Freitag, 21. April 2006

Armensteuern nötig wegen zu vielen Sozialhilfeempfängern

So weit ist es gegenwärtig noch nicht. War es aber im Kanton Zürich schon einmal - und zwar Mitte des 19. Jahrhunderts.

Bezirksrat denkt voraus

Dass man an die Erhebung von Armensteuern dachte, kann man dem Rechenschaftsbericht des Regierungsrates an den Grossen Rat (heute: Kantonsrat) über das Jahr 1845 entnehmen. Der Rath des Innern lässt darin über Zustand und Verwaltung der Gemeindegüter im (ab 1871 Bezirk Dielsdorf genannten) Nordwesten des Kantons folgendes verlauten:

«Im Bezirke Regensberg befanden sich die Gemeindegüter im Allgemeinen in einem befriedigenden Zustande. Bedenklicher sieht es dagegen, wie anderwärts in einzelnen Gemeinden, mit den Armengütern aus. Die vielen zum Theil bedeutenden Rückschläge entstanden durch Zunahme der Armenunterstützungen und bald werden auch in diesem Bezirke, was sonst hier zu den Seltenheiten gehörte, Armensteuern erhoben werden müssen. In dieser Voraussicht hat der Bezirksrath auf sehr lobenswerthe Weise schon gegen Ende des vorigen Jahres und auch dieses Frühjahr die Gemeindsbehörden angewiesen, dahin zu trachten und zu arbeiten, daß es der ärmern Klasse möglich gemacht werde, einen möglichst hinreichenden Vorrath an Lebensmitteln zu pflanzen und zu diesem Ende hin so viel möglich Grundeigenthum der Gemeinde anzuweisen, indem nach seiner Ansicht am nachdrücklichsten auf diese Weise allzu großen Ansprüchen an die Armengüter vorgebeugt werden könne.» (Regierungsrat ZH, 1845, S. 79)

Prozentual gar nicht so viele Armengenössige

Mit anderen Worten: die damalige Sozialhilfe schrieb in vielen Gemeinden rote Zahlen. Vor über 150 Jahren wurden die Armengenössigen noch nicht aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Sondern über die Erträge der Armengemeinden, d.h. von deren Grundstücken (Äcker und Wald) sowie den Zinsen allfälligen Anlagekapitals. Armensteuern wurden nur erhoben, wenn wirklich Not und damit Ebbe in der Gemeindekasse herrschte.

Dabei war die Zahl der im Kanton Zürich dauernd unterstützten Armen nicht allzu hoch:
- Kinder 5314 (Bezirk Regensberg: 457)
- Kranke 1850 (Bezirk Regensberg: 139)
- Alte und Gebrechliche 3140 (Bezirk Regensberg: 216)
Das sind total 10304 (Bezirk Regensberg: 812)

Zum Vergleich: gemäss der ersten kantonalen Volkszählung vom Mai 1836 wohnten im Bezirk Regensberg 14'280 und im ganzen Kanton 231'576 Personen. Mit anderen Worten ca. 5% der Bevölkerung war armengenössig.

Pflanzland für die Armen!

Allzu schnell ging die Umsetzung der Anregung des Bezirksrates in Weiach nicht vonstatten. Immerhin wurden innert dreier Jahre Nägel mit richtigen Köpfen gemacht:

«Anno 1847 wurden auf Antrag der Gemeinde durch Regierungsbeschluss «20 Jucharten Eichenwald im Hard zur Alimentation des Armengutes vom Forstetat abgelöst, die Fläche ausgerodet, in 80 Vierlingteile eingeteilt und zum erstenmal den Landbedürftigsten auf 6 Jahre um den Jahreszins von 2 alten, nachher 3 neuen Franken in Pacht gegeben.» Die erste Bepflanzung geschah grösstenteils mit Kartoffeln. Dadurch konnte der Notstand einer ganzen Anzahl von Familien stark gemildert werden.» (Brandenberger, 2005, S. 43)

Erstaunlich ist, dass die Hauptbepflanzung in Herdöpfeln bestand - trotz der im Herbst 1845 wütenden Kartoffelfäule.

Die damals gerodete Fläche kann man noch heute erkennen, sie liegt südlich der Bahnlinie, östlich des Kieswerkareals und nördlich des Ofen-Hofes in der Nähe der Grenze zu Glattfelden und wirkt wie aus dem Wald herausgestanzt.

Wenn man den Kaiserstuhler Juchart von 36.09 Aren zugrundelegt, dann erhielt also jede der 80 bedürftigen Familien eine Fläche von ca. 9 Aren (900 Quadratmeter) - eine Parzelle in der Grössenordnung eines grösseren Familiengartens. Dort dürfte also eher Gartenkultur als Landwirtschaft betrieben worden sein.

Quellen

  • Rechenschaftsbericht des Regierungsrates des Kts. Zürich an den Grossen Rat über das Jahr 1845 - S. 79 & 102. [Staatsarchiv des Kantons Zürich; Signatur: StAZH III AAh 1]
  • Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes. Vierte, überarbeitete Auflage von Walter Zollingers «Weiach. 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Dezember 2009 (pdf-File) - S. 43

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