Montag, 2. April 2018

Eine Zürcher Trommel in Hohentengen

Wer die Werbetrommel rührt, der will Kriegsknechte anwerben. So war das früher. Denn Trommeln und Pfeifen bildeten die Begleitmusik auf dem Marsch in den Kampf.

Es versteht sich von selbst, dass die Obrigkeiten schon vor Jahrhunderten sehr genau darauf achteten, wer in ihrem Herrschaftsbereich Soldaten anwarb. Denn in der Regel hatte die Inhaberin der hohen Gerichtsbarkeit auch das Mannschaftsrecht inne, konnte also auf ihrem Gebiet die Militärdienstpflicht durchsetzen.

Da wirft der obige Titel natürlich Fragen auf. Was hat die süddeutsche Gemeinde Hohentengen am Hochrhein, unmittelbar nördlich von Weiach im baden-württembergischen Landkreis Waldshut gelegen, mit dem Mannschaftsrecht der Zürcher zu tun?

Eine Erklärung liefert Gerold Meyer von Knonau (1843-1931) im Anzeiger für Schweizerische Geschichte von 1877 unter Pt. «107. Kleinere Mittheilungen» in einer sogenannten Miszelle, also einem kurzen Beitrag, den er mit seinem Kürzel MvK zeichnete. Wir drucken ihn hier integral ab, da ein direkter inhaltlicher Zusammenhang mit dem Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 87 sowie dem Beitrag WeiachBlog Nr. 504 besteht (vgl. Quellen):

Eine zürcherische Trommel im Gemeindehause von Hohenthengen.

«Als ich im Januar dieses Jahres vor der Section Uto des Alpenclub einen Vortrag über unsere schweizerischen Grenzen hielt, welcher nächstens im Jahrbuche des S. A.-C, XII. Jahrgang, erscheinen wird, theilte mir nachher ein Mitglied eine Notiz mit, welche als eine Hinweisung auf eine rechtshistorische Curiosität hier als Miscelle einen Platz verdienen mag. Der Herr, welchem ich die Mittheilung verdanke, hatte wenige Tage vorher im Gemeindehause des gegenüber Kaiserstuhl auf dem rechten Rheinufer liegenden Dorfes Hohenthengen - dessen Kirche ist die Mutterkirche von Kaiserstuhl - dem Acte einer Civiltrauung als Zeuge beigewohnt und war als Zürcher nicht wenig durch den Anblick einer grossen Kriegstrommel mit den zürcherischen Farben in Erstaunen gesetzt worden, welche da, wie es schien, wohl geehrt, innerhalb der gelbrothen Grenzpfähle des grossherzoglich badischen Gebietes gewissermassen an officieller Stätte aufbewahrt wird. Zwar wusste schon der Ortsvorsteher zu sagen, dass die Hohenthenger vor der Staatsumwälzung militärisch zu Zürich zählten und 1814 gerne zürcherisch geworden wären: aber Bürgermeister Reinhard habe sie nicht gewollt, um nicht katholische Kantonsangehörige zu bekommen. Indessen liegt doch die Sache noch etwas anders, wenn auch jene Angaben in der Hauptsache richtig waren.

Gleich den Nachbarorten Lienheim und Herdern stand Hohenthengen unter der Landeshoheit der fürstlich Schwarzenberg'schen Regierung in der gefürsteten Landgrafschaft Klettgau, welche zu Thiengen ihren Sitz hatte; die niederen Gerichte verwaltete der bischöflich Constanz'sche Obervogt, auf Schloss Rötteln bei Kaiserstuhl. Die in der gemeineidgenössischen Herrschaft Grafschaft Baden regierenden Kantone hinwieder übten das Schutzrecht über diese drei Dörfer - 1733 ist von eidgenössischen «Salve-Garda-Stühden» zu Hohenthengen die Rede - ; sie verlegten im Nothfalle Schutzwachen dahin und übten im Namen der Eidgenossenschaft daselbst das Mannschaftsrecht aus.

Von diesen durch die Erschütterungen der Napoleon'schen Zeit mit allen anderen feudalen Einrichtungen hinweggeräumten verwickelten Beziehungen ist die alte zürcherische Trommel zu Hohenthengen ein kleines Denkmal.

Als Illustration aus dem 16. Jahrhundert sei hiezu noch auf Folgendes (Abschiede, Bd. IV, Abtheil. 1 a, p. 800 und 801) hingewiesen. Nach der Niederwerfung des Bauernaufstandes im Klettgau durch den Grafen Rudolf von Sulz, Ende 1525, schrieb der Landvogt zu Baden, der Urner Türler, an die Luzerner Regierung und die eidgenössischen Boten am 4. November, dass nach dem Kampfe viele Bauern nach Kaiserstuhl entronnen seien, auch wehklagende Weiber und Kinder: «die man nun inglan hat, das ich nun da nit han mögen erweren, denn sy under einandern gefründt sind, dessglichen ir kilchgnossen und nachburen, dass sy sy nit hand wellen usschlachen». Am 9. meldet Türler, er sei auf Rudolfs Einladung auf Schloss Küssenberg geritten, wo er auch «von wegen den dryen dörfern, so in siner grafschaft ligen und aber minem herren von Kostenz zuogehörig sind und mit einer grafschaft Baden reisen müessend» gesprochen und beruhigende Zusicherung erhalten habe, dass der Kaiserstuhler Vogt auch künftig im Namen von Constanz den Eid empfangen solle ohne Nachtheil für die Eidgenossen, die Grafschaft Baden oder die von Kaiserstuhl. M.v.K.»

Der im Abschnitt über den Bauernkrieg von 1525 genannte Graf von Sulz war damals Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit im Klettgau, die 1687 nach dem Aussterben im Mannesstamme über eine Heirat an das Haus Schwarzenberg gelangte.

Eidgenössischer Schutz für das Amt Rötteln

Meyer von Knonau hat in seiner Miszelle nicht erläutert, aus welchem Rechtsgrund die Eidgenossen das Mannschaftsrecht nicht nur in den linksrheinischen (heute aargauischen) Teilen der fürstbischöflich-konstanzischen Herrschaft Kaiserstuhl (auf den Sitz des Obervogts bezogen auch Amt Rötteln genannt) ausübten, sondern auch in den fürstbischöflichen Besitzungen rechts des Rheins (heute Deutschland).

Dieses Mannschaftsrecht dürfte mit den mittelalterlichen Abmachungen zusammenhängen, welche nicht nur das am nördlichen Brückenkopf bei Kaiserstuhl thronende Schloss Rötteln zum für die Eidgenossen «offenen huß» erklärten, sondern auch den Rest des fürstbischöflichen Gebietes deren Schutz unterstellte.

Damit ist Hohentengen nicht schlecht gefahren. Die in der Miszelle erwähnten Unverletzlichkeits- oder Neutralitäts-Zeichen, genannt «Salva Quardia», machten nämlich jedem Eindringling klar, unter wessen (militärischem) Schutz das Gebiet stand (Bild aus Fuchs 1992).
 

Die Dorfschaft Hohentengen erhielt zwischen 1618 und 1798 mehrmals das Recht, ein solches bemaltes Schild aus Blech an ihren Grenzen aufzustellen. Dadurch blieben sie bei Plünderungen oft verschont – im Gegensatz zu anderen sulzischen Klettgauern (u.a. in Griessen, Stetten, Günzgen und Bergöschingen). Als beispielsweise im Dreissigjährigen Krieg eine kleine Abteilung Schweden Proviant zu erpressen versucht, musste sie auf Druck der Eidgenossen bald aus dem fürstbischöflich-konstanzischen Amt Rötteln abziehen.

Diese enge Verbindung zur Eidgenossenschaft hat die Hohentengemer vor 200 Jahren ganz von selbst dazu gebracht, sich ernsthaft um einen Beitritt zur Schweiz zu bemühen. Auch wenn ihnen das als Verrat ausgelegt wurde.

Quellen
[Veröffentlicht am 28. März 2019 um 11:45 MEZ]

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