Mittwoch, 2. Januar 2013

«Könnints nit hungers sterben lasßen». Auswanderungsgründe 1653

Gestern war die Rede davon, wieviele Bürger der Gemeinde Weiach in aller Welt leben - und die Heimatgemeinde kaum noch kennen. Die grosse Anzahl auswärts lebender Bürger ist ein deutliches Indiz dafür, dass in früheren Jahrhunderten viele Weiacher aus wirtschaftlicher Not ihr Auskommen anderweitig finden mussten. Viele davon für immer.

Denn in der Regel ziehen die Menschen nicht weit von ihrem Elternhaus weg - das ist selbst heute nicht anders. Wohl geht man gern weiter weg in die Lehre, studiert gar im Ausland, aber die Mehrheit wird später wieder in dem Gebiet sesshaft, wo die Wurzeln der eigenen Familie seit jeher zu finden sind. Dieser Effekt kann anhand von Telefonbucheinträgen bestimmter Namen gut belegt werden: die Wohnorte clustern auch heute noch ziemlich nahe um die ursprünglichen Bürgerorte herum.

Bevölkerungsboom und Wirtschaftskrise

Was waren also die Gründe, dass man von hier weg musste? Im 17. Jahrhundert erlebte Weyach einen Bevölkerungsboom. Noch 1637 zählte der Pfarrer im Auftrag der Regierung 392 «Seelen in der Gmeind», also tatsächlich dort lebende Einwohner. 1650 waren es bereits 483. Innerhalb von nur 13 Jahren war die Bevölkerung um 23 Prozent gewachsen. Ein enormes Wachstum - für die damalige Zeit sowieso.


Damit einher ging 1648 mit dem Westfälischen Frieden das Ende von dreissig Jahren Kriegswirren gleich ennet der Grenze. Für die Schweiz veränderte sich die wirtschaftliche Lage rasant. Schweizer Agrarprodukte waren in der Folge nicht mehr derart gefragt wie in den Kriegsjahren. Die Preise kamen unter Druck. Und damit auch die landwirtschaftlichen Strukturen.

Der Bevölkerungsboom kombiniert mit der Wirtschaftskrise nach 1648 dürfte in Weiach sehr stark zu spüren gewesen sein. Das kann man erahnen, wenn man die folgende Beschwerde zweier Abgeordneten aus unserem Dorf liest, die 1653 einer Kommission aus der Stadt Zürich vorgelegt wurde. Die Regierung des Stadtstaates Zürich befürchtete Unruhen wie im Bernbiet und wollte daher herausfinden, ob man den Untertanen auf dem Land das Leben in gewissen Punkten erleichtern könne, damit sie nicht ebenfalls Umsturzgedanken in die Tat umsetzen wollten.

Keine Unterstützung von der Regierung

Die Beschwerde (das sog. Gravamen Nr. 7) liest sich im Original wie folgt:

«Wylen sich die zeithar an etlichen orthen und sonderlichen zu Wejach frömb[d]e lüth befinden lasßen, die daß junge volckh mit versprëchung, jnnen dienst und gute glegenheiten zu zeigen, uß dem land hinweg führint, und die eß wehrint, werdint nur verhaßt und jnen geantwortet, sy müßint woll hinweg lasßen, könnints nit hungers sterben lasßen, wylen jnnen uß der stat nützit vorgesetzt werde. [...].»

Aus diesen Worten ist ganz deutlich die Kritik herauszuhören, dass die Regierung nichts unternehme, um die Notlage der Bevölkerung (z.B. in Weiach) zu lindern. Insbesondere scheinen auch nicht genügend Lebensmittelhilfen  angekommen zu sein, so dass man im Dorf nur allzu gern den Versprechungen des Anwerbungspersonals fremder Fürsten Glauben zu schenken bereit war - Fürsten, die Kolonisten für ihre kriegsbedingt entvölkerten Gebiete oder schlicht Soldaten suchten. Das waren schliesslich nicht gerade risikofreie Alternativen zum Leben in der Heimat.

Es ist jedenfalls bezeichnend, dass diese Abwerbungen offensichtlich einigen Personen, die im Dorf etwas zu sagen hatten, missfielen, sonst würde nicht davon berichtet, dass diejenigen die dagegen redeten oder gar handelten, sich bei den Jungen verhasst machten.

Quellen und weiterführende Literatur

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