Sonntag, 13. Januar 2013

Barschaft und Kassenbüchlein unter den Kartoffeln

Wo ältere Menschen grosse Geldsummen zur Verfügung haben, da finden sich unweigerlich Erbschleicher und andere zwielichtige Gestalten ein. Die berüchtigten Enkeltrick-Betrüger sind nur eine der bekannteren Spielarten.

Dass ein Betreuungsverhältnis auch früher schon zu zumindest heiklen Situationen führen konnte, zeigt der folgende Artikel aus dem Jahre 1902:

«Aargau. Eine schlimme Geschichte ist im Bezirk Laufenburg allgemeiner Gesprächsstoff. Eine Witwe S.H. von Kaisten war seit längerer Zeit Magd bei einem älteren, von seiner Frau geschiedenen Mann in Weiach (Zürich). Jüngst starb dieser, und die Angehörigen vermißten eine bedeutende Summe Geldes in seiner Verlassenschaft. Frau H. wurde deshalb in Weiach eingesteckt und gestand, das Fehlende (mit Einwilligung des Meisters) entwendet und ihrer Tochter in Kaisten zur Aufbewahrung übergeben zu haben. Mittwoch, den 19. März, wurde nun bei den hochbetagten, ledigen Tanten der Tochter, wo sie das Hauswesen führt, Haussuchung gehalten. Trotz beständiger Ableugnung des Besitzes fand man im Keller teils in Barschaft, teils in Kassenbüchlein 7000 Fr. unter den Kartoffeln versteckt. Natürlich wurde nun auch die Tochter in Laufenburg in Verwahrung genommen. Die beiden alten Tanten, deren Bruder jüngst gestorben, wußten gar nichts von dem verborgenen Schatze und waren höchst bestürzt, als sie ihre bisher durchaus unbescholtene und brave Nichte, welche zudem verlobt war, in einen so schiefen Handel verwickelt sahen. In wie weit Mutter und Tochter schuldbar sind, wird die Untersuchung zeigen.»

Diese Story findet man im Berner «Intelligenzblatt» vom Mittwoch, 26. März 1902 auf Seite 2. Diese Bezeichnung ist im Sinne des englischen Intelligence zu verstehen, also als Nachrichtenblatt (vgl. u.a. den Wikipedia-Artikel Intelligenzblatt).

Die Publikation war nach Einschätzung der Universitätsbibliothek Bern «lange Zeit die wichtigste Berner Tageszeitung». Die UB Bern hat die vollständigen Jahrgänge scannen lassen und macht sie unter intelligenzblatt.unibe.ch online zugänglich. Über die dort angebotene Suchmaschine findet man in insgesamt fünf Ausgaben den Ortsnamen Weiach.

Und um wie viel Geld ging es bei diesen 7000 Franken? Der spätere Nobelpreisträger Albert Einstein verdiente im Jahr 1909 als Mitarbeiter des Eidgenössischen Patentamts 4500 Franken. Der speziell zur Homogenisierung von Geldwertangaben geschaffene Historische Lohnindex (HLI) gibt für diese Summe umgerechnet auf das Jahr 2009 einen Wert von 161'508 Franken an.

Unter den Kartoffeln lag also nach heutigen Geldwerten gerechnet rund eine Viertelmillion!

Mehr zum Historischen Lohnindex und der Umrechnung von Einsteins Lohn unter http://www.swistoval.hist-web.unibe.ch

Hilfsmittel
  • Christian Pfister, Roman Studer: Swistoval. The Swiss Historical Monetary Value Converter. Historisches Institut der Universität Bern. http://www.swistoval.hist-web.unibe.ch (Zugriff am 13.01.2013)

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