Montag, 27. Januar 2025

Bundesgerichtsentscheid: Ein vorhersehbarer Rohrkrepierer?

In seiner Medienmitteilung vom 23. Januar 2025 über den Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts in der Beschwerdesache 1C_43/2024 schreibt der Gemeinderat Weiach:

«Im Rahmen der Beschwerde wurde vor allem die Verletzung der Gemeindeautonomie geltend gemacht. Das Bundesgericht entschied jedoch, dass die Gemeinde im Bereich des Informationshandelns zu einem kommunalen Ausgabenbeschluss, der dem Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt wurde, keine Autonomie besitzt. Das Bundesgericht stellte klar, dass die Anforderungen an Abstimmungserläuterungen abschliessend im kantonalen Recht geregelt sind. Daher sei die Gemeinde Weiach nicht berechtigt, einen Entscheid des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht anzufechten, selbst dann nicht, wenn dadurch eine kommunale Abstimmung aufgehoben wird.

Zu dieser Rechtsfrage hat sich das Bundesgericht bislang nicht geäussert gehabt, weshalb dieser Entscheid für die Gemeinde nicht vorhersehbar war.»

Würden die in dieser Sache entscheidenden Bundesrichter Kneubühler, Chaix und Müller sowie ihr Gerichtsschreiber Vonlanthen von der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das ebenso sehen? Oder geht es etwa gar nicht um diese Frage?

In den Erwägungen zum Urteil 1C_43/2024 vom 9. Dezember 2024 lassen die Richter nämlich keinen Zweifel daran aufkommen, woran die Beschwerde tatsächlich gescheitert ist, nämlich daran, dass das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich lediglich eine Verletzung der politischen Rechte der Weiacher Stimmbevölkerung gerügt hatte und die Beschwerde von Anwalt Marazzotta nicht an exakt diesem Punkt angeknüpft hat.

Marazzottas Problem: Wo soll man ansetzen?

Fangen wir beim Beschwerderecht als solchem an, wie es im Bundesgerichtsgesetz vom Parlament festgelegt wurde:

«Zur Beschwerde [in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten] sind ferner berechtigt: [...] Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt;» (Art. 89 Abs. 2 Bst. c BGG)

Anwalt Marazzotta und die Gemeinde Weiach mussten also eine geeignete Verfassungsbestimmung finden. Und sie haben sich bekanntlich dazu entschieden, auf die Karte Gemeindeautonomie zu setzen. Sticht diese Karte?

Magere Erfolgsaussichten

Das Richtergremium rekapituliert die entsprechende Rechtslage wie folgt (E 1.3):

«1.3 Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Auf kantonaler Ebene ist die Gemeindeautonomie in Art. 85 KV/ZH (SR 131.211) festgehalten. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale oder eidgenössische Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. (...)

Die Erwägung schliesst mit dem entscheidenden Satz: «Im Bereich der politischen Rechte ist die den Gemeinden eingeräumte Autonomie im Allgemeinen gering (Steinmann/Mattle, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 73a zu Art. 89).»

Es zeigt sich hier, dass die Erfolgsaussichten offenbar nicht allzu gross sind, wenn man eine Gemeinde einen Entscheid im Bereich der politischen Rechte ihrer Stimmbürger anfechten lässt!

Von vornherein an der Sache vorbei...

Das zeigt sich dann auch weiter unten im Urteil (E 1.6.1): 

«1.6.1 Soweit die Beschwerdeführerin [Gemeinde, vertreten durch den Gemeinderat Weiach] geltend macht, dass der Ausgabenbeschluss [über die rd. 28 Mio. CHF] eine rein kommunale Angelegenheit sei und die Aufhebung dieser kommunalen Abstimmung einen Eingriff in die Gemeindeautonomie darstelle, geht ihr Vorbringen von vornherein an der Sache vorbei. 

Ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin nicht näher darlegt, inwieweit ihr in diesem Zusammenhang eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt, ist für das vorliegende Verfahren ohnehin nicht entscheidend, ob der Beschwerdeführerin im Allgemeinen hinsichtlich Ausgabenbeschlüssen Autonomie zukommt.» 

... denn massgeblich ist, was das Verwaltungsgericht im Visier hatte

«Es ging im vorinstanzlichen Verfahren [VB.2023.00508] gerade nicht um eine inhaltliche Überprüfung des kommunalen Beschlusses [heisst: der Abstimmung vom 18. Juni 2023], im Rahmen derer die Vorinstanz die Prüfungsbefugnis in einem allfälligen Gemeindeautonomiebereich überhaupt hätte überschreiten können. 

Vielmehr war durch die Vorinstanz zu prüfen, ob der Ausgabenbeschluss ohne Verletzung der politischen Rechte der Stimmbevölkerung formell korrekt zustande gekommen ist (vgl. auch Urteil 1C_465/2015 vom 7. Dezember 2015 E. 3.3 in fine). Einer allfälligen Autonomie hinsichtlich Ausgabenbeschlüssen kommt daher für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung zu.»

Es geht also gar nicht darum, ob das Bundesgericht die Frage der Gemeindeautonomie schon behandelt hat oder nicht. Nein, es geht offensichtlich allein um den Anknüpfungspunkt.

Leichtfertiger Ausflug nach Lausanne?

Da stellt sich die Frage, worauf der Entschluss des Gemeinderats Weiach, den Entscheid des Verwaltungsgerichts anzufechten, eigentlich basiert hat.

Am 14. Dezember 2023 liess das Gemeindehaus die Öffentlichkeit wissen: «Der Gemeinderat Weiach wird nach sorgfältiger Analyse des Urteils entscheiden, ob eine Beschwerde ergriffen wird.» Und schon am 20. Dezember wurde verlautbart: «Der Gemeinderat Weiach hat das Urteil analysiert und nach Rücksprache mit dem Rechtsvertreter beschlossen, das Urteil an das Bundesgericht weiterzuziehen.»

Davon, dass der eigene Rechtsvertreter gemeinsam mit dem Gemeinderat zu diesem Entschluss gelangt sei, steht da rein gar nichts. War es gar so, dass Marazzotta sich erst einen Anküpfungspunkt zurechtlegen musste, nachdem der Gemeinderat den Sturm auf den Mon-Repos proklamiert hatte?

Und wenn dem nicht so war und man mit Anwalt Marazzotta konferiert hatte: Wusste der Gemeinderat, wie klein die Erfolgschance sein würde? Oder hat er in Unkenntnis von N. 73a zu Art. 89 BGG entschieden?

Ging es nur um Gesichtswahrung?

Letztlich ist die Frage, ob das ein frivolous lawsuit war, der Gemeinderat also trotz miserablen Erfolgsaussichten aus rein politischen Gründen leichtsinnig wertvolle Zeit verloren und Steuergelder verpulvert hat, nur um jetzt (in der eingangs zitierten Medienmitteilung) etwas von «Rechtssicherheit» daherschwadronieren zu können. Die hätte er nämlich schon Ende 2023 haben können.

Aktuell scheint ja die Lage nicht anders als vor 13 Monaten: Da steh' ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor. (J. W. von Goethe, Faust)

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Anhang: N. 73a zu Art. 89 BGG von Gerold Steinmann & Adrian Mattle

«Gemeinden sind wie andere öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht Träger politischer Rechte und daher nicht zur Beschwerde in Stimmrechtssachen legitimiert. [Anm-496] Ihnen steht grundsätzlich die Beschwerde im Sinne von Art. 82 lit. a wegen Verletzung ihrer Autonomie gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. c offen, wenn sie durch einen kantonalen Akt hoheitlich betroffen sind. [Anm-497] Entsprechende Fragen können sich stellen, wenn ihnen eine ­Intervention in einem Abstimmungskampf untersagt wird [Anm-498] oder die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit einer kommunalen Initiative in Frage steht. [Anm-499] Die den Gemeinden eingeräumte Autonomie im Bereich der politischen Rechte ist im Allgemeinen gering. [Anm-500]»

Anm-500: «Vgl. immerhin VerwGer BE, 10. 3. 2017, 100.2016.371, 100.2017.2, BVR 2017, 437 (mit Kommentar von G. Steinmann).» (Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler (Hrsg.): Bundesgerichtsgesetz. Basler Kommentar. 3. Auflage. Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2018.)

Dieses «immerhin» bezieht sich auf einen Fall aus dem Berner Oberland, wo eine Stimmberechtigte monierte, die Regularien der Gemeinde Spiez zur Wahl des Gemeindepräsidiums würden übergeordnetem (insbesondere kantonalem) Recht widersprechen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern verneinte dies, worauf die Stimmberechtigte ans Bundesgericht gelangte und dort unter Kostenfolge abblitzte, da sich die Beschwerde als «offensichtlich unbegründet» erwies (BGer 1C_218/2017). Hier wurde also die Rechtsetzungskompetenz einer Gemeinde geschützt, wo ihr diese vom übergeordneten Recht tatsächlich zugestanden wird.

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