweet von SP-Nationalrat Fabian Molina reagiert hat.

Nachtrag vom 13. September, 21:43

Im Register der Interessenbindungen, Stand: 1. Juli 2024, legt Gemeindepräsident Arnold offen, dass er als Vorstandsmitglied der SVP Stadlerberg fungiert: