Andere Zeiten, andere Schlötterlig
Nun waren es vor 250 Jahren gewiss andere Zeiten als heute; das Ancien Régime sass noch im Sattel und versuchte das Heft in der Hand zu behalten. Offensichtlich war da aber selbst bei höhergestellten Untertanen beträchtlicher Unmut vorhanden, der sich - juristisch ausgedrückt - in Form von Verbalinjurien äusserte.
So jedenfalls kann man den folgenden Protokoll-Eintrag vom 13. Oktober 1754 erklären. An diesem Tag wurde nämlich Stillstand gehalten und
«vor Denselbigen aus Oberkeitlichen befehl gestelt Jacob Meyerhoffer Altweibel, der [den] G[nädigen] Hrn Baron de Landow (?) Obervogt zu Kayserstuhl einen Eyer-Freßer und mit andern wüsten worten geschmähet, und deßwegen zu Zürich in dem Oetenbach mit täglich 6 streichen an der Stud 3 tag gezüchtiget worden, deme dann das nothwendige vorgehalten worden: Er wolte anfangs nicht unten an den Treppen des Chors stehen, sonder in seinen ohrt in dem Chor gehen mit Vorgeben, da er vor einigen Jahren wegen begangenem S.v. Ehebruch auch da gestanden seye, wurde aber von dem Pfrhr zurückgewiesen, welches er endlich angenohmmen, und die ermahnungen mit aüsserlich bezeigter reüwe angehört, darbey aber allezeit auf eine falsche von Dorffmeyer zu Thengen gemachte anklag abstellen wollen.» [Transkription Adolf Pfister]
[Hinweis vom 22. März 2018: Namenskorrektur nach der 2017 aufgrund von Handschriftenanalyse gewonnenen Erkenntnis, dass es sich beim sogenannten Ortsgeschichtlichen Ordner wohl um die von Zollinger in seiner Monographie Weiach 1271-1971, S. 7, erwähnte «umfängliche Materialsammlung» handelt, die ihm «Herr A. Pfister (1936-1942 Lehrer in Weiach) zur Verfügung stellte», und daher die Umschrift wohl nicht von Zollinger stammt].
Bei diesem «Baron de Landow» handelt es sich um Johann Franz Freiherr von Landsee, denselben Obervogt, der Jahre später den Enchiridion Helveticum Constantiae Episcopalis verfassen sollte (vgl. WeiachBlog-Beitrag: Warum Lesen den Sittenzerfall fördert).
Warum ist Eyer-Fresser ein Schimpfwort?
Man kann sich das so vorstellen: In den Zinszahlungen an die Zehntenherren, Grundeigentümer, und anderen Rechteinhaber tauchen immer wieder Verpflichtungen auf, unter anderem einige Dutzend Eier pro Jahr abzuliefern.
Ein Eyerfresser ist also einer, der von eben diesen Abgaben mehr als genug hat, so dass er quasi davon lebt. Würde heute vielleicht das Schmäh-Wort «Abzocker» verwendet? Mehr dazu in den Weiacher Geschichte(n) Nr. 100 (vgl. Link unten).
Die Transkription der Handschrift Eschers (und damit das obige Zitat) verdanken wir dem Weiacher Lehrer Adolf Pfister:
Das Original findet man nach seinen Angaben im Stillstandsaktenbuch auf Seite 4. Und da ist es auch tatsächlich:
Bei genauer Betrachtung erweist sich hier auch der von Pfister (und Zollinger) als «Landow» gelesene Name des Obervogts als ein «Landsee».
Quelle und weiterführende Beiträge
- Ortsgeschichtlicher Ordner. Archiv des Ortsmuseums Weiach, noch ohne Signatur, Klappe St, Rubrik Strafen (notiert von Adolf Pfister)
- Warum Lesen den Sittenzerfall fördert. WeiachBlog, 28. Mai 2006 [Nr. 205]
- Pfarrherr Escher greift durch. WeiachBlog, 18. Juni 2006 [Nr. 226]
- Hohe Busse für liederlichen Strassenunterhalt. WeiachBlog, 19. Juni 2006 [Nr. 227]
- Weiacher Geschichte(n) Nr. 100: Den Obervogt als «Eyerfresser» beschimpft. Bestrafung eines Weyachers für Beleidigungen, Anno 1754. (MGW, März 2008)
- Brandenberger, U.: Den Obervogt als «Eierfresser» beschimpft. Geschichte und Geschichten aus dem Unterland. In: Tages-Anzeiger, 2. Oktober 2008 – S. 53 Unterland.
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