Freitag, 18. Oktober 2019

Neidhart&Lhôte-Orgel Weiach: Nur ein Rückpositiv bringt's!

Gegen Ende Oktober vor 50 Jahren konnte die gegenwärtige Weiacher Orgel als eines der letzten Elemente der Gesamtrestauration festlich eingeweiht werden. Dass sie so aussieht, wie wir sie heute kennen, nämlich mit einem Rückpositiv (RP), das über der Emporenbrüstung platziert ist, ist keineswegs selbstverständlich.

Eidgenössische Kommission droht mit Entzug aller Bundesubventionen

Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) sowie die Kantonale Denkmalpflege Zürich waren erklärte Gegner eines Rückpositiv. Dieses würde den bisherigen optischen Eindruck der Empore massiv beeinträchtigen, fanden sie.

Der Orgelexperte Jakob Kobelt, die Orgelbaufirma Neidhart & Lhôte, der Architekt der Gesamtrestaurierung, Paul Hintermann sowie die Kirchenpflege Weiach hingegen wollten nicht auf ein zweites Manual verzichten und argumentierten u.a., ein Oberwerk statt eines Rückpositivs würde mehrere Monate im Jahr unbenutzbar sein (vgl. unten).

Dieser Streit mit verhärteten Fronten dauerte mehrere Monate lang an und blockierte den Bau unserer Orgel. Aus den handschriftlichen Unterlagen des Orgelexperten, die als Teil seines Nachlasses in der Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich liegen, geht hervor, dass die Denkmalpfleger der Kirchgemeinde Weiach im Sommer 1966 mündlich gar den vollständigen Entzug aller Bundessubventionen angedroht hatten, sollte man auf dem Bau eines Rückpositivs beharren!

Sechs bis sieben Monate im Jahr unbrauchbares Oberwerk?

Dieses Rückpositiv war aber aus Sicht der Gemeinde unverzichtbar, wie nach Versuchen und Nachforschungen von Georges Lhôte klar wurde.

Lhôte schrieb im Januar 1967 an den Architekten Hintermann, am gegebenen Standort auf der Empore ein Oberwerk einzubauen, führe zu grossen Problemen:

«L’OW se trouve beaucoup trop près du plafond de l’église, à un niveau où il se produit toujours une couche de concentration de la chaleur. Ce clavier sera injouable pendant 6 ou 7 mois par an!» (Brief Nr. 8 im Nachlass Kobelt, Dossier Weiach; Signatur: ZBZ Mus NL 118: W6, Fasz. 1)

Technisch sei ein Oberwerk zwar realisierbar, aber in allen anderen Aspekten völlig unbefriedigend. Ein Unterwerk sei auch keine Lösung, da man es nicht mehr höre, wenn Sänger auf der Empore darum herum gruppiert seien. Seiner Meinung nach gebe es deshalb keine andere Lösung als ein Rückpositiv, wenn man eine zweimanualige Orgel wolle.

Und die Kirchgemeinde Weiach wollte unbedingt wieder eine zweimanualige Orgel, um neben der Gottesdienstbegleitung auch das ein oder andere Konzert veranstalten zu können.

Vier Varianten zur Diskussion

Am 22. Mai 1967 schliesslich schrieb der von der Kirchgemeinde Weiach beauftragte Orgelexperte Jakob Kobelt, der gleichzeitig auch Konsulent der EKD war, aus Mitlödi GL an die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (Sekretariat an der Gasometerstrasse in der Stadt Zürich), vertreten durch den Kommissionspräsidenten, Prof. Dr. A. Schmid (Brief Nr. 10 im Nachlass Kobelt, Dossier Weiach; Signatur: ZBZ Mus NL 118: W6, Fasz. 1):

Betrifft: Orgel, Kirche Weiach

Sehr geehrter Herr Professor,

Die Angelegenheit mit dem Einbau einer neuen Orgel in der Kirche Weiach wurde vom Orgelbauer Georges Lhôte, vom Architekten Paul Hintermann, von Herrn Dr. Albert Knöpfli
[Mitglied der EKD] und mir nochmals gründlich beraten. Verschiedene Vorschläge und Projekte wurden einander gegenübergestellt, und vor allem wurde die von der EKD empfohlene Lösung (HW+OW, ohne Rückpositiv) geprüft.

Von verschiedenen Vorschlägen wurden Plan-Skizzen angefertigt, ich beziehe mich im folgenden auf die diesem Schreiben beiliegenden Pläne.

1. Plan A    Orgel mit reduziertem Rückpositiv
2. Plan A1  Orgel wie in Projekt
3. Plan B    Orgel mit Oberwerk, über geteiltem Hauptwerk
4. Plan C    Orgel mit Oberwerk, hinter Hauptwerk zurückgesetzt






Alle vier Lösungen sehen eine zweimanualige Orgel mit Pedal vor. Die Forderung der Gemeinde Weiach auf ein Orgelwerk mit zwei Manualen und Pedal ist berechtigt, ein einmanualiges Instrument kommt nicht in Frage.

Der Vorschlag der EKD und die Forderung der Kant. Denkmalpflege, auf das Rückpositiv zu verzichten, wurde eingehend geprüft und in den Plänen B und C aufgezeichnet.

Zu den Vorschlägen sei folgendes bemerkt:

I. Die Lösungen mit Oberwerk (Pläne B und C)

Beide Lösungen haben folgende Nachteile:

a) Das Oberwerk kann aus Platzgründen nur 2-füssig gebaut werden. Da das HW auf 8'-Basis steht, stehen die beiden Werke nicht im richtigen Verhältnis zueinander. Die 8'-Basis für das HW ist durch die Grösse des Raumes gegeben. Die klangliche Relation zwischen HW und OW ist gestört.


[Seitenwechsel]

b) Steht das OW in der gleichen Front wie das HW (Lösung B), so muss das HW geteilt werden, eine für diesen Raum unbefriedigende Lösung: der Klang des HW wird gespalten.

c) Steht das OW hinter dem HW (Lösung C), dann kann das HW wohl zusammengebaut werden, optisch gibt es keine befriedigende Lösung, das zurückgesetzte OW stört das Bild.

d) Während der ganzen Heizperiode kann die Orgel nicht in Stimmung gehalten werden. Das OW steht unmittelbar unter der Decke und ist mit seinen kleinen Pfeifen ausserordentlich heikel in Bezug auf Stimmungsschwankungen, hervorgerufen durch die wärmere Temperatur unmittelbar unter der Decke. Das Spiel auf dem OW wäre während der ganzen Heizperiode, also gut ein halbes Jahr lang, in Frage gestellt.

Beide Lösungen können vom Orgelbaulichen her nicht verantwortet werden. Als Orgelbauberater der Gemeinde Weiach muss ich die Lösungen mit einem OW ablehnen. Zum gleichen Standpunkt sind die Herren Dr. A. Knöpfli, Architekt Hintermann und vor allem auch der Orgelbauer gekommen.

II. Die Lösungen mit dem Rückpositiv (Pläne A und A1)

Bei A 1 handelt es sich um die von der Denkmalpflege angefochtene Lösung. HW und RP stehen auf der Basis 8' bzw 4'. HW- und RP-Prospekt beginnen mit C.

Demgegenüber schlagen wir als Lösung die Orgel nach Plan A vor. Die Prospekte beginnen ab E, die Gehäuse werden also reduziert. Nur die Lösung mit dem RP kann als werkgerecht und orgelbaulich in jeder Beziehung befriedigend bezeichnet werden.

Das RP kann ohne konstruktive Störung der Empore und Brüstung eingebaut werden.

Die oben genannten Herren sind einhellig der Ansicht, dass nach ernsthafter Prüfung der verschiedenen Vorschläge nur die Lösung nach Plan A in Frage kommen kann. Ich beantrage daher, die Denkmalpflege möchte die Sache nochmals prüfen und auf ihren Beschluss (kein Rückpositiv!) zurückkommen. Der berechtigte Wunsch der Gemeinde, eine gute Orgel zu erhalten, ein Instrument, das der kirchenmusikalischen Praxis in allen Belangen gerecht werden kann, sollte nicht einfach übergangen werden. Der restaurierte Kirchenraum soll dem lebendigen Gottesdienst der heutigen Gemeinde dienen, und an diesem hat die Kirchenmusik doch einen wesentlichen Anteil.

Mit vorzüglicher Hochachtung

[Durchschlag nicht unterzeichnet]

Beilagen
Kopie mit Plänen A, A1, B, C an Herrn Dr. A. Knöpfli, 8355 Aadorf
Kopie ohne Beilagen an Herrn Paul Hintermann, Architekt, 8803 Rüschlikon

Keine Kommentare: